SIP Main Campus, Allschwil, Basel/CH
Im Westen von Basel, im Länderdreieck Frankreich/Deutschland/Schweiz wächst ein Hightech-Forschungscampus in die Höhe, der in Sichtweite international führender Pharmaunternehmen bereits jetzt, also noch in der Bauphase, von Platzhirschen und Start-ups aus der Life Science, nachgefragt ist. Mit Senn als Bauherrin haben Herzog & de Meuron hier drei Gebäude geplant, eines, zentraler Baustein des Campus, ist fertig. Mit einer Betonfassade, die mehr ist als eine Haut.
Blick nordöstlich entlang des Hegenheimermattwegs: vorne links das Tropeninstitut, dann das „Hope“ (noch Baufeld, auch HdM), dann der SIP Main Campus, dann das ALL (noch Baufeld, ebenfalls HdM), dann ein Hotel und schließlich der Hochpunkt „ALBA Haus“
Foto: Benedikt Kraft
Forschung ist Zukunft, das schien schon immer so zu sein, aber mittlerweile ist dieser Zusammenhang häufiger auch unübersehbar, direkt anfassbar: Ein mit teils sehr spezialisierten Bauten gefüllter Campus nach dem anderen öffnet im privaten, im öffentlich-universitären, meist jedoch im urbanen Kontext. So haben auch wir in den letzten Ausgaben der DBZ immer wieder über Projekte geschrieben, die Hightech-Forschung betreiben oder doch zumindest solche anziehen sollen. Städte, das ist längst erkannt, profitieren vom Zuzug von (meist internationalen) Forscherinnen und Unternehmen, für die Forschung (Markt-)Zukunft ist.
Laubengangerschließung auf der Hofseite: Das Schottentragwerk durchdringt die Pfosten-Riegelfassade
Foto: Benedikt Kraft
Nun also in Basel ein solcher Campus, wieder einer im Dreiländereck möchte man schreiben mit Blick auf Novartis oder Roche, den Stücki Park und weiter entfernt das Biopôle in Lausanne, das Wagis Areal samt daneben geplantem Campus JED in Schlieren. So unterschiedlich sie angesiedelt sind, so gemeinsam ist ihnen allen der Fokus auf Life Science. Geforscht wird in den Naturwissenschaften Biologie, Chemie und Medizin sowie angrenzenden Gebieten, ausgerichtet ist die Forschung – im Gegensatz zur Grundlagenforschung an den Hochschulen – sehr konkret an Marktbedürfnissen und realen Produkten. Womit eine Investition in Immobilien, die flexible Strukturen für Start-ups anbieten, gerade auch in Basel, als Sitz internationaler Chemieriesen, eine lohnende Unternehmung ist.
Die Gliederung der Aussenfassade ist kompakter, die schmaleren Balkone sind sichtbar in Abschnitte gegliedert
Foto: Benedikt Kraft
Das Bürgerspital Basel – also die Stadt Basel – hatte 2010 zusammen mit Primeo Energie (ehemals EBM) und Burckhardt + Partner AG den Masterplan „BaseLink“ erarbeitet. Der sah für das 75 000 m² große Gelände der Gemeinde Allschwill vier Baufelder vor, für die ab 2013 Investoren mit ihren Architekten/Landschaftsplanern gesucht wurden. Für den hier vorgestellten SIP Main Campus war das die St. Gallener Senn Resources AG zusammen mit Herzog & de Meuron sowie ZPF-Ingenieure, Basel/Vogt Landschaftsarchitekten AG, Zürich.
Die Betonschotten umkreisen gleichsam radial den Hof, hier im Durchgangsbereich
Foto: Benedikt Kraft
SIP Main Campus im Zentrum und Teil einer Kampagne
Mit den Projektbezeichnungen ist es nicht so einfach. Offenbar hat hier das Marketing ein wenig den Überblick verloren im Zusammenspiel von Stadt, Investor und Architekten. SIP heißt konkret „Switzerland Innovation Park“, der „Switzerland Innovation Park Basel Area Main Campus“ von Herzog & de Meuron ist sein zentraler Baustein; und hieß davor „GRID – grand réseau d’innovation et de développement“. Intern heißt der Main Campus gerne auch „HQ“, Head Quarter. Herzog & de Meuron werden – und sind aktuell sichtbar auch schon dabei – noch zwei weitere Bauten im SIP realisieren, ein „HORTUS“ genanntes Bürogebäude, das nach Vorgabe von der Bauherrin Senn Resources AG, „ein radikal nachhaltiges Bürogebäude mit nachwachsenden und wiederverwertbaren Rohstoffen“ werden wird. Mit dabei: u. a. Blumer Lehmann und Martin Rauch, Hoher Priester des Lehmbaus. Zum „HORTUS“ kommt das „ALL“, ein Büro- und Laborgebäude, das, so Senn Resources AG „radikalen Nachhaltigkeitsansprüchen gerecht wird“. Als Ankermieter wird ins „ALL“ das nicht gewinnorientierte „BIIE Botnar Institute of Immune Engineering“ einziehen und alle die Start-ups aus dem Main Campus, die sich etabliert haben und mehr Fläche brauchen.
Der Hof ist begrünt, die mit Rank-
hilfen ausgestattete Betonfassade
wartet noch auf ihr Grün
Foto: Benedikt Kraft
Der hier besprochene Main Campus, der Ende 2023 eingeweiht wurde, hat eine BGF von 50 000 m² und bietet rund 2 000 Menschen einen Arbeitsplatz. Als größte Mieter sind hier untergebracht Johnson & Johnson und Basilea, außerdem das Institute for Biomedical Engineering der Uni Basel und der Fachhochschule Nordwestschweiz und der Switzerland Innovation Park.
Die cremeweißen Markisen erweiteren die Büroflächen nach außen und mildern den starken Betoncharakter der Fassade
Foto: Julien Lanoo
Fassade multifunktional gedacht
Die Ortbetonfassade des Main Campus ist so einfach, wie die besten Lösungen immer die einfachsten sind. Um dem Konzept größtmöglicher Flexibilität auf den Mietflächen nachkommen zu können, wurde das Gebäude in einem 7 x 7 m-Stützraster geplant. Die Rasterung wurde konsequent bis in die Fassade fortgesetzt, die außen stehenden Stützen sind tragend und aussteifend und haben eine Verschattungsfunktion. Auf die Frage an den verantwortlichen Partner bei Herzog & de Meuron, Stefan Marbach, den wir am Main Campus trafen, ob denn die Laubengang-/Balkontiefe dem Sonnenlauf angepasst sei, antwortete er mit Nein: Die fahrbaren Markisen reagieren auf den Sonnenverlauf, die Laubengänge sind nutzungsbedingt hofseitig tiefer, da sie hier als Fluchtwege dienen.
Der Wechsel der Schottenausrichtung auf den Gebäudeecken ist nicht bloß eine gestalterische Note, sie dient auch der Kräftigung der Aussteifung insgesamt
Foto: Benedikt Kraft
Begonnen habe das Projekt mit seinem Hof, dessen Fläche etwa die Größe eines Fußballfeldes ausmacht. Vorher waren da Schrebergärten. Um diesen Raum wurde dann der annähernd langrechteckige, 5-geschossige Neubau geformt, in der West-Ost-Achse durchlässig über eine je zwei Geschosse hohe Aussparung, die den Weg über das Gelände des SIP insgesamt erlaubt; ein Weg, der später die Bauteile des komplett gebauten Quartiers in fußläufig erreichbare Nachbarschaft setzt. Der Innenhof ist teils dicht begrünt. Lange, hölzerne, geschwungene Sitzbänke am Hauptweg, aber auch in den kleinen grünen Nebenräumen, locken zum Innehalten. Sie erlauben, das beispielsweise auf den Laubengängen im Stehen begonnene Gespräch in Ruhe sitzend fortzusetzen.
Die vier Treppenhäuser in den Winkeln des Rechtecks sind zum Hof hin offen. Sie verbinden die horizontale Erschließung (Lifte) mit den Laubengängen. Zugleich ist von ihnen aus der Zugang zu Mieterflächen in den Ecken möglich wie auch zu Nebenräumen
Foto: Benedikt Kraft
In den vier Ecken des Main Campus sind die Treppenhäuser als zum Hof hin offene, vertikale Erschließung mit je zwei Treppenläufen untergebracht. Durch das so geschaffene Treppenauge kann Regen auf ein Kiesbett bis ins Untergeschoss fallen, hier liegen Findlinge, die schon Moos angesetzt haben. Aus den Treppenräumen gelangt man in die jeweiligen Mieteinheiten. Die horizontalen Betonplatten außen sind Balkone, die, wenn der creme-weiße Sonnenschutz ausgefahren wird, ein zusätzliches Raumangebot darstellen.
Außen gliedern die als ein gerundetes, auf dem Kopf stehendes V gestalteten Schotten die Balkone dezent in kleinere Einheiten, innen bilden sie optisch Brückenelemente über den deutlich breiteren Betonplatten (Fluchtweg). Dadurch, dass die Schotten wie im Kreis stehen und zusätzlich über die umlaufenden Betonplatten verbunden sind, ist die Horizontalaussteifung gewährleistet, gleichzeitig aber auch eine gewisse Elastizität, die aus den Ansprüchen an erdbebensicheres Bauen resultiert.
Die Glasfassade im Betonraster ist eine Pfosten-Riegel-Konstruktion aus Eichenholz, die geschosshoch, außen hinter dunklen Aluminum-Rahmen geschützt, eingebaut ist, innen ist sie edel materialsichtig. Die formalisierte Gestaltung der Schotten lässt auf Fertigteile schließen, doch sind sie aus Ortbeton gemacht – laut Stefan Marbach im Vergleich zu Fertigteilen die ökologischere Variante, u.a. weil der Kies vor Ort als Zuschlag genommen werden konnte und die Transportwege kürzer sind. Die sich aus den statischen Anforderungen ergebende starke Präsenz des Betons wird durch cremeweiße Sonnenschutzmarkisen gemildert. Die geschossweise platzierten Rücksprünge der Schotten unter die Betonlagen (Laubengang/Balkon) unterstreichen das Horizontale und strecken das ohnehin eher flache Volumen um ein weiteres.
Grundriss OG Stützraster, M 1 : 2 000
Fassade erlaubt innen das meiste
Die Verlagerung des Tragwerks vor die Gebäudehaut erlaubt innen das meiste: Im Stützenraster können Mieter, so Stefan Marbach, „sich ihren Raum selbst machen. So ist das Haus ein bisschen wie eine Stadt: Die Gesamtstruktur ist vorhanden, im Inneren ist Veränderung das Normale, nicht der Stillstand.“ Darauf verweisen Bauherrn mittlerweile schon reflexartig, wenn sie irgendwie „flexible Grundrisse“ anbieten. Doch über das Verschieben von Wänden hinaus gibt es in diesem Gebäude auch für die Platzierung von Laboren, die im Main Campus eine häufig anzutreffenden Nutzerspezies sind, alle Freiheiten. Vertikale Infrastruktur, vor allem die Entwässerung, wird an den Stützen vorgehalten und kann dort jederzeit in Betrieb genommen werden. Sämtliche Gewerke sind getrennt geführt, Veränderungen, Anpassungen mit Bordmitteln sind möglich. Und wer mehr will, beispielsweise mehr Platz braucht, kann – dem weiten Stützraster sei Dank – auch schon einmal durch die Decke gehen und Räume so vertikal über eine Treppe koppeln und vergrößern.
Deckendurchbrüche sind auch auf dem Dach erlaubt, wer mehr Zu-/Abluft benötigt, „packt sich mehr Technik aufs Dach“, so Stefan Marbach, und es ist ihm anzusehen, dass ihn das nicht stört: Technikaufbauten werden hier nicht kaschiert, sie gehören zu einem Haus, das vor allem Arbeitsräume anbietet (bis Laborklasse 3).
Thermische Trennung
Auf die Frage, ob denn die die Fassadenhaut durchdringenden Schotten nicht zu thermischen Problemen führen müssen, antwortet Stefan Marbach schlicht: „Das Thema der Trennung der Bauteile bei gleichzeitigem Verbundenseinmüssen war ein Schlüsselpunkt in diesem Projekt, den wir sehr intensiv mit unserem Tragwerksplaner ZPF-Ingenieure bearbeitet haben. Die Lösung: Die Deckenplatten liegen punktuell auf einer Konsole bei den Stützen auf. Dort sind sie über eine Leichtbetonplatte thermisch getrennt. Der innenliegende Teil der Konsolen ist mittels Schaumglasplatten eingepackt.“ Das spart aufwendigere Detailplanung und Material (keine tragenden Wärmedämmelemente).
Detail, Schotte Balkon, M 1:50
1 Grundputz Foamglas und Zementputz
2 Schaumglas 90 mm, Schmelzpunkt > 1 000 °C, Wärmeleitfähigkeit: 0,036 W(mK)
3 Schaumglas auf Beton geklebt
4 Stöße Schaumglas, dampf- und wasserdicht verklebt
5 Mineralwolle 140 mm, Schmelzpunkt > 1 000 °C, Wärmeleitfähigkeit: 0,033 W(mK)
6 Feuchtevariable Dampfbremse
7 Mineralwolle 30 mm, Schmelzpunkt > 1 000 °C, Wärmeleitfähigkeit: 0,033 W(mK)
8 Gipsfaserplatte 10 x 15 mm (Brandschutzwiderstand EI-30) mit Zementputz Granol
9 Abdeckung Metallwinkel
10 Mineralwolle 45 mm, Schmelzunkt > 1 000 °C, Wärmeleitfähigkeit: 0,033 W(mK)
11 Abdeckplatte Holz auf Gipsfaserplatte, geklebt (nur im seitlichen Bereich verklebt, um Mittelteil bei Bedarf später auszusägen)
12 Gipsfaserplatte 10 x 15 mm (Brandschutzwiderstand EI-30)
13 Wetterschenkel
14 Abdichtung, Flüssigkunststoff
Detail, Schotte Laubengang, M 1:50
Fazit
Fassadentechnisch gesehen ist der SIP Main Campus das Ergebnis integraler Planung, Architekten und Tragwerksplaner haben ihre jeweilige Kompetenz zu einem logischen, einem nachvollziehbaren Ergebnis zusammengebracht. Die Fassade ist damit in vielerlei Hinsicht integraler Bestandteil des Gebäudes insgesamt, das sich durch seine Robustheit an einem sehr dicht bespielten Bauplatz behaupten wird. Der Raumluxus des grünen Innenhofs spiegelt sich in den von weißen Textilmarkisen gebildeten Raumerweiterungen wider. Das feine Linienspiel der vertikalen und horizontalen Betonplatten rekurriert auf das durchaus Technoide, das im Inneren seinen Ort hat. Wie lange wir aber das Linienspiel wahrnehmen können, hängt ganz wesentlich von der vorgesehenen Begrünung der Fassadenkonstruktion ab… oder von deren kontinuierlicher Pflege.
Fassadenschnitt, M 1 :50
1 außenliegender Sonnenschutz
2 Lüftungsflügel Regelgeschoss
3 Absturzsicherung
4 Aluminium Press- und Deckleiste
5 3-fach Isolierglass
6 Zugangstüre/ Fluchttüre EG, RC-2
7 Fassadenrinne gemäß SIA 271
Schnitt Schottenanschluss, M 1 : 15
1 Schotte 400 mm, Ortbeton
2 Abdichtung an Schotte mit Aluminiumwinkel
3 Verputz
4 Foamglas 80 mm
5 Bitumenlage
6 Holzblende
7 Dampfsperre
8 Mineralwolldämmug 75 mm
Und über alles Dauerhafte der Tragstruktur hinaus ist ihre Bearbeitbarkeit, das Umformenkönnen ein Plus in diesen Zeiten, in denen immer noch und viel zu oft mit Beton verschwenderisch umgegangen wird. Dass sich mit ihm Treppenräume schaffen lassen, die für sich genommen schon ein Ereignis sind, das sowohl zum Begehen animiert wie auch zum Aufenthalt, dass er immer noch und immer weiter zu optimieren ist, alles das ist diesem Projekt eingeschrieben. Wie überhaupt auch eine ganze Menge „Bautengeschichte Herzog & de Meuron“ in direkter Nachbarschaft diese Geschichte mit dem „HORTUS“ samt seiner Feldfabrik auf eine ganz andere, sicher noch einmal radikalere Art fortschreiben wird. Die Zeit wird zeigen, welches Konzept welchem Zweck am besten dient. ⇥Benedikt Kraft/DBZ
Baudaten
Objekt: SIP Basel Area, GRID, Allschwil, Basel/CH
Typologie: Bürogebäude
Nutzungsart: Büro, Labore, Gastronomie
Bauherrin: Senn Resources AG,, St. Gallen/CH
Architektur: Herzog & de Meuron, Basel, Jacques Herzog, Pierre de Meuron, Stefan Marbach (verantwortlicher Partner)
Projekt Team: Alexander Franz (Associate), Gerald Oeckl (Projekt Architekt), Anouk André, Zuzana Chupac, Muriz Djurdjevic, Sebastian Hefti, Martin Knüsel (Associate), Sahng O Lee (Design Techniken), Gia My Long (Design Techniken), Jessica Roder, Giulia Schnyder, Sacha Stettler, Manuel Wiggli, Sjoerd Zonderland
Fachplanung
Tragwerksplanung: ZPF Ingenieure AG, Basel/CH, www.zpfing.ch
Klima: ADZ Aicher, De Martin, Zweng AG, Luzern/CH, www.adz.ch
Landschaftsarchitektur: Stauffer Rösch AG, Basel/CH, www.staufferroesch.ch / Vogt Landschaftsarchitekten AG, Zürich/CH, www.vogt-la.com/zurich_de
Fassadenberatung: Emmer Pfenninger Partner AG, EPPAG, Münchenstein/CH, www.eppag.ch
Bauphysik: Kopitsis Bauphysik AG, Wohlen/CH, www.kopitsis.com
Gebäudetechnik: Ingenieurbüro Pahl und Jacobsen Technische Gebäudeausrüstung, Heide, Horst Pahl
Brandschutz: Fire Protection Consulting Gruner AG, Basel/CH, www.gruner.ch
Laborplanung: Laboratory Planning Laborplaner Tonelli AG, Gelterkinden/CH, www.laborplaner.ch
Bauunternehmen: Rohbau: Erne AG Bauunternehmung, Laufenburg/CH, www.erne.ch; Fassade: Erne AG Holzbau, Laufenburg, www.erne.net
Baugrundstück: 15 724 m²
BGF: 40 000 m²
Geschosse: 6
Länge/Breite: 165 m/110 m
Höhe: 20 m
BRI: 266 400 m³
Fassadenfläche: 18 000 m²