Potenziale unserer Zeit für Zukünftiges nutzen

Im Gespräch mit … Simon Waigand, Geschäftsführender Partner bei ACMS, Wuppertal

In Detmold wurde gerade der Richtkranz hochgezogen: Das Freilichtmuseum des LWL feierte einen zentralen Bauabschnitt seines neuen Empfangs- und Ausstellungsgebäudes. Ganzheitlich nachhaltig sei der Bau, die vielleicht größte tragende Lehmwand in Europa ist ein zentrales Bauteil, das paradigmatisch für eine ganz eigene Baugeschichte steht. Wir trafen uns mit dem Architekten Simon Waigand von ACMS mit Blick auf den Richtkranz. Er stellte sich unseren Fragen.

Simon Waigand
Foto: Benedikt Kraft
Simon Waigand
Foto: Benedikt Kraft
Lieber Simon Waigand, sind Sie nervös vor dem Richtspruch gleich?

Simon Waigand: Ja, schon, egal wie oft man das macht, es ist immer eine spannende Sache. Auch für den Bauherrn, markiert ein Richtfest doch einen wichtigen Punkt im Bauprozess, einen Meilen­stein im trubeligen Tagesgeschäft auf der Baustelle. Aber trotz aller Unvorhersehbarkeiten bin ich entspannt und freue mich!

Sind Sie oft hier, aus Wuppertal kommend?

Wir sind ein- bis zweimal die Woche hier, unser Partnerunternehmen, die Bauleitung, jeden Tag.

Detmold ist für mich ein bisschen Kindheit. Familienausflug zu Mühlen und Ställen und offenen Schmieden … Wie sieht das bei Ihnen aus?

Ich war auch schon mal als Kind hier, ist lange her. Thematisch haben wir uns als Büro mit Museumsbauten vor diesem Projekt nicht befasst. Aber das Essentielle der Freilichtmuseen, das Thema Alltagskultur, ist Teil unser aller Baukultur und darum ist es exakt das, was uns jeden Tag in allen anderen Projekten auch begegnet. Baukultur ist tagtäglicher Diskurs und planerisches Handwerk, würde ich sagen.

Freilichtmuseen haben für mich immer etwas von Stillstand, träumerischer Patina. Diese Kunstwelten sind am ehesten etwas für Kinderfantasien, denke ich. Wie hat ACMS es geschafft, das Althergebrachte in die Zukunft zu führen − abgesehen vom Materialthema vielleicht?

Der Neubau bietet dem Museum erstmals einen Raum, um didaktisch zu arbeiten. Das war bisher nur in dem historischen Bestand möglich, räumlich sehr beengt. Aber ich sehe das gar nicht so kritisch mit dem Stillstehen. Freilichtmuseen sind doch attraktive Orte, vor allen Dingen für Familien. Hier ist Didaktik und Freizeit fantasievoll miteinander verbunden, wie Sie sagen, also das Lehrreiche mit dem Angenehmen, mit dem Schönen. Der Neubau schafft Möglichkeiten, gänzlich neue Ausstellungsthematiken in Szene setzen zu können. Und ganz sicher wird dieser additive Baustein, wie ich den Neubau auch sehe, ein starker Attraktor für das gesamte Museum.

War das der Kern der Wettbewerbsauslobung: Attraktion? Ich glaubte, die Besucherzahlen passen hier.

Explizit war das nicht gefordert, wie auch! Aber klar, dieses Ausstellungsgebäude sollte nicht bloß ein konventionelles Ausstellungsgebäude sein, sondern vor allen Dingen ein Ort für die gesamte Region, ein überregionaler, kultureller Hotspot. Die Ausstellungsfläche macht gerade mal 50 % der Gesamtnutzungsszenarien des Gebäudes aus. Insofern glaube ich, dass die Herausforderung vor allen Dingen darin bestand, einen Ort zu schaffen, der die verschiedenen Nutzungsbedarfe mit­einander verbindet, eine neue Adresse bildet und Empfang ist für das eigentliche Freilichtmuseum. Diese doch sehr divergierenden Aufgaben in eine Architektur zu binden, das war die ganz besondere Herausforderung.

Ein wesentlicher Aspekt neben den vielfältigen Anforderungen an die Leistungsfähigkeit des Neubaus war wohl auch das „ganzheitlich Nachhaltige“, das man, so erscheint es mir, in den ausgestellten Bauten aus vorvergangenen Zeiten zu finden glaubt. Wie haben Sie das gemacht, das ganzheitlich Nachhaltige in Ihrem Neubauentwurf? Wie wird das gespielt?

Was bei Museumsbauten generell im Vordergrund steht, sind die hohen Betriebsbedarfe, die Betriebsenergieflüsse, die Emissionen etc. Ganzheitlich nachhaltig heißt, dass wir das Thema graue Energie schon in der Herstellungsphase auf dem Radar hatten, auch eine mögliche Nachnutzungsphase. Das Besondere hier ist, dass wir aus den Bautraditionen, die hier schon seit über 500 Jahren praktiziert und jetzt als Ausstellungsobjekte anschaulich sind, viele Anregungen für unsere Arbeit hatten. Sei es in Bezug auf die Materialwahl, die der Rohstoffe, sei es die Fügetechnik, die Aufbereitung der Baustoffe insgesamt. Es gibt zahlreiche Ansätze, die in den letzten 500 Jahren eine Selbstverständlichkeit hatten und die seit der Industrialisierung verwässert, verschoben wurden, aber auf die wir uns jetzt so langsam wieder zurückbesinnen. Tatsächlich liegt ein großes Potenzial schon darin, das, was damals für sinnvoll erachtet wurde, mit heutigen Anforderungen zu verknüpfen. Und natürlich gibt es Potenziale unserer Zeit, die wir für Zukünftiges nutzen können.

Das klingt mir jetzt ein wenig zu allgemein. Machen Sie Ihre Rhethorik doch bitte einmal an einem Beispiel deutlich, vielleicht gar an zweien!

Ich könnte jetzt konkret den Holzbau nennen, dessen Bauteile sich längst zu hochleistungsfähigen Industrieprodukten entwickelt haben. Mithilfe von Technik und Forschung haben wir aber auch die biotischen Grenzen des Rohmaterials überschritten, die für den traditionellen, sehr handwerklich geprägten Holzbau immer galten. Moderne Anforderungen an Gebäude verlangen immer größere Dimensionierungen. Vollholz ist längst ­zertifizierten Hybridholzwerkstoffen gewichen, Furnierschichtholz besteht ja kaum noch aus Holz! So fragen wir uns also, was habe ich eigentlich für ein Produkt? Und wie gehe ich mit ihm nach seinem Lebenszyklus um, also in der Entsorgungsphase?

Die traditionellen Verbindungskonstruktionen, die wir aus dem Fachwerk-, dem Zimmermannsbau kennen, sind von monomateriellen Fügetechniken bestimmt, die aufgrund ihrer Komplexität einen hohen Aufwand in der Herstellung hatten. Was zur Sortenreinheit und Trennbarkeit führte. Heute können wir das Handwerkliche mittels CNC-Fräsen nachbilden, wir sind damit wesentlich zeit- und damit kostenoptimierter. Aber wie schon gesagt: Wir wollen heute mehr als ein sparsames Fachwerk, die Spannweiten sind andere, die Querschnitte müssen angemessen angepasst werden.

Mussten Sie lange nach einem CNC-Fräser suchen? Die hat doch heute jedes größere Holzbauunternehmen, inklusive IFC-Konnektivität.

Der Holzbau ist einer der großen Gewinner, was das Thema digitale Fertigungsprozesse angeht. Aber die Maschine ist auch nicht das Problem. Unser Können, die Anforderung an uns ist doch, dass wir Planer zum einen das Fertigungsknow-how brauchen, auf der anderen Seite aber auch das konzeptionelle, das planungstechnische und das tragkonstruktive Wissen dahinter. Und natürlich das Thema der Genehmigungsfähigkeit, beziehungsweise der Verwendbarkeit solcher Konstruktionen. Und da kann ich sagen, hinkt die Normung den Potenzialen noch hinterher.

Sie haben gerade davon gesprochen, dass man weniger Chemie – Stichwort Kleber – ins Holz bringen möchte. Aber das, was Sie hier verbauen, ist doch größtenteils auch geklebt, oder?

Teils. Signifikante Teile der Tragkonstruktion sind vollkommen leimfrei hergestellt als verzahnte ­Balkenkonstruktionlamellen, die nur über Holzschrauben in der Lage gesichert werden und erst im statischen System ihren Verbund erzeugen, also einen homogenen Lastfluss über den gesamten Querschnitt des Trägers erzeugen.

Kommt das Holz aus dem Wald, auf den wir von hieraus schauen?

Nein, aber hier aus der Region. Bei öffentlichen Auftraggebern sind wir an Ausschreibungsregularien gebunden und gerade in dieser Größenordnung sind europaweite Ausschreibungsverfahren verpflichtend. Einschränkungen, was Regionalität ja wäre, ist häufig nicht vergabekonform. Wir haben aber das große Glück, ansonsten vor allen Dingen regional ansässige Firmen gefunden zu haben, die ein großes Interesse haben, gemeinsam dieses Projekt zu realisieren.

Jetzt haben wir lange über das Holz gesprochen. Aber ich habe das Gefühl, dass der Stampflehm der eigentliche Star ist: „Europas größte tragende Stampflehmwand“ liest man allerorten.

Ja, durchaus ein Aushängeschild. Ich weiß tatsächlich gar nicht, ob dieser Superlativ stimmt. Es gibt zahlreiche andere Projekte, die in einer ähnlichen Art und Weise Stampflehm verarbeiten. Wichtig war uns eine Annäherung an den Materialkanon, den wir in den historischen Fachwerkbauten finden, Holz, Lehm, Stroh. Nun setzten wir ein Material in einem anderen Kontext und einer anderen Dimension ein. Dass Lehm auch als tragender Baustoff funktioniert, sehen wir in Deutschland vor allen Dingen in den Nachkriegsjahren, in den Jahren der Rohstoffknappheit, aber natürlich auch sehr weit zurückliegend in der Geschichte. Also keine neue Erfindung! Wir wissen auch, dass Lehm als Abfall beim Bodenaushub entsorgt wird und nicht als hervorragender Rohstoff behandelt wird. Das müssen wir ändern. Denn auch das ist bekannt, dass Lehm als Baustoff grundsätzlich die Qualitäten aufweist, um als Baustein in einem Gesamtkonzept zu funktionieren; als natürliches und ökologisch hervorragendes Material. Lehm ist sicherlich nicht der Baustoff, der das nachhaltige Bauen alleine ausschöpft. Er funktioniert als ein Baustein zusammen mit Holz und anderen Baumaterialien. Wir haben den Lehm als tragenden Baustoff geplant und eingesetzt, auch, um zeigen zu können, was in traditionellen Baustoffen für Leistungspotenziale schlummern. Wie die Idee für die Wand im Büro tatsächlich entstanden ist, kann ich rückblickend gar nicht mehr sagen.

Die Stampflehmwand, das Stück Archaik in modernem Kontext, war gar nicht vom Bauherrn gewünscht, die kam von ACMS?

Der Bauherr hat das sehr offengehalten. Klar war aber, dass ein hoher Anspruch an nachhaltiges Bauen besteht, natürlich auch im typologischen, konzeptionellen Zusammenhang mit dem historischen Gebäudebestand hier im Freilichtmuseum. Aber ich möchte auch noch einmal sagen, dass mit dem Material Lehm und seinen besonderen Eigenschaften nur ein Baustein genannt ist, der parallel von mehreren weiteren Aspekten begleitet wird.

Tatsächlich machen wir gleich noch einen Podcast, der ist auf das Thema des Lehmbaus fokussiert. Kommen wir doch einmal zum Neubauprojekt selbst. Beschreiben Sie uns doch den Entwurf in aller Kürze!

Typologisch betrachtet ist das Projekt für uns Neuland. Konzeptionell haben wir uns der Bauaufgabe sehr stark über den Ort, an dem er steht, angenähert, insbesondere auch der umgebenden Natur.

Steil ansteigende Topografie über einer belebten Bundesstraße …

Genau. Uns ging es vor allen Dingen darum, eine Architektur vorzuschlagen, die das Landschaftliche in den Vordergrund stellt. Also sich nicht als prominente und dominante, als repräsentative Eingangsarchitektur präsentiert, sondern eigentlich eher als eine Art kleingliedrige Struktur aus mehreren Baukörpern, die wie Trittsteine ins raue Gelände geschoben sind. Die sollen eine Art metaphorischer Übergang sein von hier aus ins his-torische Freilichtmuseum.

Zentraler Baustein ist die große Treppe?

Das Freilichtmuseum, das man ja gar nicht sieht hinter den Bäumen …

... ist auch ein paar hundert Meter entfernt!

… erschließen wir über die große Freitreppenanlage, die ganz bewusst verschiedene Wegebeziehungen aufgreift. Wir haben hier das Thema der diffusen Wegeverbindung dargestellt; schon in der Dimen­sion ein Signal, ein architektonisches Element, das aber bewusst nicht als hierarchisierende Achse ausgebildet wird, sondern als spielerisches Element. Der Weg kann direkt zum Ziel führen oder man zweigt ab, verweilt, sucht und findet. Hoffentlich!

Worauf sind Sie persönlich am meisten stolz? Was ist Ihnen hier gelungen?

Wir haben heute Richtfest und also noch ein gutes Stück Weg vor uns. Was gut gelungen ist, ist das ganzheitliche Konzept des Projekts. Also von dem architektonischen Ansatz, der Ausbildung der Baukörper, ihrer Setzung am Hang, in den Hang hinein, die Reaktion auf die Landschaft, dann aber auch die, wie ich finde, schlüssige konzeptionelle Umsetzung. Also die sichtbare und vielleicht sogar spürbare Verbindung des Materialkanons mit dem Ort, mit dem historischen Gebäudebestand, den wir hier haben. Dass wir das alles in einen Bau, in das Ensemble wie seine Teile, übersetzen konnten, dass wir das tatsächlich auch realisieren konnten und wir heute schon sagen können, dass man wirklich von einem ganzheitlichen Konzept sprechen kann, das macht mich stolz.

Die letzte Frage. Was nimmt ACMS aus diesem Projekt für weitere mit?

ACMS beschäftigt sich sehr intensiv mit dem Thema des nachhaltigen Bauens. Und es ist natürlich immer wieder eine Freude, wenn wir auf Bauherrn wie hier in Detmold treffen, die man nicht mit Engelszungen davon überzeugen muss, dass nachhaltiges Bauen zeitgemäßes Bauen ist. Insofern hatten wir hier sozusagen das Glück, auch einmal neue Wege, durchaus auch unkonventionelle Wege ausprobieren zu dürfen. Zusammen mit dem mutigen Bauherrn, der diese Wege mehr oder mindern klaglos mitgegangen ist, haben wir hier etwas erreicht, aus dem wir die Motivation ziehen, auch künftige Bauherrn davon zu überzeugen, dass derartig unkonventionelle Lösungen zu absoluter Qualität führen können. Begleitet wurde dies von einem Förderprojekt der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, über das die Ergebnisse der Untersuchungen der Fachwelt zugänglich gemacht werden. Wir haben hier viel gelernt!

Mit Simon Waigand von ACMS unterhielt sich DBZ-Redakteur Benedikt Kraft auf der Baustelle zum neuen Empfangs- und Ausstellungsbäude des Freilichtmuseums Detmold am 3. Juli 2024. Im Anschluss führten sie noch ein „DBZ, der Podcast“-Gespräch, aktuell schon auf DBZ.de veröffentlicht.

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