Kann Künstliche Intelligenz Baukunst?

Während sich die Architektur immer noch schwer damit tut, durchgängig digitale Prozesse zum implementieren, klopft bereits die nächste Revolution an die Tür: Maschinen, die neuro­nale Netze zur Verknüpfung von riesigen Datenmengen nutzen, um aus diesen Informationen neue Werke zu schaffen. Auch in der Baukunst? Ein Gespräch mit Prof. Dr. Thomas Wortmann von der Universität Stuttgart, der zu Künstlichen Intelligenzen forscht und digitales Entwerfen lehrt.

Interview: Jan Ahrenberg/ DBZ

Stable Diffusion-Visualisierung mit dem Prompt:
Modern Skyscraper in urban surrounding, glass steel concrete
Ilustration: www.stablediffusionweb.com

Stable Diffusion-Visualisierung mit dem Prompt:
Modern Skyscraper in urban surrounding, glass steel concrete
Ilustration: www.stablediffusionweb.com

Herr Wortmann, vor etwa einem Jahr ging die erste kostenlose Version von ChatGPT online und löste einen regelrechten KI-Hype aus. Seitdem gab es viele Spekulationen darüber, wie künstliche Intelligenz unsere Arbeitswelt verändern wird, unter anderem auch in der Architektur. Allerdings kehrt seit einiger Zeit – zumindest medial – wieder Ruhe bei dem Thema ein. Wo stehen wir aus Ihrer Sicht heute?

Der Hype, wie Sie es nennen, war darin begründet, dass plötzlich sehr viele Menschen verstanden haben, wie wirkmächtig dieses neue Tool ist. Allerdings verhält es sich damit parallel zu BIM: Zunächst müssen die Anwendungsfälle und Businesscases geschaffen werden, damit die Branche davon auch wirklich profitieren kann. In diesem Prozess stehen wir noch ganz am Anfang. Text zu Bild-Portale, wie Midjourney, eignen sich derzeit in erster Linie zur Visualisierung von Ideen und können den Planerinnen und Planern hier schon ein bisschen Arbeit abnehmen. Beliebt sind solche Tools bereits in der Immobilienvermarktung, weil sie schnell und günstig Visualisierungen erzeugen, ohne dass dafür eine Fotografin oder ein Grafiker beauftragt werden muss.

Aber Grundrisse sind noch Zukunftsmusik?

Auch hier hat die KI bereits erstaunliche Fortschritte gemacht. Tools wie Testfit können heute schon einfache Typologien wie Parkplätze, Hotels oder Bürobauten mit regelmäßigen Grundrissen skalieren und mit Flächen, Kosten und der TGA verknüpfen. Tools wie diese nehmen die Architekturbüros aus dem Spiel und sind vor allem für Projektentwickler und Inves­toren interessant, die ihren return of invest optimieren wollen. 

Prompten will gelernt sein – zählen auch: Layout single appartment, two windows, pantry, bath and wc, 120 sqft real estate ad
Ilustration: www.stablediffusionweb.com

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Ilustration: www.stablediffusionweb.com

Das klingt beunruhigend…

Aber wirklich neu ist diese Entwicklung nicht. Sie ist nur mit der Einführung von ChatGPT für eine größere Öffentlichkeit sichtbar geworden. Die Welle, die hier auf uns zurollt, baut sich schon mit den ersten CAD-Systemen in den 1980er-Jahren auf. Wenn wir uns die Entwicklung als einen Tsunami vorstellen, der alles bisher Gekannte hinwegspült, dann befinden wir uns jetzt an dem Punkt, wo die erste Welle den Strand erreicht. Will sagen: Die Technik ist jetzt auf dem Stand, wo sie nützlich ist. Und es sind gerade unzählige Entwicklerinnen und Entwickler weltweit dabei, daraus Geschäftsmodelle zu entwickeln, um die nützliche Energie in wirtschaftliche Energie zu verwandeln und sie damit quasi „an Land“ zu tragen.

Woran mangelt es der künstlichen Intelligenz denn derzeit noch für den finalen Dammbruch?

Um das zu verstehen, müssen wir uns zunächst die bestehenden Systeme anschauen. Die meis­ten digitalen Planungstools sind heute noch regelbasiert und damit höchstens als symbolische KI zu bezeichnen. Das heißt: Ursprünglich haben Experten eine Datenbank mit allen notwendigen Informationen gefüttert, die für die Bewältigung einer bestimmten Aufgabe notwendig sind. Das gelingt immer da sehr gut, wo eine Aufgabe sehr klar definierte Anforderungen hat, also Standardwohnungen, Bürobauten etc. Für die Architektur ist das eine Entlastung, die zu schnelleren Ergebnissen führt und die Büros in die Lage versetzt, auf Änderungswünsche der Kunden und neue Anforderungen schnell und kostengünstig zu reagieren. Allerdings handelt es sich bei diesen Systemen nicht um künstliche Intelligenzen auf der Basis von neuronalen Netzen wie ChaptGPT und Midjourney. Denn diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie den ursprünglichen Regeln irgendwann entwachsen und eigene, neue Lösungen entwickeln. 

Generierungsprozess von 3D-Architektur mithilfe von Graph Machine ­Learning: Wände, Decken und Böden werden zunächst als Knotenpunkte ­erfasst, die dann mit ihren Anschlüssen zu anderen Bauteilen im ­Graphen ­verknüpft werden. Hierdurch lassen sich die Flächen vom KI-Modell beliebig skalieren und kombinieren, ohne dass die ursprünglichen kausalen/baulichen Zusammenhänge verloren gehen, und es kann neue Architektur generiert werden
Illustration aus: Erik Bauscher, Masterarbeit zum Thema generative KI, Universität Stuttgart

Generierungsprozess von 3D-Architektur mithilfe von Graph Machine ­Learning: Wände, Decken und Böden werden zunächst als Knotenpunkte ­erfasst, die dann mit ihren Anschlüssen zu anderen Bauteilen im ­Graphen ­verknüpft werden. Hierdurch lassen sich die Flächen vom KI-Modell beliebig skalieren und kombinieren, ohne dass die ursprünglichen kausalen/baulichen Zusammenhänge verloren gehen, und es kann neue Architektur generiert werden
Illustration aus: Erik Bauscher, Masterarbeit zum Thema generative KI, Universität Stuttgart

Wie gelingt ihnen das?

In dem sie nicht Regeln, sondern große Datensätze für ihre Lernprozesse nutzen. Wenn Sie heute an eine Text-Bild-KI die Anforderung stellen, zum Beispiel ein Stahl-Glas-Hochhaus in einem urbanen Kontext zu visualisieren, dann durchfors­tet sie das Internet nach Bildern, die genau das zeigen und errechnet daraus eine wahrscheinliche Bilddatei, die diese Bildelemente enthält. Dabei handelt es sich dann um ein neues Werk, für dass es keine tatsächliche Entsprechung in der Wirklichkeit gibt.

Also sind KIs kreative Systeme?

Darüber müsste man diskutieren. Denn diese Bilder sehen trotz allem meist so aus, als hätte man sie zuvor schon irgendwo einmal gesehen. Ein ehemaliger Kollege von mir hat das einmal mit dem Prompt „Singapur, nachhaltige Architektur“ versucht. Das ergab eine organische, irgendwie gaudieske, pseudo-nachhaltige Architektur, die nicht überzeugend war.

Das gilt auch für manche Architektur.

Richtig. Denn im Prinzip funktionieren wir Menschen ganz ähnlich, indem wir zum Beispiel einen Beitrag in der DBZ lesen und uns davon zu einem eigenen Werk inspirieren lassen. Vielleicht ist es eine Frage der Komplexität, bis tatsächlich neue Inhalte von einer KI geschaffen werden, welche die Menschen inhaltlich positiv überraschen. Bevor mit Deep Blue das erste Mal ein Schachcomputer einen Großmeister, nämlich Garri Kasparow, geschlagen hat, hielten das die meisten Menschen für unmöglich. Es hat sich aber gezeigt, dass ein regelbasiertes Spiel wie Schach durchaus von einem Computer gemeistert werden kann, wenn ihm nur genügend Rechenoperationen zur Verfügung stehen. Denn dann befinden sich darunter nicht nur die erwartbaren Züge, sondern auch die, die einem Großmeister „intuitiv“ zur Verfügung stehen.

Und so könnten KI’s demnächst auch Entwürfe liefern, die sich signifikant von allem bisher dagewesen unterscheiden?

Dabei gibt es ein Problem, das nicht nur die Architektur umtreibt: Je mehr KIs zum Einsatz kommen, desto mehr füllen sich die Datenbanken mit Content, der von KIs generiert wurde. Damit wird das System über kurz oder lang selbstreferenziell. Es droht der Effekt von Stock-Portalen, die immer mehr von besonders nachgefragten Bildinhalten erzeugen und damit zunehmend generischen Content anbieten.

Wie lässt sich das verhindern?

Die großen Unternehmen der Technikbranche versuchen aktuell, KI-Inhalte mit einer Art digitalem Wasserzeichen zu versehen, das verhindert, dass KI-Inhalte für die Erzeugung von neuen KI-Inhalten berücksichtigt werden. Andere versuchen, die Datensätze künstlich zu beschränken, in dem sie eigenen Referenzdatenbanken aufbauen, aus denen sie ihre KIs füttern, bislang noch mit mäßigem Erfolg. Büros wie Zaha Hadid oder Coop Himmelblau nutzen dazu zum Beispiel ihr eigenes Werksarchiv – heraus kommt dabei derzeit allerdings Architektur, die irgendwie die Bürohandschrift trägt, aber nichts wirklich Neues bietet.   

Die KI kann also, Stand heute, den Gehry-Stil lernen, aber nicht der neue Gehry werden?

Es braucht dafür zumindest immer noch einen Kopf vor dem Computer, der die intelligenten und kreativen Prompts (Aufforderungen an die KI, Anm. d. Red.) formuliert.

Frei nach Schopenhauer: Der Computer kann tun was wir wollen, aber er kann nicht wollen, was er will?

Es braucht weiterhin die menschliche Intention. Und da liegt auch die Zukunft für die Architektenschaft. Überlassen wir den Tools die Visualisierungen und 3-D-Modelle, dass können sie bereits heute schneller und besser als wir. Dazu ist auch bald keine büroeigene Softwareinfrastruktur mehr nötig, der Trend geht eindeutig in Richtung browserbasierter Systeme, die ich je nach Bedarf buchen oder nutzen kann. Widmen wir uns dagegen lieber den räumlichen Zusammenhängen, denn hier sind wir im Vorteil. Gerade bei den aktuellen Aufgaben wie dem Bauen im Bestand oder in Baulücken mit ihren heterogenen Anschlüssen und Erfordernissen.

Wie sollte Ihrer Ansicht nach meine Digitalstrategie aussehen, wenn ich heute mit meinem Büro in den Markt einsteige?

Was die KI angeht, so geht es darum, eine neue Syntax zu lernen, mit der ich mich als kompetenter Co-Pilot der KI qualifiziere. Die entwickele ich am besten, in dem ich mich einfach mal mit den kostenlosen Tools beschäftige und sie ausprobiere. Hier gibt es eine schnelle Lernkurve, da sie sehr intuitiv funktionieren und das Ergebnis unmittelbar zur Verfügung steht und somit überprüfbar ist. Für kleinere und mittlere Büros lohnt es sicher nicht in jedem Fall, eine eigene KI zu entwickeln, hier wird der Markt in Kürze noch viel mehr und bessere Angebote zur Verfügung stellen. Allerdings sollte ich darüber nachdenken, eine oder zwei Personen zu beschäftigen, die Lust auf das Thema haben und gerne am Ball bleiben. Nicht jeder im Büro muss ein Digitalspezialist sein. Aber alle sollten nach ihren Fähigkeiten an der digitalen Umstellung beteiligt sein. Die älteren vielleicht, in dem sie sich in Excel einarbeiten, die jüngeren, in dem sie sich mit dem parametrischen Entwerfen und KIs beschäftigen. Letzteres ist für Studierende heute ja bereits normal, künftig werden sie sich eben auch mit der Syntax von Prompts und dem Funktionieren von KI-Modelle beschäftigen müssen.

Tenure-Track Prof. Dr. Thomas Wortmann leitet das Fachgebiet Computing in der Architektur am Institut für computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung (ICD/CA) an der Universität Stuttgart. Er koordiniert die Gruppe der Forschungsprojekte zu KI, Datenintegration und dynamischer Steuerung am Exzellenzcluster „Integratives computerbasiertes Planen und Bauen für die Architektur“ (IntCDC) und ist Betreuer an der Max Planck-Graduiertenschule für Intelligente Systeme (IMPRS-IS).

www.uni-stuttgart.de
Foto: Platzhalter

Tenure-Track Prof. Dr. Thomas Wortmann leitet das Fachgebiet Computing in der Architektur am Institut für computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung (ICD/CA) an der Universität Stuttgart. Er koordiniert die Gruppe der Forschungsprojekte zu KI, Datenintegration und dynamischer Steuerung am Exzellenzcluster „Integratives computerbasiertes Planen und Bauen für die Architektur“ (IntCDC) und ist Betreuer an der Max Planck-Graduiertenschule für Intelligente Systeme (IMPRS-IS).

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