Unterföhring reißt Rathaus ab. Oder doch nicht?

„Föhringer Klettergarten“ oder „Burg Eckardtstein“, man kennt solche Zuweisungen von Namen für besondere Bauten auch in der eigenen Umgebung. Bei mir zuhause hieß der Neubau einer Bank (Sichtbeton) „Affenfelsen“ oder „Tropfsteinhöhle“ und bezog sich damit einerseits auf den Kletterberg der Affen im nahen Allwetterzoo (ebenfalls viel Beton, Planung: Harald Deilmann) und andererseits auf erste Schäden in der Flachdachabdichtung, die dazu nötigten, zeitweise im Kassenraum Eimer aufzustellen.

Die beiden obengenannten Volksmundschöpfungen spiegeln auch Sympathie mit einem Haus, das nun offenbar seine Sympathisanten verloren hat. Die Rede ist vom Rathaus Unterföhring, einem kleinen Brutalisten aus den 1970er-Jahren, dessen Abriss vor bald zehn Jahren beschlossen war und nun (vielleicht) vollzogen wird. Nicht mehr zeitgemäß und vor allem: zu klein sei das Haus. Mit der Abriss- und Neubauplanung sollte das Rathaus ins Zentrum wandern, es sollte größer und schöner werden. Man beauftragte einen Architektenwettbewerb, den das Büro „Raum und Bau Planungsgesellschaft“, München gewann. Mit einem fünfgeschossigen Holzbau, der keinerlei bildhafte Erinnerungen zum alten Rathaus zuließ. Er ist größer, mit mehr Nutz- und Glasflächen in der Fassade. Beton ist nur innen. Rankendes Grün kriecht auf der Visualisierung, die Fläche des auf rund 50 Mio. € veranschlagten Neubaus hätte sich auf 6 800 m² annähernd verdoppelt, man wollte „Flächen vorhalten“. Der Einzug sollte 2026 sein.

Das alles war 2022. Es gab Sonderwünsche, die Flächengrößen, Nutzungen variierten, die Baukosten auch; nach oben. Nun sollte der Neubau 70 Mio. € kosten, wenigstens. Es kam zur Notbremsung: Am 7. März 2024 stimmte der Gemeinderat mit 18 : 1 Stimmen dafür, die Zusammenarbeit mit dem Münchner Architekturbüro zu beenden. Neustart?

Der Altbau ist noch vorhanden, Überlegungen, hier Altenwohnen unterzubringen, sind noch nicht abgeschlossen. Man könnte aber auch bleiben, die Ansprüche der Räte an Raum und Komfort erscheinen unsinnig angesichts des vorhandenen Bestandspotentials. Homeoffice, weniger starkes Gemeindewachstum als erwartet und ein gut argumentierendes, bilderstarkes Architekturbüro könnte eine Bestandserweiterung endlich ins Spiel bringen. Vorbild für eine solche Vorgehensweise findet sich in direkter Nachbarschaft, hier wurde eine Grundschule im Bestand modernisiert (leider fällt das Ergebnis gestalterisch deutlich gegenüber dem Erstbau ab). Aber der Rathausbau hat die Kraft, für eine Erweiterung zu werben. Unterföhring: Jetzt gilt es! Der Bürgermeister, Andreas Kemmelmeyer, sieht die Chance: „Es ist nicht alles umsonst gewesen“. Ich drücke die Daumen! Be. K.

www.unterfoehring.de
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