Zurückhaltend und respektvoll
DBZ Heftpartner:innen
Sandra Kaiser, Laura Klinghammer und Christoph Winterling,
planinghaus architekten
Foto: Ina Lülfsmann / DBZ
Bauen im Bestand ist für uns keine besondere Disziplin des architektonischen Schaffens, sondern eher eine Herangehensweise, eine Haltung. Wir machen den Kontext zum Ausgangspunkt für konzeptionelles Denken und Problemlösungen. Seit der Bürogründung Mitte der 1990er-Jahre steht die Auseinandersetzung mit Vorgefundenem im Zentrum unserer Tätigkeit. Zunächst in Form von kleineren Um- und Anbauten, meist mit dem Ziel Wohnraum zu qualifizieren; später im Zusammenhang mit Denkmalschutz und Denkmalpflege, häufig im Bereich von technischen Denkmalen. Heute beschäftigen uns neben baupraktischen Aufgaben auch zunehmend Fragestellungen im Zusammenhang mit dem UNESCO Welterbe. Diese Themen, obwohl inhaltlich und im Maßstab sehr verschieden, bearbeiten wir auf dieselbe, am Kontext orientierte Art und Weise. Die Vielfalt der Aufgaben, in Kombination mit einer einheitlichen Lösungsstrategie, sorgt dafür, dass wir uns unserer Arbeit mit Spaß und Enthusiasmus widmen können.
Unstrittig wird sich das Bauen in naher Zukunft grundlegend wandeln müssen, weil die angestrebten Nachhaltigkeitsziele mit den vertrauten Strategien nicht länger zu erreichen sind. Des Weiteren verteuern endliche und zunehmend schwieriger zu beschaffende Materialien das Bauen. Dieser Umstand steigert sowohl den Wert des bereits Gebauten als auch die Bereitschaft, diese Ressourcen weiter zu nutzen. Bereits heute ist der größere Teil aller Bauaufgaben, die eine Planung erfordern, im Bestand anzusiedeln. Umso mehr verwundert es, wie stark der Fokus in der Architekturausbildung, bei der Entwicklung von Bauprodukten, aber auch im Bereich der Normen und Regelwerke nach wie vor auf dem Neubau liegt.
Von diesem Punkt ausgehend landet man unausweichlich bei der Frage nach der Haltung, mit der man sich einer Bauaufgabe im Bestand, im Gegensatz zum Neubau, annähern kann. Konzepte mit vordergründigem Gestaltungswillen stoßen hierbei häufig an Grenzen – der vorgefundene bauliche Bestand diktiert die Regeln, er verlangt einen gewissen Respekt und weist möglicherweise einen Schutzstatus auf. Da kann Bescheidenheit nottun und sich die Rolle der Planenden auf die Moderation von Projektzielen beschränken. Eine solche zurückhaltende Position ist beim Bauen im Bestand vielleicht leichter einzuüben als beim Neubau. Uns hat dieser Ansatz jedenfalls sehr dabei geholfen, realistisch einzuschätzen, was wir zu einem gelungenen Projekt im Bestand beitragen können.
Vom Bauen im Bestand ist es nicht weit zum Bauen im denkmalgeschützten Kontext oder schließlich im Welterbe. Die Herangehensweise und die planerischen Strategien ähneln sich und am Ende bedeutet eine nachhaltige, neue Nutzung in der Regel eine gesicherte Zukunft für den Bestand. Hierbei wird es selten eine so idealtypische Überlagerung von Vorgefundenem und Geplantem geben, wie dies beispielsweise bei unserem Umbau einer ehemaligen Salzfabrik zum neuen Schaudepot des Ruhr Museums der Fall war. Allerdings wurde bei diesem Projekt nahezu das gesamte Know-how abgeffragt, das unser Büro sich im Laufe der Jahre angeeignet hat: ein sperriges Bestandsgebäude, das ohne großen eigenen Objektwert Denkmalschutz genießt und zudem Teil einer Welterbestätte ist, eine ambitionierte neue Nutzung in einer eher schlichten Bestandsarchitektur und eine Vielzahl von Beteiligten mit berechtigten – aber nicht selten divergierenden – Interessen.
Zwischen diesen teilweise widerstreitenden Belangen zu vermitteln, ist inzwischen fester Bestandteil unserer Tätigkeit und letztlich auch Folge unserer intensiven Beschäftigung mit Bauaufgaben im Bestand. Vor dem Hintergrund von Denkmalschutz oder sogar Welterbe treten die Konflikte, die die Qualifizierung eines vorgefundenen Gebäudes mit sich bringen, wie unter einem Brennglas deutlich zu Tage: je wertiger die neue Nutzung ist, desto größer der Veränderungsdruck und umso umfangreicher die erforderlichen Eingriffe. Große Veränderungen liegen in der Regel jedoch nicht im Interesse von Denkmalschutz und Welterbe-Konvention. Die aus diesem Spannungsfeld entstehenden Konflikte können nur durch Planungs- und Vermittlungsleistungen befriedet werden. Wir haben im Laufe der Jahre die Erfahrung gemacht, dass unsere Disziplin hier deutlich größere Gestaltungsspielräume vorfindet, als üblicherweise angenommen wird. Wir nutzen die Möglichkeiten inzwischen intensiv und setzen unsere Expertise insbesondere dazu ein, Verständnis für die Notwendigkeit struktureller Veränderungen und Standardanpassungen bei den Institutionen des Denkmalschutzes zu wecken. Gleichzeitig versuchen wir Eigentümer:innen und Nutzer:innen von Bestandsgebäuden zu vermitteln, dass deren Eigenheiten nicht mit jedem Wunsch kombinierbar sind.
Vor dem Hintergrund dieser Gedanken und angesichts der aktuellen Herausforderungen im Bausektor könnte der Umgang mit Bestandsgebäuden und den in ihnen gebundenen Ressourcen in naher Zukunft zurückhaltender und respektvoller werden. Wir würden eine solche Entwicklung jedenfalls begrüßen und hoffen, dass dieses mit uns entstandene DBZ-Themenheft einen Beitrag zu der Diskussion formulieren kann.