Wie kann ökologisches Bauen gelingen?

Wie man ökologischer baut, das wissen wir. Eigentlich. Doch wie kriegen wir es umgesetzt? Was muss sich ändern, damit dieses Wissen auf der Baustelle und vor Ort ankommt? Wenn sich das System ändern würde, in dem wir operieren, zumindest aber unser Bewusstsein, wäre ökologische und soziale Architektur die Konsequenz, sagen Bernhard Kurz und Johannes Krohne. Die beiden Architekten sind Gründer des gemeinwohlbilanzierten Architekturbüros IFUB* - Institut für unkomplizierte (oder auch: unschädliche/unglaubliche/…) Baukunst mit ökologischem und sozialem Ansatz.

Das Büro hat seinen Sitz in München, Berlin und am Bodensee. Bernhard Kurz und Johannes Krohne sagen: „Wir behandeln Symptome und nicht die Ursachen. Wenn wir die ganze Energie, die wir Architektinnen und Architekten in die Bauwende stecken, stattdessen in eine Systemwende steckten, wäre viel gewonnen.“ Wir fragten nach, was es mit dem Anspruch des Politischseins in der Architektur und der Gemeinwohlbilanz des Architekturbüros auf sich hat.

Sie haben 2024 eine Ausstellung gemacht zum Thema „Muss Architektur politisch sein?“ Und, muss sie?

Krohne: Alle Menschen sollten politisch sein in einer Demokratie, und wir sind nun mal Architekten. Die Bauindustrie ist eine Riesendreckschleuder, da gibt es viel zu verbessern. Und auch der Energieverbrauch der gebauten Welt ist relevant beim Klimathema…

Kurz: …und nicht nur beim Klimathema, sondern auch bei der sozialen Frage. Es gibt den Ausspruch: Erst bauen Menschen Häuser, dann bauen Häuser Menschen. Architektur ist also per se politisch: Da werden Regulierungen vorgeben und uns gesagt, wie wir bauen dürfen. Architektur beeinflusst auf so vielen Ebenen unser Zusammenleben.

Krohne: Wenn man allein den Bereich des Wohnens herausnimmt: Hier haben wir ein Grundbedürfnis des Menschen, das zur Spekulationsmasse wird. Das ist ein Politikum, das die Menschen beschäftigt.

Kurz: Wie leben wir in unserer älterwerdenden Gesellschaft zusammen? Auch das ist eine gesellschaftspolitische Frage, die die Architektur betrifft. Dabei merken wir, dass wir sehr häufig scheitern. Trotz unseres Handbuchs des gemeinwohlorientierten Bauens. Wir schaffen es nie, alle Punkte umzusetzen. Aber wir wollen es den Leuten und uns selbst vor Augen führen, wie es anders gehen kann. Also ja, alles was wir als Architekt*innen tun, ist politisch.

Sie haben für Ihre Gemeinwohlbilanz zehn Parameter erarbeitet, die bei der Bearbeitung von Bauvorhaben helfen sollen. Wie kann auf Grundlage dieser Punkte gemeinwohlorientiertes Bauen konkret aussehen?

Krohne: Wir haben die Bilanz zuerst einmal für unser eigenes Unternehmen gemacht. Da ging es gar nicht um Architektur, sondern wie verhalten wir uns gegenüber unseren Mitarbeitenden, wie gegenüber Dienstleistenden und Mitunternehmen? Wem gehört das Unternehmen und was passiert mit dem Geld? Aus dieser Beschäftigung mit uns selbst heraus wollten wir dann aber auch einen Leitfaden für unsere Architektur. Und da es den nicht gab, haben wir diesen selbst entwickelt.

Kurz: Wir haben uns bei einem Workshop mit dem ganzen Büro gefragt: Wie kann enkelgerechtes Bauen aussehen? Wie wollen wir Architektur machen? Entstanden sind dann zehn Punkte, die wir „Handbuch des gemeinwohlorientierten Bauens“ genannt haben. Die zehn Punkte lauten, wobei die Reihenfolge nicht prioritär ist:

1. nicht bauen – denn Bauen verbraucht Energie und erzeugt Emissionen. Nur wenn der Nutzen größer als der Schaden ist, sollte überhaupt gebaut werden,

2. sanieren vor neu bauen – denn jedes erhaltene Bauteil ist eine gerettete Ressource und spart Energie und Emissionen ein. Derzeit haben wir in Deutschland eine Sanierungsquote von unter 1 Prozent. Wir müssten eigentlich 4-5 Prozent sanieren im Jahr,

3. kleiner/weniger bauen – denn nur durch Suffizienz erreichen wir unsere Klimaziele,

4. wandlungsfähig bauen – wir müssen unsere Gebäude so bauen, dass sie möglichst einfach umnutzbar sind,

5. für und mit Menschen bauen – der Fokus sollte auf den Nutzenden, aber auch den Handwerkerinnen und Handwerkern liegen,

6. schön bauen – schöne, zeitlose Architektur ist dauerhafter und langlebiger,

7. energieeffizient bauen – ein wichtiger Baustein im Kampf gegen den Klimawandel, was dabei gerne vergessen wird - 50 Prozent der Energie steckt schon in der Produktion (Graue Energie),

8. einfach bauen – ressourcenschonende Gebäude, einfach in der Handhabung, in der Konstruktion und in der Technik sind die beste Basis für die Zukunft,

9. kreislaufgerecht bauen – jedes Haus sollte wieder in seine Einzelteile zerlegt werden können und alle Teile möglichst wiederverwendet sein oder werden,

10. materialbewusst bauen – denn nur so können wir Gebäude nachhaltig, ökologisch, zeitlos, dauerhaft und insbesondere auch wohngesund und behaglich gestalten. Auch die Wiederverwendung von alten Baumaterialien ist zu berücksichtigen.

Krohne: Wir bemühen uns in der frühen Phase, weniger, kleiner und für mehr Menschen zu bauen, um dann am Ende die ökologischeren, aber meist leider teureren Materialien verbauen zu können. Das versuchen wir auch den Leuten immer zu illustrieren. Die kommen zum ersten Gespräch und fragen: Was kostet das? Und wenn die dann erstmal vom Stuhl fallen bei den aktuellen Baupreisen, können wir aber auch eine Lösung anbieten: Baut doch ein bisschen kleiner, aber dafür besser. Das passiert in den letzten Jahren aufgrund des wirtschaft­lichen Drucks auch immer häufiger. Wenn der Grundriss gut ist, kann ich mit meiner Familie statt auf 200 m2 auch auf 100 m2 (oder weniger) gut leben. Und wenn die Kinder aus dem Haus sind, kann ich das Haus in der Mitte teilen.

Wie kann das in die Fläche kommen, jenseits der angespannten großstädtischen Wohnungsmärkte?

Krohne: Regulierungen! Jeder darf z. B. 40 m2 haben und darüber wird’s teuer. Über Förderprogramme ließe sich das regeln.

Kurz: Wir haben etwa 16 Mio. Einfamilienhäuser in Deutschland und in den meisten wohnen nur noch 1-2 Personen. Die meis­ten wollen nur in ihrem angestammten Umfeld leben bleiben, nicht aber unbedingt im zu groß gewordenen Eigenheim. Man muss positive Anreize schaffen wie eine Ortskernwiederbelebung durch Mehrgenerationenwohnen. Selbst wenn man nur 10 Prozent der Menschen dazu motivieren könnte umzuziehen, hätte man plötzlich 1,6 Mio. freie Wohnungen bzw. Einfami­lienhäuser. Helfen könnten auch faire Tauschbörsen in den großen Städten. Regulierungen und Anreize – bisserl ziehen, bisserl drücken.

Das Wissen ist da, allein an der Umsetzung auf der Baustelle nebenan hapert es. Was hindert uns aus Ihrer Sicht, gemeinwohlorientiert zu bauen?

Kurz: Letztendlich ist es so: Wenn wir scheitern, scheitern wir am Geld. Der Fokus unserer Gesellschaft auf Kapitalwachstum bremst uns immer wieder aus.

Ein Beispiel: Im aktuellen System sind Arbeitskräfte teuer und Material billig. Das war früher umgekehrt. Wenn das wieder anders wäre, würden wir nichts mehr abreißen. Bis kurz nach dem Krieg haben wir auch Häuser aus Holz, Kalk, Sand und Lehm in Ziegelform gebaut. Das konnte man zerlegen und wieder nutzen. Heute werden stattdessen Häuser gebaut, die schon bei der Erstellung Sondermüll sind – einfach weil diese kurzfristig billiger sind. Wir verschieben die Kosten auf zukünftige Generationen für kurzfristige Kapitalgewinne.

Früher war kreislaufgerechtes Bauen aus der Not geboren eine Notwendigkeit. Wie lassen sich traditionelle Baustoffe und Bautechniken mit zeitgemäßer Architektur verbinden?

Krohne: Das zeitgemäße Haus ist ein großes Haus mit einer komplexen Struktur, wo viele Leute zusammenwohnen und Flächen miteinander geteilt werden. Und wenn wir sagen, wir schrauben alles, statt zu kleben und wir nutzen kein Plastik – dann ist schon viel gewonnen. Wenn man will, kann man das im Kleinen wie im Großen bauen.

Kurz: Auch mit alten Baustoffen kann ich moderne Architektur bauen. Da gibt es auch gute Beispiele, wenn man z. B. an den neuen Lehmbau denkt. Wo wir eher dran arbeiten müssen, ist eine Ästhetik der Suffizienz und der Konsistenz, also der Zurücknahme und der Kreislaufwirtschaft. Wenn wir alte Materialien wiederverwenden, macht das was mit der Ästhetik, das sind wir nicht gewohnt. Wir versuchen immer alte Materialien einzubauen oder zu erhalten, aber oft scheitern wir neben den Normen an der Ästhetik.

Krohne: Vielleicht müssen wir uns aber auch fragen, was Prio­rität hat. Ich habe zum Beispiel beim Umbau meines eigenen Hauses den alten Balkon dran gelassen. Da steckt ja auch eine Menge grauer Energie drin. Wenn man sich drauf einlässt, ist das vielleicht auch schön. Wir haben auch die alten Türblätter aufbewahrt, nur neue Zargen gekauft und die Türblätter wieder eingehängt. Ich war über jedes Türblatt traurig, das wir nicht mehr einbauen konnten. So ein Zeitschichten-Eklektizismus hat auch einen Mehrwert. Eine bündige, weiße Wand ist halt nur eine bündige, weiße Wand. Eine Wand, die auch noch Geschichten erzählt und im besten Fall noch die Luftfeuchtigkeit reguliert, ist das bessere Produkt.

Kurz: Unsere Generation von Architekt*innen hat an der Uni gelernt: Gestaltung über allem! Und dahin lenken wir auch das Geld. Vielleicht ist es aber viel wichtiger, Materialien zu erhalten oder bei der unsichtbaren Trittschalldämmung Styropor zu vermeiden. Wir müssen als Architekt*innen mehr versuchen, das Geld in diese Richtung zu lenken. Wir haben auch in der Uni gelernt: Alles muss bündig sein. Blödsinn! Man hat nie bündig gebaut, weil es baukonstruktiv keinen Sinn macht und nur mehr kostet. Es ist nur eine komische Ästhetik, die gerade modern ist, aber vielleicht in 15 Jahren als ultra-langweilig angesehen wird. Eine bündige Tür kostet fast doppelt so viel wie eine nichtbündige Tür.

Krohne: Es ist an uns Architekt*innen, Varianten vorzuschlagen, die den Bestand erhalten, statt einfach einen Neubau hinzustellen. Wir machen jetzt fast nur noch Einfamilienhäuser, wenn man diese leicht teilen kann. Wir sind dafür da, Leuten Möglichkeiten aufzuzeigen, an die sie allein nicht gedacht hätten.

Kurz: Es gibt noch zu wenige positive Bilder dieser neuen Ästhetik. Dass man Altes nicht wegschmeißt, sondern kreislaufgerecht wiederverwertet, dass man auf kleinerem Raum gut und glücklich lebt – wir wollen das als Thema wieder positiv besetzen.

Unser Heftthema lautet „Zukünfte des Bauens“. Können Sie uns Beispiele zeigen, wo und wie Sie bereits in diesem Sinn vorbildlich Projekte umgesetzt haben?

Krohne: Manchmal funktioniert das besser, manchmal schlechter.

Kurz: Wir haben zum Beispiel aus alten Fußböden, Türen und Fenstern ein Materiallagerhäuschen auf den Zugang zu einer alten Unterführung in München gebaut. In der ehemaligen Unterführung befindet sich jetzt eine Boulder-Halle. Die Baumaterialen stammen von einem Haus, das in der Nähe abgerissen wurde. Bei einem weiteren Beispiel sind wir im Bereich Denkmalschutz. Dort haben wir das ausgebaute Dachgeschoss komplett mit ökologischen Baumaterialien gebaut – da sind Massivholzdielen mit Leinöl gestrichen, da ist Kalkputz an der Wand und oben haben wir den versotteten Kamin mit Schellack gestrichen, dort haben wir die Holzbretter mit Kalk-Kaseinfarbe gestrichen und dahinter eine Hanfdämmung (zeigt auf das Foto).

Aber wir müssen auch zugeben, viel zu oft scheitern wir auch noch.

Die einen propagieren den Modulbau als zukunftsfähiges Bauen, Ihr Büro hingegen die individuelle Lösung. Ist das nicht sehr zeitaufwändig?

Kurz: Ich habe überhaupt nichts gegen Modulbau oder serielle Sanierung. Da kommt einer mit dem Laserscanner und dann baut er das als Holzbau in der Halle und stellt das innerhalb einer Woche dahin. Man kann auch noch ein Stockwerk aufstocken, das Dach vorfertigen, und das Haus ist ruckzuck saniert, dafür müssen die Leute nicht mal ausziehen. Der größte Knackpunkt ist der Bestand aus den 50er,- 60er-, 70er-Jahren. Den könnte man super seriell sanieren. 

Krohne: Da sind wir wieder bei der Frage: Zeitaufwand versus Materialverbrauch. Wenn Du nur Geld verdienen willst mit einem Architekturbüro, dann machst Du den immer gleichen Schrott in möglichst großer Zahl. Wir sind oft nicht das güns­tigste Büro, …

Kurz: …aber wir werden häufig von Familien angefragt, die keine Million auf dem Konto liegen haben, sondern einfach gute Materialien verbauen möchten und sagen: Ich will nicht, dass meine Kinder Plastikfarben-Ausdünstungen einatmen.

Krohne: Man kann es vielleicht so runterbrechen: Wenn man an der Planung spart, zahlt man hinterher für etwas anderes drauf.

Die Quintessenz unseres Gesprächs fasst Ihr in Eurer Gemeinwohlbilanz ganz gut zusammen: „So sanieren, dass das Vorhandene wertgeschätzt und qualitätsvoll ergänzt wird. So neu bauen, dass unsere Gebäude von heute, die denkmalgeschützten Gebäude von morgen sein können.“ Dafür müssen wir ein Bewusstsein schaffen. 

Interview: Heide Teschner/DBZ

Die Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) ist laut eigener Aussage ein nachhaltiges Wirtschaftsmodell mit dem Ziel einer ethischen Wirtschaftskultur. Als Alternative zum gegenwärtigen Wirtschaftsverständnis der reinen Gewinnmaximierung nimmt die GWÖ Werte wie Menschenwürde, ökologische Verantwortung, Solidarität, sozia­le Gerechtigkeit, demokratische Mitbestimmung und Transparenz als Basis ihres wirtschaftlichen Handelns. Hinter der GWÖ steht die Überzeugung, dass die Herausforderungen unserer Zeit – von der Ressourcenknappheit über die Klimakrise, vom Verlust der Artenvielfalt bis hin zur Kluft zwischen Arm und Reich – Folgen des Kapitalismus sind und nur ganzheitlich und systemisch zu lösen sind. (…) Ihren Ausgang nahm die Gemeinwohl-Ökonomie 2010 in Wien. Heute umfasst die Bewegung laut ihrer Website weltweit 11 000 Unterstützerinnen und Unterstützer.

www.germany.econgood.org

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