Innerhalb planetarer Grenzen (um-)bauen
Für die Einhaltung der planetaren Grenzen im Gebäudebereich muss vermehrt Suffizienz in der Planungs- und Umbaupraxis Anwendung finden. Doch welche Ansätze bestehen dabei? Wie groß sind die ökologischen Einsparpotenziale? Was müsste politisch passieren? Und was können Planerinnen und Planer beitragen?
Bereits heute sind sechs von neun planetaren Grenzen überschritten. Neben der Klimakrise ist dies u. a. beim Biodiversitätsverlust der Fall. Jeweils einen sehr großen Anteil daran hat unser tägliches Schaffen: das Planen und (Um-)Bauen. So hat der Gebäudesektor drei Jahre in Folge seine Klimaziele nicht eingehalten. Statt einer effektiven Nachsteuerung werden möglicherweise jedoch die Sektorziele abgeschafft und so die zielgerichtete Transformation gefährdet. Auch beim Thema Flächeninanspruchnahme bleibt die Erreichung der selbstgesteckten Ziele bis 2030 (< 30 Hektar pro Tag) und 2050 (Netto-Null-Flächenverbrauch) äußerst fraglich. Zugleich steht die gebaute Umwelt aus sozio-ökonomischer Perspektive unter besonderer Beobachtung, da sie das Grundbedürfnis auf angemessenen Wohnraum erfüllen muss.
Zur Lösung der Herausforderung verfolg(t)en Politik und Praxis vor allem die (technischen) Ansätze “Bauen, Bauen, Bauen”, Wärmedämmung (Effizienz) und Einsatz erneuerbarer Energien sowie nachwachsender bzw. zirkulärer Materialien (Konsistenz). Die Bilanzen zeigen jedoch, dass dies nur mäßig erfolgreich war: einerseits, weil Maßnahmen zu spät und unambitioniert umgesetzt wurden; andererseits, weil Rebound-Effekte die angedachten Einsparungen reduziert oder sogar aufgewogen haben. So hat sich zwar der Heizwärmebedarf pro Quadratmeter durch bessere Dämmstandards verringert. Weil wir aber gleichzeitig seit Jahrzehnten auf immer mehr Fläche pro Person leben und uns höhere Raumtemperaturen leisten, sind die absoluten Einsparungen nicht ausreichend. Gleichzeitig bedeutet dieses Verschleppen der Emissionsminderung, dass die Reduktionskurven hin zur Klimaneutralität immer steiler werden müssen. Um schnelle, absolute und zielsichere Emissionsminderungen zu erreichen, berücksichtigen verschiedene Szenarien deshalb verstärkt Suffizienzmaßnahmen, statt auf Risikotechnologien und unrealistische Annahmen zu setzen. Gleichzeitig gewinnen diese Maßnahmen in Architektur, Baufachöffentlichkeit und Zivilgesellschaft zunehmend an Bedeutung. Deutlich wird dies an den Forderungen z. B. nach einer „Muster(um-)bauordnung“, einem „Abrissmoratorium“, einer „neuen Umbaukultur“ und den Neubau- bzw. wachstumskritischen Positionen der Bundesarchitektenkammer und des Bund Deutscher Architektinnen und Architekten.
Suffizienzansätze
Suffizienz steht komplementär neben den beiden technischen Nachhaltigkeitsstrategien – Effizienz und Konsistenz – für absolute Emissionsminderung unter Berücksichtigung menschlicher Bedürfnisse. Mit der Studie „Unterstützung von Suffizienzansätzen im Gebäudebereich“ haben das ifeu – Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg, das Wuppertal Institut und die BTU Cottbus-Senftenberg im Auftrag des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) einen Beitrag zur Systematisierung des Diskurses geleistet und den Begriff anhand von fünf übergeordneten Zielen konkretisiert. [1]
Bestandsentwicklung vor Neubau
Um die bei der Errichtung von Bestandsgebäuden freigewordenen Emissionen und Umweltwirkungen möglichst sinnvoll und effizient zu „nutzen“, deren baukulturellen Wert zu schätzen, und weil jeder noch so klimafreundliche Neubau erst einmal mehr Emissionen und Ressourcenverbrauch bedeutet, gilt es, aus Suffizienzperspektive, das Um- und Weiter- dem Neu-Bauen weitestgehend vorzuziehen. Gemäß der „Priorisierungspyramide (Um-)Baumaßnahmen“ sind dabei Arbeiten mit geringeren ökologischen und ökonomischen Aufwendungen zu priorisieren.
Die Berechnungen in o.g. Studie zeigen, dass rund 83 Prozent des von der Bundesregierung ausgerufenen Wohnungsbauziels von 400 000 WE/a im Bestand gedeckt werden könnten:
– Umnutzung von Büroflächen (100 000 Wohneinheiten pro Jahr (WE/a))
– Nutzung von Leerstand im ländlichen Raum infolge von erweiterten Homeoffice-Möglichkeiten (18 000 WE/a)
– Aufstockung von Wohn- (65 000 WE/a) und Nichtwohngebäuden (49 000 WE/a)
– Teilung von unterbelegten Einfamilienhäusern (98 000 WE/a)
Dass damit eine Chance für mehr Kreativität und Innovation einhergeht, verdeutlichen die zahlreichen gezeigten Sanierungs- und Umbau-Beispiele in der 70-jährigen Geschichte der DBZ.
Reduktion des Pro-Kopf-Flächenbedarfs
Gesamtgesellschaftlich ist seit vielen Jahrzehnten ein konstanter Anstieg der Pro-Kopf-Wohnfläche zu verzeichnen. Gleichzeitig ist jedoch die Wohnzufriedenheit relativ konstant geblieben. Besonders spüren dies ältere Bevölkerungsgruppen, die statis-tisch auf mehr Wohnfläche leben. Ein signifikanter Anteil dieser Menschen fühlt sich mit Pflege und Instandhaltung von Haus und Garten überfordert. Doch es mangelt an attraktiven Möglichkeiten zur Verkleinerung. Gleichzeitig suchen junge Familien oder WGs oft händeringend größeren Wohnraum. Dieses Dilemma wird deutlich anhand der – im Zusammenhang mit der “Wohnungskrise” bezifferten – “fehlenden” Wohnungen. Aus Suffizienzperspektive fehlt es jedoch nicht an Wohnraum, dieser ist lediglich regional und gesellschaftlich sehr ungleich verteilt. Eine stärkere Wohnungskreislaufwirtschaft kann dazu beitragen, ausreichend bezahlbaren, qualitätvollen und klimagerechten Wohnraum für alle zur Verfügung zu stellen. Das heißt aber nicht, dass wir alle in Tiny Houses ziehen müssen. Es geht vielmehr darum, Modelle wie Wohnungstausch, Umzug, Umbau und „Wohnen für Hilfe“ hinsichtlich Akzeptanz und politischer Rahmenbedingungen zu stärken. Eine künftige Zielmarke für einen gesamtgesellschaftlichen Wohnflächendurchschnitt in Deutschland lässt sich basierend auf Meta-Analysen mit ca. 35 m² beziffern.
Anpassbarkeit
Gebäude haben eine lange Lebensdauer, in der sich Wohn- und Arbeitstrends verändern. Um darauf entsprechend reagieren zu können und zukünftig Neu- und Umbaubedarf zu mindern, sollte eine gewisse Flexibilität eingeplant sein. Stellschrauben dabei sind z. B. nutzungsneutrale Gebäudetiefen und Raumhöhen, Schachtanordnungen, ein leichter Innenausbau oder Schaltzimmer. Als mustergültig ist hierbei der Neubau des Collegium Academicum in Heidelberg von DGJ Architektur zu bezeichnen. Durch das “VarioWohnen”-Konzept ist das selbstverwaltete Wohnheim langfristig äußerst einfach in z. B. seniorengerechtes Wohnen umnutzbar. Auch bietet es durch flexible Wände in den 4er-Wohngemeinschaften kurzfristige Anpassbarkeit, da die Bewohnerinnen sich zwischen 7 und 14 m² Individualflächen entscheiden können.
Lowtech und Einfach Bauen
Suffizienz stellt hier die Frage nach der Genügsamkeit und Zielgerichtetheit von baukonstruktiven und gebäudetechnischen Maßnahmen. Welche Regelungssysteme, Features, Redundanzen und Schichten sind wirklich nötig und worauf kann verzichtet werden? Als Leuchtturmprojekt kann hier das solare Direktgewinnhaus in Zweisimmen (CH) des Büros N11 angeführt werden. Durch die mit Simulationen optimierte Ausrichtung, Fens-terflächenanteile und Speichermasse bleiben die Raumtemperaturn ganzjährig zwischen 18-27 °C, ohne dass zusätzliche Heiz-, Kühl- und Lüftungstechnik verbaut wurde.
Sparsam verhalten
Auch die Nutzerinnen sollten durch entsprechende Planung und Information im Betrieb befähigt werden, ein sparsames Verhalten hinsichtlich Heizen (z. B. 19 statt 22 °C), der Warmwassernutzung (kürzer und kälter duschen) und elektronischen Verbrauchern (geringere Waschtemperaturen, reduzierte Beleuchtung) an den Tag zu legen. Die Maßnahmen reichen hier von laienverständlichen Monitoring- und Feedbacksystemen bis hin zu (Teil-)Warmmietenmodellen mit progressiven Tarifen.
Planerische Stellschrauben
Planerinnen und Beratende haben bzgl. Suffizienzmaßnahmen vor allem zu Beginn des Planungsprozesses Möglichkeiten zur Einflussnahme, z. B. durch eine Bedarfsplanung nach DIN 18205, Partizipation der späteren Nutzerinnen und eine kritische Hinterfragung von Standards und auch der Aufgaben- bzw. Zielstellung (Leistungsphase 0). Einen umfangreichen Überblick über Stellschrauben bietet z. B. die „Bewertungsmatrix Suffizienz für Wohngebäude“, die 58 Suffizienz-Indikatoren anführt. [2]
Ökologische Einsparpotenziale
Im Gegensatz zu den technischen Strategien gibt es für Gebäudesuffizienzmaßnahmen bisher vergleichsweise wenig belastbare Berechnungen zu deren Beitrag zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele. In der genannten Studie wurden in den Kategorien Wohnfläche, Treibhausgasemissionen, Energie-, Ressourcen- und Flächenbedarf verschiedene Varianten unterschiedlicher Suffizienzausprägung berechnet. Die Ergebnisse zeigen, dass vor allem eine Reduktion der Pro-Kopf-Wohnfläche relevante Einsparungen erzielen kann. Im besten Fall sinken die jährlichen Emissionen im Gebäudebetrieb um rund 11 Mio. Tonnen und bei den grauen Emissionen, die bei der Herstellung der Baustoffe und des Gebäudes anfallen, um rund 9 Mio. Tonnen.
Politische Handlungsempfehlungen
Trotz einzelner Lichtblicke, wie den Aussagen der Bundesbauministerin zur Zukunft der Einfamilienhäuser oder dem durchaus progressiven Positionspapier der deutschen Bundesregierung zum Neuen Europäischen Bauhaus, spielt Suffizienz in den politisch-rechtlichen Rahmenbedingungen noch kaum eine Rolle. Für effektive Anwendung darf die Suffizienz allerdings nicht der individuellen Verantwortung überlassen werden, sondern muss gesamtgesellschaftlich und damit politisch adressiert werden. Konkrete Vorschläge zu politischen Handlungsempfehlungen sind in der Tabelle auf S. 65 zu finden. Diese Vorschläge stellen eine Hilfestellung dar, um Suffizienz in die Anwendung zu bringen und damit die bezifferten Suffizienzpotenziale zur Unterstützung der sozial-ökologischen Transformation tatsächlich zu heben. Dafür braucht es sowohl politischen Willen als auch Bottum-up Initiativen (von Planerinnen), die der bislang schmerzlich ignorierten Nachhaltigkeitsstrategie den Weg ebnen.
Literatur
[1] BBSR-Online-Publikation 09/2023. Studie und ergänzende Unterlagen downloadbar unter: https://www.ifeu.de/projekt/suffizienz-im-gebaeudebereich/
[2] „Bewertungsmatrix Suffizienz für Wohngebäude“. Masterarbeit Patrick Zimmermann, TU München, 2018. Auszüge downloadbar unter:
http://wissensstiftung.eu/wissensbausteine/suffizientes-bauen-und-wohnen