Pergamon, die Zweite

Am 6. März 2025 begann der zweite Bauabschnitt zur Grundinstandsetzung des Pergamonmuseums. Geplant ist in diesem Bauabschnitt die Realisierung von Oswald Mathias Ungers Vision. Nach neuem Zeitplan verlief die Übergabe der Bauabschnitte pünktlich ­– mit vier Jahren Verspätung. Über den Einhalt der Kosten sei man zuversichtlich. „Zeit ist ein Relativum“, wie auch Jan Kleihues am Ende seiner Rede anmerkt.

Es hat etwas rührend Menschliches, wenn vor dem babylonischen Ishtar-Tor eine Handvoll kleiner, symbolträchtiger Gegenstände in einen verchromten Zylinder gelegt werden. Noch rührender stellt man sich die Reaktion unserer Nachfahren vor, wenn sie die Zeitkapsel öffnen und die gedruckten Baupläne und die Tageszeitung vorfinden. Anlass für diese Aufführung war der Beginn des zweiten Bauabschnitts zur Gesamtfertigstellung des Pergamonmuseums auf der Museums­insel in Berlin am 6. März dieses Jahres. Somit ist nach dem Nordflügel nun auch der Südflügel – bekannt unter anderem durch die blau glasierte Prozessionsstraße und den Miletsaal – offiziell mit der Sanierung dran. Er wurde im Oktober 2023 geschlossen und wird erst 2037 wieder der Öffentlichkeit zugänglich sein – wenn alles nach jetzigem Plan laufen sollte. Gute Neuigkeiten gibt es für den Nordflügel: Dieser wird bereits im Frühjahr 2027 wieder zugänglich sein. Und auch die Islamische Kunstsammlung, die bisher im Südflügel untergebracht war, wird vorzeitig und bis auf Weiteres dorthin umziehen. Anders die Vorder­asiatische und die Antike Sammlung: Für mehr als zehn Jahre werden die Großarchitekturen, aber auch die anderen Exponate, nicht zu sehen sein. Vielleicht ein guter Zeitpunkt, darüber nachzudenken, diese Schätze doch ihren rechtmäßigen Eigentümerinnen, darunter die Türkei und Irak, um nur einige zu nennen, zurückzugeben? Das würde Zeit sparen und auch kulturell auf Höhe des Zeitgeistes sein, denn an die Einhaltung des Zeitplans scheint niemand mehr zu glauben – so jedenfalls könnte man die verhaltene Stimmung auf der Pressekonferenz interpretieren. Oder ist es die große Zuversicht?

Das von Alfred Messel entworfene Gebäude, das heute zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört, stand von Beginn an auf unsicherem Baugrund. Kaum zehn Jahre nach der Eröffnung des für seine importierten Exponate maßgeschneiderten Museums im Jahr 1930 erfolgten die ersten Schäden durch Bombenangriffe. Auch wenn nach dem Krieg einiges repariert wurde, sind die Schäden vor allem an den Fundamenten und an der Gründung immer noch beträchtlich. Schuld daran seien aber auch der schwierige Baugrund sowie die Belastungen aus dem Neu- und Umbau der benachbarten Gebäude. Deshalb soll jetzt, oder vielmehr bereits seit mehr als 20 Jahren, erstmalig eine aufwändige und komplexe Grundinstandsetzung erfolgen, die in diesem Umfang bisher im laufenden Betrieb nicht durchgeführt werden konnte. Das Gebäude müsse zudem „zukunftsfähig“ gemacht werden, waren sich Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) und Petra Wesseler, Präsidentin des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung (BBR), einig. Und da die Zukunft nicht auf sich warten lässt, musste der Begriff der „Zukunftsfähigkeit“ mit jeder Projektverzögerung neu definiert werden. Zu diesen „hohen Zielen“ (Wesseler) gehören ein überarbeiteter Brandschutz, eine durchdachte Barrierefreiheit, ein nachhaltiges Energiekonzept und eine ganzheitliche Erneuerung der Gebäudetechnik.

Zu den jedoch aufwändigsten Maßnahmen zählen die Sicherung der Kolkbrücke, welche die Last des Südflügels aufnimmt und über den darunterliegenden Kolkgraben spannt, sowie die Ergänzung eines vierten Flügels. Letzterer war bereits von Messel angedacht und wird nach Plänen von Oswald Mathias Ungers als Verbindungsbau zwischen Nord- und Südflügel gestaltet. Auch ein neues Eingangsgebäude, das „Tempietto“, sowie eine unterirdische „Archäologische Promenade“, die alle Kulturbauten der Museumsinsel miteinander verbinden wird, ist geplant. Für deren Umsetzung wurde nach Ungers Tod das Büro Kleihues + Kleihues beauftragt, „den 1 : 200 Entwurf des 2007 von Ungers gewonnen Wettbewerb in 1 : 1 zu übersetzen“ (Jan Kleihues). Für den Architekten ist das Entwerfen „ein dialektischer Prozess, der eine Auseinandersetzung mit dem Exis­tierenden erfordert“ und immer auch „inklusiv und komplementär“ sein muss. So würde Ungers Entwurf für das Pergamonmuseum nicht verändert, sondern die „Wiederherstellung der Seele dieses Ortes“ in den Fokus gesetzt. Die Komplexität des Projekts ergebe sich daraus, so Kleihues, dass es keine vorgefertigten Lösungen gebe.

Dass es sich bei der Sanierung eines solchen Projekts um kein einfaches Unterfangen handele, wurde immer wieder betont. Damit wurde versucht, die Zweifel in allen Köpfen vorwegzunehmen und der Frage entgegenzutreten: Warum muss das alles so lange dauern? Gäbe es nicht auch andere Möglichkeiten, z. B. den Verzicht auf einzelne Vorhaben? Und – so die Erfahrung mit Berliner Projekten – länger wird es sicher dauern. Und teurer wird es sowieso. Die SPK und das BBR versuchen, darauf eine Antwort zu geben: Die lange Projektlaufzeit sei den außergewöhnlichen Rahmenbedingungen geschuldet, denn während der Bauarbeiten müssen die Großarchitekturen, die baulich mit den Ausstellungsräumen verbunden sind, im Haus verbleiben. Dieser Vorgang mahnt zu besonderer Vorsicht. Aber auch die bisher nur punktuell möglichen Untersuchungen am Bestand machen eine vollständige Schließung des Gebäudes notwendig: Erst dann sind ergänzende Untersuchungen an der inhomogenen Bausubstanz möglich. Nach den Erfahrungen des ersten Bauabschnitts wird auch im zweiten mit Bestandsabweichungen gerechnet, die Umplanungen und Änderungen erforderlich machen.

Spektakulär und gleichzeitig unsichtbar ist die bereits erwähnte Instandsetzung der Kolkbrücke. Wo andere Stellen im Gebäude auf Flachfundamenten gründen, bei denen die Laständerungen leichter zu prognostizieren und die Ertüchtigungsmaßnahmen einfacher durchzuführen sind, stellt der Kolkgraben mit der Kolkbrücke einen komplexen Fall dar. Dieser wird in einem aufwändigen Prozess verfüllt, die Widerlager verstärkt. Die baulichen Ergänzungen des Projekts und deren Lasten werden über Unterzüge im Kellergeschoss von der Kolkbrücke abgeleitet und auf die dahinterliegenden Achsen auf Fundamentplatten gegründet. All diese Maßnahmen nehmen sicher viel Zeit in Anspruch – dabei sei auch das Monitoring und die Pflege der Exponate nicht zu vergessen. Die „planmäßige“ Fertigstellung steht dabei von Anfang an in Frage: Bereits zum zweiten Mal wurde der Termin für die Übergabe der Bauabschnitte um zwei weitere Jahre verlängert. Und ob das Pergamonmuseum wirklich die Strahlkraft haben wird, die es sich heute wünscht, steht wie das Gebäude selbst – angesichts der wirtschaftlichen Lage – nicht auf sicherem Boden. Allein der Bauabschnitt B ist mit 722 Mio. € budgetiert.

Die Zeitkapsel wurde übrigens noch nicht sofort in die Erde gelegt, dazu müsse noch die notwendige Grube mitten im Forum freigemacht werden. Auch diesen Aspekt der Verzögerung transportiert sie somit in die Zukunft.

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