KI-Dialog. Wir liefern ihn
JAN R. KRAUSE: Mit der Dezember-Ausgabe 2024 startet die DBZ den KI-Dialog, um regelmäßig aktuelle Entwicklungen der künstlichen Intelligenz zu reflektieren. Warum gerade jetzt?
MICHAEL SCHUSTER: Wir befinden uns in einer Schwellensituation. Künstliche Intelligenz ist in einigen Architektur- und Bauingenieurbüros bereits angekommen. Eine große Zahl steht noch vor der Einführung. Gleichzeitig überholen sich die Entwicklungen und Neuerungen. In dieser Phase wollen wir als praxisorientierte Fachzeitschrift Orientierung geben.
JAN R. KRAUSE: Seit November 2022 ist ChatGPT öffentlich zugänglich. Seit wann befasst sich die DBZ-Redaktion mit künstlicher Intelligenz?
MICHAEL SCHUSTER: Schon 2009 haben wir in der DBZ den ersten Artikel zum Thema KI geschrieben, im Kontext der CEBIT in Hannover, damals der weltgrößten IT- und Computermesse. In einem Vortragsprogramm von Hochschulen und Wissenschaftlern aus dem Saarland, dem Sitz des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz, drehte sich alles um KI. Das erweckte großes Aufsehen. Seitdem greifen wir das Thema immer wieder auf. In der November-Ausgabe 2023 ging es um KI in der Architektur. Und ganz aktuell stellten wir in der „Umbauen-Ausgabe“ der DBZ 06|2024 im Interview die Frage: „Kann künstliche Intelligenz Baukunst?“
JAN R. KRAUSE: Erstmals wurde der Begriff „artificial intelligence“ im Sommer 1956 bei der Dartmouth Conference in New Hampshire geprägt. Welche persönlichen Erinnerungen hat der Chefredakteur der DBZ an seine erste Begegnung mit künstlicher Intelligenz?
MICHAEL SCHUSTER: Im Jahr 1996 gewann der Schachcomputer Deep Blue gegen den damals amtierenden Schachweltmeis-ter Garri Kasparow. Ein Jahr später gewann Deep Blue gegen Kasparow einen ganzen Wettkampf unter Turnierbedingungen. Das war für mich ein Meilenstein in der Entwicklung künstlicher Intelligenz. Danach galt wegen der größeren Komplexität das japanische Brettspiel Go als nächste große Herausforderung für die Entwickler von Systemen künstlicher Intelligenz. Im Jahr 2015 besiegte AlphaGo den mehrfachen Europameister. Das war noch so ein Meilenstein, den ich bewusst erinnere. Die neueren Entwicklungen habe ich wie viele andere gar nicht so bewusst wahrgenommen, sondern im Zuge der digitalen Transformation einfach benutzt: von Sprachassistenten wie Alexa bis zum Navigationssystem.
JAN R. KRAUSE: Warum ist ausgerechnet die DBZ ein gutes Forum für KI-Themen?
MICHAEL SCHUSTER: Die DBZ hat einen ausgeprägten praktischen Bezug. Und die DBZ ist das Schnittstellenmagazin zwischen Architekten und Bauingenieuren. Wir haben uns schon früh um das Thema der integralen Planung gekümmert. Und wir sehen in künstlicher Intelligenz ein weiteres Schnittstellen-Tool. Das wird insbesondere deutlich, wenn wir vom Planen ins Bauen kommen. Ich finde es spannend, dass auch Handwerker KIs nutzen. Unser Ziel ist es, diese einzelnen Strömungen sichtbar zu machen und miteinander zu verbinden. Für Bauherrn und Investoren, Architektur- und Ingenieurbüros, Handwerker, Nutzer und Facility Management werden KIs einen großen Nutzen bieten.
MICHAEL SCHUSTER: Als Professor für Architektur und Media Management hast Du einen besonderen Einblick in künftige Anforderungen und Planungsmethoden der nächsten Generation. Welche Potenziale siehst Du für den Einsatz von KI?
JAN R. KRAUSE: Ich erlebe, dass wir schon einen hohen Reifegrad erreicht haben an verfügbaren und leistungsfähigen KIs für Architektur und Planung. Unsere Architektur und unsere stadtplanerischen Entscheidungen sind immer stärker datenbasiert. Uns werden konkrete Fragen zu Wirtschaftlichkeit und Umwelteinflüssen gestellt. Gerade für das Lifecycle Assessment und die Kostensteuerung brauchen wir KIs, die diese großen Mengen an Daten verarbeiten und uns entwurfsbegleitend in Echtzeit mitteilen können, welche Auswirkungen Bauherrnwünsche und Entwurfsentscheidungen aus ökonomischer und ökologischer Sicht haben.
MICHAEL SCHUSTER: Auch für die Verwaltung dürften KIs erhebliche Arbeitserleichterungen und Effizienzsteigerungen bringen – Stichwort digitaler Bauantrag. Wann wird diese Technologie Einzug halten und die Genehmigungsverfahren beschleunigen?
JAN R. KRAUSE: Mit dem Onlinezugangsgesetz wurde 2017 beschlossen, dass bis Ende 2022 digitale Bauanträge möglich sein sollen. In immer mehr Ländern und Kommunen wird es zur Pflicht, die Unterlagen digital einzureichen. Zur Zeit bedeutet das in der Regel, die Anlagen werden als PDF hochgeladen. Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Ziel muss aber sein, dass der modellbasierte, digitale Bauantrag kommt, um Teile der Bauantragsprüfung zu automatisieren, also zum Beispiel die Prüfung von Fluchtwegelängen oder die Größe von Belichtungsflächen. Dafür werden Modellierungsrichtlinien zu entwickeln sein. Hier werden KIs eine erhebliche Entlastung für die Verwaltung bedeuten, wenn sie in der Lage sind, KI-gestützt, die Anträge mit dem geltenden Recht abzugleichen.
MICHAEL SCHUSTER: Das klingt noch nach Zukunftsmusik.
JAN R. KRAUSE: Technisch ist der BIM-basierte Bauantrag bereits heute möglich und in anderen Ländern bereits erprobt. Dänemark und Finnland verfügen über ein funktionierendes, modellbasiertes Baugenehmigungsverfahren auf Basis von IFC. Auch in Deutschland haben wir Beispiele, wo die digitale Modellprüfung funktioniert. Bei der Berechnung für den Energieausweis erfolgt die öffentliche Prüfung des digitalen Energiemodells im XML-Format. Ich denke, dass wir in den nächsten 24 Monaten einen Digitalisierungsschub in der Verwaltung brauchen. Das erfordert natürlich erheblichen Schulungsbedarf und Investitionen in die digitale Infrastruktur.
MICHAEL SCHUSTER: Das Thema werden wir in unserem DBZ KI-Dialog wieder aufgreifen und vertiefen. Wo siehst Du denn noch Möglichkeiten, dass die KI im praktischen Handeln unterstützen und zum Game Changer werden kann?
JAN R. KRAUSE: Die Architektenkammer schätzt, dass für das Bauwesen etwa 3 500 DIN-Normen relevant sind, von denen ca. 2 500 Vorschriften und Normen die Arbeit von Architekten direkt in ihren Kernaufgaben betreffen. Die können sie gar nicht alle überblicken. Teilweise widersprechen sich diese Normen auch. Da kann künstliche Intelligenz künftig sicherlich einen Beitrag leisten, die Planung mit diesem Normen-Dschungel abzugleichen und schnell Hinweise zu geben, wo Abweichungen oder sich widersprechende Anforderungen sind.
MICHAEL SCHUSTER: Werden KIs künftig auch unterstützen können – so lange es keine einheitliche Bauordnung gibt –, auf die landesspezifischen Bauordnungen einzugehen und Hilfestellung im Föderalismus zu geben?
JAN R. KRAUSE: So die Hoffnung. Dafür gibt es noch keine verlässliche KI. Aber wir kommen gerade in eine interessante zweite Phase der KI-Anwendung. Im November 2022 waren alle ganz begeistert, dass mit ChatGPT eine KI verfügbar ist, die man einfach benutzen kann. Aber die ist durch andere trainiert worden. Jetzt kommen wir in die Phase, wo wir feststellen, dass wir als Anwender selbst die Anforderungen formulieren und die KI trainieren müssen mit dem, worin sie uns unterstützen soll. Das können Daten, Regeln, Texte, Bilder oder Filme sein. Dann kommen wir schneller zu spezifischeren Ergebnissen.
MICHAEL SCHUSTER: Viele Architekten haben den Einsatz künstlicher Intelligenz bisher unter gestalterischen Aspekten gesehen. Wir beide sprechen jetzt aber vor allem über Planungssicherheit. Schon 2019 hatten wir einen Artikel über KI in der DBZ, in dem es hieß: „Künstliche Intelligenz soll die Baubranche sicherer machen“. Wenn KI für Entwurf und Planung so ein großes Potenzial hat, wie lässt sich die Hemmschwelle überwinden, das Neue in den eigenen Planungsprozess zu integrieren?
JAN R. KRAUSE: Architekten haben eine große Verantwortung. Sie brauchen Sicherheit: Planungssicherheit, Rechtssicherheit, Kostensicherheit, Terminsicherheit. Und angesichts der vielen Schnittstellen, die wir zwischen Architekten, Ingenieuren, ausführenden Firmen, Herstellern, Behörden und anderen Beteiligten haben, brauchen wir Prozesssicherheit. Dafür suchen wir uns KI-Assistenten, die datenbasiert helfen, die richtige Entscheidung zu treffen. Im Entwurf selbst sehe ich die KI eher als kreativen Sparringspartner. Die Entwurfsentscheidung, die richtige Form, die richtige Konfiguration für den richtigen Ort gefunden zu haben, werden wir uns als Architekten von der KI nicht abnehmen lassen.
MICHAEL SCHUSTER: Mit Deiner „academy for architectural thinking” berätst Du Architekturbüros auch bei der Implementierung von KIs in ihre Arbeitsprozesse. Welche „Top 5“-KIs möchtest Du unseren Lesern empfehlen?
JAN R. KRAUSE: Lass uns dazu einen kleinen Streifzug durch den Lebenszyklus eines Gebäudes machen. Für die Phase der Potenzialermittlung von Bestandsgebäuden oder Grundstücken gibt es eine interessante KI von Architekten für Architekten, die vor einem Jahr den deutschen KI-Start-up-Preis gewonnen hat: Syte. Die KI liefert Hinweise auf baurechtliche Nutzungsvarianten, ökonomische Vermarktungsmöglichkeiten und auch auf Energieeffizienz und solare Erträge. Das Ergebnis ist natürlich noch nicht Architektur, sondern erst einmal Volumen. Um daraus Architektur zu machen, braucht man eine entwurfsunterstützende KI. Dafür hat sich Stable Diffusion als sehr leistungsfähige Open-Source-AI bewährt und zwar deshalb, weil Stable Diffusion gut trainierbar ist. Für Visualisierungen empfehle ich ArchiVinci, eine KI, die aus einfachen Skizzen sehr anschauliche Visualisierungen erzeugt. Wer schon ein 3D-Modell hat, kommt mit Veras zu guten Ergebnissen: eine KI, die aus digitalen Revit-Modellen variantenreich fotorealistische Visualisierungen entwickelt. Jetzt mache ich einen großen Bogen zum Ende des Entwurfs- und Bauprozesses und komme zu Concular. Die Plattform für gebrauchte Baumaterialien hat gerade eine KI eingeführt, die eineinhalb Jahre mit dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz entwickelt wurde, um ein BIM-Modell auslesen und mit dem Bestand ihrer Materialdatenbank abgleichen zu können. So wird kreislaufgerechtes Bauen KI-gestützt zum integrierten Bestandteil des digitalen Entwurfsprozesses.
MICHAEL SCHUSTER: Das sind spannende Verbindungen von der Potenzialermittlung ganz am Anfang über die entwurfsunterstützenden Tools bis zum Ende des Gebäudelebenszyklus. Hast Du denn noch ein Tipp für die Leistungsphasen 5 bis 9?
JAN R. KRAUSE: Das ist ein echter Geheimtipp für 2025: Im nächsten Jahr wird eine KI auf den deutschen Markt kommen, die in der Schweiz schon gut funktioniert. KeeValue ist eine KI zur Kostenermittlung für den Bau, Betrieb und Lebenszyklus einer Immobilie. Die Idee ist es, entwerfenden Architekten ein Instrument an die Hand zu geben, um entwurfsbegleitend eine präzise Aussage über Kostenentwicklungen und Umweltauswirkungen machen zu können.
MICHAEL SCHUSTER: Das waren Deine 5 plus 1 Tipps zum Start unseres regelmäßigen DBZ-KI-Dialogs. Weitere werden sicher in unseren nächsten Gesprächen folgen. Welche Empfehlungen kannst Du noch für den Einstieg geben, wenn jemand jetzt neugierig auf den Einsatz von KIs geworden ist?
JAN R. KRAUSE: Umfragen unter Architekturbüros zeigen, dass je nach Bürogröße 30 bis 50 % bereits mit KIs arbeiten und ein weiteres Drittel sagt, wir wollen uns demnächst damit befassen. Am Anfang ist oft unklar, wozu wir KIs nutzen, welche wir nutzen und wie wir das auch noch in unseren Arbeitsalltag integrieren. Ich empfehle drei Dinge zum Einstieg. Erstens ist es wichtig, sich klarzumachen, worin man den größten Nutzen sieht. Wobei können datengestützte Systeme helfen, die Arbeit zu erleichtern, zu beschleunigen oder größere Sicherheit zu bieten? Mit dieser Vorüberlegung zu Zielen oder Effekten, kommt man schnell zu besseren Ergebnissen. Zweitens empfehle ich, verschiedene KIs auszuprobieren. Man kann ja nicht viel falsch machen. Man erlebt aber mit KIs auch Enttäuschungen. Die Formulierung von Prompts, also der Eingabeaufforderung, um eine KI zu instruieren, ist nicht trivial. Das braucht Übung, Erfahrung und wie alles Neue, auf das man sich einlässt, eben auch Zeit. Und drittens empfehle ich, die eigenen Mitarbeiter zu motivieren und Freiräume zu geben, um KIs auszuprobieren und – ganz wichtig – sie aufzufordern, ihre KI-Erfahrungen miteinander zu teilen. Vielfach erleben wir KI-affine Einzelkämpfer, die zu wenig voneinander wissen. Diese Schwarmintelligenz, die wir in Architektur- und Ingenieurbüros nutzen könnten, bietet ein enormes Potenzial zur effizienten KI-Implementierung.
MICHAEL SCHUSTER: Du hast damit auch ein sehr schönes Ziel für das formuliert, was wir mit unserem DBZ-KI-Dialog erreichen wollen: und zwar, bei den Lesern und Nutzern diese Schwarmintelligenz zu erzeugen. Das sollte unsere Aufgabe sein und unsere Motivation für die nächsten Monate.
Jan R. Krause ist seit 2003 Professor für Architektur Media Management AMM an der Hochschule Bochum. In Lehre und Forschung widmet er sich Fragen der Architekturvermittlung mit den Schwerpunkten Nachhaltigkeitskommunikation und Künstliche Intelligenz. Mit seiner Agentur ABA Architektur+Kommunikation in Berlin und der academy for architectural thinking konzipiert er Kommunikationsstrategien für Architekt:innen und Bauindustrie. Sein Job-Portal ofat-recruiting ist die führende Plattform zur Vermittlung von Kommunikationsprofis der Baubranche. Krause studierte Architektur an der TU Braunschweig, ETH Zürich und TU Wien sowie Internationales Management an der Vlerick Management School in Leuven-Gent. Er arbeitete vier Jahre als Redakteur der Architekturzeitschriften AIT und XIA, leitete 15 Jahre die Unternehmenskommunikation bei Eternit und vier Jahre das Internationale Strategische Marketing bei Sto. Krause ist 1. Vorsitzender des Deutschen Werkbunds und Mitglied im BDA und DJV.