Professionalisierung im Aktivismus
Im Verein Urban Equipe setzen sich vier Mitarbeiter:innen für eine partizipative und sozial nachhaltige Stadtgestaltung in Zürich und Umgebung ein. Mit Sabeth und Anna, zwei Gründungsmitgliedern von der Urban Equipe, sprachen wir über ihre Herausforderungen und Ziele.
Interview: Natalie Scholder
Das Team von
Urban Equipe
Foto: Elio Donauer/ CC Tsüri
Wer steht hinter der Urban Equipe und wie habt Ihr Euch zusammengefunden?
Sabeth: Wir haben die Equipe 2018 aus anderen stadtpolitischen Initiativen Gruppen gegründet, als wir eine größere Förderung bekommen haben. Wir sind ein Verein, aber im Selbstverständnis ein Kollektiv oder auch ein Büro, weil wir auch Auftragsarbeiten machen. Im Kernteam sind wir vier Leute. Ich bin Architektin, Anna hat Urbanistik studiert, Lars hat Verkehrsplanung studiert und Antonia Kulturanalyse und Literatur. Unsere Arbeit für die Equipe ist für uns alle die Haupttätigkeit. Wir machen zwar alle noch viel nebenbei, aber die anderen Sachen sind ehrenamtlich und unbezahlt.
Kollaborative Platz-Umgestaltung in Lyss BE, im Auftrag der Gemeinde Lyss, 2022
Foto: Urban Equipe
Welche Ziele verfolgt Ihr mit Eurer Arbeit?
Anna: Das wichtigste Thema ist für uns die Demokratisierung von Stadtentwicklung. Dabei gibt es verschiedene Unterthemen wie Bodenpolitik und die Wohnungskrise, aber auch Klima oder feministische Perspektiven auf Stadtentwicklung. Außerdem beschäftigen wir uns mit digitalen Demokratisierungs- oder Partizipationstools. Ein Schwerpunkt liegt auf dem Testen statt Planen. Es geht uns darum, gemeinsam mit Menschen, die eine Stadt bewohnen, ihre Lebenswelt zu gestalten. Also Ideen zu entwickeln, zum Beispiel indem wir sie austesten, also um die zivilgesellschaftliche Organisation und Partizipation.
Wie finanziert Ihr Euch?
Sabeth: Am Anfang hatten wir eine sehr großzügige Förderung des Migros-Pionierfonds. Dank dieser konnten wir sehr selbstbestimmt Projekte umsetzen. Mittlerweile suchen wir nach Förderungen für konkrete Projekte und haben verschiedene bezahlte Aufträge. Wir nehmen aber nur Aufträge an, die unseren Ansprüchen und unserem Vereinszweck entsprechen. Deswegen sind wir auch so ein kleines Team. Wir möchten immer frei entscheiden, ob wir einen Auftrag annehmen, ohne den Druck, Gehälter für Mitarbeitende zahlen zu müssen.
Spielerische Partizipation im Auftrag des Tiefbauamts der Stadt Zürich, 2021
Foto: Urban Equipe
Welche Projekte beschäftigen Euch aktuell?
Anna: Wir arbeiten zurzeit mit verschiedenen Gemeinden zusammen. Das sind beispielsweise Aufträge für partizipative Klimaprojekte. Oder es geht um strategische Maßnahmen, wie die Gemeinden Netto-Null erreichen. Wir leisten dabei eine Übersetzungsarbeit der politischen Maßnahmen und der Verwaltungssprache in einfachere Sprache und schaffen so niederschwelllige Partizipationsmöglichkeiten für die Bevölkerung.
Sabeth: Manchmal arbeiten wir auch zusammen mit dem Mieterverband an der Frage, wie es gelingen kann, größere Siedlungen zu sanieren, ohne dass dabei Menschen Ihr Zuhause verlieren.
Wieso wenden sich die Gemeinden für ihre Klimaprojekte an Euch
Sabeth: Oft werden wir beauftragt, weil die Gemeinden es gut finden, dass wir die Sachen anders machen, als sie es bisher gewohnt sind. Aber genau das wird zum Problem, sobald das Projekt voranschreitet. Dann stellt sich heraus, dass es in den vorhandenen Strukturen nicht so leicht ist, neue Sachen auszuprobieren. Da gibt es strukturelle Zwänge.
Was meint Ihr damit, dass Ihr die Sachen anders macht?
Sabeth: Das ist nicht so leicht zu sagen, es gibt nicht die eine Equipe-Methode. Es kommt immer ganz darauf an, mit welchen Menschen und welchen Themen wir es zu tun haben. Deshalb werden wir uns wohl nie zu einem größeren Büro entwickeln, was wir aber auch nicht wollen.
Infoanlass & Konzert im öffentlichen Raum, im Rahmen des Projekts Quartieridee Wipkingen, Zürich, 2019
Foto: Urban Equipe
Bleiben wir noch mal bei Eurem Projekt mit den Mieter:innen. Wie geht Ihr das Thema Verdrängung an?
Sabeth: In Zürich werden aktuell viele Siedlungen am Stadtrand aus den 1960er-Jahren saniert und die Mieter:innen im großen Stil rausgeworfen. Dagegen müssen sich die Mieter:innen öffentlichkeitswirksam wehren, Druck auf die Eigentümer:innen und die Politik ausüben. Wir versuchen sie dabei zu unterstützen, zusammen mit vielen anderen und in viel Freiwilligenarbeit. Sowas lässt sich nicht finanzieren. Auch finden wir es wichtig, die dabei gemachten Erfahrungen aufzuarbeiten und zu veröffentlichen, um sie mit anderen Mieter:innen zu teilen. Im März erschien die Broschüre „Mietenwahnsinn“, die Mieter:innen ihre Möglichkeiten aufzeigt. Wir versuchen also, uns selbst möglichst schnell abzuschaffen und das Wissen so aufzubereiten, dass es auch ohne uns da ist.
Anna: Wir starten auch gerade ein Forschungsprojekt, in dem es darum gehen soll, wie im Wohnungsbau ökologische und soziale Ziele vereinbart werden können. Leider wird bei der Sanierung von Gebäuden die Perspektive der Mieter:innen häufig vergessen, was daran liegt, dass die meisten Immobilienentwickler:innen profitorientiert sind und kein Interesse daran haben, sozial nachhaltig zu sein. Manchen fehlt auch schlicht das Wissen. Auch hier möchten wir deswegen Wissen zusammentragen und breit zugänglich machen.
Treffpunkt für Quartierideen, im Rahmen des Projekts Quartieridee Wipkingen, Zürich, 2019
Foto: Urban Equipe
Eine große Reichweite hatte Eure Publikation „Organisiert euch“, die Ihr gemeinsam mit dem Kollektiv Raumstation gemacht habt. Beschäftigt Euch das Thema noch?
Anna: Mich beschäftigt das Buch noch sehr. Es entstand aus unserem eigenen Wunsch nach Austausch mit anderen Kollektiven rund um das Thema Selbstorganisation. Ich schaue immer wieder in das Buch hinein, weil viele der gesammelten Strategien auch für uns sehr hilfreich sind. Wir erhalten auch ab und an noch Anfragen für Workshops oder Vorträge. Vor allem ist mit dem Buchprojekt ein internationales Netzwerk von Initiativen entstanden, mit denen wir immer wieder zusammenarbeiten.
Würdet Ihr Eure Arbeit als aktivistisch bezeichnen?
Sabeth: Als einzelne Personen engagieren wir uns alle auch unbezahlt und aktivistisch für gewisse Themen und Projekte. Wir beschäftigen uns viel damit, inwiefern sich unser eigener Aktivismus mit der Arbeit für die Equipe überschneiden darf oder inwiefern sich das kompromittiert. Es war auch eine bewusste Entscheidung, nicht einfach eine gewinnorientierte GmbH zu gründen, sondern ein zweckgebundener Verein zu bleiben. Denn wir möchten auch als Equipe in unseren Projekten politisch sein können. Viel aktivistische Arbeit lagern wir mittlerweile aber bewusst aus in unsere Freizeit.
Anna: Es geht bei aktivistischen Aktivitäten ja nicht um unseren Verein, sondern um die Sache. Es würde schaden, wenn wir als Verein eine Bewegung zu sehr besetzen.
Urbane Intervention im Rahmen einer spielerischen Partizipation,
Zürich, 2021
Foto: Urban Equipe
Was sind die Schwierigkeiten oder Hürden, die Euch beschäftigen? Gibt es aus Eurer Sicht genügend Fördergelder?
Sabeth: Das ist unterschiedlich. Gerade im Bereich Civic Tech gibt es sehr viele Förderungen. Sehr schwierig zu finanzieren ist dagegen das Mietenthema. Das beschäftigt uns sehr, weil das System hat. Weder von öffentlichen Stellen noch von Förderstellen gibt es Gelder. Niemand hat Interesse, etwas an dem System zu ändern. Öffentlichen Förderstellen ist das Mietenthema zu politisch, privaten Stiftungen zu heikel, weil sie ihr Geld in Immobilien investiert haben. Die Städte, die Förderstellen, die Privaten haben alle Immobilien investiert. In der Schweiz fehlen auch politische Stiftungen, die es in Deutschland gibt. Das wünschte ich mir manchmal schon.
Anna: Gerade für systematische gesellschaftliche Fragen gibt es tendenziell weniger Geld als für konkrete Projekte. Deswegen fragen wir uns oft, inwiefern wir mit unseren Projekten dieses System unterstützen und ob wir nicht umso mehr über grundlegende Themen sprechen müssten.
Sabeth: Aber es ist ja auch klar, dass es kein Geld gibt, um den Kapitalismus abzuschaffen.
Aktivismus passiert leider meist aus einer prekären Position heraus, ehrenamtlich als zusätzliche Tätigkeit neben der Lohnarbeit. Ihr erhaltet zumindest genügend Aufträge und Förderungen, um Euch ein Gehalt zu zahlen. Wie seht Ihr Eure Position als Urban Equipe?
Anna: Also nochmals zum klar stellen: Auch wir werden nicht für unseren Aktivismus bezahlt, sondern für andere, weniger politische, „angepasstere“, Projekte. Mit diesen Projekten bezahlen wir unser Gehalt. Der Unterschied zu klassischen Planungsbüros ist wohl, dass wir uns auch in unserer bezahlten Arbeit viel Freiheiten nehmen, wenig Kompromisse eingehen und immer wieder politisch Position beziehen. Dafür nehmen wir aber tiefe Löhne und eine stetige Unsicherheit in Kauf. Deswegen sind wir auch weiterhin nur zu viert, weil diese Arbeitsbedingungen plus das hohe Risiko sind eben doch nicht so attraktiv. Wer so arbeiten will, muss bereit sein Verantwortung für sich und das Kollektiv zu übernehmen. Im Vergleich zu anderen Kollektiven sind wir in einer privilegierten Lage, weil wir uns mit der größeren Förderung am Anfang ein Portfolio und einen Ruf aufbauen konnen, dank dem wir wohl einfacher an weitere Projektförderungen oder Aufträge kommen als andere. Wir konnten unsere Themen bisher immer repräsentativ in Form von Publiaktionen aufarbeiten. Uns beschäftigt daher auch, dass andere Initiativen wesentlich schwieriger Förderungen erhalten. Wir wünschen uns natürlich, dass noch viel mehr Planungsbüros und Initiativen an Ressourcen kommen und sich politisch einsetzen.
Danke für das Gespräch. Ich wünsche Euch weiterhin viel Erfolg bei Eurer Arbeit!
Publikation „Mietenwahnsinn – nicht mit uns!", Stadt für Alle & Mieten-Marta, 2023, initiiert und koordiniert von der Urban Equipe
CC BY 4.0
Publikation „ORGANISIERT EUCH! Zusammen die Stadt verändern“, Urban Equipe & Kollektiv Raumstation, Dezember 2020
CC BY-SA 4.0
Urban Equipe
Team: Anna Brückmann, Antonia Steger, Lars Kaiser, Sabeth Tödtli
www.urban-equipe.ch
Dowload "Organisiert euch!": www.organisiert-euch.org
Download "Mietenwahnsinn": www.urban-equipment.ch
mail: equipe@urban-equipe.ch
insta: urbanequipe