Neubau des Eingangs- und Ausstellungsgebäudes im LWL-Freilichtmuseum Detmold
Freilichtmuseen hängt der Ruch des Rückständigen an. Schafställe, Bockwindmühlen, Dreschtennen, hutzelige Wohn- und Wirtshäuser, sie alle stehen, um einen Anger gruppiert, für die gute alte Zeit. Dass ein Freilichtmuseum aber auch lebendiger Zukunftsort sein kann, zeigt das aktuell im Bau befindliche Eingangs- und Ausstellungshaus am Fuß des Freilichtmuseums in Detmold, dessen Ansatz auf dem Besten der guten alten Zeit basiert und dieses in die Jetztzeit transferiert. Von intensiver Forschung ebenso begleitet wie von der Politik, die Baukultur als Auftrag versteht.
9 m hoch, tragend: Stampflehmwand (weil kaum Biegezugfestigkeit gegeben mit Stahlbetonsturz über der Öffnung)
Foto: Benedikt Kraft
Wollte er den Mehraufwand beziffern, so würde Simon Waigand „mehrere hundert Stunden plus“ veranschlagen. Ja, Lehmbau sei anstrengend, „aber das Ergebnis dieser Anstrenung gibt uns recht!“, so der Architekt von ACMS Architekten, Wuppertal, die den nicht offenen Wettbewerb mit anschließendem Verhandlungsverfahren zum Bau des Eingangs- und Ausstellungsgebäudes Ende 2018 gewinnen konnten. Der Geschäftsführende Partner, mit dem wir einen Podcast zum Thema Lehmbau gemacht haben, steht dabei vor einer 9 m hohen Stampflehmwand, deren 60 cm Wanddicke der Knicklänge geschuldet ist, aber auch ihrer Aufgabe, ein ganzes Dach zu tragen.
Die Lehmwand ist mit weiteren tragenden Schotten aus Stampflehm vielleicht das zentrale Bauthema und eine Antwort (mit weiteren) auf den „Wunsch“ des Auslobers, des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe, LWL-Kulturabteilung, „nach Errichtung eines ökologisch beispielhaften Museums“ (Auslobungstext). Das Ökologische beschreibt der LWL in der Auslobung weiter: „In diesem Zusammenhang wurde der Begriff ‚Plus-Energie-Museum‘ in die Diskussion eingebracht. (...) Dem Gedanken der Nachhaltigkeit und des schonenden Umgangs mit natürlichen Ressourcen ist bei der Bearbeitung der Fragestellungen besondere Beachtung zu schenken. Diese Erwartung bezieht sich gleichermaßen auf das Bauwerk als solches als auch auf die späteren betriebsbedingten Ressourcenverbräuche.“ Ob sich ACMS darauf hin die Ausstellungsstücke, die historischen Bauten im Freilichtmuseum angeschaut haben, ist nicht überliefert; sie hätten dort aber Holz, Stroh sowie Lehm gefunden, zusammen mit Bruchstein die ältesten Baustoffe der Menschheit.
Nun sollte aber nicht auf Teufel komm raus eine Öko-Fanfare gespielt werden, die Architekten planten pragmatisch, setzten Holz und Lehm dort ein, wo es Sinn ergibt und der planerische, aber auch der pflegerische Aufwand in der Entwurfs- wie auch in der Nutzungsphase angemessen ist. Denn auch das kann man in der Ausschreibung lesen: „Zentrales Anliegen ist eine Minimierung der Folgekosten.“ Das meint den energetischen Betrieb ebenso wie notwendige Instandhaltungsarbeiten. So wurde seitens der Architekten der Lehmbau witterungsgeschützt geplant, die massiven Wände stehen innen.
Der Entwurf. Zwischen Dreschflegel und Bruegel
Holzbau im volumen- und zementklinkerreduzierten Stahlbetonbau
Foto: Benedikt Kraft
Die rund 90 ha große Anlage des in den 1960er-Jahren angelegten und immer weiter ausgebauten Freilichtmuseums liegt südlich von Detmold, oberhalb der Paderborner Straße. Bisher gelangte man auf das sich östlich erstreckende Gelände über einen Parkplatz parallel zur Paderborner Straße, fußwegig zum historischen „Krummen Haus“, in dem die Verwaltung untergebracht ist und das 2001 um einen Erweiterungsbau ergänzt wurde. Ein nahestehender Container war hier lange Zeit das Kassenhaus. Dieses Provisorium sollte beendet werden durch das nun in Auftrag gegebene Eingangs- und Ausstellungsgebäude.
In drei Volumen aufgeteilt, eine breite Freitreppe zwischen sich nehmend, stellen die Neubauten „Trittsteine“ (ACMS) dar, die den Zugang zur höher gelegene Ausstellungslandschaft spektakulär ermöglichen. Wesentliche Aufgabe des Museumsneubaus ist – zunächst einmal – die didaktische Vermittlung bauökologischer Zusammenhänge im historischen Kontext des Freilichtmuseums. Dabei sollen die Neubauten neben reinen Erschließungsaufgaben auch Ausstellungsbauten werden für die Präsentation einfacher wie auch sehr empfindlicher, meist textiler Ausstellungsstücke.
Im Rahmen einer Presseeinladung vor dem Richtfest Anfang Juli kursierte selbstbewusst das Bild vom Ausstellungsduo „Dreschflegel mit Bruegel“, also robuster Alltagsgegenstand und kulturelle Inkunabel: 900 m² Ausstellungsfläche – von rund 5 000 m² BGF – werden so geplant, dass auch empfindlichste internationale Kunst gezeigt werden kann. Das jedenfalls wünscht sich Museumsdirektorin Dr. Marie Luisa Allemeyer sehr selbstbewusst. Ob Bruegel und Co. tatsächlich einmal nach Detmold ausgeliehen werden, wird ein Raumklimamonitoring zeigen, das in den ersten Jahren des Gebrauchs auch die Leistungsfähigkeit des Lehmbaus prüfen wird, hier bewusst als Klimapuffer geplant.
Leuchttürme in jedweder Provinz
Blick auf die Unterkonstruktion der großen Freitreppe. Deutlich sichtbar der schützende Überbau der hier noch verhangenen Stampflehmwände
Foto: Benedikt Kraft
Das mit den „Leuchtturmprojekten“ ist immer so eine Sache, meistens werden sie von der Politik bestellt. Sie sollen dem Regionalen etwas Überregionales verleihen, also Aufmerksamkeit, Sichtbarkeit erzeugen im Konkurrieren um Zuschussgelder, um Zuzug, Wirtschaftskraft, Vitalität im Ganzen. Der LWL möchte daneben ganz selbstverständlich auch das Museum als „ein Leuchtturmprojekt des nachhaltigen Bauens“ realisieren, Möglichkeiten aufzeigen, „wie öffentliche Bauten diesem hohen Anspruch gerecht werden können“ (LWL). Dass hier die höchste Bewertungsstufe der DGNB mit Platin-Zertifikat angestrebt wird, erscheint logisch, ist Kritikern des Zertifizierungsgeschäfts allerdings eher ein Dorn im Auge.
Das letzte große Leuchtturmprojekt war kein Museum; die Elbphilharmonie in Hamburg hat es dennoch zum Wahrzeichen der Hansestadt gebracht. In Berlin ist ein Museumsprojekt – das Museum des 20. Jahrhunderts – schwer unter Beschuss geraten, weil die Architekten (Herzog & de Meuron) die Räume derart offen planten, dass eine Klimatisierung zur energetischen Überanstrengung geraten wäre; sie haben nachbessert; nun spricht die Bauherrin davon, dass das Haus „sozial und ökologisch deutlich nachhaltiger und teilhabegerechter“ geworden sei. Man hat also umgesteuert, was Dr. Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamts, mit „so kann das Museum zu einem Leuchtturm der Transformation zur Nachhaltigkeit werden“ kommentierte.
In Detmold – das Projekt ist ein paar Jahre jünger als das in Berlin – waren alle sofort dabei, „eine neue Generation eines CO2-neutral-bilanzierten Museumsbaus“ (ACMS) entwickeln zu wollen. Bauherrn und Planerinnen war bekannt, dass Museen schon von ihrer Funktion her ressourcen- und emissionsintensiv sind und dass die Erschließung energetischer Potenziale bei der Errichtung und dem Betrieb von Museen „bisher wenig im Fokus“ (ACMS) stehen: „Der Neubau in Detmold ist einer der ersten Museumsbauten mit einem ganzheitlich nachhaltigen Konzept“, so die Planer, eine grundsätzliche Feststellung, der wir in unserer Rubrik „Im Gespräch mit …“, hier auf S. 12f. einmal auf den Zahn fühlen.
Nachhaltigkeit der neuesten Generation. Forschungsprojekt
Bausteine des ganzheitlichen Konzepts sind dann:
– tragende Stampflehmwände
– leim- und stahlfrei verbundene Vollholzlamellenträger mit Spannweiten bis 13 m
– Entwicklung von neuen CO2-reduzierten Betonrezepturen
– Regenwassernutzung für WC und Kühlung
– passive Zulufttemperierung/adiabate Kühlung
– geothermisch gespeiste Bauteilaktivierung, Stromversorgung aus PV auf dem Dach
Das Neubauprojekt ist zentraler Untersuchungsgegenstand eines 2-stufigen Forschungsprojekts. Unter dem Titel „Ecosights – Nachhaltiges Museum Detmold“ wird hier untersucht, welche architektonischen und bauklimatischen Maßnahmen zum Bau und Betrieb nachhaltiger Museen zweckmäßig sind. Zudem wird es im Rahmen der Städtebau- und Kulturförderung sowie der Reginale 2022 unter dem Titel „UrbanLand“ gefördert
Vielleicht bleibt noch diejenige Frage offen, inwieweit Neubauten dieser Art tatsächlich zum Anschauungsobjekt künftigen Bauens werden können; denn noch wird intern darüber diskutiert, ob die materialsichtigen Lehmwände denn überhaupt mit einer zeitgenössischen Ausstellungspraxis zu vereinbaren sind. Denn die verlangt immer noch die weiße Wand.
Wo genau liegt noch einmal Detmold? Diese Frage wird in Zukunft etwas weniger gestellt werden.
Benedikt Kraft/DBZ