Großes Managen

Wie man Bauprozesse erfolgreich steuern kann

Wenn Wohnraum entsteht oder modernisiert wird, stehen oft die Faktoren Kosten, Zeit und Dimension im Fokus. Dabei kommen viele Akteur:innen mit unterscheidlichen Fähigkeiten und Expertisen auf Zeit zusammen, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen – oft jedoch mit unterschiedlichen Interessen. Was braucht es, damit die nächste Großbaustelle nicht das Schicksal des BER, von Stuttgart 21 oder der Elbphilharmonie erleidet?

Um es gleich vorweg zu sagen: Dieser Beitrag ist nicht in erster Linie dazu gedacht, all die durchaus komplexen Fragen im Zusammenhang mit Großprojekten im Wohnungsbau rund um die mitunter langwierigen Behördenwege mit vorgelagerter schwieriger politischer Willensbildung und die damit verbundenen administrativen Hürden zu beantworten oder diese kleinzureden. Und selbstverständlich kann nicht darüber hinweg­gesehen werden, dass Neubau- und Sanierungsprojekte – gerade aktuell – auf eine Vielzahl von Erschwernissen stoßen; seien es baurechtliche Fragen und Genehmigungsprozesse, seien es Auflagen, Materialengpässe und -preissteigerungen, sei es die Kapazitätsknappheit der bauausführenden Firmen in allen Bereichen rund um Rohbau, Trockenbau, Fassade und technische Gebäudeausstattung (TGA) auf der einen Seite oder die Menge an Gutachten, die zu erhaltende Bausubstanz oder der Bedarf an Umsetzwohnungen auf der anderen Seite. Zweifelsfrei alles Einflussfaktoren, die den Erfolg, die Geschwindigkeit und die Kosten von Wohnungsbauprojekten mitunter erheblich beeinflussen und die ad hoc so wohl kaum beseitigt werden können.

Mit Weitsicht: Bei Großbauprojekten im Wohnungsbau sind neben fachlicher Expertise auch Führungspersonen gefragt, die das große Ganze im Blick behalten

Foto: Clipdealer

Mit Weitsicht: Bei Großbauprojekten im Wohnungsbau sind neben fachlicher Expertise auch Führungspersonen gefragt, die das große Ganze im Blick behalten
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Aber sind das wirklich die einzigen Hemmnisse, die negativ auf unsere Wohnungsbauprojekte wirken? Oder gibt es darüber hinaus nicht noch weitere Faktoren, deren Auswirkungen allzu häufig unterschätzt werden? Die Frage kann aus Sicht der Autoren nur bejaht werden. Grund genug also, diese Faktoren einmal herauszuarbeiten – zumal alle Beteiligten hierauf direkten und unmittelbaren Einfluss nehmen können.

Faktoren mit wesentlicher Verantwortung für Verzögerungen oder Scheitern

Neben den bereits kurz dargestellten Ursachen, die einer einfachen und erfolgreichen Realisierung von Neubau- und Sanierungsprojekten im Wohnungsbau entgegenstehen, lassen sich drei wesentliche Faktoren herausarbeiten, denen eine entscheidende Verantwortung für Verzögerungen oder gar ein Scheitern von Wohnungsbauprojekten zukommt:

1. Fehlende Klarheit und Offenheit im Hinblick auf ein gemeinsames Ziel

2. Unzureichendes Projektverständnis

3. Gesetzliche Rahmenbedingungen

Großprojekte im Wohnungsbau sind geprägt von der Vielzahl an Beteiligten und einem hohen Grad an Komplexität. Architekt:innen, Fachplaner:innen, Gutachter:innen, Bauunternehmer:innen über alle Teilgewerke hinweg, Behördenvertreter:innen, die politische Ebene sowie die Öffentlichkeit – um hier nur einige der wesentlichen Stakeholder:innen zu nennen. Die Ausprägung der im Projekt vorherrschenden Komplexität beschreibt die sogenannte „Stacey-Matrix“, die grafisch den Zusammenhang zwischen den Anforderungen an ein Projekt und dem Vorgehen im Projekt darstellt. Sind sowohl die Anforderungen an das Projekt nicht trennscharf abgesteckt als auch die Vorgehensweise zur Projektumsetzung unklar, sprechen wir von einem komplexen Projekt.


Abb. Atreus GmbH

Abb. Atreus GmbH

Bereits in der frühesten Phase, wenn es darum geht, die zugelassene Bauweise, die Geschosshöhe, die Zahl der Wohnungen, Anforderungen an energetische Einflussfaktoren, Parkraum sowie die Frage um die Zahl sozialverträglicher Mieten zu beantworten, klaffen die Vorstellungen und Wünsche der Beteiligten oftmals weit auseinander. Je unklarer hier schon das Zielbild ist, desto höher wird der Grad an Komplexität des Projektes.

Eine weitere Dimension gilt es zu berücksichtigen: Sie zielt auf die Synchronisation der individuellen Zielbilder der Projektbeteiligten ab. Nur wenn es gelingt, bereits ab der ersten Phase eines Projekts, bei der Konzeption der Ausschreibung, die Projekt­anforderungen und den Umgang der Beteiligten bzgl. auftretender Abweichungen von angebots- bzw. projektrelevanten Parametern klar zu beschreiben, kann ein Angebot zur Realisierung dieses Projektvorhabens passgenau sein. Hier entstehende Abweichungen setzen sich dementsprechend über den Vertrag bis hin zur Fertigstellung des Projekts fort. Solange wir daran festhalten, Verträge ganz bewusst „auf Lücke“ zu schließen, weil so Raum entsteht für margen­optimierendes Claiming, Nachtragspositionen und bewusst fehlinterpretierende Vertragslesarten. Solange Ausschreibungen so angelegt sind, dass sie den beteiligten Partner:innen nicht von Anfang an den Raum für eine auskömmliche Projektkalkulation bieten, solange wird das Ringen um kommerzielle Faktoren das Bestreben nach einem allseitigen, gemeinsamen Projekterfolg überlagern.  

Zielführend ist es in diesem Zusammenhang, dass die beteiligten Vertragsparteien in einem agilen, iterativen Prozess immer wieder die Anforderungslage, die sich im Rahmen eines längeren Projektzeitraums durchaus verändern kann und wird, gegen die Lösungsansätze spiegeln, hierbei ein gemeinsames Zielbild entwickeln und sich darauf verständigen. Dann werden Veränderungen in diesem Zielbild ebenso gemeinschaftlich berücksichtigt und es entsteht Raum für eine notwendige lösungs- und erfolgsorientierte Projektkultur und -identität, in der nicht Auftrag­nehmer:innen und Auftraggeber:innen miteinander umgehen, sondern in dem sie als Team an einem gemeinsamen Ziel arbeiten und sein gemeinsames Wirken in den Dienst der Zielerreichung stellen. Der Einsatz von Building Information Modeling, kurz BIM, kann hier ein gutes Instrument sein, mit dem sich die beteiligten Fachplaner:innen, Architekt:innen, Inge­nieur:innen, Behörden und bauausführenden Unternehmen von der Bauplanung über das Entwurfsstadium, den Bau, Inbetriebnahme bis zu Nutzung, Umnutzung und Abriss auf ein gemeinsames Zielbild zu verständigen. 

Immer wieder stellen wir fest, dass die beteiligten Projektpartner die Vermeidung von Risiken in den Vordergrund stellen und nicht ein angemessenes Management von Risiken. Jegliche Risiken werden dementsprechend frühestmöglich eliminiert. Elementarer Bestandteil eines angemessenen Projektverständnisses ist es aber, Risiken zu managen. Der Versuch, Risiken auszuschließen, behindert ein Projekt in seiner Umsetzung erheblich. Die Akzeptanz, dass Risiken im Zuge eines Projektes nicht auszuschließen sind, sondern vielmehr bewertet und gut gemanagt werden müssen, bedeutet eine vollständig andere Sichtweise, bedingt aber auch eine andere Kultur des Umgangs der Projektbeteiligten miteinander. Viele kluge Köpfe bieten sich so zur Lösungsentwicklung an, wenn ein mögliches Risiko eintritt, und es geht nicht die kräftezehrende Suche nach den vermeintlich Schuldigen los.

Ein weiterer Punkt lohnt der Betrachtung. Gefragt nach den drei kritischen Faktoren erfolgreich umgesetzter Großbauprojekte lautet die branchen­übergreifende Antwort der Beteiligten regelmäßig: „Kommunikation, Kommunikation, Kommunikation“. Nur wenn es gelingt, dass die Beteiligten offen, an der Sache orientiert, wertschätzend und kontinuierlich miteinander kommunizieren, kann die konstruktive Auseinandersetzung mit projektbedingten Herausforderungen gelingen und den Grundstein für den Projekterfolg legen.

Auch kommen wir nicht umhin, die Bedeutung gesetzlicher Rahmenbedingungen zu betrachten. Angefangen bei der DSGVO über gesetzliche Vorgaben in Planung und Genehmigung bis hin zu abschließenden Abnahmen und Betriebsfreigaben – es gibt Weniges, was nicht irgendwo niedergeschrieben wäre. Was auf der einen Seite als Errungenschaft gefeiert werden kann, weil wir so den Schutz des Individuums und auch die Stabilität und Sicherheit im anschließenden Betrieb des Projektvorhabens sicherstellen, belastet uns andererseits erheblich. Nein, wir fordern hier nicht, dass all diese Errungenschaften erheblich eingeschränkt oder ausgesetzt werden sollten. Was wir aber bräuchten, ist ein Mehr an Pragmatik, um Projekte grundsätzlich sicher, parallel aber auch in vertretbarem Zeitrahmen zu realisieren.

Erfolgreiche Projektsteuerung – aber wie?

Widmen wir uns nun den Faktoren, die eine erfolgreiche Projektsteuerung ausmachen und den Erfolg von Großprojekten begründen.

Außer Frage steht, dass im Zusammenhang mit Planung, Genehmigung und Bau mit ihren vielen Unterpositionen eine Menge konzeptioneller, strategischer und technischer Erfolgsfaktoren existieren. Erfolgsfaktoren, die allesamt die drei relevanten Dimensionen Zeit, Qualität und Finanzen beeinflussen. Und doch ist es von größter Bedeutung, den einen Faktor zu benennen, der in seiner Bedeutung alle anderen Faktoren überlagert.

Bau-Großprojekte werden von Menschen realisiert. Dementsprechend ist der Faktor „Mensch“ nach Analyse vieler Großprojekte der wesentliche Schlüsselfaktor, der den Unterschied zwischen erfolgreichen und weniger erfolgreichen Projekten ausmacht. Lassen Sie uns einmal den Blick in den Rückspiegel werfen und einen Vergleich zu einem der Mega-Projekte deutscher und internationaler Automobilgeschichte ziehen: der Fusion des deutschen Autobauers Daimler mit dem amerikanischen Automobilhersteller Chrysler. Gefeiert als „Hochzeit im Himmel“ wurde die Traumehe kaum zwei Jahre später geschieden. Doch was war der Grund? War es die fehlende Flexibilität und Geschwindigkeit in der Produktentwicklung der Schwaben? War es die vermeintlich allzu starke Kostenorientierung, die aus Detroit über den Ozean­ schwappte und aus Sicht der Deutschen die Qualität der Amerikaner nachhaltig negativ beeinflusste? Heute wissen wir, dass es Menschen waren, die sich, die ihre Vorstellungen und ihre Kulturen nicht miteinander synchronisiert bekamen. So kann es nicht verwundern, dass rund ein Jahr nach der Fusion dementsprechend schon mehr als zwei Handvoll Topmanager:innen das Unternehmen verlassen hatten.

Menschen – nicht mehr und nicht weniger. Peter Ducker, der berühmte Pionier der modernen Managementlehre, hat es so formuliert: „Culture eats strategy for breakfast”. Kultur und Miteinander werden von Menschen gemacht und geprägt. Gerade in einem Umfeld vieler Beteiligter, einem Multi-Stakeholder-Environment, geht es vorrangig darum, dass die Menschen eine Kultur kreieren, in der Vertrauen wachsen kann, in der Menschen Verantwortung übernehmen und Trans­parenz schaffen, in der nichts aus Angst vor Sanktionierung (ver-)schwiegen wird, in der Leis­tungsbereitschaft über jeden einzelnen Beteilig­ten gelebt wird und folglich alle gemeinsam nach dem unbedingten Projekterfolg streben.

Vor diesem Hintergrund ist zu empfehlen, den wirkungsvollsten Leader an die Spitze von Großbauprojektorganisationen zu stellen, nicht den besten Fachmann. Es geht um die Spitze des Projektvorhabens, die dann ein Team von höchster Fachkompetenz um sich herum bauen muss. Gerade vor dem Hintergrund hochspezifischer Detailanforderungen können es sich selbst große Unternehmen kaum leisten, die notwendigen Kompetenzen vorzuhalten.

Daher, so belegen es vergleichbare Projekte, ist es empfehlenswert, frühzeitig Erfahrung und Expert:innenwissen in das Vorhaben einzubinden. Immer stärker reserviert eine steigende Zahl von Unternehmen vorausschauend Budgets für den punktuellen Einsatz hochspezialisierter Ex­pert:innen auf Zeit – und gestaltet auf diese Weise das eigene Projektmanagement schlanker. Gefragt sind Expert:innen, die im Rahmen ihrer beruflichen Laufbahn unter Beweis gestellt haben, dass sie

– vor dem Hintergrund der jeweils spezifischen Projektanforderungen vergleichbare Projekte bereits erfolgreich gemanagt haben

– über größte Leadership-Kompetenzen und/oder

– das notwendige Fachwissen im Detail verfügen sowie

– Lücken schließen bzw. passgenau ergänzen, wo die eigene Organisation diese nicht auszufüllen vermag.

Und welche Lösungsansätze gibt es nun?

Es gilt also die Frage zu beantworten, ob wir zukünftig besser als bisher sicherstellen können, dass Baugroßprojekte einfacher, schneller und mit weniger Auseinandersetzung zu Nachträgen enden. Wie soll dies möglich sein, nachdem wir bislang drei sehr unterschiedliche, aber allesamt wesentliche Kriterien identifiziert haben, die einer erfolgreichen Projektumsetzung entgegenwirken? Die Frage nach dem „ob“ ist grundsätzlich zu bejahen, wenngleich die Beantwortung der Frage nach dem „wie“ mehrschichtig aufgebaut ist.

Wenn es uns gelingt, die im Beitrag genannten Faktoren gemäß ihrer Bedeutung von der ersten Sekunde eines Vorhabens im Sinne der skizzierten Ausführungen zu gestalten, wenn Projektorganisationen sich konsequent und iterativ mit sich durchaus verändernden Anforderungen eines Projekts wie auch auftretenden Problemstellungen auseinandersetzen und nicht das Problem fokussieren, sondern vielmehr die Lösung in den Vordergrund stellen, dann wird der Erfolg deutlich machbarer.

„Hexagon des Projekterfolgs“
Abb. Atreus GmbH

„Hexagon des Projekterfolgs“
Abb. Atreus GmbH

Hier sei auf das „Hexagon des Projekterfolgs“ hingewiesen, das die Dimensionen „Verantwortung, Risiko, Führung/Kommunikation, People, Werkzeuge und Zielbild“ beinhaltet:

Bei diesen sechs kritischen Faktoren und der Beantwortung der im Rahmen des Hexagons aufgezeigten Fragestellungen handelt es sich um die entscheidenden Erfolgsfaktoren, die die Projek­tpartner:innen bei der erfolgreichen Planung von Infrastruktur- und Großbauprojekten maßgeblich unterstützen.

Die entscheidenden Lösungsansätze sind hier abschließend noch einmal zusammengefasst:

– Ganzheitlicher Projektansatz:

Weder darf ein Projektvorhaben isoliert in seinen Einzelschritten betrachtet werden, noch darf die Perspektive statisch sein. Vergleiche mit der Informationstechnologie bzw. der Digitalisierung zeigen deutlich, welch erfolgssteigernden Charakter agile Projektmanagementmethodiken und der Einsatz digitaler Werkzeuge haben.

Je besser es gelingt, das Entstehen von Silos innerhalb eines Projekts zu verhindern, umso größer wird der Projekterfolg – Transparenz und eine klare Projektroadmap sind Treiber hierfür.

– „Mut“ haben: externe Erfahrung und Ex­­pert:in­nenwissen frühzeitig einzubinden:

Erkennen Sie blinde Flecken in der eigenen Organisation bereits vor Projektbeginn, akzeptieren Sie diese und berücksichtigen Sie sie als Stellschraube für den Projekterfolg schon in der Planung der Budgets.

– Cross-Industry-Best-Practise:

Wer heute noch daran festhält, dass Baugroßprojekte konsequente und ausschließliche Branchenerfahrung benötigen, der irrt und lässt wertvolle Erfahrungen anderer Branchen und Industriesektoren ungenutzt verpuffen.

– Objektivität schaffen, etwa durch Steering Boards:

Bereits zu Projektbeginn müssen objektive und von allen Beteiligten akzeptierte Kriterien für die Bewertung des Projektfortschritts vereinbart werden. Und selbst dann ist es für beteiligte Parteien oft schwer, den jeweiligen Projektfortschritt transparent und ehrlich zu bewerten.

Die Objektivität eines außenstehenden Dritten, einer unbeteiligten Moderator:in oder Ratgeber:in – etwa in Steering Boards – hilft und trägt dazu bei, festgefahrene Projektsituationen zu lösen oder bestenfalls bereits vor Entstehen zu verhindern.

Autoren: Uwe Gehrmann (l.) ist Direktor und Mitglied des Executive Boards Atreus GmbH. Thomas Gläßer ist Direktor und Leiter der Solution Group Infrastruktur-Großprojekte der Atreus GmbH
www.atreus.de
Fotos: Atreus GmbH

Autoren: Uwe Gehrmann (l.) ist Direktor und Mitglied des Executive Boards Atreus GmbH. Thomas Gläßer ist Direktor und Leiter der Solution Group Infrastruktur-Großprojekte der Atreus GmbH
www.atreus.de
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