Pergolenviertel Baufeld 3B, Hamburg
Als die Planungen für das Pergolenviertel unweit des Hamburger Stadtparks begannen, war noch keine Rede von Kostenexplosion, Pandemie und multiplen Krisen. In der Stadtplanung wurden hingegen Themen wie soziale Durchmischung, hybride Nutzungen und verkehrsberuhigte Quartiere diskutiert. kbnk Architekten aus Hamburg setzten den Masterplan von e2a Architekten aus Zürich auf dem Baufeld 3B um – und schufen damit ein Vorzeigeprojekt für das citynahe Wohnen im Grünen mit sozialer Ausrichtung.
Im Herzen der Großstadt bestimmen Menschenströme, Autos und Leuchtreklame das Bild. Doch etwas abseits des Zentrums gibt es oft auch diese anderen Orte, an denen sich, obgleich nur wenige hundert Meter vom pulsierenden Zentrum gelegen, des Nachts Fuchs, Hase und Laubenpieper eine gute Nacht wünschen. Dort, wo die Stadtplanung das Planen vergessen hat.
Die geschosshohen Torbögen verküpfen das Gebäude mit den Pergolenwegen im Umfeld und dienen der Durchwegung des Quartiers für Fußgänger und Radfahrer
Foto: Piet Niemann
Zwischen der City Nord und dem historischen Viertel Alte Wöhr, unweit des Stadtparks, befand sich lange Zeit so ein Areal. Bebauungspläne aus dem frühen 20. Jahrhundert scheiterten an der Uneinigkeit der Beteiligten, die Kriege schufen dann eine steigende Nachfrage an Selbstversorgungsflächen. Kleingärten entstanden, die den zaghaften Versuchen in den 1970ern, hier eine Autobahn und Sportflächen zu realisieren, trotzten. Erst mit der Wiedervereinigung und dem steigenden Bedarf an Wohnraum besannen sich die Planer auf das nun vollständig parzellierte und begrünte Gelände. Doch es sollte noch bis 2010 dauern, ehe das grundsätzliche „hier könnte man Wohnraum schaffen“ einem beherzten „hier werden wir Wohnraum schaffen“ wich.
Vorbild Jarresstadt: Äußerlich
einer klassischen Blockrandbebauung nachempfunden, konzentriert sich
das Gemeinschaftsleben auf den
begrünten Innenhof
Foto: Piet Niemann
„Das Entwicklungsverfahren für das Hebebrandquartier, wie es damals noch hieß, war einer der seltenen Fälle, bei dem alle Beteiligten alles richtig machen wollten – und sich dafür sehr viel Zeit nahmen und sehr viel Energie investierten“, sagt Stefan Darius, Projektarchitekt von kbnk Architekten aus Hamburg, die 2015 den Zuschlag für das Baufeld 3B gemeinsam mit dem Bauherrn Richard Ditting GmbH & Co. KG, Lehmann Immobilien und der Daniel Lawaetz Stiftung gewannen. „Es war das Herzensprojekt von Hans-Peter Boltres, dem damaligen Fachamtsleiter Stadt und Landschaftsplanung. Er setzte sich sehr für eine qualitätvolle Umsetzung des Masterplans von e2a Architekten aus Zürich ein. Davon haben wir, aber auch alle anderen Architekten auf den insgesamt neun Baufeldern profitiert. Es gab nur wenige Kompromisse zugunsten kosteneffizienterer Lösungen, wie sie sonst im Verlaufe der Umsetzung bei solchen Großbauprojekten üblich sind.“
Vom ehemaligen Schrebergarten ist der alte Baumbestand vor der Westfassade des Gebäudes geblieben
Foto: Piet Niemann
Und groß war das Vorhaben in der Tat: Auf 27 ha planten e2a 8 ha bebaute Fläche, dabei sollen ca. 1 400 Wohnungen entstehen, rund 60 % davon öffentlich gefördert, 20 % sind für Baugemeinschaften vorgesehen. Doch auch das Grün, das hier von jeher eine dominante Rolle spielt, kommt zu seinem Recht: Auf 6 ha durfte die Kleingartenanlage bestehen bleiben, wenn auch auf 170 kleineren, in einem aufwendigen Verfahren neuparzellierten Flächen. Wer gehen musste, erhielt neue Pachtgärten südlich des Stadtparks und in Langenhorn. Weitere 7 ha des Pergolenviertels sind für Grün- und Freiflächen vorgesehen.
Schuppen im Klinkerband zwischen den Fenstern beleben das Fassadenbild
Foto: Piet Niemann
„Neben dem Thema ‚Wohnen im Grünen‘ verschrieb sich das Projekt auch der Bürgerbeteiligung sowie einem fortschrittlichen Mobilitätskonzept, das unter anderem die angrenzende S-Bahntrasse sowie den Fahrradverkehr mit einbezieht“, sagt Stefan Darius. „Bei unserem eigenen Projekt gibt es zum Beispiel eineinhalbmal so viel Stellflächen für Fahrräder wie für Autos, die zudem in einer Tiefgarage geparkt werden und so den Außenraum der Anlage nicht belasten.“ Den Bewohnerinnen und Bewohnern steht eine eigene, separate Fahrradrampe zur Tiefgarage zur Verfügung, deren sanfte Neigung auch mit einem Lastenrad leicht zu bewältigen ist.
Begegnungsraum Innenhof: Die Balkone orientieren sich zum begrünten Hof, der Spielgeräte und Sitzgelegenheiten bietet
Foto: Sylvia Soggia
„Die Gestaltungsvorgaben für Kubatur, Durchwegung und Ästhetik der einzelnen Bauvorhaben waren seitens e2a Architekten sehr dezidiert“, erinnert sich Stefan Darius, „das hat uns aber nicht weiter gestört, da sie alles in allem sehr sinnvoll und nachvollziehbar waren.“ Die Hauptaufgabe habe darin bestanden, die vielfältige Nutzung im Inneren mit einem harmonischen Fassadenbild in Einklang zu bringen. „Knapp 17 000 m² Wohnfläche in 198 Wohneinheiten sowie rund 150 m² Gewerbefläche mussten wir sinnvoll organisieren.“ Der Anteil des geförderten Wohnraums lag dabei bei 30 %, freifinanzierte Mietwohnungen machen weitere 50 % aus, 20 % waren schließlich für die beiden Baugruppen vorgesehen. Wohnungen mit 1 bis 5 Zimmern, zwischen 32 und 130 m² groß, 79 davon barrierefrei, sechs rollstuhlgerecht, werden heute von einem Projekt für generationsübergreifendes Wohnen, einer Wohnpflegegemeinschaft, Familien und Singles genutzt. Zwei Gästewohnungen sowie ein Gemeinschaftsraum stehen den Bewohnerinnen und Bewohnern zur Verfügung, ein Hofladen versorgt sie mit Lebensmitteln und frischen Backwaren, ein Café hat die Räume bezogen, die ursprünglich für eine Fahrradwerkstatt vorgesehen waren.
„Zentrale Gestaltungsaspekte sind etwa die fehlenden Balkone an der äußeren Fassade, hier gibt es lediglich Loggien, was zusammen mit der Backsteinoptik eine Reminiszenz an die benachbarte Blockrandbebauung der Jarresstadt ist, an der sich e2a mit ihren Ideen stark orientiert hat“, erläutert Stefan Darius. Zudem weisen die Fassaden über das gesamte Areal einen Farbverlauf von Rot im Süden und Grau im Norden auf. Das schafft Abwechslung, aber auch einen gestalterischen Rahmen, der das neue Quartier optisch einfasst und so Identität stiftet. Etwa mittig im Pergolenviertel gelegen, nördlich der drei Kleingartenfelder, die den südlichen Bauabschnitt an der Alten Wöhr vom nördlichen am Bürostandort City Nord trennen, fällt die Fassade auf dem Baufeld 3B graurot aus. „Gestalterische Freiheit hatten wir vor allem bei der Füllung zwischen den Fenstern, die wir als Schuppen geklinkert haben. Das verleiht der Fassade eine interessante Dreidimensionalität und ein lebendiges Fassadenspiel, je nach Stand der Sonne.“
Nutzungsplan, o. M.
Seelsorge
2 Gästewohnungen
Gemeinschaftsraum
Wohn-Pflege-Gemeinschaft
Café
frei finanzierter Mietwohnungsbau
Hofladen
Baugemeinschaft „Stadtliebhaber“
Baugemeinschaft „Einklang“
öffentl. geförderter Mietwohnungsbau
Das Thema Pergolen, die einige Wege im Quartier überdachen, zeichnet sich bei den Gebäuden in den geschosshohen Tordurchgängen zu den Innenhöfen ab, die, parallel zur Jarresstadt als qualitätvoller, gemeinschaftlicher Grünraum gestaltet werden mussten. „Hier haben wir mit dem Landschaftsarchitekturbüro Birgit Hammer zusammengearbeitet, das auch auf anderen Baufeldern aktiv war – was dem Quartier eine gewisse Kohärenz gibt.“ Schaukeln und Tischtennisplatten, dazu Pflanzkästen und Bäume beleben den Innenhof. Die hofseitigen Balkone erzeugen besonders im Sommer die Atmosphäre einer lebendigen Gemeinschaft. „Auch hier zeigt sich wieder der Vorteil einer qualitätsvollen Gestaltung. Einfache, verputzte WDVS-Fassaden kamen weder für Boltres noch für e2a infrage, was uns als Architekten natürlich freut und im Ergebnis ein nicht nur nach außen, sondern auch nach innen für die Bewohnerinnen und Bewohner gestaltetes Gebäude ergibt.“
KNBK Architekten
Stefan Darius
www.kbnk.de
Details, wie die bis an das Gebäude geführte Grasnarbe sowie der vom ehemaligen Kleingarten bewahrte alte Baumbestand an der westlichen Grundstücksgrenze sorgen zudem dafür, dass weder das Gebäudeensemble noch das Quartier insgesamt heute als Fremdkörper auf dem vormals von der Stadtplanung vergessenem Fleckchen Erde wahrgenommen werden.
„Mit den abgestuften Gebäudehöhen zwischen drei und acht Geschossen, den unterschiedlichen Kubaturen, Fassaden und Orientierungen der Gebäude auf den Grundstücken ergeben sich reizvolle Sichtbeziehungen und lebendige Übergänge, die weniger streng, mehr spielerisch und gewachsen erscheinen als bei vergleichbaren Projekten der vergangenen Jahrzehnte“, findet Projektarchitekt Stefan Darius. Auch wenn die Arbeiten am Baufeld 3B bereits 2020 abgeschlossen wurden, ist das Projekt Pergolenviertel noch unvollendet. Vor der Haustür gestaltet die Stadt derzeit den Loki-Schmidt-Platz mit einem Starkregenrückhaltebecken und Pflastersteinen neu – und leider mit weniger Grün, als von den Anwohnerinnen und Anwohnern erhofft. Da zeigt sich die neue Zeit, die mehr Effizienz und Kostenbewusstsein einfordert. Gut, dass das Pergolenviertel schon vorher entstanden ist.
Jan Ahrenberg/DBZ
Projektdaten
Objekt: Pergolenviertel Baufeld 3 B
Standort: Loki-Schmidt-Platz 1-31 und
Winterlindenweg 69 + 71, 22297 Hamburg
Typologie: Quartiersentwicklung
Wohnbau: Neubau von 198 Wohneinheiten – davon 50 öffentlich gefördert – für Familien und Singles, zwei Baugemeinschaften, Wohn-Pflegegemeinschaft
Gemeinschaftsräume, Gästewohnung
Gewerbe: Café, Hofladen
Bauherr/Bauherrin: Richard Ditting GmbH & Co.KG, Hamburg, BVE – Bauverein der Elbgemeinden eG, Lehmann Immobilien, Johann Daniel Lawaetz-Stifung (stellvertretend für die Baugemeinschaften)
Nutzer/Nutzerin: Richard Ditting GmbH & Co.KG (frei finanzierter Wohnungsbau)
BVE - Bauverein der Elbgemeinden eG (geförderter Wohnungsbau), Lehmann Immobilien (frei finanzierter Wohnungsbau), Johann Daniel Lawaetz-Stifung (stellvertretend für die Baugemeinschaften)
Architektur: kbnk Architekten GmbH,
www.kbnk.de
Team: Franz-Josef Nähring, Stefan Darius, Leefke Bohde, Gudrun Löbig, Linda Gans, Lisa Erlenhof
Bauleitung: Richard Ditting GmbH & Co.KG, Hamburg,
www.ditting-bau.de
Generalunternehmung: Richard Ditting GmbH & Co.KG, Hamburg
Bauzeit: 09/2018 – 07/2020
Zertifizierungen: NaWoh – Qualitätssiegel Nachhaltiger Wohnungsbau, KfW-Effizienzhaus 55
Grundstücksgröße: 10 833m²
Grundflächenzahl: 0,45GRZ I, 0,80GRZ II
Geschossflächenzahl: 2,0GFZ
Nutzfläche gesamt: 15 967m² Wohnfläche, 22 043 m² NUF ober-/ unterirdisch
Nutzfläche: 530 m² für Sondernutzungen
Technikfläche: 304 m²
Verkehrsfläche: 2 356 m²
BGF R: ca. 22 030 m² BGF R oberirdisch
BRI R (exkl. TG und Keller): 69.300 m3
BRI R (exkl. TG, inkl. Keller): 282.0523
BRI R (gesamt): 91.048 m3
Baukosten (nach DIN 276): 32,8 Mio. € (KG 300 + 400 netto)
Fachplanung
Tragwerksplanung: KFP Ingenieure GmbH, Buxtehude, www.kfp-ingenieure.de
TGA-Planung: ITE Ingenieurgesellschaft Torsten Erdmann mbH, Hamburg (Haustechnik),
www.ite-hamburg.de
Akustik: Akustikberatung Jacobi, Hamburg (Schallschutz)
Landschaftsarchitektur: Landschafts.Architektur Birgit Hammer, Berlin, www.birgithammer.de
Energieplanung/-beratung: KAplus Ingenieurbüro Vollert, Eckernförde (Bauphysik), www.kaplus.de
Brandschutz: Ingenieurbüro T. Wackermann GbR, Hamburg, www.wackermann.com
Stadtplanung: ARGUS Stadt- und Verkehrsplanung, Hamburg, www.argus-hh.de
TG-Lüftung: METCON, Pinneberg, www.metcon-umb.de
Energie
Primärenergiebedarf: 33,6 kWh/m²a nach EnEV 2016
Endenergiebedarf: 57,3 kWh/m²a nach EnEV 2016
Energiekonzept
Tragwerk: Stahlbeton-Decken, KS-Mauerwerk/ StB-Wände
Fassade: rot-grauer Verblendziegel, Ziermauerwerk
Pergolen/ Durchgänge: weiß glasierte Riemchen
Innen: Mauerwerk/ Stahlbeton/ Leichtbau, Bauteildämmung
KfW-Effizienzhaus 55
U-Werte Gebäudehülle:
Außenwand = 0,168 W/(m²K)
Bodenplatte = 0,278 W/(m²K)
Dach = 0,170 W/(m²K)
Fenster (Uw) = 0,90 W/(m²K)
Verglasung (Ug) = 0,70 W/(m²K)
Ug-total (mit Sonnenschutz) = 37 %
Haustechnik: Fernwärme
Hersteller
Beleuchtung (in Durchgängen): Fa. Rothkegel, Würzburg, www.leuchtenmanufaktur.de
Fassade/Außenwand (Verblendstein): Fa. Deppe, Lemke, www.deppe-backstein.de
Fenster: Menck, Hamburg, www.menck-fenster.de