„First spark in the revival of Friedrichstrasse” schließt

Alle reden – zu Recht – über Karstadt, Horten und seltener auch über Woolworth. „Seltener“ vielleicht, weil die letztgenannte Kaufhauskette mit Expansionszielen auf dem deutschen Markt eher das Niedrigpreiswarensegment bedient, der Mehrheitseigentümer, die Dortmunder HH-Holding, hat auch TEDi (Ein-Dollar-Laden) im Portfolio. Über dem Kaufhaus-Gerede schweben Stichworte wie „Kaufhäusersterben“, „Verödung der Innenstädte“, „Digitalisierung“ und „Zalando­lisierung“ (Online-Versandhandel).

Dass es nun auch die Luxushäuser wie das KaDeWe trifft (Signa-Gruppe), überrascht; dass die mit großem Aplomb 2006 eröffneten „Galeries Lafayette“ Ende 2024 dicht machen, erscheint wiederum logisch (Online-Handel). Das muss Berlin nicht persönlich nehmen, Lafayette schließt auch in anderen Hauptstädten dieser Welt, man will sich mehr in Richtung Asien orientieren.

Dabei galt das Haus, ein Entwurf von Jean Nouvel (mit Emmanuel CATTANI & ASSOCIÉS), eröffnet 1996, als einer der Attraktoren der unter Erfolgsstress stehenden Grande Dame der Einkaufs- resp. Erlebniswelt: der Friedrichstraße. Mondän und – so schreibt man heute – 24/7 in den Goldenen Zwanzigern war sie aber bereits in den Jahren der Nazi-Herrschaft im Niedergang begriffen, Weltenbürgerhabitus galt als undeutsch.

Dann kam der Krieg, die Teilung Deutschlands in West und Ost, spießig mondän gemütlich war im Osten der ehemaligen Hauptstadt nur noch der Palast der Republik, dessen Oberflächenschimmern vielleicht noch ein „Ja, damals war alles echter“ provozieren konnte.

Also musste ein Glaspalast her, etwas ganz Großes. Ein Konsumtempel, innen und besonders auch außen vom Feinsten: die Galeries Lafayette made by Jean! Die Mischung aus gläsernem Ufo außen und spektakulärem Lichthof innen lädt immer noch Instagramer zum Instagramen ein. Manchmal sieht man ganz unten im Glastrichter altes Papier liegen, Reste einer letzten Kampagne, die es nicht mehr ins Altpapier geschafft hat.

Alles vergeblich, alles vorbei. Die Friedrichstraße ist einfach eine Nummer zu groß (lang?), zu weit weg von der Museumsinsel, der Oper, in einer anderen Welt als der rund ums KaDeWe, wo man Hermes- und Gucci- und Rolex-Filialen besuchen kann, die mit deutlich mehr Fläche mehr Erlebnis vermitteln … allein schon die Türsteher!

Der US-Immobilienentwickler Tishman Speyer, der den „first spark in the revival of Friedrichstrasse“ (Jean Nouvel) einmal für 300 Mio. € kaufte, kann sich nun vorstellen, sie für 550 Mio. € zu verkaufen; beispielsweise an das Land Berlin. Denn das – hier federführend der Senator für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt Joe ­Chialo (CDU) – sucht nach einer Lösung für die schon lange im Raum stehende und genauso lange stagnierende Planung, die Berliner Zentral- und Landesbibliothek ZLB an ihrem jetzigen Standort zu erweitern (oder aufzugeben). Das Land würde an der Friedrichstraße aber viel lieber mieten, den Umzug bzw. Einzug der ZLB betrachtet es auch als Möglichkeit, die Friedrichstraße nun aber wirklich zu beleben (second spark?).

Was dann mit der ZLB in dem wunderbaren Bau der Amerika Gedenk-Bibliothek aus den 1950er-Jahren wird? Wer wird dort in Zukunft in einem der schönsten Lesesäle das Neben- und Miteinanderlesen genießen? Und nicht zuletzt: Muss es immer die komplette Lösung sein? Geht nicht auch ein Ausmisten (Medien, Möbel), eine Sanierung, um den Standort mit seiner bald 70-jährigen Lesegeschichte zu erhalten?

Man wird Kafka auch im Kaufhaus lesen können, Blick nach draußen auf eine Straße, die nicht vom Fleck kommt. Aber so lange es keine Ideen für den Bestand gibt, sollte niemand jubeln; denn das ist doch auch klar: Umsonst ist auch die Umnutzung des Nouvel-Baus nicht. Gewerbe? Shared Offices, Kindertagesstätte, Restaurants, Kino, Luxusappartments (als Querfinanzierer), Ateliers, Vortragssäle … Es gibt doch so viel! Be. K.

www.jeannouvel.com, www.zlb.de
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