Ohne Reste nicht zu machen? Sweet Chestnut Cabin
Foto: Benedikt Kraft / DBZ
Kein Fehler, aber wie in so vielen Fällen muss man das Ganze anschauen und vor allem: auf die Effekte des Tuns. Und dabei hilft es im Konkreten, wenn man per Zufall mit dem nachhaltig bewegten, effektiv nicht nachhaltig produzierten Mountainbike im Pfälzer Wald an einem Holzbau vorbeiradelt, der irgendwie bekannt und zugleich irritierend anders ist. Anhalten, anschauen und verstehen: Das hier ist nicht die traditionelle Holzhütte, von denen Tausende in deutschen Forsten Schutz vor dem Wetter und heimelige Gemütlichkeit bieten (und Kindheitserinnerungen an zu lange Wanderungen und müde Beine), das ist ein … ein Robeller!? Mit Prof. Christopher Robeller traf ich mich vor exakt drei Jahren am Holz-Forschungscampus des FB Architektur der TU Kaiserslautern in Frankenstein an einem Holzpavillon. Wir trafen uns also in der Pfalz.
Die Wandererhütte aus Kastanienholz ist Teil der touristischen Infrastruktur Pfälzerwald
Foto: Benedikt Kraft / DBZ
Da blutet einem schon das Herz!
Hier unterhielt ich mich mit ihm über seine Forschung zum Thema Ressourcenverbrauchsoptimierung durch die Verwendung von „Abfällen“; konkret von Resten, die in Unmengen bei der Produktion von Brettsperrholzhäusern – also von Wänden und Decken – entstehen. Das Sägen/Fräsen/Bohren von Aussparungen in den Flächen stellt bis zu 25 % des Materials dar, ein Großteil davon wandert direkt in den Hacker: „Die werden im besten Fall energetisch verwertet, was, mit Blick auf die sehr hochwertigen Platten, echtes Downcycling ist. Da blutet einem schon das Herz!“, so Christopher Robeller (DBZ 11, 2019). Bis heute werden diese Abschnitte als zu kurz erachtet, weil man aus ihnen keine biege- oder zugbelastete Decke oder Wand machen kann. Oder „konnte“, denn der Professor, der mittlerweile in Augsburg lehrt, hatte mit seinem Team eine Software entwickelt, mit deren Hilfe auch sehr kurze Elemente – typische Produktionsreste – durch kraftschlüssige Verbindungen durchlaufende Tragfähigkeiten erhalten. Dabei sind die Schnittstellen u. a. traditionelle Schwalbenschwanzverbindungen.
Schöne Hütte mit CAD-/CNC-Hintergrund
Foto: Benedikt Kraft / DBZ
Nun wäre das Herstellen solcher (dann auch zahlreicher) Verbindungen nicht eben günstig (Handarbeit) und auch nicht von jedem Holzbauer umzusetzen. Die Lösung: Computational Design and Fabrication. Heißt: Nicht bloß die für die Konstruktion ermittelten Einzelteile und ihre korrekte Fügung werden über das Programm ermittelt, es liefert auch für den direkt anschließenden Produktionslauf die Daten, die den Fräsen sagen, wo und wie geformt und in welcher Dimension. Der Rest ist Zusammenstecken nach Bauplan.
Man liest: effizienter! Der Bund fördert hier
„Material ist teuer, Geometrie ist billig“, so liest man auf Christopher Robellers Webseite von der Voraussetzung all seiner Forschung (bisher). Und er führt weiter aus: „Beim Hochbau waren strukturell effiziente Formen traditionell teuer, zeitaufwendig und arbeitsintensiv in ihrer Gestaltung und Konstruktion. Digitale Technologien wie algorithmische Designprozesse und Roboterfertigung bieten jedoch ein großes Potenzial, um die Vorteile intelligenter Geometrie in Gebäuden besser zu nutzen, um Material, Gewicht und Kosten zu sparen. Die integrale Befestigung, das Verbinden von Teilen durch Form statt zusätzlicher Befestigungselemente, ist die älteste bekannte Verbindungstechnik. Im Holzbau, der gerade eine architektonische Renaissance erlebt, hat die integrale Verbindung eine lange Geschichte.“ In dem noch bis Mitte 2023 vom Bund geförderten BMEL FNR-Forschungsprojekt „Entwicklung einer Schnittstelle zur automatisierten, statischen Berechnung neuartiger, digital vorgefertigter Holzkonstruktionen mit Holz-Holz-Verbindungen“ wird an der Entwicklung einer Software zur automatischen Generierung und Umwandlung von Architektur- und Strukturdaten aus Holzkonstruktionen in vorhersagbare statische Systeme und Fertigungsdaten gearbeitet. Mit Hilfe geplanter Schnittstellen soll es möglich sein, Holzkonstruktionen und Holz-Holz-Verbindungen effizienter zu planen, zu berechnen und mit Hilfe digitaler Fertigungsmethoden wie CNC-Fräsen, Robotern sowie Abbund automatisiert zu fertigen. Man liest: effizienter! Der Bund fördert, hier geht es also zunächst um Effizienz.
Traditonelles Fügen mit digitaler Technik
Foto: Benedikt Kraft / DBZ
Zurück zur Schutzhütte im Pfälzerwald. Sie ist eine Art „Abfallprodukt“ aus der Forschung Christopher Robellers, damals Lehrstuhl digital timber construction (DTC) der TU Kaiserslautern, und hat mit massenhaftem Hochbau, wie ihn sich Christopher Robeller perspektivisch wünscht, nichts zu tun. Für das Sweet Chestnut Cabin wurde Vollholz aus der Esskastanie verwendet, ein Material, das erstens ein hervorragendes „Draußenholz“ und zudem rund um den Bauplatz in Hülle und Fülle vorhanden ist. Zeitgleich zur Planung der Sweet Chestnut Cabin entwickelten 76 Student:innen der Architektur an der TU Kaiserslautern unter dem Titel „Forest Cabin“ Ideen für zeitgenössische Schutzbauten. Die sollten in elf Projektteams (= 11 Projekten) als Wetterschutz, Rastplatz, Infopunkt und als eigenständiges Ausflugsziel im Biosphärenreservat Pfälzerwald geplant werden. Dabei mussten heimisches Holz und andere Naturmaterialien zum Einsatz kommen. Die Student:innen entwickelten ihre Vorschläge für sechs exemplarische Standorte (alle auf der Webseite des Haus der Nachhaltigkeit hdn zu finden).
Initiiert und fachlich begleitet wurde das studentische Projekt von den Landesforsten Rheinland-Pfalz, vertreten durch das Haus der Nachhaltigkeit, und vom Holzbaucluster Rheinland-Pfalz. Es diente zum einen der Umsetzung von Forschungsinhalten, zum anderen auch dazu, der auch Tourismusregion seienden Waldlandschaft Pfälzerwald einen frischen Anstrich zu geben. Und wirklich ist der Wald – dessen touristische Aufwertung seine Vermarkter mit dem Projekttitel „Willkommenskultur Wald“ umschreiben – mit seinem weitverzweigten (Rad)Wanderwegenetz, mit in die Jahre gekommenden Ruhebänken, Lehrpfaden, Hinweistafeln und einer Vielzahl an Wetterschutzhütten nicht mehr auf dem Stand. Diese sind häufig in einem sogar eher schlechten baulichen Zustand; vielen droht „aus Gründen mangelnder Verkehrssicherheit“ der Abriss, so die Landesforsten. Dass diese Hütten wieder- oder weiterverwertbar sind, scheint hier – eigenartigerweise – gar kein Thema zu sein. Wie auch die Mischung aus digitaler Welt und handwerklicher Tradition an der konkreten Aufgabe vorbeizielt, mit dem Bestehenden zu arbeiten und nicht zuerst mit dem regionalen Baustoff Kastanienholz, der massenhaft vorhanden und ein guter CO₂-Absorber ist.
Schwachpunkt der Konstruktion
Die kleine Schutzhütte besticht duch ihre der Konstruktion folgende einfache Form, durch die Sichtbarkeit der Fügungen, die Deckung mit Holzschindeln und der Selbstverständlichkeit, mit der sie den einem einfachen Haus nachempfundenen Bestandshütten zur Seite steht. Das Segment eines kieloben ruhenden Schiffsrumpfs knüpft allerdings an keine formale, architektonische Tradition der Region an, und so überrascht das Häuschen vielleicht aus diesem Grund, macht neugierig, lockt zum Nachschauen und Entdecken. Dass das mittlere Dachsegment in seiner Längsrichtung mit einer Folie ausgerüstet wurde, offenbart einen kleinen Schwachpunkt der Konstruktion: Die zu geringe Neigung in diesem schmalen Bereich – die eben nicht den Kamm eines Bootskiels nachformt – hat offenbar Undichtigkeiten zugelassen, die über die Folie verringert werden … Bauschaden vorprogrammiert?!
Zutritt auf eigene Gefahr!
Nicht nur bei diesem, eigentlich bei allen vergleichbaren Forschungen kann man festhalten, dass sie es sind, die die Fertigung von Produkten (eine aus Kastanienholz gebaute Hütte ist ein Produkt) auch zukünftig möglich machen. Materialeffizienz, wie sie die Natur vormacht, ist hier erreicht. Was die Natur allerdings besser kann: Die Effekte des Materialeinsatzes ausgleichend in der Waage halten. Denn natürlich brauchen auch die materialeffizientest geplanten und realisierten Bauten wenigstens Energie, meistens Raum (Fläche), immer kostbare Zeit, die dort fehlt, wo über Effekte nachgedacht wird. Holzhütten so bauen, dass sie Jahrzehnte halten, ist möglich, insbesondere dann, wenn man sie pflegt. Abriss von bestehenden Holzhütten aus „mangelnder Verkehrssicherheit“ sollte ohnehin nicht erlaubt sein; sie verfallen am Ende und werden Teil des Humus. Bis dahin: Zutritt auf eigene Gefahr! Im kleinen Bauen das große Bauen mitdenken, Forschung nicht nur technisch/prozesshaft/reaktiv begreifen, sondern als Möglichkeit, Erkenntnis zu gewinnen. So, wie es hier im Pfälzerwald aussieht, brauchen wir „Abfälle“, um solch schöne Hütten fertigen zu können! Reduktion in allen Bereichen (außer dem Denken) hat den größten Effekt auf die Evolutionsgeschichte unserer Erde, in der der Mensch gerade sein letztes Kapitel zuende zu schreiben scheint. Effekte brauchen wir, keine Effizienz im Holz- oder Beton- oder Strohhüttenbau! Be. K.