Macht Kretschmann nun den Wowereit?

Die Entscheidung über S21 fällt am 5. März 2013 im Aufsichtsrat – oder auch nicht. Von Rüdiger Sinn, Stuttgart

Wie viel darf’s denn noch kosten? Wann wird er fertig werden? Und: Wird er überhaupt gebaut? Die Rede ist vom dritten skandalösen Großprojekt (neben dem Hauptstadtflughafen BER und der Elbphilharmonie) in Deutschland: dem neuen unterirdischen Stuttgarter Hauptbahnhof und dem damit verbunden Projekt S21.

Wem diese Anfangsfragen bekannt vorkommen, liegt richtig. Denn sie wurden schon oft gestellt. Wir erinnern uns: Ursprünglich sollte das Projekt 2,6 Mrd. Euro kosten, noch vor drei Jahren – dem Beginn der Bauarbeiten – lagen die offiziellen (das heißt die von der Bahn bekannt gegebenen) Zahlen bei 3,14 Mrd. Euro, es gab einen Puffer vor rund 1,5 Mrd. Euro und die Fertigstellung sollte im Jahr 2019 sein. Schon diese Summen wurden vom Bundesrechnungshof und unabhängigen Gutachtern damals angezweifelt.

Zwei Jahre später kam die politische Wende in Baden-Württemberg und es gab andere Zahlen. Die Kosten wurden von der Bahn auf 4,26 Mrd. Euro taxiert, damit war der Risikopuffer aufgebraucht. „4,526 Mrd. sind die Sollbruchstelle bei diesem Projekt“, tönte damals noch Bahnchef Rüdiger Grube. Mit dieser Zusage konnte der ehrenwerte "Hamburger Kaufmann" (Grube über Grube) die Bürgerinnen und Bürger beruhigen.

Das war nötig und erfolgreich, denn die von der neuen Koalition initiierte Volksabstimmung ging zu Gunsten der S21-Befürworter aus, auch wenn sich die Gegner bemühten, die aus ihrer Sicht heruntergerechneten Zahlen zu widerlegen. Seit dem ist die grün-rote Landesregierung in einer misslichen Lage. Man sollte ein Projekt befördern, das ein Teil der Koalition gar nicht wollte – ein Spagat, der für manchen Frust in der Koalition sorgte. Die Bahn schleifte den Südflügel des denkmalgeschützten Bonatzbaus und rodete den Schlosspark, obwohl entscheidende Teile des Projektes noch nicht einmal planfestgestellt waren und die Gesamtkosten weiterhin im Dunkeln blieben. Beide Male schwieg Kretschmann, immer mit dem Hinweis, die Bahn habe das Baurecht. Ein kluger Schachzug hingegen war allerdings, den Kostendeckel, also den Landeszuschuss über rund 930 Mio. Euro, festzuzurren und koalitonsübergreifend im Land abzusegnen.
 
Inzwischen – wir sind im Jahr 2013 angelangt – weiß man, dass der Bau abermals teurer wird. Statt den 4,33 Mrd. Euro geht es nun um mindestens 5,987 Mrd. plus Risikopuffer. Laut Recherchen der Stuttgarter Zeitung soll auch der Gesamtfinanzierungsrahmen erhöht werden. Dieser betrug seit 2009 4,526 Mrd. Euro, jetzt werden 6,526 Mrd. angestrebt. Und darüber soll der Aufsichtsrat der Bahn nächsten Dienstag entscheiden.
 
Diese Sitzung ist brisant, denn die Bahn möchte das Finanzierungsrisiko schon heute nicht alleine tragen. Der Technikvorstand, Volker Kefer, hat deshalb in den letzten Wochen Klinken geputzt, ist bei den Projektpartnern vorstellig geworden. Doch vom neuen Grünen-Bürgermeister Kuhn aus Stuttgart ist hier ebenso wenig zu erwarten, wie vom Land Baden-Württemberg. „Der Kostendeckel gilt“, bemüht sich der Landeschef Kretschmann gebetsmühlenhaft zu wiederholen, was das Land beschlossen hat und meinte damit „mir gäbbet nix“. Im Zusammenhang mit der Kostenexplosion am Berliner Hauptstadtflughafen BER schob er noch nach: „Ich macht hier doch nicht den Wowereit“. Will heißen – wir schießen doch nicht Geld in ein Projekt zu, von dem wir nicht wissen, ob es überhaupt realisiert werden wird. Und dieses Szenario ist seit der neuesten Kostenschätzung auch nicht mehr von der Hand zu weisen: Seit die Aufsichtsräte, die in der Mehrheit von der Bundesregierung bestellt werden, von der neuesten Kostenexplosion gehört haben, wird auch offen über Ausstiegsszenarien nachgedacht.
 
Nach der gestrigen Sitzung des Verkehrsausschusses, bei dem sich Bahnchef Grube und Verkehrsminister Ramsauer (CSU) den Fragen der Abgeordneten stellen mussten, zeigten sich die beiden aber weiterhin unbeeindruckt. Der Minister erklärte, er halte das Projekt weiter für sinnvoll. Der Bahnchef erklärte, für den Ausstieg gebe es „keine rechtliche Grundlage“. Kritisch äußerten sich dagegen Abgeordnete der SPD. Sören Bartol forderte nach der Sitzung, dass die DB-Aufsichtsratssitzung am kommenden Dienstag keine Entscheidung zum Weiterbau treffe, bevor die Aufteilung der Mehrkosten nicht verbindlich geklärt sei.
 
Betreffend der Wirtschaftlichkeit gab es von Seiten der Bahn widersprüchliche Aussagen: Die Rendite des Projektes werde beim Einsatz von weiteren 1,1 Mrd. Euro auf zwei Prozent sinken. Der Konzern schreibt hier als Antwort auf den Fragenkatalog der Fraktionen im Bundestag, dass die Verzinsung dann zwar noch „positiv“ sei, der „Maßstab für die Wirtschaftlichkeit werde aber nicht erreicht.“
 
Paradox, doch die Bahn rechnet so: Bei einem Projektabbruch entstehen dem Konzern 2 Mrd. Euro an Kosten. Der Weiterbau wird begründet, weil das günstiger sei. Die Wirtschaftlichkeit geht aber nur deshalb auf, weil von der Bahn die Ausstiegskosten auf die Gesamtkosten angerechnet werden und gleichzeitig die Inflation für weitere Baukosten auf nur 1,5 % festgelegt wurden.

Andere argumentieren realistischer: Die Entscheidung für einen Weiterbau hänge laut Unterlagen der Bahn an nur rund 77 Mio. Euro, schreibt die Stuttgarter Zeitung. Würde das Projekt nur wenig teurer, die Ausstiegskosten niedriger oder die Inflation höher, wäre das Projekt nicht wirtschaftlich, rechnet die Zeitung vor.
 
Der Vorsitzende des Verkehrsausschusses, Anton Hofreiter (Grüne) kritisierte die Berechnungen der Bahn als „nur noch aberwitzig“. Die Kosten seien schon vor dem richtigen Baubeginn von drei auf nun fast sieben Milliarden Euro explodiert. S21 werde aus machtpolitischen Gründen weitergeführt, das sei offensichtlich.
 
Zumindest die Baden-Württemberger scheinen das langsam auch zu kapieren. In einer jüngst veröffentlichten repräsentativen Emind-Umfrage (im Auftrag der TAZ und der Kontext-Wochenzeitung) lehnen 54 Prozent S21 ab, nur noch 39 Prozent befürworten es.
 
Und damit hätte Stuttgart 21 nun langsam das Zeug, zum Wahlkampfthema für die Bundestagswahl zu werden. Angela Merkel und die Bundesregierung tun derzeit noch alles dafür, dass das Großprojekt weitergetrieben wird und befeuern so indirekt den Wahlkampf. Im Augenblick sehe es danach aus, besser weiterzubauen, sagte Bundesverkehrsminister Ramsauer am Dienstag im ARD-„Morgenmagazin“. Kürzlich stieß Bundesfinanzminister Schäuble ins gleiche Horn. Das wiederum könnte die SPD im Wahlkampf für sich nutzen, spätestens dann aber sollte sich auch die SPD-Spitze in Baden-Württemberg Gedanken machen, wann sie aus dem Milliardengrab aussteigt. Besser schon heute als morgen, denn übermorgen könnte es noch mehr kosten. Und wann wird es noch mal fertig? Die Bahn rechnet nun schon offiziell mit dem Jahr 2022. Der Baden-Württembergische Verkehrsminister Hermann geht von 2025 aus.

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