Säufer, Einbrecher und Sprayer müssen an diesem Ort eingeplant sein!
Zum Tod des Architekten Peter Kulka 09.02.2024 |„Peter Kulka war ein streitbarer Geist, immer klar und bestimmt. So habe ich ihn in vielen Wettbewerbs-Jurys erleben können. Und so ist auch sein architektonisches Werk: einfach, minimalistisch, leicht und klar. Eine wichtige kritische Stimme in der Architektenschaft ist verstummt, seine Werke bleiben uns.“
HG Merz, stellvertretender Direktor der Sektion Baukunst
Beim Blättern im Universum WWW stieß ich heute auf die Meldung, dass Peter Kulka gestorben sei! Tatsächlich überrascht, denn die letzten Treffen waren nicht danach, im Gegenteil machte der gebürtige Dresdner vielleicht einen müden, aber immer noch gewohnt kämpferisch lebendigen Eindruck.
Peter Kulka (1937-2024)
Foto: Benedikt Kraft
Nun ist er also am 5. Februar 2024 86-jährig dort verstorben, wo er 1937 das Licht dieser Welt erblickte, in Dresden-Friedrichstadt. Sohn eines Architekten und im Umfeld von großer und großartiger Architekturgeschichte aufgewachsen – Architektur, die im so genannten „Feuersturm“ im Frühjahr 1945 komplett zerstört wurde – musste Peter Kulka offenbar das werden, was er wurde: Maurer, Ingenieur und Architekt, theoretisch wie sehr praxisnah ausgebildet an den Baugewerkschulen in Görlitz und in Gotha. Der Schüler des Architekten und Bauhäuslers, Selman Selmanagić, jahrzehntelang Professor an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee, hatte Kontakt mit Hermann Henselmann. 1965 verließ der „Republikflüchtling“, wie er sich selbst in einem Gespräch mit mir bezeichnete (DBZ 01 | 2014), die heimatliche DDR und ließ sich in West-Berlin nieder. Hier arbeitete er ein paar Jahre u.a. bei Scharoun, wo sein Lehrer Selmanagić Teil des Planungskollektivs zur Erarbeitung des „Kollektivplans“ war. 1979 ging er nach Köln, hier arbeitete er u. a. mit Hans Schilling, hatte in der Folge eine Professur an der RWTH Aachen. Nach der Wiedervereinigung 1989 gründete er in Dresden ein zweites Büro, das in Köln wurde geschlossen, aktuell gibt es ein zweites in Frankfurt a. M. (Senkenberg).
Rekonstruktion Potsdamer Schloss, Brandenburger Landtag (2011-2013)
Foto: Benedikt Kraft
In einem älteren Interview von 2013 in der Kantine des Brandenburgischen Landtags, alias Potsdamer Schloss, zeigte sich der stets aufmüpfige – ich könnte auch schreiben: ehrlich sprechende – Kulka altersmilde. Er sehe „die Welt nicht mehr ganz so radikal“ argumentierte der ansonsten kantige Architekt auf die Frage, wie er denn guten Gewissens sich in die Reihe der Rekonstrukteure einreihe, die gerade dabei wären, der guten alten Zeit die Bilderlandschaften als Kulissen wiederherzustellen. Aber dennoch stellte er gleich darauf klar, dass er eben nicht müde geworden und damit in Gleichgültigkeit versunken sei. Meine Frage, ob er denn mit allem zufrieden sei kam sehr schnell: „Natürlich nicht … Aber das ist ganz normal.“
Neugestaltung Senkenberg, Frankfurt a. M. (2011-2021)
Foto: Benedikt Kraft
Seine Zukunft sah er damals schon ganz klar in seiner Immerheimatstadt Dresden: „Wir bauen uns gerade ein Haus in Dresden, wir gehen jetzt in die Bronx. An die Bahnstrecke Berlin-Prag, um in Dresden das Gefühl zu bekommen, an die Welt angedockt zu haben. Und keiner versteht es! Wir bauen dort ein Haus, das man sich als 76-jähriger nicht bauen sollte. Ich freue mich darauf, ich freue mich auf die Säufer, auf die Einbrecher und die Sprayer … Letztere sind eingeplant und müssen an diesem Ort eingeplant sein. Dort ist vielleicht die Wahrheit der Stadt … Aber keiner will sie! Die ganze Gesellschaft will das nicht. Sie läuft, schlapp schlapp, am Neumarkt.“
Haus der Stille, Meschede (1998-2002)
Foto: Benedikt Kraft
Dort ist vielleicht die Wahrheit, die es in Potsdam am Schloss nicht geben kann, noch nicht. In Bielefeld, dort, wo Kulka mit einer grandiosen Campus-Universität seine Laufbahn als Architekt startete (zusammen in der Berliner Architektengemeinschaft Helmut Herzog, Klaus Köpke, Peter Kulka, Wolf Siepmann und Katte Töpper), wird seit Jahren neu- und umgebaut. Ob Peter Kulka, dessen Büro noch zahllose Projekte, die von ihm mitgeplant waren, in den kommenden Jahren realisieren wird, diese Um-, An- und Neubauten so ertragen hätte? Wahrscheinlich ja, denn er war immer für eine Weiterentwicklung, auch über die Haltung seiner Heroen der Moderne beispielsweise hinaus: „Die Moderne muss einfach anders, sie muss besser werden! Nicht mehr so wie die des von mir unendlich verehrten Corbusier, nicht die von Mies. Vielleicht können das am ehesten noch die gebrochenen, die schrägen Vögel. Die reine Lehre jedenfalls kann das nicht. Ich selbst habe keine Patentrezepte und es gibt sie auch nicht.“ Ein gebrochener, ein schräger, ein Paradisvogel, der Peter Kulka!
Campus-Universität Bielefeld, Zustand vor der aktuellen Sanierung (1970-1975)
Foto: Benedikt Kraft
Zu seinen bekannteren Bauten zählen die Campus-Universität in Bielefeld, die Neugestaltung und Erweiterung der Abtei Königsmünster, der Sächsische Landtag in Dresden, das EL-DE-Haus in Köln, das Haus der Stille der Abtei Königsmünster in Meschede (mit Konstantin Pilcher), der Landtag Brandenburg (Potsdamer Schloss) oder aktuell der Umbau des Senckenberg Naturmuseums in Frankfurt a. M. In Arbeit sind u. a. die Sanierung und Erweiterung des Lessing-Museum Kamenz, die Masterplanung MAFA-Park Heidenau bei Dresden, die städtebauliche Entwicklung des Areals Hufewiesen Alttrachau in Dresden und andere Kultur- und Wohnbauprojekte, viele in und bei Dresden.
Kulka erhielt zahlreiche Auszeichnungen für seine Bauten, u. a. den Thüringer Staatspreis, BDA-Preis Sachsen, Deutscher Architekturpreis, Hugo-Häring-Preis und 2006 die Ehrendoktorwürde der TU Dresden. Er zählte 1996 zu den 30 Gründungsmitgliedern der Sächsischen Akademie der Künste.