The Alice Hawthorn, Nun Monkton/UK
»In England schließen überall die Pubs, aber hier wurde ein alter wieder zum Leben erweckt. Wenn Dörfer ihre Pubs behalten wollen, müssen sie das Angebot diversifizieren und Menschen von außerhalb anziehen.«
Angus Morrogh-Ryan, Architekt
Text: Ina Lülfsmann/ DBZ
Pubs spielen in der britischen Gesellschaft eine wichtige Rolle als öffentlicher Treffpunkt. Hier kommen seit Jahrhunderten die verschiedensten Menschen zum Essen, Trinken und Feiern zusammen. Der Name kommt von „Public House“, also „öffentliches Haus“. Ursprünglich nur für die Bewirtung von Tagesgästen ausgelegt, wurde das Angebot mit zunehmendem Handel und Pilgerfahrten um Übernachtungsmöglichkeiten für die Reisenden erweitert. Diese Gasthöfe, die neben Gastronomie auch Betten bereitstellten, wurden „Inns“ genannt – so heißen sie auch heute noch. Trotz anhaltender Beliebtheit der Pubs, sowohl bei Briten als auch bei Reisenden, werden seit einigen Jahren immer mehr Häuser geschlossen. Die Corona Pandemie mit Ausgangssperren und Kontaktverbot verstärkte den Trend.
Umso erstaunlicher, wenn ein neuer Gasthof aufmacht, oder – wie in dem Dorf Nun Monkton in der Grafschaft Yorkshire – ein ehemaliger Pub reaktiviert wird. In dem Dorf in der Nähe der Stadt York im Norden von England wohnen heute um die 250 Menschen. Im Mittelalter lag es an einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt, an der Kreuzung der Flüsse Ouse und Nidd. Zu der Zeit gab es vier Inns, in denen die Händler übernachten konnten und deren Pubs auch als Treffpunkte dienten. Mit Zunahme des Straßenverkehrs, zunächst mit Kutschen, später mit Autos, verlor das Dorf an Bedeutung. Um 2010 schloss der letzte Pub. 2021 öffnete schließlich „The Alice Hawthorn“ erneut seine Türen, nun um zwölf Gästezimmer zum Übernachten erweitert.
Der Gasthof The Alice Hawthorn gehört zu dem mittelalterlichen Dorf Nun Monkton im Norden von England. Alle Häuser des Dorfes sind um eine zentrale Wiese gruppiert
Foto: Hufton + Crow
Mit geeintem Willen
„Aus kaufmännischer Sicht braucht es heute viel Mut, in die Pub-Branche einzusteigen“, sagt Angus Morrogh-Ryan, Architekt und Mitgründer des Architekturbüros De Matos Ryan. Das Londoner Büro hat den Umbau und die Erweiterung von „The Alice Hawthorn“ in Nun Monkton geplant und umgesetzt. „Das Alkoholverbot am Steuer, das Rauchverbot in Pubs und der allgemeine gesellschaftliche Trend, mehr Zeit zuhause, im eigenen Wohnzimmer verbringen, führen seit einiger Zeit zu einem immer stärkeren Rückgang der Pubs.“ In Nun Monkton aber wollte sich die Dorfgemeinschaft damit nicht abfinden. Zwei Einwohner kauften den ehemaligen Pub, sanierten ihn und hoben den Standard der Küche, sodass er auch für Menschen von außerhalb attraktiv wurde. Die Übernachtungsmöglichkeiten runden das neue Angebot ab.
Die neuen Häuser sind so angeordnet, dass sie einen Innenhof bilden. Er erweitert den öffentlichen Raum des Dorfes
Foto: Hufton + Crow
So stimmig das Konzept klingt – zunächst gab es erhebliche Widerstände von den Behörden. „Bevor wir den Bauantrag einreichten, stellten wir unseren Entwurf der Planungsbehörde vor, die uns viele Gründe nannte, warum sie den Antrag ablehnen würde, darunter Denkmalschutz, Umweltschutz und Archäologie. Es war sozusagen ein siebenseitiges Nein“, erzählt Morrogh-Ryan. Die Bauherrn wollten nicht aufgeben. Und so organisierten die Architektinnen eine Ausstellung und Präsentationen zu dem Projekt und starteten eine Umfrage unter allen 93 Haushalten des Dorfes. Mit dem Ergebnis, dass ausnahmslos jeder und jede sich einen Pub für Nun Monkton wünschte, auch wenn das bedeutete, dass mehr Menschen – mit Autos – von außerhalb ins Dorf kommen würden. In Anbetracht des eindeutigen Ergebnisses genehmigten die Behörden den Antrag schließlich.
Sechs der zwölf Gästezimmer liegen im Erdgeschoss. Um ihre Privatsphäre zu gewährleisten, sind sie zum Innenhof mit Oberlichtern ausgestattet. Die anderen sechs Zimmer befinden sich im Obergeschoss von der „Feldscheune“ (im Hintergrund) und im Obergeschoss des Pub-Gebäudes
Foto: Hufton + Crow
Feldscheune und Schweinestall
Der Gasthof besteht nun aus dem alten steinernen Pub-Gebäude an der Straße und drei neuen länglichen Häusern, die sich um einen Hof gruppieren. Morrogh-Ryan erklärt: „Das Dorf entstand im Mittelalter am Zusammenfluss zweier Flüsse, was immer noch an der Bebauungsstruktur zu erkennen ist. Außerdem ist der Pub denkmalgeschützt. Deswegen wollten wir die traditionelle Struktur der Grundstücke aufgreifen: Es gibt die Haupthäuser für die Menschen an der Straße zur grünen Dorfmitte. Die Nebengebäude und Höfe für die Tiere befinden sich im hinteren Teil.“ Deswegen haben die Neubauten im rückwärtigen Grundstücksteil einen kleineren Maßstab, erinnern formell an Scheunen oder Schuppen und sind in Holzrahmenbauweise errichtet, kombiniert mit verzinktem Stahl – Baumaterialien, die auch für Viehställe genutzt werden. „Man könnte fast den Eindruck gewinnen, die Tiere wären gerade erst aus den Bauten ausgezogen“, sagt der Architekt. Geplant ist, dass wenn der Stahl rostet, die Häuser optisch zu einem Teil der landwirtschaftlichen Landschaft werden.
Die Architektinnen legten bei ihrem ers-ten Holzbau Wert darauf, dass das Material von innen und außen sichtbar ist. Spiegel zwischen den Sparren erweitern den Raum und das Tragwerk optisch
Foto: Hufton + Crow
De Matos Ryan nannten die neuen Gebäude „Stables“ („Stallungen“), „Field barn“ („Feldscheune“) und „Piggery“ („Schweinestall“). Die „Feldscheune“ im Süden des Grundstücks ist zweigeschossig, genauso wie der Bestandsbau. Die anderen beiden Gebäude haben nur eine Ebene. Die Dachüberstände bzw. das versetzte Obergeschoss von der „Feldscheune“ erzeugen eine schmale, überdachte Pufferzone zum Innenhof. Das Tragwerk der neuen Gebäude besteht aus Douglasien-Holz. Die äußere Schalung ist aus Sibirischer Lärche, innen sind die Wände mit Lärchenholz und feuerbeständigem Pappel-Sperrholz verkleidet. Mit einer Lasur wurden die verschiedenen Holzarten farblich aufeinander abgestimmt. „Das war unser erster reiner Holzbau“, erzählt Angus Morrogh-Ryan, „uns war wichtig, dass die Konstruktion und die Baumaterialien sichtbar sind.“ So sind im Inneren fast alle Oberflächen aus Holz und auch das Tragwerk ist sichtbar. In den Zimmern unterm Dach bekommen Besucher und Besucherinnen sogar den Eindruck, den gesamten Dachstuhl sehen zu können – ein Trick der Architekten: Sie bauten Spiegel zwischen die Sparren, die gerade so hoch hängen, dass die Gäste sich nicht selbst sehen können und so nicht erkennen, dass das scheinbar endlose Dachtragwerk nur eine optische Täuschung ist.
Das schmale lange Gästehaus Stables schließt an einen kleinen Bestandsbau aus roten Ziegeln an. Er bildet den Übergang zu dem ebenfalls neuen Gebäude für das Personal
Foto: Hufton + Crow
Eine Dorferweiterung
Mittlerweile ist The Alice Hawthorn ein beliebtes Ziel, nicht nur für die Besucher von außerhalb. Der Gasthof und der neue Innenhof auf dem Grundstück erweitern Nun Monkton optisch zurückhaltend, dafür funktional umso entscheidender. Die Menschen aus dem Dorf teilen sich ihren neuen alten Pub nun mit Touristen, Wochenendausflüglerinnen und Reisenden. Angus Morrogh-Ryan resümiert: „Es gab einen Punkt, an dem das Projekt hätte sterben können: zwei Jahre Schließung während der Corona-Pandemie. Aber als der Pub wieder öffnete, merkten die Leute, was sie vermisst hatten. Er erfüllt eine wichtige Funktion des öffentlichen und sozialen Dorflebens.“
Grundriss Erdgeschoss, M 1 : 750
1 Lobby
2 Bar
3 Restaurant
4 Küche
5 WC
6 Rezeption
7 Personalraum & WC
8 Wäscherei
9 Personalschlafzimmer,
Badezimmer ensuite
10 Gästezimmer, Badezimmer ensuite
11 Outdoor Bar
12 Büro
Projektdaten
Objekt: The Alice Hawthorn
Standort: Nun Monkton, Yorkshire/UK
Architektur: De Matos Ryan, London/UK,
www.dematosryan.co.uk
Projektmanagement: Russel Pickering, R Pickering ltd
Kostenplanung: Aspect 4 ltd, York/UK,
www.aspect4ltd.co.uk
Tragwerksplanung: Price Myers, London/UK,
www.pricemyers.com
TGA-Planung: P3r, London/UK,
www.p3r-engineers.co.uk
Akustik: Gillieron Scott Acoustic Design, London/UK, www.gsacoustics.org
Nachhaltigkeitsbilanzierung: Award Energy,
Harrogate/UK, www.awardenergy.co.uk
Gartengestaltung: Kate Guillebard,
www.kggardendesign.co.uk
Eröffnung: 2020
Nutzfläche: 905 m²
Anzahl der Zimmer: 12
Preis pro Übernachtung: ab 175€
www.thealicehawthorn.com