Die Langlebigkeit des Betons

Rathaus Uccle, Brüssel/BE

Ein ungenutztes Bürogebäude aus den 1970er-Jahren in Brüssel wird zu einem modernen Verwaltungsgebäude. Die für den Umbau verantwortlichen Architekt:innen von archipelago legten großen Wert darauf, den Bestand und seine besondere Ästhetik mit dem außenliegende Betontragwerk zu erhalten.  

Text: Sophie Green


Foto: Stijn Bollaert

Foto: Stijn Bollaert


Am südlichen Stadteingang von Brüssel liegt die Gemeinde Uccle. Ihre Verwaltung war bis letztes Jahr auf verschiedene Gebäude verteilt. Um Synergieeffekte zwischen den Verwaltungseinheiten zu nutzen, die Arbeitsbedingungen der Beamt:innen und deren Service an der Gemeinde zu verbessern, aber auch um den Energieverbrauch der öffentlichen Insti­tutionen zu senken, sollte die Verwaltung zentralisiert werden. Der 2014 erworbene ehemalige Firmensitz des Industriemaschinenherstellers Fabricon (1972 nach Plänen von C.E.R.A.U. errichtet) erschien als neues Rathaus ideal. Zwar war das Gebäude technisch und energetisch veraltetet, wies aber trotzdem eine architektonisch wertvolle Infrastruktur auf, sodass die Gemeinde 2022 nach umfangreicher Sanierung einziehen konnte.

Für die Nutzung als offene, moderne Verwaltung musste das für ein Privatunternehmen konzipierte, monofunktionale Gebäude unter Berücksichtigung des architektonischen Erbes umgebaut werden. Nach einem öffentlichen Wettbewerb wurde das Brüsseler Architekturbüro archipelago mit der Umsetzung beauftragt, deren Entwurf mit starkem Fokus auf Nachhaltigkeit überzeugte. Die Reaktivierung des Bestands und der Respekt vor seiner besonderen Ästhetik waren die wichtigsten Ziele. Dass es sich hier um ein Gebäude mit Betonstruktur handelt, war, im Hinblick auf die besondere Haltbarkeit des Materials, von Vorteil.


Der neue Besucher:inneneingang befindet sich im zentralen, von der Straße ­zurückversetzten, Gebäudeteil
Foto: Stijn Bollaert

Der neue Besucher:inneneingang befindet sich im zentralen, von der Straße ­zurückversetzten, Gebäudeteil
Foto: Stijn Bollaert


Struktur

Der für seine Zeit charakteristische Gebäudekomplex aus den 1970er-Jahren besteht aus vier Gebäudeeinheiten in Beton-skelett-Bauweise und liegt eingebettet in einer Grünzone. Durch ihre Anordnung entstehen verschiedene Höfe und Vorplätze innerhalb des kleinen Parks. Die  Gebäude sind auf allen Ebenen durch verglaste Gänge miteinander verbunden. Markante Gebäudekerne aus Sichtbeton setzen vertikale Akzente.

Zur Umnutzung des Gebäudes gehörte unter anderem die Trennung von interner und öffentlicher Erschließung. So gelangen die Mitarbeiter:innen der Verwaltung nun über den ursprünglichen Haupteingang des Firmensitzes ins Gebäude. Für die Besucher:innen hingegen entstand ein neuer Eingang im zentralen Gebäudeteil, mit Empfang, Cafeteria und Atriumtreppenhaus. Über Passerelle geht es in das linke oder rechte Nachbargebäude. Der Empfangs- und Aufenthaltsbereich sowie der große Konferenzraum im fünften Obergeschoss sind von der Verwaltung des Rathauses unabhängig und bleiben auch außerhalb der Öffnungszeiten der Öffentlichkeit zugänglich. Der Platz vor dem Besucher:inneneingang, vorher ungenutzt, wird durch den Umbau zur öffentlichen Grünzone: die sogenannte „Citizen Area“ mit didaktischem Wasserspiel und Retentionsbecken. Sie bindet das Gelände in die Nachbarschaft ein.


Die öffentliche Grünzone­ vor dem
Gebäude nennen die Architekt:innen „Citizen Area“. Hier integrierten sie u. a. ein Regenrückhaltebecken
Foto: Stijn Bollaert

Die öffentliche Grünzone­ vor dem
Gebäude nennen die Architekt:innen „Citizen Area“. Hier integrierten sie u. a. ein Regenrückhaltebecken
Foto: Stijn Bollaert


Maßnahmen

Nach einem intensiven Gebäudeaudit erwiesen sich neben der Betontragstruktur auch die Aufzüge sowie das ursprüngliche Treppenhaus (welches nun als Fluchttreppenhaus genutzt wird) als erhaltenswert. Zwar war das exponierte Betontragwerk über Jahrzehnte dem Wetter ausgesetzt, doch erschien es in renovierungsfähigem Zustand. Die Betonqualität war gut und dessen Gesteinskörnung einheitlich und konsistent. Die Reinigung durch Sandstrahlen brachte dann allerdings mehr Stellen als zuvor erwartet hervor, die es zu reparieren und auszubessern galt. Das Sandstrahlen und anschließende Hydrophobieren, bei dem die oberste, verschmutzte Materialschicht entfernt wurde, erforderte viel Geschick. Nicht nur, um ein einheitliches Strahlbild zu erzielen, auch wegen der zahlreichen Vorsprünge, Fugen und Aussparungen.

Das Tragwerk ist in den Obergeschossen als eine tragende Architekturbetonfassade mit horizontalen Bändern ausgeführt, in denen alle vier 4 m geschosshohe, tragende Rahmen eigefügt sind. Im Erdgeschoss ist die Fassade in einfache Stützen aufgelöst. Die Geschossdecken mit ihren 40 cm hohen Trägern liegen auf der Fassade sowie den jeweils mittig im Grundriss angeordneten Stützenreihen bzw. dem aussteifenden Gebäude­kern auf und spannen in Querrichtung der Gebäude. Darauf liegt eine nur 5 cm starke Betondecke.


Die Gebäudeteile sind auf allen Ebenen durch verglaste Gänge mit­einander verbunden. Die Treppenkerne mit strukturierter Betonoberfläche setzen vertikale ­Akzente
Foto: Stijn Bollaert

Die Gebäudeteile sind auf allen Ebenen durch verglaste Gänge mit­einander verbunden. Die Treppenkerne mit strukturierter Betonoberfläche setzen vertikale ­Akzente
Foto: Stijn Bollaert


Eine besondere Herausforderung stellte die neue Wärmedämmung aufgrund der zahlreichen, die thermische Hülle durchstoßenden, Betonteile dar. Um den Gestaltungsausdruck zu erhalten, erfolgte die Dämmung von Innen, mit einer 1 m breiten Flankendämmung.

Aus Respekt vor dem Bestand machten die Architekt:innen ihre Eingriffe nur diskret sichtbar. Dazu zählen die erweiterten Passerellen, das Spiel der neuen Fensterelemente, die zurückgesetzten Penthäuser, das neue Atriumtreppenhaus und die Besucheraufzüge als eine von Außen ablesbare Geste. Besonderen Wert legten sie auf die Qualität der Säle und Durchgänge als Orte informeller Begegnungen, die stets mit dem Außenraum visuell verbunden und von Tageslicht durchflutet sind.


Immer wieder kommen die Nutzer:innen des Gebäudes mit den verschiedenen renovierten Betonoberflächen in ­Berührung
Foto: Stijn Bollaert

Immer wieder kommen die Nutzer:innen des Gebäudes mit den verschiedenen renovierten Betonoberflächen in ­Berührung
Foto: Stijn Bollaert


Technik

In Zusammenarbeit mit den Brüsseler Wasserwerken Vivaqua entwickelten die Planer:innen ein Pilotprojekt, bei dem sie die konstante Temperatur des vor dem Gebäude liegenden städtischen Abwasserkanals von 12 °C über eine Aktivdecke für die Gebäudetemperierung nutzen, unterstützt von einer Heizung und Kühlung, die lediglich die Differenz zur benötigten Raumtemperatur von 19 °C im Winter und 24 °C im Sommer, ausgleichen. Die Lüftung mit Wärmerückgewinnung liegt in einem etwas niedriger hängenden Deckenbereich entlang der Gebäudekerne. Die Belüftung erfolgt über die offene Lamellendecke, entlüftet wird über den zentralen Kernbereich. Nach Angabe der Architekt:innen konnte über die neue Flankendämmung, die neuen Fenster, sowie das Technikkonzept der Primärenergieverbrauch des Gebäudes von den ursprünglichen 194 kWh/m²a zu Fabricom Zeiten auf 90 kWh/m²a für das heutige Rathaus gesenkt werden.


Die tageslichtdurchfluteten Zirkulationsflächen sollen informelle Begegnungen befördern
Foto: Stijn Bollaert

Die tageslichtdurchfluteten Zirkulationsflächen sollen informelle Begegnungen befördern
Foto: Stijn Bollaert


Fazit

Das Projekt U setzt ein starkes Statement am Eingang der Stadt und bringt eine erfrischende Vielfalt in die Nachbarschaft. Es ist ein bemerkenswertes Beispiel für nachhaltigen Stadtumbau und beweist, dass es möglich ist, Gebäude der 1970er-Jahre wirtschaftlich, hochwertig und effizient zu sanieren und umzunutzen. Auch wenn ein Beton-Außentragwerk mit den dadurch entstehenden Wärmebrücken in Anbetracht heutiger energetischer Anforderungen kaum noch in Betracht gezogen würde, ist das kein Grund, das Gebäude, wie so viele dieser Zeit, abzureißen. Auch zeigt das neue Rathaus in Uccle einmal mehr, dass eine Betonstruktur durchaus nachhaltig sein kann – nämlich dann, wenn sie offen genug ist und über ausreichend Geschosshöhe verfügt, um unterschiedliche Raumorganisa­tionen zu ermöglichen. 


Grundriss Erdgeschoss, M 1 : 1 000

Grundriss Erdgeschoss, M 1 : 1 000

Schnitt, M 1 : 500

Schnitt, M 1 : 500

Ausschnitt Fassade, M 1 : 25
Dach
Dachbegrünung
Substrat
Filterschicht
Drainagemembran
Saugfähige Schutzmatte
Mehrschichtige Anti-Wurzel Versiegelung
Gefälledämmung
Dampfsperre
Betonplatten (Bestand)
Wärmedämmung
Klimadecke mit integriertem Schallschutz

Geschossdecke
Bodenbelag aus Bambus
Druckestrich (Bestand)
Betondecke (Bestand)
Wärmedämmung unter bestehenden Betonplatten
Klimadecke mit integriertem Schallschutz

Ausschnitt Fassade, M 1 : 25
Dach
Dachbegrünung
Substrat
Filterschicht
Drainagemembran
Saugfähige Schutzmatte
Mehrschichtige Anti-Wurzel Versiegelung
Gefälledämmung
Dampfsperre
Betonplatten (Bestand)
Wärmedämmung
Klimadecke mit integriertem Schallschutz

Geschossdecke
Bodenbelag aus Bambus
Druckestrich (Bestand)
Betondecke (Bestand)
Wärmedämmung unter bestehenden Betonplatten
Klimadecke mit integriertem Schallschutz

archipelago
Gilles Goffin
www.archipelago.be
Foto: archipelago

archipelago
Gilles Goffin
www.archipelago.be
Foto: archipelago

 

Dürfen wir in Zukunft noch mit Beton bauen? Die Umnutzung eines Bürohauses aus den 1970er-Jahren in Brüssel zeigt: Ja, weil er ewig hält. Zudem wenn er, wie hier, als nutzungsoffene Tragstruktur verbaut ist und immer wieder an neue Bedürfnisse angepasst werden kann.« DBZ Heftpartner sbp schlaich bergermann partner, Berlin

Projektdaten

Objekt: Verwaltungssitz Uccle

Standort: Uccle/BE

Typologie: Büro

Bauherr: Communauté d’Uccle

Nutzer: Communauté d’Uccle

Architektur: C.E.R.A.U., Uccle (1972); archipelago, Brüssel/BE (2022), www.archipelago.be

Team: Gilles Goffin; Leticia Huerta Prieto; Nasri Houaiss; Jesus Alvarez; Benoit Dendoncker

Generalunternehmer:

SOCATRA, Brüssel/BE,

www.socatra.be

Bauzeit: 01.2019 – 05.2022

Bruttogrundfläche: 14 600 m²

Nutzfläche gesamt: 12 389 m²

 

Fachplanung

Tragwerksplanung: Steel & Co Engineering

TGA-Planung: MK Engineering

Akustik: CARE-CEDIA

Brandschutz: cosep

Regenwasser-Management: archipelago + UrbanWater, Paris/FR, www.urbanwater.fr

 

Hersteller

Licht: Philips,

www.lighting.philips.com; Nowodvorski Lighting,

www.nowodvorski-lighting.com; Fosfari Lighting, www.fosfari.be

Bodenbeläge: Bamboo Touch, www.bambootouch.com; Cominotto nv, www.cominottonv.be

Dach: Derbigum,

www.derbigum.com

Fenster: Sapa selection,

www.sapa-selection.com

Klimadecke: Interalu nv,

www.interalu.eu

Trockenbau: Line systems (Innenwände),

www.linesystems.eu;

Rockfon (Abhangdecken),

www.rockfon.de

Möbel: Potteau,

www.potteau.com; Bedimo, www.bedimo.com; Pami,

www.pami.be

Sanitär: Mineral Products International, www.mpi.be;

Facq, www.facq.be

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