Erlangen Centre for Astroparticle Physics
Innerhalb von wenigen Jahren wurde in Erlangen das neue Zentrum für Astroteilchenphysik gebaut. Verantwortlich zeichnet die Arge dichter + Glass Kramer Löbbert. Entstanden ist ein moderner Forschungsbau mit hellen, qualitätvollen Innenräumen und intelligentem Grundrisskonzept.
Text: Ina Lülfsmann/ DBZ
Foto: Naumann | Friedel Architekturfotografen
Forschungsgebäude entstehen oft nicht auf der sinnbildlichen grünen Wiese, sondern in größeren Zusammenhängen, z. B. im Rahmen von ganzen Forschungsarealen. Für die Neuorganisation eines solchen Gebietes, des Südgeländes der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), erstellte das Büro prosa Architektur + Stadtplanung 2011 – 2017 einen Rahmenplan. Hier entstanden in den 1960er-Jahren die ersten Universitätsgebäude, die in den folgenden Jahren stetig durch neue Häuser ergänzt wurden. Sie beherbergen heute einen Großteil der technischen und naturwissenschaftlichen Fakultäten. Mit der Neuorganisation soll die Fakultät zukünftig komplett auf dem Südgelände untergebracht werden. Seit 2022 ist als einer der ersten Bausteine das neue Zentrum für Astroteilchenphysik (ECAP Laboratory) in Betrieb. Entworfen und gebaut wurde es nach gewonnenem Wettbewerb und innerhalb von nur etwa fünf Jahren von der Arge dichter und Glass Kramer Löbbert.
Der Überstand der beiden Obergeschosse markiert den Eingang. Das verglaste Foyer lädt auch Besucherinnen in das Forschungsgebäude ein
Foto: Naumann | Friedel Architekturfotografen
Städtebau
Das Südgelände der FAU erstreckt sich am südöstlichen Rand von Erlangen auf einem Areal mit hohem Baumbestand. „Ziel des Rahmenplans ist unter anderem, die einzelnen Einheiten auf dem Campus mehr miteinander zu vernetzen und das Innere des Campus zu aktivieren“, erklärt Raoul Kunz, projektverantwortlicher Architekt bei der dichter Architekturgesellschaft. Das heißt zum Beispiel, dass die Haupteingänge zur Campusmitte gerichtet sein sollen. Im Wettbewerb für das ECAP gab es außerdem die Prämisse, dass eine mögliche zweite Bauphase mitgedacht werden sollte. „Das Gebäude ist der Anfang von vielen weiteren Schritten auf dem Campus“, so Kunz. Mit dem gegenüberliegenden Parkhaus der FAU und dem Physikum bildet es bereits jetzt einen kleinen Platz. Ein oder zwei weitere Bauabschnitte werden diese Situation städtebaulich stärken.
Kommunikation
Von außen betrachtet ist das Gebäude ein großer Quader mit einer dunklen, segmentierten Alufassade. Betritt man es unter dem großen Überstand der Obergeschosse, offenbart sich ein vollkommen heller Innenraum. „Wir wollten die große Geste für den Eingang, damit er sowohl von der Bushaltestelle als auch vom Campus aus wahrgenommen wird. Deswegen kragen die Obergeschosse 5,5 m weit aus“, erzählt Raoul Kunz. Das öffentliche Foyer erstreckt sich über die gesamte Südseite des Erdgeschosses. Von hier aus gelangen Besucherinnen in den Konferenzraum und die Mitarbeiterinnen des ECAP zu ihren Arbeitsplätzen. „Mit der Offenheit des Gebäudes wollen wir aktiv dem berechtigten Vorwurf des Elfenbeinturms der Wissenschaft entgegenwirken“, berichtet Teilchenphysiker und Geschäftsführer am ECAP Dr. Kay Graf. Ein weiteres wichtiges Thema für die Wissenschaftlerinnen wie auch die Architekten war, die Kommunikation zwischen den Mitarbeiterinnen innerhalb des Gebäudes zu fördern, die teilweise an verschiedenen Projekten und für verschiedene Professorinnen forschen. Dazu beitragen soll unter anderem ein weiteres, internes Foyer, das sich quer zum Eingangsbereich in Nord-Südrichtung in beiden Obergeschossen erstreckt. Dessen Zentrum bildet eine einläufige Treppe. Es grenzt an den großen Innenhof, mit Terrasse im ersten Obergeschoss. Ein zweiter Innenhof im zweiten Obergeschoss sorgt für noch mehr Licht im tiefen Innenraum des Gebäudes. Von hier gelangen die Forscherinnen über eine Treppe auf das Dach, auf dem verschiedene Teleskope stehen. Im Wettbewerb war dafür eigentlich der obere Innenhof vorgesehen, aber da sei die Lichtverschmutzung viel zu hoch, erklärt Graf, „für unsere Beobachtungen ist das Dach toll, hier haben wir den freien Blick in den Himmel.“ Aber nur zu Testzwecken, weil es auch auf dem Dach zu hell für richtige astronomische Beobachtungen ist.
Die offene Teeküche schließt direkt an das öffentliche Foyer im EG an und wird z. B. auch bei Veranstaltungen genutzt
Foto: Naumann | Friedel Architekturfotografen
Forschung und Technik
Ein zentraler Raum des Gebäudes ist eine große, zweigeschosshohe Werkhalle. Im Gegensatz zu den anderen Wettbewerbsteilnehmern haben dichter und Glass Kramer Löbbert die Halle im Gebäude integriert. Das führte zwar zu statischen Herausforderungen, aber unterstützt die gewünschte Vernetzung der verschiedenen Teams im Haus. In der Werkhalle werden die speziellen Instrumente und Aufbauten für die Astroteilchenforschung gebaut. „Wir schauen uns den Sternenhimmel nicht nur klassisch im Licht an, sondern auch in Neutrinos, in hochenergetischen Teilchen, in Radiowellen etc. und wollen verstehen, wie die verschiedenen astrophysikalischen Prozesse im Universum funktionieren“, erklärt Dr. Kay Graf. „Hinfliegen können wir nicht, deswegen müssen wir so viele Informationen wie möglich auf der Erde sammeln.“ Und dafür entwickeln die Physikerinnen am ECAP Experimente, bauen die nötigen Instrumente und analysieren im Anschluss die Daten, die auf der ganzen Welt gesammelt werden. In der großen Werkhalle gibt es zum Beispiel eine Kältekammer, um zu testen, ob die Geräte auch im Eis bei - 50 #Innenraum-Klimatisierung °C funktionieren.
Das interne Foyer mit langer, einläufiger Treppe verteilt Tageslicht von den angrenzenden Innenhöfe in der Gebäudemitte
Foto: Naumann | Friedel Architekturfotografen
Zur Forschung gehört auch, dass sie in langen Zyklen stattfindet und sich immer wieder ändern kann. Deswegen sind alle Labore und die Werkhalle mit einem einheitlichen Set an Anschlüssen ausgestattet, für Kühlwasser, Druckluft, verschiedene Gase, Elektro und EDV. Für alles, was tendenziell unsicher sein kann, also zum Beispiel Röntgenstrahlung, gibt es Raum-in-Raum-Lösungen. So können sich alle, auch Besucherinnen, frei im Haus bewegen. Das ist dem Institut ein wichtiges Anliegen gewesen, wie Physiker Dr. Kay Graf noch einmal betont: „Wir betreiben Grundlagenforschung, wir sind weltoffen. Das soll das Gebäude zeigen.“
Kunst am Bau im zweiten Innenhof: Das „Lichtgewicht“ speichert Sonnenlicht in der Kugel, die im Laufe des Tages schwerer zu werden scheint. Im Dunkeln gibt sie das Licht wieder ab, leuchtet und bewegt sich wieder nach oben
Foto: Naumann | Friedel Architekturfotografen
Über eine Treppe im Innenhof im 2. OG gelangen die Astroteilchenphysiker zu den Teleskopen auf dem Dach
Foto: Naumann | Friedel Architekturfotografen
Um die moderne Forschungsumgebung bereitzustellen, nimmt etwa ein Viertel des Gebäudes die Technik ein. Die Zentrale befindet sich im Untergeschoss. Über eine Öffnung im Boden der Werkhalle kann sie nachgerüstet werden. Fünf Schächte verteilen die Leitungen in die oberen Geschosse. Sie liegen so, dass auch die Labore bei Bedarf leicht nachgerüstet werden können.
Brandschutz
„Obwohl hier verschiedene Lehrstühle arbeiten, ist es ein Institut und die Labore werden gemeinsam genutzt. Das ist eher ungewöhnlich für eine Universität“, erzählt Dr. Kay Graf. Für die Architektinnen hatte das den Vorteil, dass sie in der Grundrissgestaltung funktional vorgehen konnten. So liegen die Büros an der Südseite im ersten und zweiten Obergeschoss sowie an der Ostseite im zweiten Obergeschoss. Die Labore befinden sich an der West- und Nordseite in allen drei Geschossen. So ist in der Mitte Platz für die großzügige vertikale Erschließung mit Foyer, die Innenhöfe und den Flur, der wie ein Ring die Innenhöfe umschließt. Im Brandfall gelangen die Wissenschaftlerinnen durch drei Fluchttreppenhäuser nach draußen, die mit automatischen Brandschutztoren vom Flur abgetrennt sind. Im Normalfall sind die Tore geöffnet und in der Wand versteckt. Eine Gefährdungsbeurteilung ermöglichte Brandabschnitte von 400 m² – nicht, wie in Laboren üblich, von nur 200 m². So mussten die Flure nicht die Qualitäten von notwendigen Fluren aufweisen, sie können mit Sitzmöbeln ausgestattet und die Leichtbauwände auch im Nachhinein noch versetzt werden.
Alle Labore sind mit einheitlichen Anschlüssen für Kühlwasser, Druckluft, Gas, Elektro und EDV ausgestattet, sodass sie flexibel genutzt werden können
Foto: Naumann | Friedel Architekturfotografen
Unter anderem aus Schwingungsgründen ist es im Laborbau schwierig, nicht mit Stahlbeton zu bauen, wie Architekt Raoul Kunz erklärt. Deswegen ist auch das ECAP ein Stahlbetonbau. Die Speichermasse des Materials wird für die Nachtauskühlung genutzt, denn die Büros werden nicht klimatisiert, nur die Labore. „Wir wollten die Materialien zeigen, die wir verbaut haben, deswegen gibt es einen relativ hohen Anteil an Sichtbeton“, so Kunz. Aus Kostengründen konnten die Architektinnen nur Sichtbetonklasse 2 realisieren, weshalb sie die Wände mit einem Anstrich versehen haben, der den Beton weißer macht. In den Aufenthaltsbereichen, wie dem Foyer oder der Teeküche, sorgen Einbauten aus Holz für eine warme Atmosphäre.
Auch die drei Fluchttreppenhäuser haben mit hellem Sichtbeton und Tageslicht eine hohe Aufenthaltsqualität
Foto: Naumann | Friedel Architekturfotografen
Fazit
„Wir haben ein tolles Gebäude bekommen, das die Spannungsfelder der Forschung gut verbindet und die Kommunikation zwischen den Bereichen fördert: einerseits die Arbeit im Labor und in der Werkhalle, andererseits den Analysebereich. Das beste Ergebnis erhält man, wenn man miteinander redet“, resümiert Physiker Dr. Kay Graf. Die Forscherinnen scheinen sich wohlzufühlen in ihrem neuen Gebäude. Kein Wunder – die hellen Räume und die Innenhöfe haben eine derart hohe Aufenthaltsqualität, die bei einem funktional so anspruchsvollen Gebäude nicht unbedingt zu erwarten waren.
Lageplan, M 1 : 4 000
1 ECAP
2 zusätzliche Bauabschnitte FAU
3 Parkhaus FAU
4 Physikum FAU
5 Bushaltestelle
6 Anlieferung
7 Röthelheimgraben
Grundriss EG, M 1 : 1 000
1 Kommunikation
2 Besprechungsraum
3 Hof / Terrasse
4 Werkhalle
5 Labore
6 Büros
ARGE dichter + Glass Kramer Löbbert, Berlin
Johan Kramer, Raoul Kunz, Johannes Löbbert
www.dichterarchitektur.de
www.glasskramerloebbert.de
Foto: privat
Projektdaten
Objekt: Erlangen Centre for Astroparticle Physics
Standort: Erlangen
Typologie: Labor: Physikalische Grundlagenforschung / Infrastrukturentwicklung
Bauherr: Staatliches Bauamt Bayern Erlangen-Nürnberg
Nutzerin: Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Architektur: ARGE dichter + Glass Kramer Löbbert Architekten, Berlin, www.dichterarchitektur.de;
www.glasskramerloebbert.de
Team: Raoul Kunz, Johan Kramer, Johannes Löbbert, Benjamin Villén Paskoff, Michael Nieke, Clarissa Dorsch, Michèle Görhardt, Paul Gössler
Bauleitung: Staab Bauleitung GmbH (Rohbau), Berlin/München, www.staab-bauleitung.com;
Architekturbüro Hennemann (Baugrube, Fassade), Bad Staffelstein, Architekturbüro Jürgen Meyer (Ausbau), Wendelstein, www.architekturbueromeyer.de
Bauzeit: 03.2019 – 11.2022
Nutzfläche gesamt: 3 950 m²
Hauptnutzfläche: 3 497 m²
Technikfläche: 1 478 m²
Verkehrsfläche: 2 366 m²
Brutto-Grundfläche: 8 630 m²
Brutto-Rauminhalt: 43 300 m³
Baukosten (nach DIN 276):
Gesamt brutto: 29,5 Mio. € (KG 300-400 brutto)
Hauptnutzfläche: 7 470 €/m²
Brutto-Rauminhalt: 680 €/m³
Fachplanung
Tragwerksplanung: Krebs und Kiefer Ingenieure GmbH, Darmstadt, www.kuk.de
HLSK: Dickert Beratende Ingenieure GmbH, Sinzin, www.dickert.bayern
ELT: GNUSE Ingenieurbüro für Krankenhaustechnik GmbH & Co. KG, Erstenfeld, www.gnuse.de
Laborplanung: DERU Planungsges. f. Energie-, Reinraum- und Umwelttechnik mbH, Dresden,
www.deru-reinraum.de
Bauphysik: Wolfgang Sorge Ingenieurbüro für Bauphysik GmbH & Co. KG, Nürnberg, www.ifbsorge.de
Landschaftsarchitektur: EGL – Entwicklung und Gestaltung von Landschaft GmbH, Erlangen,
www.egl-plan.de
Brandschutz: hhpBerlin Ingenieure für Brandschutz GmbH, Berlin, www.hhpberlin.org
Tiefbau: Tiefbautechnisches Ingenieurbüro Glückert, Nürnberg
Hersteller
Bodenbeläge: MC-Bauchemie Müller GmbH & Co. KG,
www.mc-bauchemie.de
Fenster Hoffassaden: Schüco International KG, www.schueco.com
Fenster Außenfassade: Wicona, www.wicona.com
Sonnenschutz: Warema Renkhoff SE, www.warema.com
Innenwände/ Trockenbau: Knauf AMF GmbH & Co. KG,
www.knaufceilingsolutions.com
Holztüren: neuform-Türenwerk Hans Glock GmbH & Co. KG,
www.neuform-tuer.com
Rundschiebetür: Geze GmbH,
www.geze.com