Liebe Leserinnen, liebe Leser,
laut Statistik lebt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten, wobei die Urbanisierungsrate in Deutschland sogar bei über 70 Prozent liegt. Zoomt man jedoch in die Regionen hinein, zeigt sich, dass die meisten Menschen nicht etwa in den Metropolen, sondern in naturnahen Kleinstädten und Gemeinden leben – Tendenz steigend. Denn durch hohe Mietpreise, exponentiell ansteigende Lebenshaltungskosten und eine zunehmende Reizüberflutung haben immer mehr Städter den Wunsch, aufs Land zu ziehen. Jene „progressiven Provinzler“ suchen jedoch keineswegs das einsame Haus auf der grünen Wiese, sondern vielmehr einen naturnahen Lebens- und Erholungsraum, der einen authentischen Kontakt mit anderen Menschen erlaubt. So entstehen insbesondere im ländlichen Raum Wohn- und Gemeinschaftsprojekte mit visionärem Charakter. Dies kommt durch eine im besten Sinne nachhaltige Architektur mit autarken Energiekonzepten und interaktiven Begegnungsräumen für ein soziales Miteinander zum Ausdruck. Das schafft Verbundenheit und vor allen Dingen: Identität.
Diese Aspekte spiegeln sich auch in den Architekturen und Kulturprojekten von Christoph Hesse wider, der diese Ausgabe als Heftpartner begleitet hat. Gemeinsam mit ihm haben wir den ländlichen Raum erkundet und sind dabei auf ganz unterschiedliche Zukunftsräume gestoßen, die wir Ihnen in vier Objektberichten präsentieren: Den Anfang macht das Sémaphore Cultural Center in Frankreich, das wichtige Blickbezüge im dörflichen Gefüge schafft und als zentraler Begegnungsort zu einem Spiegel der lokalen Identität wird (S. 26). Auch das Huys Center im belgischen Eeklo ist ein solcher Ort der Gemeinschaft: Das überregionale Zentrum besticht nicht nur aufgrund der nachhaltigen Architektur, sondern gleichsam durch ein vielfältiges Kulturangebot (S. 32). Einen Schritt weiter geht das Ensemble Wraxall Yard im englischen Dorset. Hier wurde ein alter Bauernhof behutsam restauriert und zu inklusiven Ferienunterkünften mit öffentlich nutzbarem Gemeinschaftsraum und pädagogischem Kleinbauernhof umgebaut (S. 38). Ein ebenso naturnaher wie spektakulärer Ort ist das Besucherzentrum am Edersee unweit der über hundert Jahre alten Sperrmauer, der ein breites Bildungs-, Kunst- und Kulturangebot bereithält (S. 44).
Diese Best-Practice-Beispiele zeigen eindrücklich, welch enormes Kreativ- und Innovationspotential die ruralen Räume schon heute bieten. Vielleicht nutzen ja auch Sie die Gelegenheit, die urbane Brille für einen Moment beiseite zu legen und einen Blick über den imaginären „Stadtrand“ zu werfen – es lohnt sich!
Viel Vergnügen beim Lesen wünscht Ihnen
Yoko Rödel