Visionäre Räume in Wien und Krefeld

Das mit den Visionen ist so eine Sache. Die einen lieben sie, die anderen, so wie Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt, verachten sie („Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“). In der Architektur sind sie – zumindest in der Architekturgeschichte – fester Bestandteil eines großen Theoretikums, dessen Wert im Vorauschauenden gesehen wird. Wer Visionen hat, sollte also nicht den Arzt aufsuchen, sondern seine Zukunftssichten in Bilder fassen. Die dringen dann in den Diskurs über das Bauen vor und können Gegenwärtiges mitbestimmen. So geschieht es in einer Ausstellung, die noch bis Ende März in Krefeld läuft. Mit Arbeiten von Walter Pichler, Friedrich Kiesler und „raumlabor berlin“.

Wer bringt eigentlich das Bauen voran? Architekten und Ingenieure? Firmengründer? Die Politik? Oder am Ende doch die, die mit dem Bauen so rein gar nichts zu tun haben: die Künstlerinnen? Geht es nach Francesco Apuzzo, Mitglied der Gruppe „raumlabor berlin“, dann ist das mit der Kunst definitiv so. Ihn und sein Team fasziniert die Schnittstelle Architektur/Kunst als Dreh- und Angelpunkt, um von hier aus das Bauen, aber auch die Kunst neu zu denken.

Dass an dieser Schnittstelle eher keine Architekten arbeiten, verwundert dann nicht; auch, dass sie nicht von reinen Künstlern besetzt ist. Große und großartige Ausstellungen zur Architektur, wie sie beispielsweise von Rem Koolhaas oder auch Herzog & de Meuron gemacht wurden und noch werden, sind immer Produkte im Austausch Architektur/Kunst. Bei Koolhaas war das in der großen Berliner Ausstellung 2003/2004 Tony Oursler, bei Herzog & de Meuron Rémy Zaugg in Paris 1995 oder später dann Ai Weiwei (London 2015) und andere.

Der Versuch, über Architektur als einen Ort zu sprechen, der sich in visionären Räumen aufspannt, gelingt vermutlich eben nur hier: in der Gedanken- und Gestaltwelt der Künstler, die sich mit Räumen (Skulpturen) beschäftigen. Donald Judd gehört dazu ebenso wie Gordon Matta-Clark, Sol LeWitt. Aber auch Peter Eisenman, Zaha Hadid oder Kengo Kuma sind Vertreterinnen einer Architektursicht, die Raum als gestaltetes, nach Regeln geformtes (seziertes) Gebilde (Skulptur) versteht und entwickelt.

Einflussreiche Theorie

Zu abstrakt? Vielleicht, doch wenn nach aller Abstraktion in einem bewussten Prozess das Wesentliche erkennbar wird, dann kann das sein: ein Haus. „Zuerst muss ich kompliziert denken, dass ich es durch die Abstraktion auf das Wesentliche reduzieren kann. Das Reduzieren auf das Wesentliche ist ein Prozess.“ So Martin Rauch hier im Heft im Gespräch (S. 12). Der Österreicher ist eigentlich Keramiker, dann auch Architekt, in jedem Fall sehr einflussreich in Sachen Lehm und Lehmbau. Einflussreich ist auch der ebenfalls nicht Architekt seiende Österreicher/US-Amerikaner Friedrich Kiesler, den Philip Johnson zum „wichtigsten nichtbauenden Architekten (v)erklärte. Kiesler beeinflusst bis heute Architekten und Architektur. Sein „Endless House“, ein Gedankenspiel über biomorphe Formen und Konstellationen, dessen skulpturale Form heute in wenigen Modellen, aber in komplett vorliegenden Bauplänen existent ist, beschäftigt Büros wie OMA oder Zaha Hadid Architects, die mit parametrischen Modellen eigentlich immer nur den Kiesler neuinterpretieren und damit dessen Moderne-Kritik fortführen; in eine Postmoderne?

Nun also noch vier Wochen das Visionäre Kieslers zusammen mit dem Visionären Walter Pichlers „in einem Display von raumlabor berlin“ in Krefeld, im – auch das geht! – Kaiser Wilhelm Museum. Zusammen mit Plastiken und Zeichnungen von Walter Pichler zeigen ein paar House-Modelle Raumskulpturen, Zeichnungen, Fotografien und Schriftsätze. Dass sich hier etwas Visionäres offenbart im Räumlichen? Pichlers pneumatische Raumskulpturen, biomorph, verletzlich und am Ende immer auch Erweiterungen des menschlichen Körpers in den (realen) Raum, deuten auf Kieslers Ideen vom sich ausfaltenden, veränderbaren, anpassungsfähigen Raum. Das Visionäre zeigte sich damals als „20 oder auch 30 Jahre zu früh“ (Francesco Apuzzo in DBZ, der Podcast) und damit unverstanden (visionär?). Heute ist es Grundlagenforschung zum Verhältnis Kunst/Architektur oder auch zum Optimalen des Raums vs. rationaler und rationeller Grundrissperformationen einer auf Leistungsfähigkeit getrimmten Moderne. Die anarchistischen Arbeiten eines Joep van Lieshout sind ebenso Erbe der Endless House-Idee wie auch die Haus Rucker Co-Gedankenwelt mit Mind-Expander-Tools. Aber ist das hier schon Utopie?

Gute Räume laden auf und ein

Das Visionäre geht mit dem Utopischen in Eins und umgekehrt: In Krefeld zeigt eines der experimentierfreudigsten deutschen Architekturbüros, über welches architekturtheoretische Erbe wir verfügen. Es uns zugänglich zu machen mit den Mitteln der Jetztzeit – die hier alles andere, aber nicht digital sind – ist das Verdienst der Kuratoren und der Display-Schöpfer aus Berlin. Mit Webstoffen und rohen Dachlatten, mit der gezielten Verdichtung und der Schaffung von Leerstellen arbeitet das Display – wie damals Friedrich Kiesler in seiner genialen Ausstellungsarchitektur für Guggenheim – entgegen unseren Erwartungen und verführt die Besucherinnen zu Neuinterpretation, zum Weiterspinnen, Weiterdenken, Weitererzählen. Dass das für Manchen spröde Material der beiden Denker und Konzeptionisten, Künstler und Influenzer dem leichten Zugriff entgleitet, ist einkalkuliert. Eine dicht in den Ausstellungsrahmen gepackte Pädagogik soll das Visionäre mit dem Alltäglichen im Fügen und Basteln und Skulpturieren verbinden und anschaulich werden lassen. Räume sind mehr als Konstruktionen, sind mehr als reine Zwecke, sind mehr als materialisierte Orte. Das Übermaterielle und jenseits aller Ratio zu entdeckende Räumliche deutete Kiesler in seiner Bucharbeit „Magic Architecture“ an, aus der in der Ausstellung ein paar Blätter gezeigt werden und die noch in diesem Jahr endlich gedruckt erscheinen wird. Gute Räume – nicht die Kaninchenställe – inspirieren, laden uns mit Energie auf und alle zum Eintreten ein. In ihnen ist die Trennung von Kunst und Architektur aufgehoben, ohne dass eine der beiden die Oberhand hätte. Der kunstvolle Raum ist Raum ohne Kunst, er ist es eben selbst. Wie er aussehen könnte, wie er aussehen müsste, ob er allein für sich stehen kann oder nur als Teil eines Ganzen (ganzen Hauses), das ist nicht geklärt. Und kann auch gar nicht geklärt werden. Denn jede Vision bleibt in ihrer bildhaften und geistigen Vollständigkeit unerreichbar, sonst wäre sie wohl auch keine.                                      Benedikt Kraft/DBZ

www.kunstmuseenkrefeld.de, www.raumlabor.net

„Visionäre Räume. Walter Pichler trifft Friedrich Kiesler in einem Display von raumlabor berlin“. Eine Ausstellung des Belvedere, Wien, in Zusammenarbeit mit den Kunstmuseen Krefeld, in Wien kuratiert von Verena Gamper, in Krefeld von Michael Krajewski. Noch bis 30. März 2025, Kaiser Wilhelm Museum, Joseph-Beuys-Platz 1, Krefeld. Hervorragender Katalog bei Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König, Köln 2024, 29,80 €

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