Schaudepot des Ruhr Museums, Essen
Längst UNESCO-Weltkulturerbe, doch Zollverein, das gigantisch große Gelände mit Bauten für die Kohleförderung und -verarbeitung war sicherlich mehr als 100 Jahre lang ein Ort, an dem geschuftet wurde, an dem es dreckig, laut und gefährlich war und Kultur, wie man sie heute mit diesem Gelände verbindet, allen ein Fremdwort war. Hier stand neben der „schönsten Zeche der Welt“ auch eine Salzfabrik, heute das Schaudepot des Ruhr Museums.
Text: Benedikt Kraft / DBZ
Der in den östlichen Luftraum eingestellte Ortbetonschacht für den Fahrstuhl und die vertikale TGA endet im 3. OG, von dem aus die Führungen starten. Die Hinauffahrt ist – weil die Kabine verglast ist – spektakulär
Foto: Benedikt Kraft / DBZ
Schaudepots – Archivräume von Sammlungen, die für Besucher:innen eingeschränkt geöffnet sind – gibt es schon länger. Das „Schaulager“ von Herzog & de Meuron in Basel aus dem Jahr 2003 ist das vielleicht bekannteste. Das Schaudepot in Essen auf dem Gelände Zollverein ist international vielleicht weniger bekannt, es ist aber insofern mindestens so bedeutend, weil es sich hier um einen umgenutzten Bestandsbau mit industrieller Vorgeschichte handelt. Zu keiner Zeit ihrer rund 50jährigen Geschichte war der ehemaligen Salzfabrik ihre heutige Schaudepotnutzung anzusehen. Ihre bauliche Anlage allerdings hat die Nach- und Neunutzung schon in sich getragen.
Das mit Zollvereinsklinker verkleidete, um 1960 errichtete, gestalterisch, aber auch konstruktiv, sehr reduzierte Zweckgebäude diente der Herstellung von Ammoniumsulfat aus den Grundstoffen Ammoniak und Schwefelsäure, also dem Grundstoff für mineralischen Dünger. Ammoniak und Schwefelsäure entstanden als Nebenprodukte des Verkokungsprozesses gleich nebenan. Die heute zum Schaudepot umgebaute Gebäudeeinheit bildete ursprünglich den Startpunkt einer baulich verbundenen Produktionslinie mit dem anschließenden Salzlager und der Salzverladung. Seit Juni 2021 ermöglicht das Schaudepot Besucher:innen im Rahmen geführter Gruppen Einblicke hinter die Kulissen des Museums und macht Objekte zugänglich, die in überwiegender Anzahl bislang nicht in Ausstellungen präsentiert werden konnten.
Lediglich der verglaste Zugang ist neu, alles andere wurde saniert, frisch gemacht, ertüchtigt. Rechts anschließend das Salzlager mit dem Fluchttreppenhaus
Foto: Benedikt Kraft / DBZ
Was genau den Ausschlag gegeben haben mag, warum planinghaus architekten aus Darmstadt das VGV-Verfahren für sich entscheiden konnten, konnte Projektleiter Christoph Winterling nicht mehr sagen. planinghaus architekten hatten bereits auf Zollverein gearbeitet, ihren Ruf als präzise und einfallsreiche Bestandsarbeiter:innen mehrfach gefestigt. „Vielleicht, weil wir im Bedarfsfall auch bereit sind, uns zurückzuhalten und nicht zwingend mit Gestaltung zu überformen. Und sicher, weil wir das herausragende Potenzial des Bestands für diese besondere Aufgabe erkannt haben.“
Sammlungsschränke vom 3. OG aus im westlichen Luftraum geschaut. Hinten die Bestandstreppen, die die Besucher:innen von oben nach unten führen
Foto: Benedikt Kraft / DBZ
Der Bestand
Der viergeschossige Ziegelkasten Salzfabrik wurde vor einem halben Jahrhundert als nicht unterkellerter Stahlbeton-Skelettbau errichtet. Die vier Ebenen sind weitestgehend offengehalten, zwei gebäudehohe Lufträume zerteilen die Geschosse und gliedern sie in jeweils drei Abschnitte.
Die Fassaden bestehen aus 25 cm dickem Sichtklinker-Mauerwerk, das die eigentliche Stahlbetontragstruktur umhüllt. Fenster befinden sich auf allen Ebenen im Bereich der Lufträume sowie auf der obersten Ebene dreiseitig umlaufend in jedem Achsfeld. Das Dach ist als Stahlbetonplatte mit bituminöser Eindichtung ausgebildet. Zum Schutz der Betonkonstruktion vor Schädigung durch die Schwefelsäure waren die Oberflächen der Böden, Stützen und Wände bis ca. 1,50 m über Fußboden hoch mit säurefesten Keramikbelägen bekleidet, was nach ihrem Entfernen wegen des schadstoffhaltigen Klebers heute noch sichtbar ist.
Schmale Bestandsbrücken aus Metall queren im 2. OG beide Lufträume (max. 5 Personen = 500 kg!)
Foto: Benedikt Kraft / DBZ
Schon Mitte der 1970er-Jahre war Schluss mit dem Mineraldünger; der Bau diente fortan als Ersatzteil-Magazin für den Kokereistandort. Dazu wurde die Anlagentechnik ausgebaut, Deckendurchbrüche wurden für mehr Abstellfläche geschlossen. Im Erdgeschoss gab es Büro- und Sozialräume, für die zahlreiche kleinformatige Fensteröffnungen in der Süd- und der heutigen Eingangsfassade nachträglich hergestellt wurden. Tatsächlich kam das Gebäude – Teil des Welterbes Zollverein – auf die Denkmalliste, hat seitdem keine nennenswerten Veränderungen mehr erfahren und war, zum Zeitpunkt der Umwidmung, ohne Nutzung.
Fossiliensammlung im 3. OG mit Blick auf eines der Podeste ganz hinten (Bestand), für die das Museum noch keine wirkliche Bespielung gefunden hat
Foto: Benedikt Kraft / DBZ
Umbau zum Schaudepot
Das Ruhr Museum, das in Steinwurfweite seinen Sitz in der ehemaligen Kohlenwäsche hat (Architekten der Umbauten Rem Koolhaas und Heinrich Böll), suchte nach weiteren Depoträumen, die zudem öffentlich zugänglich sein sollten. Mit der ehemaligen Salzfabrik war hier ein idealer Ort gefunden, der die Hauptaufgaben eines Museums mit Sammeln, Bewahren und Erforschen idealtypisch erfüllt und heute rund 25 000 Gegenständen Platz bietet. Die Auswahl umfasst ausschließlich solche Sammlungsstücke, deren konservatorischen Ansprüchen das neue Schaudepot mit seiner einfachen baulichen Hülle und den großen Fensteröffnungen Rechnung tragen konnte – kein Papier, keine Textilien o. ä.
Zwei Gelegenheitsbüros im EG am westlichen Luftraum: Schön zu sehen eine der beiden Bodenwellen, die
ursprünglich auslaufende Säuren
sichern sollten
Fotos: Benedikt Kraft / DBZ
Nach einer Bestandsaufnahme und ersten Instandsetzungs- und Rückbauarbeiten gab es umfassende Maßnahmen zur Schadstoffsanierung. So wurden im gesamten Gebäude die keramischen Wand- und Bodenbeläge von Wänden und dem Betonskelett entfernt, die in einem Dickbett aus steinkohlenteerhaltiger Klebe- und Dichtmasse verlegt waren. Neben der Erneuerung der bituminösen Dachabdichtung inklusiv neuer Aufdachdämmung sowie der Sanierung des klinkersichtigen Fassadenmauerwerks durch Austausch schadhafter Ziegel durch Bestands- und Neuziegel sowie der Erneuerung des maroden Fugennetzes wurden sämtliche Fenster saniert beziehungsweise erneuert. Die im Bereich der Nordfassade erhaltenen, bauzeitlichen Fensteranlagen aus Gusseisen-Sprossenwerken wurden denkmalgerecht saniert und zur energetischen Verbesserung um neue Innenvorfenster ergänzt. Die Fenster der Süd- und Westfassade wurden gegen neue Fenster mit einer Gestaltung nach historischem Vorbild ausgetauscht, jetzt aber mit thermisch getrennten Stahlprofilen. Für die äußere Isolierscheibe wurde Drahtglas verwendet, wie es zu Betriebszeiten an den Gebäuden des Standorts eingesetzt wurde.
Notausgang zum benachbarten, ehemaligen Salzlager und Aufgang zu einem der Podeste im 3. OG
Foto: Benedikt Kraft / DBZ
Die Geschossflächen wurden dem Ursprungszustand angenähert, um die zusammenhängend verfügbare Grundfläche für die neue Nutzung zu optimieren. Dabei wurde deutlich, dass das Ursprungsgebäude „extrem sparsam“ geplant und realisiert war, wie Christoph Winterling berichtete. Dort, wo hohe Lasten z. B. durch Maschinen anfielen, war die Tragkraft größer als dort, wo nur gelagert wurde; ein Aspekt, der die spätere Nutzung des Gebäudes mitbestimmte. Substanziell ertüchtigt wurde allein im 3. OG, das heute mit der geologischen Sammlung die größten Lasten aufnimmt.
Die historischen Betondecken mit höchst inkonsistenter Qualität kamen nach ihrer Freilegung einer Kraterlandschaft gleich. Sie wurden zunächst mit einem Verbundestrich egalisiert und anschließend mit einem mineralischen, fugenlosen und pflegeleichten Industrieboden belegt. Im EG wurde die Egalisierung der Böden nur soweit vorgenommen, dass man beispielsweise im westlichen Luftraum immer noch die beiden Hoch- und Tiefpunkte erkennt, die im Bestandsgebäude zwei Mulden ausbildete, um auslaufende Säuren sammeln zu können. Die Niveausprünge werden hier mittels einfacher Bleche überbrückt, welche die angrenzenden Büro- und Sozialräume erschließen. Dass die Letztgenannten ohne Außenfenster auskommen, war nur deshalb möglich, weil sie nicht dem ständigen Aufenthalt dienen.
Die Bestandsgeländer zu den Lufträumen wurden vollständig durch neue Stabgeländer aus verzinktem Flachstahl ersetzt. Dass bei den Handläufen der Treppen – gefaltete Bleche auf den Originaltritten – nur einseitig ein Holzhandlauf montiert wurde, ist vielleicht dem zum Ende hin immer knapper werdenden Budget geschuldet. Der scheinbare Mangel könnte aber auch ausdrücken, dass an vielen Stellen weniger Gestaltung und weniger Material mehr Spannung und größere Aufmerksamkeit erzeugen.
Die Konstruktion zur Hülle wurde mit Calciumsilikatplatten gedämmt und ist daher verputzt. Sämtliche Technik wird offen geführt
Foto: Benedikt Kraft / DBZ
Erschließung, Energie, Brandschutz
Natürlich braucht jedes mehrgeschossige Depot eine Schwerlasttransportmöglichkeit in der Vertikalen. Hier kombiniert der neue Fahrstuhlturm im östlichen der beiden Lufträume mit zum Luftraum hin offener Kabine den Lastentransport mit dem Personentransport: Der zwischen das rechteckige Bestandsfundamentenraster platzierte Aufzugsturm ist eine Ortbetonkonstruktion, die neben der Vertikalerschließung zudem sämtliche Vertikalinfrastruktur der TGA aufnimmt. Neben dem Fahrstuhl, der Besuchergruppen zum Ausgangspunkt ihres geführten Depotrundgangs nach ganz oben bringt, gibt es die Bestandstreppenanlage, die die Besucher:innen geschosseweise von oben ins Foyer hinunter zurückführt. Spektakulär auch die schmalen Bestandsmetallbrücken auf Geschossebene 2, die beide Lufträume durchqueren.
Kastenfenster auf der Nordfassade:
Hier konnten die bauzeitlichen Fenster (außen) denkmalgerecht saniert, also erhalten werden
Foto: Benedikt Kraft / DBZ
Da als konservatorische Vorgabe zwar ein moderates, aber dennoch möglichst stabiles Innenraumklima angestrebt war, wurde die Gebäudehülle mit einer 5 cm starken Innendämmung aus Calciumsilikatplatten ertüchtigt, um Temperaturspitzen abzufedern. Wegen des großen Luftvolumens und einem hohen Anteil träger baulicher Masse im Innenraum konnte auf den sonst obligatorischen Einsatz einer Klimaanlage verzichtet werden. Der Luftwechsel erfolgt über eine mechanische Lüftungsanlage: Frischluft strömt über Quellluftauslässe in beide Lufträume, während verbrauchte Luft am Kopfpunkt des neuen Aufzugsschachts angesaugt und innerhalb des Schachts ins Erdgeschoss zurückgeführt wird.
Aufgrund der mit Kompaktusanlagen dicht befüllten Flächen und der teils hohen Brandlasten war das Thema des Brandschutzes ein zentraler Aspekt der Umbauplanung. Da aber von vornherein klar war, dass das Schaudepot nur für kleine Gruppen zugänglich sein sollte, die im Rahmen einer Führung im Gebäude unterwegs sind, waren die Auflagen beherrschbar. Dennoch mussten die Bestandstreppen durch einen Treppenhauskern ergänzt werden, der hinter der Brandwand zum Nachbargebäude, dem Salzlager, untergebracht und von jeder Ebene aus erreichbar ist.
Fazit
Tatsächlich gab der Bestand das meiste vor. Dem logisch und konsequent zu folgen, war wohl die größte Herausforderung, im Wegnehmen, im Hinzufügen, in der Gliederung der Nutzungszonen. Hier in der ehemaligen Salzfabrik hat die Arbeit mit dem Bestand ein Haus bereitgestellt, das über seine hochinteressante Präsentation von Mineralien, Fossilien, Werkzeugen oder auch Einrichtungsgegenständen hinaus einen Ort bildet, dessen Substanz bereits Schaustück ist. Die Salzfabrik ist nicht verschwunden; sie darf noch von ihrer Geschichte erzählen und dennoch ein Ausstellungshaus sein, das wir in Zukunft gerne öfter sehen möchten, ob nun im Kontext eines Weltkulturerbes oder dort, wo das scheinbar Banale das Sagen hat: in den Suburbs, den lost places, dem Niemandsland unserer städtischen Jedermannsländer.
Grundriss Erdgeschoss, M 1 : 500
Grundriss 1. Obergeschoss, M 1 : 500
Grundriss 2. Obergeschoss, M 1 : 500
Detail Außenwand / Stütze / Fenster, M 1 : 20
1 Ziegel-MW
2 Ausgleichsputz
3 50 mm CaSi Kalkputz gerieben
4 Lagerfuge schließen, Kalk-Leichtputz
5 Bodenaufbau bauseits
6 Geschossdecke StB
7 Fugenband u. Kellenschnitt
8 Skelettbauteile StB
9 CaSi 30mm, Kalkputz gerieben mit Kalkglätte Q3
10 Schalkante schließen
11 CaSi 30mm, CaSi 60mm, Kalkputz gerieben
12 Fenstersturz StB
13 Fugenband u. Anputzleiste
14 StB Stütze
Detail Außenwand / Geschossdecke / Fenster, M. 1 : 20↓
1 Ziegel-MW
2 Ausgleichsputz
3 50 mm CaSi Kalkputz gerieben
4 Lagerfuge schließen, Kalk-Leichtputz
5 Bodenaufbau bauseits
6 Geschossdecke StB
7 Fugenband u. Kellenschnitt
8 Skelettbauteile StB
9 CaSi 30mm, Kalkputz gerieben mit Kalkglätte Q3
10 Schalkante schließen
11 CaSi 30mm, CaSi 60mm, Kalkputz gerieben
12 Fenstersturz StB
13 Fugenband u. Anputzleiste
planinghaus architekten BDA, Darmstadt
Prof. Georg Seegräber (l.) gründete mit
Jens Daube 1996 planinghaus architekten
www.planinghaus.de
Foto: planinghaus architekten
planinghaus architekten BDA, Darmstadt
Projektdaten
Objekt: Schaudepot des Ruhr Museums, Essen
Standort: Kokerei Zollverein C89, Heinrich-Imig-Straße, Essen
Typologie: Schaudepot
Bauherrin: Stiftung Zollverein, Essen
Nutzer: Ruhr Museum, Essen
Architektur (Lph 1-9): planinghaus architekten BDA, Daube Seegräber PartG mbB, Darmstadt,
www.planinghaus.de
Projektleitung: Christoph Winterling
Projektteam: Jens Daube, Sandra Kaiser, Laura Klinghammer, Georg Seegräber
Bauleitung: Jörg Hasenäcker, Heinz Pietrucha
BGF: 2 500 m²
NUF: 1 850 m²
BRI: 13 500m³
Projektbudget 3,9 Mio. €, finanziert mit Mitteln der Stadt Essen, gefördert durch das Bundesprogramm „Nationale Projekte des Städtebaus“
Planung/Ausführung: 2017–2020
Fachplanung
Tragwerksplanung: ZPP INGENIEURE AG, Bochum, www.zpp.de
TGA: Stefan Wolf, Planungsbüro für Energie- und Haustechnik, Bochum
Brandschutz: brandwerk solution GmbH, Essen, www.brandwerk.expert
Ausstellungsplanung: südstudio, Stuttgart,
www.suedstudio.de
Produkte und Hersteller
Fassadenklinker: Gillrath Ziegel- & Klinkerwerk, https://gillrath.de
Fensteranlagen: Schüco Jansen, www.jansen.com/de
Innendämmung: Redstone, www.redstone.de
Innenanstriche: KEIM, www.keim.com
Bodenbeschichtung: Chemotechnik,
www.chemotechnik.de