Wohnen als Bestandsschutz

Baudenkmäler sind mehr als nur kulturell bedeutsam – oft nehmen sie auch eine his­torisch gewachsene soziale Funktion ein, die bei ihrem Abriss mit verschwinden würde. Das gilt im städtischen Kontext, aber vielmehr noch auf dem Land, wo fehlende Infrastruktur ohnehin das Zusammenleben belastet. Das Projekt „Schafstall“ zeigt, wie Stadt und Land näher zusammenrücken können, um bauliche und gesellschaftliche Substanz zu erhalten.

Vor dem Umbau: Die Bausubstanz des denkmalgeschützten, ehemaligen Schafstalls im brandenburgischen Ihlow war bereits stark angegriffen, als das Büro Eyrich Hertweck Architekten es zum ersten Mal in Augenschein nahm
Foto: Ralf Henning

Vor dem Umbau: Die Bausubstanz des denkmalgeschützten, ehemaligen Schafstalls im brandenburgischen Ihlow war bereits stark angegriffen, als das Büro Eyrich Hertweck Architekten es zum ersten Mal in Augenschein nahm
Foto: Ralf Henning

Unser Büro Eyrich-Hertweck Architekten beschäftigt sich bereits seit Jahren mit der Umnutzung von Baudenkmälern. Wir möchten Gebäude, die bereits eine Vergangenheit haben und damit einen Ort prägen, erhalten und ihnen mit natürlichen, gesunden und ressourcenschonenden Baustoffen neues Leben einhauchen. Bisher befanden sich unsere Projekte im städtischen Kontext, nun haben wir uns zum ersten Mal einem Denkmal auf dem Land gewidmet.

Nach dem Umbau: Die Bausubstanz soll möglichst weitgehend erhalten bleiben. Lediglich das Dach, das bereits ein nachträglicher Austausch ist, wird ersetzt und mit zweigeteilten Oberlichtern versehen
Foto: Ralf Henning

Nach dem Umbau: Die Bausubstanz soll möglichst weitgehend erhalten bleiben. Lediglich das Dach, das bereits ein nachträglicher Austausch ist, wird ersetzt und mit zweigeteilten Oberlichtern versehen
Foto: Ralf Henning

Wir hatten bis dahin schon große Herausforderungen gemeistert, zum Beispiel bei unserem Projekt „Glashütte Alt-Stralau“ in Berlin. Hier gab es auf mehreren Ebenen zahlreiche Herausforderungen, vom Planen für eine Baugruppe bis hin zu höchsten Anforderungen an Bauphysik und Brandschutz. Nun kamen aber ganz neue Schwierigkeiten auf uns zu. Ein erster, nicht zu unterschätzender Unterschied zum Bauen in der Stadt war die zeitaufwendige Recherche nach geeigneten Fachplanern und Fachfirmen im ländlichen Raum. In der unmittelbaren Umgebung gibt es meist keine ausreichende Auswahl und weder Fachplaner noch Firmen waren zu der Zeit bereit, weite Strecken zu einem Projekt zurückzulegen.

Projekt Glashütte in Berlin: Durch die Verteuerung des Wohnbaus wurde in den vergangenen Jahren auch das Bauen außerhalb des S-Bahnrings immer interessanter – zum Glück im Unglück für das denkmalgeschützte Gebäude, das sonst nicht mehr zu retten gewesen wäre
Foto: Claus Morgenstern

Projekt Glashütte in Berlin: Durch die Verteuerung des Wohnbaus wurde in den vergangenen Jahren auch das Bauen außerhalb des S-Bahnrings immer interessanter – zum Glück im Unglück für das denkmalgeschützte Gebäude, das sonst nicht mehr zu retten gewesen wäre
Foto: Claus Morgenstern

Baugruppen – die Rettung für Baudenkmäler?

Als wir das Denkmal auf dem Land, einen alten Schafstall in Ihlow (Oberbarnim), 2019 zum ersten Mal an einem sonnigen Junitag besuchten, fanden wir ein Gebäude vor, das uns durch seine äußere Präsenz und im Inneren mit seinen zwei ­offenen Räumen und einer imposanten Holzkonstruktion beeindruckte. Der Gedanke kam auf, dass das Gebäude so bleiben sollte, wie es ist. Die Realität ist jedoch eine andere. Das Gebäude stand schon seit Jahrzehnten leer, das Dach war undicht und die innenliegende Holzkonstruktion dadurch marode. So geht es zahlreichen ähnlichen Gebäuden in der Umgebung. Es bestand Handlungsbedarf.

Vom historischen Strohlager konnte nur ein kleiner Teil im Gemeinschaftsraum des ehemaligen Schafstalls gerettet werden
Foto: Ralf Henning

Vom historischen Strohlager konnte nur ein kleiner Teil im Gemeinschaftsraum des ehemaligen Schafstalls gerettet werden
Foto: Ralf Henning

Für landwirtschaftliche Gebäude gab es an der Stelle keine Verwendung mehr. Die Frage war deshalb, wer investiert in ein so großes Gebäude, bei dem die Baukosten erstmal höher sind als bei einem Neubau? Für einen einzelnen Investor, der profitorientiert arbeitet, ist so ein Umbau viel zu aufwendig und unsicher, denn wer kauft auf dem Land eine Wohnung für fast den gleichen Preis wie in Berlin Prenzlauer Berg? Für den Umbau als Kulturstätte sieht es ähnlich aus. Die Gemeinden haben kein Geld für solche Projekte und der Bedarf ist nicht gegeben. Für eine Genossenschaft oder einen Verein sind der höhere finanzielle Aufwand und die Unsicherheiten, die in einem Bestandsbau stecken, meist ebenfalls zu risikobehaftet.

Schnitt Wohnen, M 1 : 500

Schnitt Wohnen, M 1 : 500

Grundriss EG, M 1 : 500

Grundriss EG, M 1 : 500

Eigentümergemeinschaften in Form einer Baugruppe scheinen dann die beste Lösung zu sein, denn hier finden sich Menschen mit einem gewissen finanziellen Hintergrund zusammen, die sich mehr wünschen als nur neuen Wohnraum. Sie sehen ein Gebäude vor sich, das sie anspricht, das ihnen ein bestimmtes Lebensgefühl vermitteltet und in das sie investieren möchten.

Der Schafstall stand wie die Glashütte bereits kurz vor seinem endgültigen Aus. Für die Glashütte standen die Investoren*innen schon mit der Abrissbirne parat, gestützt auf Gutachten, die nur noch den Abriss empfohlen hatten. Der Weg sollte frei gemacht werden für effizientere, lukrative, neutrale Neubauten, die es in der unmittelbaren Umgebung zuhauf gibt.

Autorin: Heftpartnerin Anita Eyrich gründete 2012
gemeinsam mit Christian Hertweck das Büro Eyrich Hertweck Architekten in Berlin
Foto: Benedikt Kraft/DBZ

Autorin: Heftpartnerin Anita Eyrich gründete 2012
gemeinsam mit Christian Hertweck das Büro Eyrich Hertweck Architekten in Berlin
Foto: Benedikt Kraft/DBZ

Der Schafstall als Chance

Der Schafstall liegt am Ihlower Ring im idyllischen Ihlow in der Nähe von Strausberg im Naturpark Oberbarnim. Er ist mit dem Rad vom Prenzlauer Berg aus in unter drei Stunden und mit dem Auto in etwa einer Stunde zu erreichen. Buckow und der Strand des Schermützelsees sind nicht weit entfernt. Ihlow ist ein Dorf, das durch seine charaktervolle alte Bausubstanz, überwiegend in Form von Feldsteingebäuden, geprägt ist. Hierin liegt das Potenzial dieses Dorfes: Es bietet eine besondere Alternative zu den charakterlosen Neubaugebieten der Umgebung. Geht solche Substanz verloren, setzt sich der Schrumpfungsprozess eines Dorfes meist umso schneller fort.

Der Schafstall ist ein Einzeldenkmal im Ensembleschutz einer historischen, ehemals landwirtschaftlich genutzten Gesamtanlage, die sukzessiv zerfiel, da es bisher keine Konzepte und keine finanziellen Mittel für den Erhalt gab.

Dem damaligen Besitzer des Schafstalls ist die Bedeutung des Ensembles und seines Gebäudes bewusst. Der Wunsch, dem Dorf, in dem er lebt, neue Impulse zu geben, anstelle dem langsamen Verfall zuzuschauen, war dafür ausschlaggebend, dass er mit einem befreundeten Architekten den planerischen und rechtlichen Grundstein zur Umnutzung des Schafstalls legte. Seine Hoffnung ist, dass damit auch der Erhalt der weiteren Gebäude ermöglicht wird.

Nach der Bewilligung einer Bauvoranfrage wurden wir als Büro, das auf schwierige denkmalgeschützte Gebäude spezialisiert ist, ins Boot geholt, um das Projekt zur weiteren Entwicklung zu übernehmen.

Unsere Aufgabe sollte es sein, den denkmalgeschützten Schafstall zu einem Mehrfamilienhaus mit 24 Wohnungen (zwischen ca. 42 und 153 m² Wohnfläche) und einer Gemeinschaftseinheit (78 m² Wohnfläche) umzubauen.

Von solchen landwirtschaftlich genutzten Gebäude lassen sich meist keine Planungsunterlagen oder alte Fotos finden. Das bedeutete für uns als ersten Schritt, die Bausubstanz zu erforschen und zu untersuchen, Eingriffe im bisherigen Lebensverlauf des Gebäudes zu dokumentieren und auf Erhalt oder Rückbau zu prüfen. Diese Phase wird in enger Zusammenarbeit mit der oberen und unteren Denkmalbehörde durchgeführt.

Der Bestand

Der Schafstall gehört mit seinen Ausmaßen von 68,8 m Länge und 17 m Breite (Giebel 10,75 m Traufe 6,9 m) zu den großen Gebäuden in dieser Kategorie. Er ist ein vollunterkellertes Massivgebäude aus dem Jahr 1872. Der Keller mit unbefes­tigtem Boden besteht aus einem gemauerten Kreuzgewölbe mit eingeschobenen Verbindungsgewölben. Hier wurden überwiegend Kartoffeln für die angrenzende Brennerei gelagert. Die Konstruktion oberhalb des Kellers besteht im Bereich bis ca. 4 m oberhalb der Geländekante aus Feldstein-, darüber aus Ziegelmauerwerk. Eine Stützen-Balkenkonstruktion bildet die Grundlage für die ehemaligen Heuböden, unter denen sich die Schafe befanden. Ein davon unabhängiges Holzstabwerk über den gesamten Gebäudequerschnitt bildet die tragende Konstruktion für das Dach.

Die Kosten

Der Blick auf die Kosten bei Baudenkmälern dieser Kategorie zeigt, dass die zu erreichende Wohnfläche im Verhältnis zu der zu sanierenden Bausubstanz sehr niedrig ist. Sprich, auf den Quadratmeter Wohnfläche fällt viel zu sanierende und zu erstellende Bausubstanz an, die Kosten erzeugen. Dieses Verhältnis muss, bedingt durch die gestiegenen Baukosten, soweit wie möglich verbessert werden. Das heißt, großzügige Wohnungen mit viel Luftraum sprengen leider den finanziellen Rahmen. Beim Projekt Schafstall war die Nachfrage nach kleinen und mittleren Wohnungen deshalb erwartungsgemäß am größten. Durch Galerieebenen in den oberen Wohnungen wird die Wohnfläche nochmals erweitert. Trotzdem wird ein effizientes Verhältnis von Wohnfläche zu Baukosten im Vergleich zu Neubauten nicht erreicht. Dafür liegt der Gebäudewert sowohl in der Besonderheit der äußeren Erscheinung und seiner Umgebung als auch in der Entwicklung ungewöhnlicher Wohnungen. Eine Förderung durch die KfW gleicht die Differenz der Kosten zum Neubau etwas aus.

Erschließung und Gebäudeorganisation

Die Zugänge zu den vier innenliegenden Treppenhäusern liegen am Ihlower Ring. Zwei Treppenhäuser werden in das Kellergeschoss geführt. Eine Wohnung im Erdgeschoss wird direkt vom Ihlower Ring erschlossen.

Auf der südlichen Giebelseite befindet sich ein Gemeinschaftsbereich, der als vermietbarer Seminarraum, als Coworking Space, für Yogaevents, für Treffen mit Freunden, für Übernachtungen, als mietbarer Gemeinderaum, für private Feiern und vieles mehr genutzt werden kann.

Insgesamt werden drei bewohnbare Geschosse im Gebäude geschaffen. Die Wohnungen im Erdgeschoss sind eingeschossig, im Obergeschoss wird auf zwei Ebenen gewohnt. Jede Wohnung hat einen direkten Zugang ins Freie. Auf der Gartenseite werden für jede Wohnung im Obergeschoss Dachterrassen in die Dachfläche eingeschnitten. Die Terrassen im Erdgeschoss sind versetzt im Garten verteilt, um ein Höchstmaß an Privatheit zu erreichen. Vor dem Hof, der von dem Schafstall, dem ehemaligen Feuerwehrgebäude und der Brennerei begrenzt wird, und vor dem Gemeinschaftsraum entstehen gemeinschaftlich genutzte Freiflächen zum Grillen und Reden.

Das Kellergewölbe hat auf der Ostseite je einen Zugang am südlichen und nördlichen Ende. Der nördliche Teil ist mit Haustechnik belegt. Im mittleren Teil sind Fahrradstellplätze und Kellerverschläge geplant und im abgetrennten südlichen Kellergewölbe dürfen sich Fledermäuse einnisten.

Im Erdgeschoss werden, wegen der großen Gebäudetiefe, gezielt Sichtachsen eingefügt, die dem Licht ermöglichen, tiefer in das Gebäude einzudringen. Die Wohnungserschließung befindet sich in der dunkleren Mitte des Gebäudes. Die Treppenhäuser, die das Erdgeschoss, Obergeschoss und Dachgeschoss anbinden, werden gewendelt in den Treppenraum eingepasst. Die Absturzsicherung wird mit Gitterelementen erstellt, die an Stallungen erinnern. Die Deckenhöhen entwickeln sich von der Oberkante der ursprünglichen Traufe im Westen aus. Diese dient als Absturzsicherung und gibt die Höhe der Terrassen an. Um der Galerieebene eine angenehme Deckenhöhe zu geben und die vorhandenen Fensteröffnungen nutzen zu können, liegt die Decke zwischen Erdgeschoss und Obergeschoss 1 m tie­fer als die Terrasse.

Rettung der alten Bausubstanz

Um den Charakter des Gebäudes und den Ensembleschutz zu erhalten, werden die Fassaden ­behutsam der neuen Nutzung angepasst und ­vorhandene Öffnungen übernommen oder vergrößert. Es werden keine neuen Öffnungen in die Hülle eingebracht.

In den ersten Sitzungen mit dem Denkmalamt waren wir uns einig, dass soviel wie möglich auch von der inneren Struktur erhalten bleiben sollte. Die Holzbinder wollten wir in die Wohnungstrennwände integrieren, sodass sie jeweils einseitig in einer Wohnung sichtbar bleiben. Zusätzlich sollte der Heuboden in der Gemeinschaftseinheit, die ohne Zwischendecke geplant ist, wieder aufgebaut werden.

Wegen der durch Pandemie und Kriege extrem gestiegenen Baukosten mussten wir die Konstruktion der Wohnungstrennwände vereinfachen. Die Überlegungen des Büros IBS zur Statik ergab, dass das Integrieren der Holzbinder in die Wohnungstrennwände eine kaum zu bewerkstelligende Aufgabe ist. Die Anforderungen an Schall- und Brandschutz – welche die gleichen sind wie bei einem Neubau – und das Holzgutachten, das den schlechten Zustand der Holzkonstruktionen feststellte, ließ uns auf Kalksandsteinwände wechseln. Geblieben sind am Ende die Holzbinder und der Heuboden im Gemeinschaftsraum, sie werden aus den noch zu verwertenden Althölzern wieder aufgebaut. Es stand von Anfang an fest, dass das Dach komplett erneuert werden muss, da es zwischenzeitlich aus minderwertigen Hölzern und Schadstoff belasteten Materialien erstellt worden war.

Konstruktion und Aufbau

Das Dach wird als Holzkonstruktion mit Holzfasereinblasdämmung gebaut und mit ortsüblichen Ziegeln gedeckt. Um im Obergeschoss helle Wohnräume zu erzeugen, ohne das Dach mit Dachfenstern zu zerteilen, haben wir eine Gaube entwickelt, die zwei große Fenster auf gegen­überliegenden Seiten aufnehmen kann. Die Wohnungstrennwände werden mit KS Mauerwerk, aus statischen Gründen in einer Schottenbauweise, erstellt. Die Geschossdecken sind Holz-Brettstapeldecken. Die Innendämmung besteht aus einer zweischichtigen Holzfaserdämmung, die von der Firma Unger Diffutherm für unebene Untergründe bei Bestandsbauten entwickelt wurde. Die urinbedingte Versalzung im unteren Teil der inneren Außenwände wird, bevor die Holzfaserdämmung aufgebracht wird, weitestgehend entfernt und mit einem „Opferputz“ versehen.

Alle massiven Wände werden innen mit Lehm verputzt, sodass eine gute Feuchteregulierung ohne den Einsatz von Lüftungsanlagen gegeben ist. Lüfter sind nur in den innenliegenden Bädern mit Türunterschnitt und Fensterfalzlüftern in den Holzfenstern geplant.

Die Klimahülle endet im Erdgeschoss. Der Keller wird nicht gedämmt. Das vorhandene Raumklima wird dort erhalten. Die neue äußere Abdichtung der Kellerwände wird zielgerecht und wirtschaftlich nur gegen Oberflächenwasser eingebracht und nicht bis unter das Kellerfundament gezogen. Denn bei dem vorhandenen Feldsteinkellerwänden und durch das mindestens 60 cm höher gelegene Erdgeschoss ist nicht von aufsteigender Feuchtigkeit auszugehen. Feldstein ist ein sehr dichter Stein, bei dem es keine Kapillarwirkung gibt. Im Keller wird ein durchgehender Kanal in der Mitte des Gebäudes in den Boden eingelassen. Die Kernbohrungen in den Gewölbedecken für die durchgehenden Installationen müssen präzise gesetzt werden, um die Gewölbestatik nicht zu gefährden.

Für die zwei Treppenhäuser, die in den Keller führen, müssen zwei Gewölbedecken entfernt werden. Da diese Decken sich im System gegenseitig stützen, müssen Maßnahmen getroffen werden, um den fehlenden Gegendruck aufzunehmen.

Das neue Leben auf dem Land

Das Projekt Glashütte hat der damals schnell ansteigende Preis für Wohn­eigentum in der Stadt gerettet. Auf einmal wurden Gebäude und Grundstücke interessant, die keine optimale Lage boten und schwierig im Umbau waren. Im Falle des Schafstalls hat die Corona-Krise eine große Rolle gespielt. Wurde vorher nur vereinzelt der Traum von einem eigenen Bauernhaus auf der grünen Wiese geträumt, fand nun – ausgelöst durch die neue, schmerzliche Erfahrung der Isolation – ein Umdenken statt. Das Leben in der Stadt wurde auf einmal all seiner Vorteile beraubt, das Leben auf dem Land dagegen stellte neue Freiheiten in Aussicht. Zusätzlich erlauben es die neuen digitalen Arbeitsweisen, die während der Pandemie entstanden, vielen ortsunabhängig zu arbeiten. Die gemeinschaftliche Lebensform in unserem Schafstall, einer Art Reihenhauswohnen, wird attraktiv. Ein Stück städtisches Leben wird auf das Land verlegt, es gibt Spielkamerad*innen als Nachbar*innen, die schlechte oder fehlende Infrastruktur in dieser Gegend kann zum Teil durch Nachbarschaftshilfe ausgeglichen werden. Fahrgemeinschaften sind möglich. Das Grün muss nicht allein gepflegt werden, man kann auch im Alter weiter in der Gemeinschaft wohnen bleiben.

Unser Büro, die Fachplaner und die Projektsteuerung fanden sich im Frühjahr 2020 mit dem Risiko zusammen, dass das Projekt im Vorfeld scheitern kann. Die Vorlaufzeit bei der Glashütte lag bei drei und beim Schafstall bei etwa anderthalb Jahren. Im Juni 2020 fand unsere erste Vorstellung des Projekts vor Ort statt. Ein Jahr später war die Gruppe endgültig voll besetzt. Es hat sich eine Gemeinschaft zusammengefunden, die sozial und demokratisch kompetent ist, die Abstimmungen und Entscheidungen ruhig und zielorientiert trifft.

Den ca. 160 Einwohner*innen des Dorfes, das nun durch unser Projekt ca. 60 neue Bewohner*innen zu erwarten hat, waren die Vorteile, die der Erhalt des Schafstalls für das Dorf bedeuten, bewusst. Ein wichtiger Teil des Dorfcharakters bleibt erhalten, der Hof soll wiederbelebt werden, die Infrastruktur kann verbessert werden, es gibt neue Anregungen und Chancen für die Dorfbewohne*innen. Regelmäßig stattfindende Baugruppenfeste stärken die Dorfgemeinschaft. Ein Durchmischen der ansässigen Dorfbewohne*innen mit der Baugruppe hat bereits stattgefunden. Der ehemalige Eigentümer ist fester Bestandteil der Festkomitees, der Dorfvorsteher ist als Landschaftsplaner im Fachplanerteam, die mietbaren Übernachtungsmöglichkeiten in der Umgebung werden rege in Anspruch genommen.

Eine große Rolle für das Überleben und Wachsen von Dörfern liegt unserer Meinung nach in der vorhandenen Infrastruktur, in der Nähe zu Arbeits und Ausbildungsmöglichkeiten, in einer vielseitigen Umgebung mit Freizeitangeboten, in einer interessanten Bausubstanz und in der Offenheit der Dorfbewohner*innen. In diese Parameter sollte investiert werden, um die Lebensqualität und die Zufriedenheit auf dem Land zu steigern.

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