Kreisläufe und Nachhaltigkeit. Begriffsklärungsversuche
Das Wort „Nachhaltigkeit“, das längst auf einen vielfach vereinnahmten Begriff reduziert beziehungsweise zu einer ganzen Assoziationsmelange aufgebläht wurde, gibt es in der deutschen Sprache noch nicht so lange. Das mag daran liegen, dass das nachhaltige Tun – das auch ein Wirtschaften sein konnte – als etwas Eigenes, zu Definierendes gar nicht erkannt worden war, es war Teil eines Ganzen, selbstverständlich immer schon und damit nicht der Rede wert.
„Nachhaltigkeit“, ein Kampfbegriff?
Erst als mit dem Sesshaftwerden des Menschen und dem Wachstum der Gesellschaften/Gemeinschaften ein geplantes, vorausschauendes Wirtschaften nötig wurde, das zudem über Macht (=Besitz) und Ohnmacht (=Leibeigenschaft) entschied, wurde das bisher unbewusst richtige Handeln zu einem ökologischen (wenn man Ökologie als wortwörtlich „Lehre vom Haushalt(en)“ versteht). Und dieses Handeln hing direkt und untrennbar an der Ökonomie. Wir waren also schon einmal weiter. Allerdings eher im Sinne einer vernünftigen, kaufmännisch getriebenen und dem Überleben der Ökonomie geschuldeten Nachhaltigkeit, als der, die wir heute irgendwie auch zum Glaubenssatz gemacht haben für das Einhalten von mit Verve vorgetragenen Überlebenszielen. Vor exakt 310 Jahren, im Jahr 1713, also mittendrin im Zeitalter des enlightenment, oder wie wir Deutschen schreiben, der Aufklärung, schaute der Oberberghauptmann des Erzgebirges, Hans Carl von Carlowitz, mit Sorge auf seinen Forst. Und stellte Nachschubmangel fest; jedenfalls drohe der dann, wenn man so weiter mache wie bisher. Also dem Holzacker mehr Material entnehme, als es nachwachse. Damals sah sich das Land Sachsen einer Rohstoffkrise gegenüber, die die kontinuierlich anwachsenden Prozesse der noch jungen Ökonomie bremsen und schließlich abwürgen würde. Der Hinweis von Carlowitz, „daß es eine continuierliche, beständige und nachhaltende Nutzung gebe/weil es eine unentbehrliche Sache ist/ohne welche das Land in seinem Esse nicht bleiben mag“ (In: Sylvicultura oeconomica, oder haußwirthliche Nachricht und Naturmäßige Anweisung zur wilden Baum-Zucht, verlegt bei Johann Friedrich Braun 1713) ist nun zu einer Art Schwur gewuchert. Der heute landauf, landab verbrauchte Begriff Nachhaltigkeit wird auf diesen einen Satz bezogen, erstaunlich, da das „nachhaltende Nutzung“ nur einmal in dem Buch mit mehr als 400 Druckseiten vorkommt: Offenbar war die Sehnsucht nach einer Quelle und damit nach einem „Seitaltersher“ derart, dass wir gerne diesen Verweis auf das Vernünftige (ökonomisch Selbstverständliche) hingenommen haben. Was vielleicht auch bedeutet, dass unserer Zeit länger schon die Vernunft abhanden gekommen ist und „Nachhaltigkeit“ zum Kampfbegriff werden konnte, zum Label, Verkaufsargument, Entwicklungsziel und natürlich zum Kontrastmittel, mit Hilfe dessen wir das derzeitige Wirtschaften als nicht nachhaltig markieren können.
Limits of Growth und andere
Doch die Sehnsucht nach einem Bezugspunkt, einem Begriff, der systemisch wirksam wäre, kommt möglicherweise auch aus der lange schon dauernden Geschichte einer, ich nenne das einmal Vortragsreihe mit wesentlichen Meilensteinen. Viele dieser Vorträge sind uns bekannt, manche als gute Bekannte und Wegbegleiter:innen, andere eher vom Hörensagen und nicht selten mit einer ans Mythologische grenzenden Verbrämung: „The Limits of Growth“gehört klar dazu, herausgegeben vom ebenso legendären wie zugleich auch überraschend (?) wirkungslos gebliebenen „Club of Rome“, einer Art von Männerbund mit gerade mal acht Protagonisten aus Wissenschaft und Wirtschaft. Doch – abgesehen von der Buchpublikation des schon genannten Oberberghauptmanns von Carlowitz – es gab die Wegbegleiter:innen schon früher. So veröffentlichte die US-amerikanische Biologin Rachel Carson 1962 das Buch The silent spring (bereits 1963 auf dem deutschen Markt mit: Der stumme Frühling). Hier geht es der Autorin um den alltäglichen und damals kaum hinterfragten Eintrag toxischer Stoffe in die Umwelt (insbesondere in der Landwirtschaft, aber auch im privaten Haushalt etc.) und dessen sozialer Komponente. Der Studie „Limits of Growth“ folgten Jahre später Aktualisierungen, die aber – wie schon der ersten – wenig Gehör fand in der Politik und der Wirtschaft, zu pessimistisch, zu dramatisch auch wurden die in die Zukunft gerichteten Prognosen gelesen und fast physisch schmerzhaft empfunden. Der Kollaps des Ökosystems Erde war für unsere Jetztzeit vorhergesagt, man könnte sagen: Ziemlich nah dran!
Es folgte die politisch, sozial motivierte Gründung der Grünen, zahlreicher Parteien in Deutschland und ganz Westeuropa. 1983 gründete die UN die Weltkommisson für Umwelt und Entwicklung mit Sitz in Genf. Deren erster Bericht – unter dem Vorsitz der damaligen Ministerpräsidentin von Norwegen, Gro Harlem Brundtland – lieferte 1987 diese Definition von Nachhaltigkeit: Bedürfnisse der Gegenwart sollen so befriedigt werden, dass die nachfolgenden Generationen das in gleicher Weise noch machen können (der sogenannte Brundtland Bericht mit dem Titel „Our Common Future“). Diese Definition findet man – das nebenbei – in Deutschland auch in dem Klageverfahren/den Verfassungsbeschwerden gegen das Klimaschutzgesetz 2021 wieder, in dem das höchste deutsche Gericht den Kläger:innen zugestand, dass das Klimaschutzgesetz die Ansprüche der nachwachsende Generationen nicht hinreichend berücksichtige; denn diese werden, wenn das Gesetz nicht novelliert wird, eben nicht in gleicher Weise Zukunft haben, wie ihre Vorgängergeneration mit ihrem Verbrauch auf Kosten der Kinder und Kindeskinder.
Manches ist unumkehrbar
Das alles spielt mit dem Begriff der Nachhaltigkeit, drängt dazu, das geschlossene System Erde nicht über Gebühr zu strapazieren. Denn außer der Erdrotation, einer marginal wirksamen Fliehkraft und der Arbeit des Mondes (Gezeiten beispielsweise), gewinnt das System Erde allein durch die Sonnenstrahlung Energie. Die Minderung von über Jahrmillionen entstandener Energiedepots (Erdöl, Erdgas) ist nicht reversibel. Die Plünderung der Erdkruste (Mineralien, Erze etc.) ist ebenfalls unumkehrbar, vielleicht könnte man das Abholzen, die gezielte Vernichtung von Wäldern und Forsten verlangsamen … man könnte.
Wie diesem Energieabfluss also etwas entgegensetzen? Und auch: Wie das Kollaterale (CO2-Ausstoß, Versalzung, Omnipräsenz künstlicher Nanopartikel etc.) verringern? Wie bei vielem anderen auch: Auf die Regeln schauen, die die Natur (und damit ist die Umwelt gemeint) in Zeiträumen entwickelt hat, die jenseits menschlicher Maßstäbe liegt: Wir müssen zum Kreislaufwirtschaften (zurück). („zurück“ in Klammern, weil die Spezies Mensch den Kreislauf wohl nur vom Hörensagen oder aus der Schulzeit kennt: Wasserkreislauf). In der frühen Bedarfswirtschaft wurde noch in Kreisläufen gedacht, Material war kostbar, sei es das zum Bauen oder der Boden, auf dem man ackerte. Bedarfswirtschaft kannte keinen Gewinn, auch gab es Allgemeingut (Allmende), deren Nutzung und Pflege in der Hand und im Interesse der Gemeinschaft lag.
Doch das alles verschwand mit der Notwendigkeit, mehr zu produzieren, weil mehr Menschen in immer größeren Siedlungen lebten. Versorgungswirtschaft, mit Gewinn. Abfall, Überproduktion, Konsum. Produkte und Varianten von Produkten definieren bis heute einen immer globaler ausgerichteten Markt, der ständig nach Effizienz sucht in der Produktion und dem Absatz. Auch Häuser wurden und sind immer noch Produkte.
Besser, weniger, anders
Wenn wir Menschen also, im Gegensatz zum Rest der Fauna und Flora, uns vom Kreislauf getrennt haben: wie dahin wieder zurück? Denn das Kreislauf-Modell scheint – neben dem nicht gewollten/ politisch nicht durchsetzbaren freiwilligen Verzicht – unsere vorletzte Chance zu sein. Hier kommen wir – beispielhaft aber auch sehr konkret – zu dem oben schon genannten Buch von Dirk E. Hebel und Felix Heisel, zusammen mit Ken Webster: Kreislaufgerechtes Bauen und Kreislaufwirtschaft. Birkhäuser, Basel 2022. Das Autorenkollektiv schaut zurück in die jüngere Nachhaltigkeitsgeschichte baut aus diesem Blick Argumente für nachhaltiges Bauen auf. Oben drüber steht „besser“, „weniger“, „anders“, beinahe schon polemisch anmutende Kategorien, deren Selbstverständlichkeit einerseits und deren Praxisferne andererseits überrascht: Ja besser, vielleicht weniger, und wie anders!? Die Autoren vermitteln im Folgenden Grundlagen, Fallbeispiele und Strategien für kreislaufgerechtes Bauen über Stichworte wie Kompetenz und Wissensaufbau, Verlust von Örtlichkeit, Zunahme von Verschwendung, Infrastruktur von Wiederverwendung, Neue Häuser aus alten Häusern, Ökoeffektivität (mein Favorit in dieser Debatte!), Ökonomie des Urban Mining, Mit dem Verursacherprinzip eine Verantwortungsgesellschaft etc. Es folgen zahlreiche Fallstudien, also die Dokumentation von umgesetzten Bauprojekten und Projekten, die das kreislauffähige Bauen unterstützen (Software, Unternehmensstrategie etc.).
Das alles macht den Status verständlicher, wir können nachvollziehen, wohin Kreislaufwirtschaften am Bau gerade unterwegs ist, wo das Projekt in etwa steht (noch sehr am Anfang). Besonders – in bester Weise gemeint – ist ein Beitrag so ziemlich am Ende der Lesereise. Hier steht auf einer Doppelseite Text ein Kommentar von Ken Webster, Ökonomom und Head of Innovation, was letzteres auch immer genau meint. Webster titelt seinen Zweiseiter mit „Sei vorsichtig was du dir wünschst“ und zielt damit auf exakt das, was in diesem Text hier immer wieder anklingt: auf das vermeindlich absolut Bessere der Welt des Zirkularen, die deutlich oder unterschwellig vermittelte moralische Überlegenheit der Argumente für eine zirkuläre Wirtschaft, Cradle to Cradle als alleiniger Heilsbringer. Dem sei nun nicht so, argumentiert Ken Webster, hätten wir einmal die Kreislaufwirtschaft erreicht – die richtige, also die, die auf Bestandserhaltung zielt und Unternehmertum fördert, das von einem dann eingeschränkten Wettbewerb profitiert – dann würde die Prophezeihung, Kreislaufwirtschaft führe zu Besitzlosigkeit, in Erfüllung gehen. Gleichzeitig sieht der Forscher „den Niedergang von Autonomie“ und die Entstehung einer Art von „Technofeudalismus“ in einer Welt, in der der Konsum von einer die Kreisläufe kontrollierenden Macht abgelöst wird. Uns als Nutzer:innen bliebe da nur noch eine „Bittstellerrolle“: „Ein geringerer Ressourcenverbrauch könnte auch teuer erkauft sein“, schließt Ken Webster und man möchte ergänzen: Noch teurer wird es wohl, wenn wir so weiter machen.
Die „Blaue Murmel“, ein fragiles Ökosystem
1972 machte der Astronaut Harrison Schmitt aus dem lichtlosen All das Foto von der „Blue Marbel“ Erde im Zusammenhang mit der Apollo 17 Mission: Zum ersten Mal konnten wir begreifen, dass unser Planet kleiner, ungeschützter, ausgelieferter ist, als wir ihn hier auf Erden jemals wahrnehmen können. Das fragile, über Jahrmillionen entwickelte Ökosystem Erde ist spätestens seit diesem Blick zur kollektiven Vorstellung vom Mutterschiff Erde geworden, das sinken kann, wenn wir die ihm auferlegten Zwänge weiter verstärken. Mit welchem Ziel eigentlich?
Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft sind Geschwister in einem Diskurs, der schon wieder oder noch immer vor sich hin dümpelt. Wenn wir vorsichtig in unseren Wünschen sein sollen, die unsere Zukunft ausmachen, sollten wir vielleicht auch vorsichtig sein im Gebrauch von Begriffen, die leer sind und voll von vielleicht noch garnicht absehbarer Wirkkraft. Nachhaltiger werden im Sinne von den Umständen angemessen, kreislauffähiger planen und die Zukunft in die Gegenwart ziehen und weg von der Effizienz hin zur Effektivität denken. Dann sollte sich doch etwas bewegen in uns und draußen im Lande! Be. K.