Kreislauf statt Downcycling
Aluminium spielt eine wichtige Rolle beim nachhaltigen und zukunftsgerechten Bauen. Dank der endlosen Recycelbarkeit lassen sich mit dem bewährten Werkstoff wertvolle Ressourcen einsparen und gezielt CO2-Emissionen reduzieren. Beim Innovationsbogen in Augsburg ist nach Plänen von Hadi Teherani Architects jetzt erstmals eine Fassade aus 100 % End-of-Life-Aluminium von Wicona realisiert worden. So wird Kreislaufwirtschaft mit Aluminium schon heute zur gebauten Realität.
Text: Christian Fitz
Energiebilanz Primär-Aluminium, Hydro CIRCAL 75R, Hydro CIRCAL 100R
Illustration: Wicona
Nach Angaben des Europäischen Komitees für Normung „Nachhaltiges Bauen“ (CEN/TC 350) werden 50 % der aus der Erde gewonnenen Materialien für Gebäude verwendet. Während ihres Lebenszyklus sind Gebäude der größte Energieverbraucher: Sie verbrauchen fast die Hälfte der Primärenergie und verursachen etwa 40 % aller Treibhausgasemissionen in Europa. Abfälle, die aus Baumaterialien entstehen, machen 25 % des gesamten Abfallaufkommens aus. Da die Weltbevölkerung in den nächsten Jahrzehnten voraussichtlich weiter deutlich wachsen wird und rund 70 % dieser Menschen in Städten und urbanen Gebieten leben werden, ist ein weiterer Anstieg des Rohstoff- und Energieverbrauchs sowie der CO2-Emissionen von Gebäuden in den Städten zu erwarten. Vor diesem Hintergrund kommt auch dem Aluminium als wichtigem Werkstoff im Gebäudesektor ein besonderer Stellenwert zu. Von den 2021 weltweit rund 86 Mio. t verbrauchten Aluminiums entfielen 25 % auf den Bausektor. Der verantwortungsvolle Umgang mit den begrenzten Ressourcen ist somit wichtiger denn je und ein Schlüsselfaktor für umwelt- und klimagerechtes Bauen.
Und dabei spielt das Recycling eine zentrale Rolle. Aus gutem Grund, denn: Aluminium ist eines der wenigen Materialien, das seine Eigenschaften und die Qualität nach der Wiederaufbereitung komplett beibehält. Ein bedeutender Vorteil ist zudem, dass beim Recycling von Aluminium nur etwa 5 % der Energie aufgewendet werden muss, die bei der Herstellung von Primär-Aluminium verbraucht wird. Daher kann das Ziel nur sein, die Verwendung von Sekundär-Aluminium (End-of-Life-Aluminium) weiter deutlich zu steigern. Denn aktuell entfallen immer noch rund 75 % der weltweiten Produktion auf Primär-Aluminium – also Material, das in einem aufwändigen und energieintensiven Prozess aus Bauxit hergestellt wird.
Co₂-Fußabdruck: Cut-Off-Methode
Illustration: Wicona
Pre- und Post-Consumer-Schrott
Wichtig zu wissen in diesem Kontext: Recyceltes Aluminium ist nicht gleich recyceltes Aluminium. Für den Wiederaufbereitungsprozess des Metalls gibt es grundsätzlich zwei unterschiedliche Materialquellen – und diese haben maßgeblichen Einfluss auf die Energiebilanz bzw. den CO2-Fußabdruck des Recyclingmaterials. Die erste Quelle ist der sogenannte Pre-Consumer Schrott – also der Aluminium-Prozessschrott. Dieses Material war noch nicht als Produkt in Gebrauch und entstammt Abfällen aus Herstellungs- bzw. Verarbeitungsprozessen wie der Extrusion. Es wird aus der Produktion gesammelt und dann wieder zu einem Produkt verarbeitet. Die zweite und weit weniger verbreitete Variante: Post-Consumer-Schrott oder auch End-of-Life-Aluminium (EoL). So wird Material bezeichnet, das bereits in einem Produkt verwendet wurde, das seinen gesamten Lebenszyklus durchlaufen hat. End-of-Life-Aluminium, wie es Wicona einsetzt, kommt zum Beispiel aus Fassaden, Fenstern und anderen Bauelementen, die aus Gebäuden demontiert und recycelt wurden. Dieses Aluminium wurde in der Vergangenheit oft im Zuge des Recycling-Prozesses zu minderwertigen Legierungen verarbeitet. Dies wird nach heutigem Verständnis als Downcycling bezeichnet, da aus diesen Legierungen keine hochwertigen Aluminiumprofile für die Bauindustrie hergestellt werden können. Hydro hat als Pionier einen Sortier- und Aufschlüsselungsprozess entwickelt, der es ermöglicht, End-of-Life-Aluminium in großen Mengen so zu sortieren, dass es wieder zu hochwertigen Aluminiumprofilen verarbeitet werden kann. Diese Legierung trägt dann, je nach enthaltenem Recycling-Anteil den Namen Hydro CIRCAL 75R oder Hydro CIRCAL 100R.
CO₂-Fußabdruck: Avoided-Burden-Methode
Illustration: Wicona
Berechnung des CO2-Fußabdrucks
Ganz gleich, ob Pre- oder Post-Consumer-Schrott: Bei der Bewertung des verwendeten Materials im Rahmen einer Ökobilanz spielt der CO2-Fußabdruck eine entscheidende Rolle. Allgemein anerkannt ist dabei, dass Post-Consumer-Schrott aufgrund der bereits erfolgten vormaligen Verwendung in einem Produkt einen CO2-Fußabdruck von Null aufweist. Für Pre-Consumer-Schrott ermöglichen die Standards für Ökobilanzen jedoch nach aktuellem Stand zwei unterschiedliche Berechnungsmethoden, die maßgeblichen Einfluss auf die ökologische Bewertung des Werkstoffs haben. Bei der sogenannten Cut-Off-Methode folgt der Fußabdruck den Produkten. Das bedeutet zum Beispiel: Bei einem Strangpressbolzen mit einem CO2-Fußabdruck von 1 000 kg tragen die extrudierten Profile die gesamte Kohlenstoffemission, während die Prozessabfälle – diese machen im Durchschnitt 20 % aus – keinen CO2-Fußabdruck zugewiesen bekommen. Da der CO2-Fußabdruck komplett dem Originalprodukt zugeordnet wird, folgt: Pre-Consumer-Schrott jeder Herkunft gilt als dekarbonisiert, eine Unterscheidung zu Post-Consumer-Schrott findet nicht statt – was eine transparente CO2-Bewertung deutlich aufweicht. Im Ergebnis entsteht im ers-ten Prozessdurchlauf ein Produkt aus Aluminium mit einem deutlich erhöhten CO2-Rucksack, welches in Anwendungen verarbeitet wird, in denen dem Thema „Nachhaltigkeit“ keine gesteigerte Aufmerksam geschenkt wird. Die 20 % gleichzeitig anfallender Prozessschrott sind „auf dem Papier“ dekarbonisiert und können in einem weiteren Schmelz- und Strangpressprozess zu einem Produkt mit niedrigem CO2-Fußabdruck verarbeitet werden. Ein Anreiz zu Prozessverbesserungen entsteht mit dieser im Prinzip wenig nachhaltigen Methode nicht.
Die Aufbereitung des Post-Consumer-Schrotts
(End-of-Life-Aluminium) erfolgt im Hydro Werk in Dormagen in einem von unabhängiger Seite überwachten Prozess
Foto: Mediashots/WICONA
Deutlich transparenter ist dies – bezogen auf die Aluminiumbranche – bei der auch von Wicona zur Berechnung der Ökobilanz angewandten Avoided-Burden-Methode („Methode der vermiedenen Umweltbelastung“): Hier folgt der CO2-Fußabdruck dem Material. Das heißt: Bei dem oben genannten Strangpressbolzen mit einem CO2-Fußabdruck von 1 000 kg wird der Umwelteinfluss basierend auf der physischen Verteilung zwischen dem ursprünglichen Produkt und dem Ausschussmaterial aufgeteilt – also werden 800 kg CO2 den Profilen und 200 kg CO2 dem Prozessschrott zugeteilt. Demzufolge trägt der im Prozess anfallende Pre-Consumer-Schrott den CO2-Fußabdruck seines ursprünglichen Materials. Eine weitere Reduktion der CO2-Emissionen kann nur durch aufwendige Optimierungen der Prozessschritte erfolgen. Aus Sicht von Wicona ist dies damit der einzig richtige Weg für eine echte nachhaltige Kreislaufwirtschaft.
Gefertigt und montiert werden die Fassadenelemente des Innovationsbogens von Schindler Fenster + Fassaden (Roding)
Foto: Mediashots/ Wicona
Externe Zertifizierung über die Wertschöpfungskette
Wichtig im Zusammenhang mit der Bewertung des CO2-Fußabdrucks von Aluminium ist zudem die Frage: Decken die deklarierten Werte die gesamte Wertschöpfungskette („cradle to grave“) oder nur Teile davon („cradle to gate with options“) ab? Dies wird in der Ökobilanz sowie der darauf basierenden Umweltproduktdeklaration (EPD) festgelegt, denn eine „cradle to grave“-Betrachtung ist nur optional erforderlich.
Außerdem können externe Zertifizierungen – zum Beispiel durch die Aluminium Steward Initiative (ASI) – die Glaubwürdigkeit erhöhen. ASI ist die anerkannteste internationale Norm, die sich auf Umwelt-, Sozial- und Managementaspekte (ESG) der gesamten Aluminium-Wertschöpfungskette bezieht. Die Beurteilung basiert auf der nachhaltigen Herstellung von Aluminium vom Bauxit-Abbau bis zur Herstellung der Produkte und berücksichtigt dabei das Recycling von Pre- und Post-Consumer-Schrotten. Hydro war eines der ersten Unternehmen, das die ASI-Zertifizierung erhalten hat. Auch die gesamte Wertschöpfungskette des Wicona Aluminiums ist ASI-zertifiziert.
Als weltweit erstes Projekt wird der „Innovationsbogen Augsburg“ (Hadi Teherani Architects) mit einer
Wicona Fassadenlösung aus 100 % End-of-Life-Aluminium umgesetzt
Foto: Hadi Teherani Architects
Komplexer Recyclingprozess
Klar ist: Die Menge an End-of-Life-Aluminium ist heute noch deutlich geringer als die von Primär-Aluminium und Pre-Consumer-Material – die aktuelle Nachhaltigkeitsentwicklung im Bausektor sorgt jedoch für deutliche Steigerungsraten (weitere Infos: https://aluminium-stewardship.org). Um die zunehmenden Aluminium-Mengen auch in Zukunft in hochwertiger Qualität recyceln zu können, ist eine sortenreine Sammlung und Aufbereitung erforderlich. Denn: Post-Consumer-Schrott wurde – wenn zum Beispiel zuvor in einem Fenster eingesetzt – in der Regel eloxiert bzw. lackiert und die Profile können zudem auch weitere Komponenten wie eine thermische Trennung enthalten. Für das Recycling sind daher ein umfangreiches Know-how und – wie im unternehmenseigenen Recyclingwerk von Hydro in Dormagen – modernste Technologien und Prozessschritte erforderlich: von der ersten Inspektion über das Schreddern, Trennen, Zerkleinern und Sortieren bis hin zum Schmelzen. Schließlich wird das Material so aufbereitet, dass es in der richtigen Legierung wieder der Produktion von hochwertigen Aluminiumprofilen zugeführt wird. Hierfür setzt sich auch der AIUIF e. V. ein, bei dem Wicona Mitglied ist. Bei Hydro wird der gesamte Prozess überwacht und fortlaufend von der unabhängigen Prüfstelle DNV-GL zertifiziert.
Echte Kreislaufwirtschaft mit End-of-Life-Aluminium
Um den steigenden Anforderungen an den Klimaschutz aktiv zu begegnen, hat die Hydro Building Systems mit ihrer Marke Wicona die Zukunftsstrategie „Build Beyond Tomorrow“ ins Leben gerufen – unter anderem, um die Entwicklung nachhaltiger Produkte voranzutreiben. Mit Hydro CIRCAL 75R bietet das Unternehmen bereits seit 2019 eine Aluminiumlegierung, die zu mindestens 75 % aus End-of-Life-Aluminium besteht und mit 2,3 kg CO2 pro kg Aluminium einen der niedrigsten CO2-Fußabdrücke weltweit aufweist. Dies sind 65 % weniger als der europäische Durchschnitt (rund 6,8 kg CO2). Alle neuen Systemlösungen enthalten mindestens 75 % recyceltes Material sowie 95 % recycelbares Material. Zudem wird für die Dämmstege recyceltes Polyamid verwendet und auch alle weiteren eingesetzten Materialien – neben dem Aluminium auch TPE, Zamak, rostfreier Stahl und ABS – folgen der Prämisse 75/95. Den nächsten Schritt in Richtung einer echten Kreislaufwirtschaft bedeutet die im Frühjahr 2023 erfolgte Markteinführung von Hydro CIRCAL 100R – der weltweit ersten Aluminiumlegierung aus 100 % recyceltem End-of-Life-Aluminium. Dieses Material verfügt mit durchschnittlich 0,5 kg CO2 pro kg Aluminium über den im weltweiten Vergleich geringsten CO2-Fußabdruck.
Innovationsbogen Augsburg
Beim Innovationsbogen Augsburg ist erstmalig eine Fassade aus 100 % End-of-Life-Aluminium realisiert worden. Das nach Plänen von Hadi Teherani Architects (Hamburg) entworfene Gebäude soll mit einer Nachhaltigkeitszertifizierung nach LEED-Platin ausgezeichnet werden. Das 145 m lange und bogenförmige Gebäude befindet sich am südlichen Tor des neuen Innovationsparks und hebt sich sich dort aus der Landschaft – einer blühenden Wiese – heraus. Die zentrale Leitidee „Nachhaltigkeit“ zeigt sich unter anderem durch eine harmonische Einbettung in die Natur sowie maximale Flexibilität bei der Gestaltung der Grundrisse. So sind je nach Anforderung sowohl klassische Zellenbüros als auch Open-Space-Bereiche realisierbar. Ein weiterer elementarer Baustein ist das Energiekonzept, unter anderem mit Photovoltaik-Anlagen, Heiz- und Kühlsegeln für die Gebäudeklimatiserung sowie einer Fernwärmeversorgung. Einen wesentlichen Beitrag zur Nachhaltigkeit leistet auch die Fassade. Diese wird mit einer Sonderkonstruktion der Elementfassade WICTEC EL evo von Wicona realisiert. Dabei kommt weltweit erstmalig die Aluminiumlegierung Hydro CIRCAL 100R aus 100 % End-of-Life-Aluminium zum Einsatz. Bei den 85 t eingesetztem Hydro CIRCAL 100R entspricht dies einer CO2-Reduzierung von 527 t.
Kreislaufwirtschaft ganzheitlich denken
Zusammenfassend lässt sich festhalten: Im Hinblick auf den Klimaschutz und die CO2-Reduktion sollte es für alle Baubeteiligten Ziel sein, bei der Planung und Realisierung von Fenstern, Türen und Fassaden aus Aluminium möglichst Systeme mit einem hohen Anteil an Post-Consumer-Schrott (End-of-Life-Aluminium) einzusetzen. Vor diesem Hintergrund stellt Wicona Planer:inen und Bauherr:innen dynamische EPDs zur Verfügung, mit denen sich verschiedenste Varianten gegenüberstellen lassen und so ein konkret auf das jeweilige Projekt zugeschnittener CO2-Fußabdruck berechnet werden kann. Zudem bietet das Aluminium-Systemhaus schon heute Lösungen mit 100 % End-of-Life-Aluminium Anteil an. Zukünftig gilt es, das Recycling von Fenstern und Fassaden, aufbauend auf dem bereits im Markt eingeführten Konzept „75/95“, ganzheitlich weiter zu denken. Das bedeutet die Einbeziehung von Verglasung, Beschlägen und Dichtungen in den Rücknahme- und Wiederaufbereitungsprozess. Auch hier gibt es bereits konkrete Kooperationen – zum Beispiel mit der Glasindustrie und Dichtungsherstellern. Das Ziel: die kreislauffähige Fassade als Ganzes.
Autor: Dipl.-Ing. (BA) Christian Fitz hat an der DHBW Mosbach „Metallbau“ studiert. Heute hat er sich als Produkt-Marketing-Manager D/A/CH bei Wicona vor allem auf das nachhaltige Bauen mit Aluminium spezialisiert.
Foto: Wicona