Stuttgart21: Grüne Landespolitik nicht königlich

Polizei räumt den Stuttgarter Schlosspark, in den nächsten Tagen soll gerodet werden. Von Rüdiger Sinn, Stuttgart

Der Schlosspark war die letzte Bastion der Parkschützer in ihrem Kampf gegen das umstrittene Bahnprojekt Stuttgart 21 (S21). In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch ist sie gefallen. Gegen eine Übermacht an Polizeibeamten, die aus insgesamt acht Bundesländern angerückt waren, mussten sich die geschätzten 1500 Demonstrierenden beugen. Ihnen standen rund 2500 Polizisten gegenüber.

Vor anderthalb Jahren hatten rund 50 Parkschützer ein Zelt-Protest-Camp im Schlosspark errichtet. Sie wollten durch ihre Parkbesetzung den Park vor den Bauarbeiten des Milliardenprojektes S21 schützen. Nachdem vor einigen Tagen die Bahn die notwendigen naturschutzrechtlichen Belange klären konnte, gab es auch für den Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) keine Möglichkeit mehr, eine Klage einzureichen. Eine weitere Verzögerung der Baumfällarbeiten hätte die Bauarbeiten weiter verschoben, im schlechtesten Falle für die Bahn um weitere sieben Monate, bis zum Ende der Vegetationsperiode.

Ob die Bahn jedoch nach der Rodung des Schlossparks durchstarten kann, ist fraglich, denn die Bauarbeiten für den Trog des Tiefbahnhofes können noch gar nicht gestartet werden. Erstens muss das Grundwassermanagement (GWM) in beträchtlichem Maße ausgebaut werden, denn es soll nun die doppelte Menge an Grundwasser entnommen werden, dafür fehlt die Genehmigung – zweitens gibt es Probleme beim Bau des sogenannten Nesenbachdükers, der den Nesenbach unter dem Trogbauwerk hindurchleiten soll. Ein schwieriges Unterfangen, wird der Kanal doch in rund 20 Meter Tiefe unter dem Trog hindurch geleitet.

Also eine Brache im Schlosspark? Davor hatte nicht zuletzt die Landesregierung mit dem grünen Verkehrsminister Hermann gewarnt. Zuletzt hatte es einen Vermittlungsversuch des ehemaligen evangelischen Dekans von Stuttgart, Martin Klumpp, gegeben. So sollte nach seinem Vorschlag die Bahn mit den Fällarbeiten noch bis Ende des Jahres warten, im Gegenzug sollten die Parkbesetzer das Camp freiwillig räumen. Die Parkschützer willigten ein, die anderen Parteien blieben dagegen bei ihrer Linie. „Die Bahn reagierte überhaupt nicht auf diesen Vermittlungsversuch und Ministerpräsident Kretschmann sagte den Vorschlag ab“, ließ Matthias von Herrmann, Sprecher der Parkschützer, wissen. Diese Haltung der Grünen sorgte bei den Gegnern von S21 ein weiteres Mal für viel Unverständnis. „Für viele tun die Grünen nicht genug“, sagte ein Parteimitglied, das nicht genannt werden wollte, am Abend. Es reiche wohl eben nicht, zu sagen, man begleite die Bauarbeiten konstruktiv kritisch, man müsse auch handeln und die Bahn offensiver öffentlich dazu aufrufen, Fehler einzugestehen. So gäbe es weiterhin Ungereimtheiten beim Stresstest, der laut Gegner durch interne Berechnungsfehler viel zu positiv für die Bahn ausgefallen war.

Ministerpräsident Kretschmann hingegen gab sich in einem Interview dagegen realistisch: „Ich bin nicht der König von Württemberg, das vergessen manche. Die Volksabstimmung bindet mich, denn ich muss mich als Ministerpräsident an Recht und Gesetz halten. Deshalb müsse er, so schwer es ihm auch falle, das Projekt als Projektpartner nun unterstützen. (http://www.fluegel.tv/beitrag/3830). Die Rolle der SPD in der Koalition bleibt unklar. Aus Grünen-Parteikreisen war aber zu erfahren, dass die SPD sehr viel politischen Druck ausübe. Meint konkret: wenn das Projekt S21 von den Grünen nur noch kritisch (und nicht konstruktiv) begleitet würde, könnte die SPD die Koalition platzen lassen und eine große Koalition aus CDU und SPD bilden.

Diese politischen Spielchen im Hintergrund waren allerdings für die Protagonisten im Schlosspark nur Nebensache. Nachdem die Gegner sich schon am Dienstagabend nach einem Sternmarsch im Schlosspark versammelt hatten startete die Polizeiaktion letztlich erst um drei Uhr nachts. Anfangs gab es bisweilen ruppige Auseinandersetzungen mit Schlagstockeinsatz zwischen der Polizei und Demonstrierenden. Nachdem eine Polizeilinie mit Hamburger Gittern stand, einbetonierte Aktivisten befreit wurden und Robin-Wood-Aktivisten aus dem Baum geholt wurden, konnte gegen 11 Uhr am Mittwochvormittag der Park und das Zeltdorf vollends geräumt werden. Die Polizei sprach von einem weitestgehend ruhigen Einsatz und lobte auch die Demonstrierenden, die sich sehr besonnen verhalten hätten und gewaltfrei blieben. Demgegenüber bezeichnete Parkschützer-Sprecher Matthias von Herrmann den Polizeieinsatz vor allem zu Beginn als sehr aggressiv.

Die ersten kleineren Bäume fielen dann noch am gleichen Tag, die große Rodungsaktion steht noch bevor. Die Bahn möchte in den nächsten Tagen von den 176 Bäumen, die auf dem Gelände stehen, 68 versetzen. 108 Bäume – davon zum Teil jahrhunderte alte Platanen – sollen gefällt werden.

Mit dem Abriss des Südflügels des denkmalgeschützten Stuttgarter Hauptbahnhofes Mitte Januar wird parallel zu den Baumfällarbeiten ein Kulturgut geschleift. Die Arbeiten sind laut Aussage der Bahn zu einem Drittel abgeschlossen und sollen bis Ostern beendet sein. Mit dem Abriss des Südflügels und der Fällung der Bäume im Schlossgarten ist nun wohl die letzte Chance verwirkt, Stuttgart 21 noch zu stoppen. Zu viele Fakten wurden bereits geschaffen. Damit ging diese Taktik der Bahn auf. Auch der Abriss des Nordflügels vor anderthalb Jahren diente der Schaffung von Fakten, um die Ausstiegskosten möglichst hoch anzusetzen. Die hohen Ausstiegskosten waren der Hauptgrund für die Befürworter von S21 bei der Volksabstimmung, um für den Weiterbau zu stimmen. Am Nordflügel hingegen ist seit dem Abriss nichts mehr passiert, bis auf die Aufstellung eines 20 Meter breiten werbenden Großplakates, das die schöne Zukunft des Tiefbahnhofes vorhersagen soll. Kosten: 50000 Euro –  auch diese Werbeausgabe zahlt der Steuerzahler. Wann der nächste finanzielle Klops kommt, ist ungewiss. Gewiss ist nur: er kommt!

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