Stuttgart 21 kommt
Nach der endgültigen Entscheidung gibt es nun kein Zurück mehr. 2020 sollen die ersten Züge rollen. Von Rüdiger Sinn, Stuttgart 22.01.2018Es war die Xte "entgültige" Vereinbarung über den Bau des Bahn-Großprojektes mit dem Namen Stuttgart 21 (S21), das vergangene Woche zunächst vom Bahnvorstand durchgewunken und schließlich im so genannten Lenkungskreis – allen voran von Bahnchef Rüdiger Grube – bestätigt wurde. Und dieses Mal wird es wohl tatsächlich die endgültige Entscheidung über den Bau des Megaprojektes sein. Stuttgart 21 kommt, im Frühjahr 2010 ist der Spatenstich, dann rücken die Bagger an.
Bei den Kosten musste die Bahn nochmals korrigieren. Sprach man vor einem knappen Jahr noch von rund 3,1 Milliarden, wird das Megaprojekt nun auf 4,1 Milliarden Euro geschätzt. Die milliardenschwere Investition soll ab 2020 Stuttgart auf einer Hochgeschwindigkeitsstrecke mit Ulm verbinden und den Stuttgarter Bahnhof als unterirdischen Durchgangsbahnhof gestalten. Das Projekt sieht zudem die Anbindung an den Stuttgarter Flughafen vor. Insgesamt 33 Kilometer Tunnelröhren werden nötig sein, um den Stuttgarter Talkessel mit den Höhen des südlichen Stuttgarter Umlandes zu verbinden.
Der Umgestaltung des historischen Stuttgarter Hauptbahnhofes, des so genannten Bonatzbaus, und die Anbindung an den Flughafen ging ein jahrelanges Ringen voraus. Nicht nur, dass der von Bonatz und Scholer geplante Bahnhof (1922-27) um seine Seitenflügel gestutzt wird, auch die offensichtlich schwer kalkulierbaren Kosten waren Zielpunkte vergangener Bürger- und Experten-Proteste. Und weil sich über Gestaltung beispielsweise oder den Denkmalwert eines Gebäudes prächtig streiten lässt, konzentrierten sich die Einwände auf die Erstellungskosten, die von Projektgegnern schon sehr früh als viel zu niedrig eingeschätzt bewertet wurden. Und tatsächlich wurde diesem Einwand nun recht gegeben, die von offizieller Seite nun zugegebene Kostensteigerung von 3,14 Milliarden auf 4,1 Milliarden Euro innerhalb nicht mal eines Jahres, ist schwer zu rechtfertigen und verursacht einen weiteren Glaubwürdigkeitsschwund bei den Verantwortlichen. Noch bis vor Kurzem versäumten es die Befürworter nicht, ihr Projekt als das am besten geplante Eisenbahnprojekt (bei dem alle vorhersehbaren Kosten eingerechnet wurden) zu betiteln. Gebetsmühlenartig formuliert von Ex-Bahnchef Mehdorn, fast Ex-Ministerpräsident Günther Oettinger und dem schwächelnden Stuttgarter OB Schuster, wird diese Floskel nun genau von diesen immer mehr zur Farce gemacht.
Eine politische Antwort gab es schon bei der Kommunalwahl, im Sommer wurden die Grünen – als eine der wenigen Parteien, die geschlossen gegen S21 votierte – stärkste Kraft im Rathaus und lösten die CDU ab. Eine Sensation in Stuttgart und im Ländle.
Nachdem im Frühjahr die Finanzierungsvereinbarung stand, wurde auf Druck der Gegner in den letzten Wochen noch einmal nachgerechnet. Nun vom neuen Bahnchef Rüdiger Grube. Die Kosten sind nun auf den Bund (1,166 Mrd.), Bahn (1,521 Mrd.), Land (824 Mio), Region (100 Mio), Stadt (239 Mio) und Flughafen (227 Mio) verteilt. Ob die Zahl 4,1 Milliarden Euro (die mit 450 Millionen unter der von Grube bezeichneten „Sollbruchstelle“ von 4,5 Milliarden Euro liegt) die endgültigen Kosten wiedergibt, darf getrost angezweifelt werden. Unabhängige Gutachter – das Münchner Planungsbüro Vieregg und Rößler – gehen beispielsweise von 6,9 bis 8,7 Milliarden Euro aus. Und bisher wurden alle Großprojekte der Bahn am Ende immer deutlich teuerer, so beispielsweise der Citytunnel von Leipzig, der voraussichtlich fast 900 statt 572 Millionen Euro kosten und dessen Bauzeit sich um drei Jahre verlängern wird. Als Beispiel taugt auch die ICE-Rennstrecke von Frankfurt nach Köln. Mit sechs Milliarden Euro war sie um 125 Prozent teurer als geplant.
Gerade aus diesem Grund hat das Durchboxen von S21 ein „Gschmäckle“, wie man im Schwäbischen sagt. Über den Bahnhofsneubau kann man streiten, über die Sinnhaftigkeit einer Schnellbahnstrecke auch, aber bei Kosten kennt der Bürger kein Erbarmen. Der Risikotopf, der ehemals 1,5 Milliarden Euro bereithielt ist zu zwei Dritteln aufgebraucht und in die neue Kostenrechnung miteinbezogen. Kostensteigerungen sind in allen Bereichen, die den Bau betreffen, zu erwarten. Der Bahnchef muss sich mit der Kritik konfrontieren lassen, das Projekt schöngerechnet zu haben, vor allem um unter der magischen Grenze von 4,5 Milliarden zu bleiben. Nur deshalb gab der Bahnvorstand für S21 grünes Licht. Gespart wird in dieser Rechnung unter anderem bei den Wandstärken der Tunnelröhren, aber auch an Planungskosten.
Und auch am eigentlichen Bahnhof, der von Architekt Ingenhoven geplant wurde? Dazu gibt es widersprüchliche Aussagen und nicht mehr als Spekulationen. An der Ausführung werde noch gefeilt, hieß es im Sommer, man möchte an die Sparschnitte am Berliner Hauptbahnhof denken. Aber Ex-Bahnchef Mehdorn ist nicht der derzeitige Bahnchef, vielleicht fallen Grube und seinem Team noch mehr Sparmaßnahmen ein.
Nicht wenige befürchten nun, das Geld könne ausgehen. Wenn die Bahn nicht mehr zahlt als zugesichert, kommen auf Stadt und Land erhebliche Mehrkosten zu, die kaum vermittelbar wären. Mehr als den Gürtel enger schnallen geht nicht, denn gespart wird in Stuttgart heute schon an allen Ecken und Enden, und es droht nach den Worten der Gegnerschaft ein „finanzielles Desaster“. Deshalb wird der Protest der Projektgegner auch weitergehen. Am vergangenen Donnerstag – dem Unterzeichnungstag – versammelten sich spontan rund 1000 Gegner und versperrten eine der Hauptschlagadern des Stuttgarter Straßennetzes. Und weitere Proteste sind angekündigt. In der Tradition der Montagsdemonstrationen und unter dem Motto „Wir sind das Volk“.
Unumkehrbar ist das ambitionierte Projekt nun aber trotzdem. Der Spatenstich soll im Februar sein. Dann wird zunächst mit Arbeiten im Gleisvorfeld begonnen. Im September sollen die Seitenflügel des Hauptbahnhofes fallen. Zwischen 2011 und 2016 ist die Hauptbauphase. Hier werden die Rohbauten der Tunnel, die neuen Bahnhöfe und Brücken errichtet. Nach der Verlegung der eisenbahntechnischen Ausrüstung erfolgt der Probebetrieb. 2020 sollen die ersten Züge fahren.
Das Projekt in Zahlen:
Kosten: 4,1 Milliarden Euro
Bauzeit: neun Jahre
Gesamtstrecke: 57 Kilometer Gleise, davon knapp 30 Kilometer Schnellfahrstrecke
16 Tunnels, 18 Brücken
4 neue Bahnhöfe
Internet: www.das-neue-herz-europas.de (offizielle Webseite)
www.kopfbahnhof21.de