Stuttgart21: Gegner des Tiefbahnhofes scheitern
Projektgegner enttäuscht, Grüne wollen das Projekt nun stützen. Von Rüdiger Sinn, Stuttgart 22.01.2018Es war vorherzusehen, obgleich sich die Gegner des Projektes Stuttgart 21 (S21) bis zuletzt in Optimismus übten: Die Baden-Württemberger haben über die Beteiligung des Landes an der Finanzierung von S21 abgestimmt und mehrheitlich mit Nein votiert, also für die Weiterfinanzierung des Landes an S21 und damit quasi für den Weiterbau des Tiefbahnhofes.
Eine schwere Stunde für die neue Baden-Württembergische Landesregierung? – Jein: Ministerpräsident Kretschmann (Grüne) erneuerte am Sonntag Abend seine schon vor der Abstimmung artikulierte Haltung, Volkes Stimme zu akzeptieren und den Weiterbau bei einem entsprechenden Votum voranzutreiben. Er gestand auf der einen Seite eine politische Niederlage ein, auf der anderen unterstrich er, dass erst die neue Landesregierung den Weg für eine Volksabstimmung freigemacht habe. „Das ist ein sehr großer Sieg für die Demokratie und ein weiterer Schritt in die Bürgergesellschaft“, sagte Kretschmann staatsmännisch, der sich vor allem über die hohe Wahlbeteiligung von 48,3 Prozent freute. Dem konnte sein Vize und Finanzminister Nils Schmidt nicht widersprechen, obgleich er – von der SPD kommend – mehr erfreut sein konnte. Nach dem amtlichen Wahlergebnis haben nur 41,2 Prozent der Wähler gegen die Weiterfinanzierung gestimmt, 58,8 Prozent dafür. Selbst in Stuttgart votierten 52,9 Prozent für die Weiterfinanzierung und damit für den Weiterbau von S21.
Der Abstimmung ging ein rund vierwöchiger Wahlkampf voraus, bei dem mit harten Bandagen gekämpft wurde. „Wir hatten klare Nachteile weil wir nicht über den Werbeetat verfügen, wie die Bahn und die Befürworter, die von der Industrie tatkräftig unterstützt wurden“, sagte ein Projektgegner. Tatsächlich finanzierte das Kommunikationsbüro für S21 in den letzten Tagen Anzeigen in den Gazetten des Landes für zig-Tausend Euro aus Steuermitteln, auch die Firmenchefs von Daimler und Stihl und Bosch plädierten mit großen Anzeigen für den Weiterbau. Hauptargument der Bahnhofsbefürworter waren die hohen Ausstiegskosten, die von der Bahn auf rund 1,5 Mrd. Euro taxiert wurden. Die Bahnhofsgegner kamen dagegen auf ganz anderen Zahlen, nämlich 350 Mio. Die Gegner unterstrichen ihre Argumente mit steigenden Baukosten und befürchten nach wie vor, dass der Kostendeckel von 4,5 Mrd. gelupft wird. Die Krux dabei: Eine mögliche Kostensteigerung ist bislang nicht finanziert, nach einer so genannten Sprechklausel, die im Finanzierungsvertrag verankert ist, werden sich die Vertragspartner (Bahn, Bund, Land, Stadt, Region + Flughafen) bei einer Kostensteigerung zusammensetzen. Klar ist, dass das Land nicht mehr Geld als die bisherigen 950 Mio. Euro zum Projekt zuschießen wird, das steht nicht nur im Koalitionsvertrag, sondern wird vom gesamten Landesparlament (einstimmig) so vertreten. Und das ist auch gut so, denn an den Kosten werden sich die Befürworter und die Bahn messen lassen müssen.
Und Herr Grube? Der Bahnchef mutierte schon vor der Volksabstimmung immer mehr vom „ehrenwerten Hamburger Kaufmann“ (diese Floskel muss regelmäßig herhalten, wenn es bei ihm und seiner Bahn um Kostentransparenz und tragfähige Zahlen geht) zum knallharten Machtmenschen a´ la Vorgänger Hartmut Mehdorn (nur mit etwas weniger Hau drauf als der stampfende Ex-(Wut)-Bahn-Chef), der während des Bahnhofkonflikts auch schon mal die Demokratie außer Kraft setzen wollte („Die Bahnhofsgegner haben kein Recht auf Widerstand“) und er pokerte hoch. Die veranschlagten 1,5 Mrd. Ausstiegskosten beinhalteten neben tatsächlich schon getätigten Baukosten die Rückabwicklung der Grundstücksverkäufe im Gleisvorfeld (dafür hat die Bahn allerdings selbst vor Jahren von der Stadt Stuttgart rund 450 Mio. Euro erhalten) und Planungskosten für die Schnellbahnstrecke von Wendlingen nach Ulm (rund 200 Mio. Euro). Die Verquickung der Neubaustrecke mit dem unterirdischen Durchgangsbahnhof als Argument der Befürworter konnten die Bahnhofsgegner bis zur Abstimmung nicht ausräumen, Drohgebärden des Bahn-Chefes („Ohne S21 gibt es auch keine Neubaustrecke“) zeigten offensichtlich auch Wirkung, auch Bundesverkehrsminister Ramsauer (CSU) stieß in das gleiche Horn und empfahl den Baden-Württemberger zuletzt bei dem Volksentscheid mit Nein zu stimmen, ansonsten würde es für Jahre (bahntechnischen) Stillstand im Land geben.
Und offensichtlich ließen sich die Bürgerinnen und Bürger im Südwesten nicht von den Warnungen der Grünen überzeugen, die die Kapazität des Durchgangsbahnhofes anzweifeln. Auch der Stresstest (den Schlichter Heiner Geißler bei der Schlichtung zu S 21 ausgerufen hatte) sei aus ihrer Sicht manipuliert gewesen Wissenschaftler belegten zuletzt, dass die Bahn die Züge mit großen Verspätungen aus den Tests heraushielten), zudem vermuten sie steigende Kosten, die das Land auf lange Sicht Schaden könnten. Sie plädierten bis heute für einen modernisierten Kopfbahnhof, der bei Bedarf auch unterirdische Durchgangsgleise haben könnte, um den Fernverkehr vom Regionalverkehr zu entkoppeln. Das großes Manko: Ideen gab es viele, sogar konkretisiert und von namhaften Architekten, Städteplanern und Ingenieuren visualisiert und durchdacht, nur planfestgestellt war keine. Weiteres Futter für die Befürworter von S21, die ein Stillstand im Bahnverkehr rund um Stuttgart befürchten, wenn S21 nicht gebaut werde.
Die Bahn möchte nun so schnell wie möglich das Projekt fortsetzen. Die Vorbereitungen am Grundwassermanagement gehen weiter, der Südflügel des denkmalgeschützten Bonatzbaus soll im Frühjahr 2012 fallen. „Die Landesregierung wird das Projekt nun kritisch begleiten“, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Eine Hoffnung bleibt dem Grünen-Politiker. Dass sich in den nächsten Monaten die Bahn endlich bemüht, eine aktualisierte transparente Kostenrechnung vorzulegen, bei der erneute Preissteigerungen ersichtlich werden. Was dann passiert wird in den Lenkungskreisen zu S21 behandelt. Wenn die Regierung und die Stadt mit ihrer Forderung hart bleiben, kein Geld mehr zuzuschießen ist die Bahn am Zug. Der Streit über Stuttgart21 wäre dann mitnichten vorbei.
Die Deutsche Bahn schlägt allerdings ganz andere Töne an. „Der Protest habe das Projekt um rund ein Jahr verzögert“, sagte Projektsprecher Wolfgang Dietrich. Er möchte trotzdem, dass 2019 die ersten Züge unter Stuttgart durchfahren. Das Projekt selbst wird es am Ende zeigen, wie gut und teuer der Bahnhof wirklich ist. Die Nord- und Südflügel des Bonatzbaus sind bis dahin allerdings schon lange Geschichte (und werden nur noch in Liedern zitiert werden), aus der hoffentlich nicht nur die Baden-Württemberger gelernt haben: Wäre die Basta-Politik der 1990er Jahre ausgeblieben, hätten die Stuttgarter vor 15 Jahren über eine sinnvolle, kostengünstige und verkehrstechnisch tragfähige Lösung mitbestimmen und abstimmen können. Zum Wohle der Bahnkunden und der Bürgerinnen und Bürger Baden-Württembergs. Der Protestbewegung ist zu verdanken, dass es ein solches Durchwinken großer unsinniger Projekte nicht mehr geben wird.