Starten die BauministerInnen die Bauwende zur Einhaltung der Pariser Klimaziele?

Bei der BauministerInnenkonferenz, die von morgen bis zum kommenden Freitag andauert, hat die Politik die (letzte?) Chance, in Deutschland die Bauwende zur Einhaltung der Pariser Klimaziele einzuleiten

Zur BauministerInnenkonferenz am 18./19. November verstärken Architects for Future (A4F), der Bund Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA), die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und GermanZero mit einem gemeinsamen Aufruf den öffentlichen Druck auf die BauministerInnen der Länder. Es gilt, einen rechtlichen Rahmen für die dringend notwendige Bauwende zu schaffen werden. Klimaschutz und die Änderung der Musterbauordnung stehen auf der Agenda der diesjährigen Bauministerkonferenz.

Der immer mehr in den Fokus der Wahrnehmung rückende Bausektor mit einem Anteil von fast 40 % des gesamten CO2-Ausstoßes ist einerseits der größte Verursacher der Klimakrise, andererseits auch der größte Hebel, den Klimawandel und seine alle Lebens- und Wirtschaftsbereiche beeinflussenden Folgen in der Geschwindigkeit zu bremsen. Zur Einhaltung der 1,5°-Grenze muss der gesamte Gebäudebestand in Deutschland klimapositiv werden. Bauliche Anlagen, so im Paragraph 3 der Musterbauordnung verankert, dürfen Leben und Gesundheit nicht gefährden. Die BauministerInnen werden also von dem hier aktiven Bündnis aufgefordert, eine Bauordnung zu beschließen, in der das o.g. Schutzziel durch konkrete Vorgaben zum Klimaschutz schon für morgen und für nachkommende Generationen ausgeweitet wird.

Tatsächlich hat die BauministerInnenrunde zahlreiche Gestaltungsmöglichkeiten, die Bauwende voranzutreiben. In Ihrer Verantwortung liegen u.a. die Länderbauordnungen, die Landesentwicklungsplanung, die Ausrichtung von Förderungen und Subventionen sowie die Kontrolle von energetischen Anforderungen. Außerdem gehören die Verwaltung und der Bau staatlicher Liegenschaften zu ihren Ressorts.

Architektin und Energie-Effizienzexpertin Christina Patz, Koordinatorin für Bauen im Bestand bei A4F: „Das Ziel ist gesetzt: Bauen muss klimaneutral werden. Ohne Bauwende keine Klimawende! Deshalb muss der Fokus weg vom Neubau hin auf das Bauen im Bestand, auf Kreislauffähigkeit und einen wertschätzenden Umgang mit Fläche und Material gelegt werden. Das Problem: Diesen Punkten stehen aktuell noch eine Vielzahl gesetzlicher Regelungen entgegen! Wir brauchen verbindliche und pragmatische gesetzliche Rahmenbedingungen, damit flächendeckend klimaschonendes Bauen der Standard wird. Diese müssen die Bauminister:innen jetzt in der Novellierung der Musterbauordnung schaffen.”

Bereits im Juli 2021 hat Architects for Future gemeinsam mit einem wachsenden Bündnis aus der Bau- und Immobilienbranche, mit Verbänden und Institutionen wie BDA, DGNB, DUH, GermanZero, sowie eine Vielzahl von ProfessorInnen und Unternehmen einen offenen Brief mit Änderungsvorschlägen für die Bauordnung an die Bauminister:innen geschickt - bis heute, also vier Monate später, unbeantwortet.

„Über 50 % des Abfalls in Deutschland kommen aus dem Baubereich. Der Abfall wird meist deponiert, verfüllt oder verbrannt. Das ist klima- und ressourcenpolitisch fatal. Deshalb muss klimazielkonformes und ressourcenschonendes Bauen zum Standard werden. Neben dem Energieverbrauch während der Nutzung muss der gesamte Lebenszyklus von Bauwerken betrachtet werden. Rückbaubare Gebäude aus nachhaltigen Materialien, Wiederverwendung von Bauteilen, recyclingfähige Baustoffe und der Einsatz von Rezyklaten müssen der Standard sein. Es ist eine zentrale Aufgabe der BauministerInnen, das in der Musterbauordnung zu verankern, um das gesamte Klimaentlastungspotential im Bausektor zu heben“, fordert die stellvertretende Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Umwelthilfe Barbara Metz.

Der offene Brief vom Juli enthält sieben konkrete Vorschläge zur Änderung der Musterbauordnung - allen voran Kreislauffähigkeit, Klimaschutz und Nachhaltigkeit in allen Aspekten:

1. Einführung von eigenen Regelungen für das Bauen im Bestand, zur Förderung von Weiterbauen am Bestand

2. Einführung einer Genehmigungspflicht für Abrissmaßnahmen sowie der verbindlichen Vorlage eines Rückbaukonzeptes für alle Bauvorhaben

3. Streichen der Kfz-Stellplatzforderung zugunsten ganzheitlicher kommunaler Mobilitätskonzepte

4. Ergänzung der Abstandsflächenregelungen um die Schaffung von qualitativen Stadt-und Freiräumen

5. Erlaubnis zur Wiederverwendung von Bauteilen und Baustoffen sowie der Verwendung nachwachsender Baustoffe in hohen Gebäudeklassen

6. Einführung eines Materialausweises für Gebäude, um verbaute Ressourcen und Produkte für eine spätere Wiederverwendung zu dokumentieren

7. Erhöhte Anforderungen an Typengenehmigungen, um ökologische und energetische Standards speziell in der Serienfertigung von Gebäuden zu verankern

Architekt Michael Wicke, Co-Koordinator für Bauen im Bestand bei A4F: „Die breite Unterstützung aus Wissenschaft und Wirtschaft zeigt: Die Baubranche ist bereit für einen Wandel. Jetzt liegt es an der Politik, dass auf Worte Taten folgen und die erforderliche Novelle der Bauordnung beschlossen wird. Sonst verbauen uns die Bauminister:innen die Zukunft! Denn was wir heute bauen, wird auch 2045 - zum Zeitpunkt der beschlossenen Klimaneutralität Deutschlands - noch bestehen. Ein späteres Anpassen von gesetzlichen Rahmenbedingungen und somit eine Erfordernis zur Sanierung von eben erst Gebautem, wäre weder ökologisch noch wirtschaftlich sinnvoll. Es liegt nun in der Verantwortung der Bauminister:innen, die Vorschläge von Architects for Future in eine MusterUMbauordnung aufzunehmen, um einen klimaneutralen Gebäudesektor zu ermöglichen.”

Das Bündnis fordert die Bauminister:innen deshalb erneut auf, die sieben Änderungsvorschläge von Architects for Future auf der Bauministerkonferenz zu diskutieren und in konkrete gesetzliche Änderungen zu überführen. Hierfür braucht es zusätzlich öffentlichen Druck von Gesellschaft und den Medien. Gemeinsam mit weiteren Gruppen der Klimabewegung laden Architects for Future deshalb dazu ein, sich an unserem Online-Protest mit eigenem Foto und Statement zu beteiligen. Die Hauptforderung an die BauministerInnen lautet: „Verbaut uns nicht die Zukunft".

Schaut man sich das Grußwort der Vorsitzenden der BauministerInnenrunde, Frau Susanna Karawanskij, Thüringer Ministerin für Infrastruktur und Landwirtschaft, an (s. unten), wird man gespannt sein müssen, ob denn die KollegInnen der Vorsitzenden hier wesentlich weitergehende Ziele formulieren und dann auch sofort in einem verbindlichen Thesenpapier angehen. Das Grußwort zielt auf Energieeffizienz im NEUBAU, setzt einfallslos auf nachhaltige Materialien wie Holz, die Beschleunigung von (NEUBAU)Bauplanung und (NEUBAU)Bauausführung, auf die Schaffung von günstigem Wohnraum (NEUBAU), auf die Wiederbelebung der Innenstädte und natürlich auf Digitalisierung. Nirgendwo taucht das Wort BESTAND auf!

Die im Grußwort formulierten Dinge sind maximal ehrenvolle wie leider auch einfallslos Vorsätze, mit denen eine Vorsitzende eine Diskussionsperspektve öffnet, die die Diskutanten offenen Auges an den Anforderungen vorbeiführt, nicht bloß radikal gemeinte Zeichen zu setzen, sondern ganz konkrete Leitplanken zu definieren, an denen entlang eine ganze Branche endlich loslegen möchte mit dem Umbau eines zentralen Industriezweigs, an dem soviel Zukunft hängt. Liebe MinisterInnen: Da sollte mehr gehen als das Gestern leicht aufgefrischt ins unbestimmte Morgen zu entlassen! Be. K.

Die sogenannte Bauministerkonferenz ist eine FachministerInnenkonferenz der deutschen Länder. Sie besteht seit dem 15. November 1948. Bei den jährlichen Treffen tagen die für Städtebau, Bau- und Wohnungswesen zuständigen MinisterInnen und SenatorInnen der 16 Länder der Bundesrepublik Deutschland. Der für das Bauwesen zuständige Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat ist als ständiger Gast geladen. Vorbereitet werden die Konferenzen von vorangehenden Treffen (Amtschefkonferenzen) der Abteilungsleiter der Landesministerien.

Die BauministerInnenkonferenz ist eine ständige Einrichtung und dient der Koordination von Angelegenheiten der Bauwirtschaft. Sie erörtert Fragen zum Wohnungswesen, Städtebau und Baurecht und formuliert die Interessen der Länder gegenüber dem Bund. Die BauministerInnenkonferenz stimmt sich über die Musterbauordnung ab, die die Grundlage für die Landesbauordnungen darstellt. Der Vorsitz rotiert alle zwei Jahre zwischen den Bundesländern. Seit 2021 hat Susanna Karawanskij, Ministerin für Infrastruktur und Landwirtschaft des Landes Thüringen, den Vorsitz inne.

Vorsitzende des Ausschusses für Bauen, Stadtentwicklung und Wohnen der Bauministerkonferenz ist Anne Katrin Bohle, die für Bauen, Wohnen und Stadtentwicklung zuständige beamtete Staatssekretärin im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat.(Quelle: Wikipedia)


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