Kultur kommt von Colere, Pflegen

In der Bankenstadt Frankfurt wird ein ganzer Stadtteil geopfert. Für mehr Ertrag in der Kultur

Geht man zur Wurzel des Wortes „Kultur“ zurück, bezeichnet es in seinem lateinischen Ursprung das vom Menschen Gestaltete. Damals war das im Wesentlichen das gestaltete (Acker)Land, der urbar gemachte Boden.

„Colere“, aus dem sich „Culturar“ abgeleitet hat, engt die Bedeutung auf ein Pflegen und Hegen eher ein. Ein Kulturcampus, wie ihn sich die Stadt Frankfurt a. M. – positiv interpretiert – offenbar als eine Art von Entschädigung für die jahrelangen Kürzungen im Kulturetat vorstellt, ist das Ergebnis einer (städtebaulichen) Hege und Pflege – Wenn man die Planungs- und Entwicklungsarbeit in der Stadt mit der Gartenarbeit gleichsetzt, in welcher Rückschnitt und Ausholzung, Erziehungsschnitt oder Veredelung beispielsweise Mittel sind, die Pflanzen jung und leistungsfähig zu halten.

Wo genau der Kulturcampus hinkommen soll, ist noch nicht zu Ende gedacht, in jedem Fall wurde schon mal zurückgeschnitten. Mit der Sprenung des AfE-Turms im Februar 2014 auf dem ehemaligen Bockenheimer Universitätscampus war ein spektakulärer Anfang gemacht, in wenigen Monaten soll auf dem Gelände Wohnungsbau errichtet werden.

Gegenüber und dahinter und noch ein wenig weiter in Steinwurfweite warten weitere Bauten auf ihre Sprengung. Oder zumindest ihren Abriss per Bagger. Sämtlich ehemalige Universitätsbauten, überwiegend aus einer Architektenhand: der des damaligen Baudirektors der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Ferdinand Kramer. Seine Mensa – immer schon „Labsaal“ genannt (Senkenberganlage 31, 1962/63) – wurde schon vor 13 Jahren stillgelegt und wäre möglicherweise in 2015 abgerissen worden, wenn die Stadt hier nicht einige hundert Flüchtlinge untergebracht hätte.

In Frankfurt wurden bereits abgerissen das Theodor-Stern-Haus (1960; 2010), das Institut für Kernphysik (1958; 2006), das Geologische-Paläontologische Institut (1953/54; 2007), das Geographische Institut (1964; 2007), das Institutsgebäude für Therapeutische Biochemie (1963; 2010 mit dem Theodor-Stern-Haus) und das Philosophische Seminargebäude, auch gerne „Philosophicum“ genannt (1958-60); aber nein, letzteres sollte, seit Jahren leerstehend und so recht von niemandem gemocht, schon mehrfach abgerissen werden. Nun hat sich allerdings ein Investor gefunden, der hier mit Forster Architekten Appartementwohnungen für Studenten und andere realisiert. Unter Wahrung des Denkmalschutzes ... Was aber auch heisst, dass der Denkmalschutz eine disponible Größe ist in der Planung ganz neuer Stadtviertel.

Weitere Universitäts-Bauten von Kramer stehen auf der Abbruchliste, so auch das Studentenwohnheim an der Bockenheimer Warte, im Rücken des Philosophicums. Die Stadt- und Universitätsbibliothek quer über die Bockenheimer Landstraße hinweg, eigentlich eine Ikone des deutschen funktionalen Bauens, aber wie viele vergleichbare Bauten auf dem Areal übernutzt und – aus Geldmangel weniger, eher aus mangelhaftem Respekt – kaum gepflegt. Dran glauben werden auch die Institute für Physik und Mathematik I +II an der Robert-Mayer-Straße, die vis-à-vis dem Neubau auf dem AfE-Gelände stehen und – auch aus Gründen mutwilliger Verwahrlosung – nur noch dem Kenner-Blick seine baukonstruktiven Besonderheiten offenbaren. Für sie wird es einen Neubau auf dem Campus Riedberg geben.

Das Heizkraftwerk, als Fernheizwerk 1954 als beinahe erstes Gebäude auf dem Universitätscampus gebaut, war ein Kohlekraftwerk, das in den letzten Jahren auf Heizöl umstellte. Damit wurde beispielsweise die Kohleförderanlage als Becherwerk mit Förderbändern stillgelegt, auch der originale Schlot wurde ersetzt. Seit 2014 ist das Fernheizwerk abgeschaltet, eine Weiternutzung durch Umnutzung ist mit Blick auf die Schadstoffbelastung eher unwahrscheinlich, der Abriss ist möglich.

Gerettet wurden die Institute für Pharmazie und Lebensmittelchemie (1957) durch eine gelungene Sanierung (Schürmann Spannel AG, Bochum, 2009-12), heute arbeitet in der architektonisch besonderen Anlage (Hörsaal beispielsweise) das Forschungszentrum für Biodiversität und Klima.

Der Kulturcampus ist ins Stocken geraten, was den Bauten von Kramer nicht unbedingt nutzen wird. Die Sanierung des Hauptgebäudes, das zur Zeit zwecks Erweiterung des Senkenberg Museums komplett mit Staubnetzen eingehüllt ist, markiert zwar das Ende des Gründungsstandorts, es erzählt allerdings noch nichts davon, was nach 2018-20 kommen wird. Eines aber scheint klar zu sein: Die Bauten von Kramer werden als glasklare Zeugen für den Funktionalismus à la Deutschland keine Rolle spielen. Und mit Blick auf den Haupteingang im ehemaligen Jürgelhaus, ein nach dem Krieg 1939-45 wiedererichteter Neo-Barockbau, der sich heute als Baustelle im Gesamtumbau (Peter Kulka) darstellt, scheint es eher darum zu gehen, Spuren auch der Widerspenstigkeit zu verwischen. So hatte Kramer als eine seiner ersten Amtshandlungen am Sitz seines Fürsprechers und Universitätsrektors, Max Horkheimer, das frisch restaurierte Portal aufbrechen und umbauen lassen. Licht, Luft, Weite sollten in die Universität auch physisch eindringen können. Ob dieser Brachialakt im Kulka-Umbau gerettet werden wird, ist nicht bekannt.

Augen zu und durch? Wie war das noch mit dem Hegen und Pflegen? Aber ja, das dient im Gartenbau weniger dem ästhetisch kritischen Diskurs, sondern in erster Linie der Ertragssteigerung. „Kulturcampus“, so verstanden passt das zur Bankenstadt. Be. K.

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