Im Gespräch mit … Prof. Stephan Häublein, Kulmbach

Im Einzelfall sehr differenziert Entscheidungen herbeiführen

Ausgehend von einer zufälligen Begegnung (Neubau-Abriss in Nürnberg, Maria-Ward-Schulen, Entwurf H2M Architekten, Kulmbach/München) fragte sich der Redakteur, ob denn die Manifeste der Verbände zu Umbauordnung und Abrissmoratorien auch von den Architekt:innen in ihren Arbeitsalltag zu integrieren sind. Er rief in Kulmbach an und fand in Stephan Häublein einen engagierten Lehrer und Planer mit ganz eigener Auffassung zum Thema.

Lieber Herr Häublein, Sie haben ein bisschen gezögert, oder? Anlass unseres Gesprächs ist mein Besuch der von Ihrem Büro realisierten Maria-Ward-Schulen in Nürnberg. Zufällig war ich dort, ein Schulneubau, sehr monolitisch, hochwertiger Sichtbetonbau, große Verglasungen, Metall, das warm leuchtet. Direkt daneben dann der im Abbruch befindliche Altbau … Dieser Kontrast war es, der mich Sie anrufen ließ. Sie hatten mir Ihren Standpunkt erläutert, jetzt soll unser Gespräch vom Speziellen ins Allgemeinere gehen, darum, wie Architekt:innen sich zum Bauen im Bestand verhalten sollten, verhalten können!

Stephan Häublein: Zunächst einmal sind beim Nürnberger Projekt wesentliche Teile des Bestands erhalten geblieben, so das Kloster der Maria-Ward-Schwestern als Teil des Gesamtkonzepts! Die Baukörper, die Sie ansprechen und die abgebrochen wurden – an ihre Stelle kommt später der Schulgarten – gehörten zu einem immer wieder erweiterten Schulbaukörper, dessen teils spontane Entwicklung zu einer zerklüfteten, langwegigen, einhüftigen Struktur geführt hat, die wenig geeignet war für das Rahmen- und Bauprogramm der Maria-Ward-Schulen. Das baut auf einem speziellen Konzept auf, das sich an den skandinavischen Ideen einer offenen Lernlandschaft orientiert.

Weiterhin haben wir in sehr intensiven Auseinandersetzungen mit Fachleuten, mit Fachplanern, auch mit Schadstoffgutachten etc., untersucht, ob der Bestand zu einer Weiternutzung oder zu einer Umstrukturierung geeignet war. Ergebnis: Stahlkorrosion, weitere Schädigungen, Schadstoffbelas­tungen. Das hatte, neben der ungeeigneten Struktur für das Raumprogramm, zu der Entscheidung geführt, einen Teil abzureißen – auch mit Blick auf den Gesamtressourcenverbrauch, bezogen auf den Lebenszyklus des Neubaus.

Schön, dass Sie von Abriss und nicht Rückbau sprechen. Manche Kolleg:innen nehmen das zerbröselte Abrissmaterial und nutzen es im Neubau.

Haben wir auch mit dem Klinker in den Ausfachungen gemacht. Recyclingmaterial ist ein wesentliches, gestaltgebendes Element der neuen Schulen. Die Architektur-Betonelemente bestehen großteils aus dem gemahlenen Abbruchklinker. Ich bin der Meinung, dass wir uns heute – wann immer es geht – der Frage stellen müssen, ob wir den Bestand erhalten, umstrukturieren und wie wir ihn weiternutzen können.

„Wann immer es geht“?! Wo wären hier die Bewertungsmaßstäbe? Gefühlt entscheidet am Ende die Ökonomie? Ein Teil Ihrer Lehrtätigkeit übrigens: Bauökonomie.

Nein. Wir dürfen heute nicht mehr eindimensional ökonomisch werten. Die Einbettung einer Entscheidung muss heute komplexer betrachtet werden. Die Frage ist doch auch, ist nicht das Geld, mit dem wir bauen, ein Teil der Ressourcen? Ich bin überzeugt, dass es keine Schwarz-Weiß-Position gibt. Wir müssen im Einzelfall sehr differenziert Entscheidungen herbeiführen. Man wird keinen Bestandsbau finden, in dem keine Schadstoffe sind, keine konstruktiven Schwächen.

Wie gesagt, wir sollten differenziert schauen. Was ist die geplante Nutzung? Ist die Struktur geeignet? Wie ist das Weiterbauen im Gesamtlebenszyklus hinsichtlich der Ressourcen zu sehen? Wie sind die Unterhaltskosten?. Wie verhält es sich bei einem eventuellen Abriss? Alle diese Fragen führen zu einer Entscheidung, die definitiv nicht nur auf einem einzigen Aspekt beruhen kann.

Kommen wir auf die Rolle der verantwortungsvollen Berater:innen: Was überzeugt die Bauherrschaft, sich auf einen Bestand einzulassen, der räumlich vielleicht nicht das Optimum darstellt?

Ja, es ist unsere Aufgabe als Baufachleute, die Kommunen, Bauherren und potenzielle Investoren dahingehend zu beraten, dass man eben keine vorgefertigten Entscheidungen trifft und irgendwelchen Floskeln hinterherläuft wie ‚Bestand umbauen ist sowieso teurer‘ oder ‚Bestand ist strukturell weniger gut geeignet‘ etc. Hier müssen und können wir – wer sonst! – mit unserer Erfahrung und Kreativität überzeugen! Und hier liegt sowohl bei uns, aber auch bei der gesamten Branche, die Zukunftschance, denn das Bauen im und mit dem Bestand wird zunehmen, davon bin ich überzeugt.

Was engt – außer der irrationalen Angst vor unvorhersehbaren Kosten – ein: Bauvorschriften? Schadstoffbelastung ist hier ein Killerargument bei Umbaugenehmigungen … Allerdings: Wer nutzt heute noch eine Immobilie, die wie auch immer belastet ist!?

Ich glaube, dass man das Thema „Schadstoffe“ relativ gut im Griff hat, da sind andere Dinge schwieriger. So haben wir heute hohe energetische Ansprüche, deren generalisierte Behandlung meist nicht sinnvoll ist. Auch hier muss man das Thema wieder in eine Einzelfallbetrachtung bringen: Was brauche ich für die Nutzung, was macht Sinn, auch mit Blick auf die Gesamtressourcenverbräuche? Ähnlich bei den hohen, haustechnischen Ansprüchen, da kommen Bestandsstrukturen schon einmal an ihre Grenzen, weil ich beispielsweise den Platz für Abhangdecken oder Doppelböden nicht habe. Da muss man umdenken dürfen und andere Wege oder in andere Nutzungen gehen. Hier ist auch die Politik gefordert, die flexiblere Wege schaffen bzw. Spielräume ermöglichen muss … Auch hier ist eine differenzierte Beurteilung, Forderung und Förderung gefragt.

Wir bräuchten mehr Konzepte, die weg vom Standard gehen. Beispiel: unsere Maria-Ward-Schule in Bamberg. Die liegt mitten im Weltkulturerbe-Kontext in der Innenstadt Bambergs. Die Bauherrin, die katholische Kirche, hatte die Aufgabenstellung sehr offengehalten, wir hätten hier abreißen dürfen. Haben wir nicht. Wir haben der Bestandsumnutzung den Vorzug gegeben. Es gibt nur einen kleinen Neubau-Zubau, der die vorhandene Struktur zu einem geschlossenen System bringt.

UNESCO-Welterbe, Abrisse sind da ohnehin nicht erlaubt und waren auch gar nicht angedacht, oder doch?

Doch. Bei der Schule in Bamberg standen verschiedene Gebäudeteile zur Disposition. Ein oder zwei denkmalgeschützte Gebäudeteile sollten erhalten werden. Wir sind aber zu der Erkenntnis gekommen, dass man eigentlich den Bestand relativ komplett nutzen kann, um einfach dort das Projekt zu realisieren. Tatsächlich war die Bauherrin sehr überrascht, dass es uns gelungen ist, eine Doppelhofstruktur auch im Bestand realisieren zu können. Ich müsste Ihnen das jetzt auf den Grundrissen zeigen …

Kurz noch einmal zur Frage der Schadstoff­sanierung: Warum werden die nicht einfach sicher eingepackt?

Also aus dem Bauch heraus – wir haben das noch nicht gemacht – würde ich sagen, dass man nicht immer alles radikal sanieren muss, man kann auch mal etwas kapseln. Wir sollten uns fragen, welche Schadstoffe sind wie schädlich? Sind sie vielleicht bei entsprechender Nutzung noch tragbar usw.?

Kommen wir zu Ihrer Lehrtätigkeit, Ihrer „Professur für Nachhaltiges Bauen, Baukonstruktion und Bauökonomie“ an der FHWS Würzburg. Wie nehmen Sie einen möglichen Bewusstseinswandel bei Ihren Student:innen wahr? Oder ist immer noch alles auf Anfang?

Die wissen, dass ihre Arbeit später sehr viel mit noch nicht saniertem Bestand zu tun haben wird und der Neubaubedarf in der Zukunft eher rückläufig sein wird. Dieses grundsätzliche Thema ist klar ersichtlich bei den Studierenden angekommen.

Gibt es so etwas wie eine Radikalisierung? Forderungen nach Abrissmoratorien etc.?

Nein. Das kann man so nicht sagen. Wir lehren das auch nicht, unsere Position ist – ich sagte es schon – eine eher differenzierte.

Architekten-Verbände, Ingenieur-Verbände unterstützen Forderungen der Architects for Future, fordern eine Umkehr staatlicher Förderung, weg von Neubau, hin zum Umbau.

Ich bin ein Anhänger dieser Haltung. Mir ist aber ganz wichtig, dass wir die Freiheit behalten, in der Praxis und in der Lehre, wirklich sinnvolle Einzelfallentscheidungen mit der Betrachtung aller Aspekte zu treffen. Ich bin gegen eine absolute Position. Ich denke, wir müssen noch mehr Berater des Bauherrn sein. Wir müssen mithelfen, dass ein Bewusstsein entsteht, dass man Bestand umnutzen sollte, umbauen sollte. Aber wir müssen uns im Zweifelsfall auch trauen, eine andere Position einzunehmen, wenn das Erhalten einfach nicht sinnvoll ist und es im Hinblick auf die Gesamtressourcen keinen Sinn ergibt.

Verzicht. Ein böses Wort in Zeiten, wo trotz aller Mängel immer mehr gewollt wird: mehr Raum, mehr Komfort, vielleicht auch mehr Technologie, Stichwort Smart-Town oder Smart-Home et cetera. Kann man als Architekt:in vom Bauherrn überhaupt verlangen, dass er eine ärmere, eine kleinere Lösung bekommt als die, die er sich vorstellt?

Baut das von Ihnen gelebte differenzierte Abwägen nicht ganz wesentlich auf dem Prinzip der Freiheit eines jeden? Freiheit, Raum und Ressource zu verbrauchen, wie man es will?

Da haben Sie mich missverstanden. Ich habe nicht gesagt, dass ich jedem absolute Freiheit geben möchte. Die Beschränkung jedes Einzelnen ist notwendig … Neben Effizienz ist eben auch Suffizienz gefragt. Wir müssen nur vorsichtig sein bei absoluten Positionen. Wir Architekten und Baufachleute müssen unsere Bauherrn beraten. Auch in der Weise, dass wir ihnen klar machen, dass Bestand durchaus hervorragende architektonische Lösungen hervorbringen kann, mit unserer Kreativität. Denn es ist mitnichten so, dass uns das Planen im Bestand als Berufsstand einschränkt.

Noch einmal: Wir tun alle gut daran, wenn wir uns mehr beschränken, in allen Lebensbereichen. Auch beim Bauen. Wir kommen nicht daran vorbei, auch einmal den einen oder anderen Kompromiss zu machen, was überhaupt nicht Qualität und Nutzungsqualität einschränkt. Wir werden insgesamt einfacher und wieder langlebiger bauen müssen, das hatten wir doch schon einmal. Und vielleicht sollten wir auch die ganze Thematik der maximalen Digitalisierung, Stichwort Gebäudetechnik, nicht völlig überziehen.

Gibt es da ein Projekt aus Ihrem Portfolio, wo Sie sagen würden, das alles sei einmal grundsätzlich gelungen?

Da könnte ich Ihnen einige Projekte zeigen. Zum Beispiel konnten wir eine Dorfgemeinde in Felchnichts überzeugen, anstelle eines kleinen Verwaltungsneubaus das alte, sandsteinerne Schulhaus umzubauen und zu nutzen. Das ging recht einfach, nachdem wir zeigen konnten, wie man den Bestand gut für ihre Zwecke umnutzen kann. In Skizzen und Plänen.

Also anschaulich …

Genau. In München bauen wir derzeit für das Helmholtz-Zentrum eine alte Strahlenhalle in ein hochmodernes Konferenzzentrum um und verwenden dabei maßgeblich die vorhandene Bausubstanz. Und auch in Garmisch konnten wir im Ortszentrum den Umbau des alten Finanzamts in ein barrierefreies und technisch saniertes Senio­renzentrum realisieren, das nun für die neuen Anforderungen und aber auch für die nächsten Generationen genutzt werden kann

Wie wohnen Sie denn eigentlich?

Ich wohne derzeit zur Miete in einem Reihenhaus.

Also ganz einfach. „Derzeit“: Sie überlegen, ob Sie sich möglicherweise etwas Neues bauen?

Wir haben uns in der Altstadt ein kleines Stadthaus gekauft, in Kulmbach. Das werden wir peu à peu umbauen.

Letzte Frage. Für diesen Hochschulstandort wird überlegt, einen Zentralneubau zu erreichten. Wie ist hier der Stand?

Es gibt für den Standort Röntgenring mit seinen Einzelbauten mit teils hohem Sanierungsstau ein Gutachten, eine Studie mit Musterraumprogramm. Wir werden hier sicherlich Einfluss nehmen, auf die Wettbewerbsausgestaltung, auf weitergehende Planungen – dass man nicht von einer Tabula Rasa ausgehen kann, sondern bestehende Strukturen mit integriert, wo immer das möglich ist. Wir werden offen darüber diskutieren und dafür werben und unser Gespräch führen, beispielsweise das Gebäude, in dem wir jetzt sitzen, in eine neue Nutzungskonzeption mitzunehmen.

Sie beteiligen sich selbst doch auch am Wettbewerb, hoffe ich?!

Das wissen wir noch nicht. Aber hier wären wir an dem Punkt, „keine absoluten Positionen“. Von fünf Gebäuden könnten wir vier sehr gut umnutzen. In diesem hier haben wir es schon gemacht [Zusammenlegung der Professor:innenbüros mit den Arbeitsräumen der Student:innen: mehr Platz, mehr Austausch, mehr Licht und Luft …; Be. K.]. Bei dem Holzbau macht eine Sanierung keinen Sinn, hier bliebe einfach nichts übrig.

Mir gefällt der Bau, er eignet sich sicherlich für ein Kino mit vier Sälen …

Vielleicht.

Mit Stephan Häublein unterhielt sich DBZ-Redakteur Benedikt Kraft auf dem Campus am Röntgenring der Technische Hochschule Würzburg-Schweinfurt THWS am 1. August 2023.

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