Architekturausstellung

Suddenly Wonderful

Zukunftsideen für Westberliner Großbauten der 1970er-Jahre

Suddenly Wonderful beschreibt nicht weniger als den Akt der Wiederentdeckung von Großbauten vergangener Jahrzehnte, die, damals schon in Frage gestellt, heute immer noch umstritten sind. Aber eben auch und ganz plötzlich: wunderbar sind! Eine Ausstellung in der Berlinische Galerie zeigt herausragende Beispiele aus Berlin, die bis heute Architekt:innen inspirieren und sie auf die Suche schicken, das Wunderbare für sich und uns vielleicht neu zu entdecken?!

Während des Kalten Krieges wurden in West- Berlin bemerkenswerte Großbauten als neue Standorte für Wissenschaft, Bildung und Kultur errichtet. Hierzu gehören das Internationale Congress Centrum (ICC Berlin, 1973–1979) – auch bekannt als „Panzerkreuzer Charlottenburg“–, das ehemalige Institut für Hygiene und Mikrobiologie (1969–1974) und die ehemaligen Zentralen Tierlaboratorien der Freien Universität Berlin in Lichterfelde („Mäusebunker“, 1971–1981) sowie der Steglitzer „Bierpinsel“. Nicht nur aufgrund ihrer Größe sind diese Gebäude prägende Setzungen im Stadtraum, deren Popularität sich auch in den Spitznamen von Berliner*innen niederschlägt.

Bureau N und Something Fantastic, Konzept ICCC – International Center for Contemporary Culture, 2014-2023
Illustration: Bureau N / Something Fantastic

Bureau N und Something Fantastic, Konzept ICCC – International Center for Contemporary Culture, 2014-2023
Illustration: Bureau N / Something Fantastic

Zeugnisse Westberliner Technikmoderne

Mit ihren futuristischen Raumformen, komplexen Funktionen und neuartigen Fassadengestaltungen standen die Bauten einst für den Fortschrittsglauben ihrer Zeit und sollten die abgeriegelte Halbstadt international konkurrenzfähig halten. Zugleich wurden sie seit ihrer Entstehung auch immer wieder als unansehnlich und ineffizient kritisiert. Heute sind sie, über Jahre vernachlässigt und inzwischen technisch veraltet, oft vom Abriss bedroht. Dagegen wenden sich vermehrt Wissenschaftler*innen, Kulturschaffende und Politiker*innen, die diese Architekturen als eindrückliche Zeugnisse einer westlichen Technikmoderne schätzen. Die aktuellen Bemühungen und Debatten um den Erhalt und die Revitalisierung dieses historisch-kulturellen Erbes beispielhaft sichtbar zu machen, ist Ziel der Ausstellung.

Vernissage Ende Mai: Wir waren dabei!
Foto: Natalie Scholder / DBZ

Vernissage Ende Mai: Wir waren dabei!
Foto: Natalie Scholder / DBZ

Konzepte renommierter Büros

Zu sehen sind Konzepte renommierter Berliner Büros, die allesamt den Bestand achten: als wertvolle Ressource angesichts der angestrebten Energiewende und zugleich als identitätsstiftende Orte für Bewohner* innen und Nutzer*innen. Dabei geht es um eine Baupraxis, die auch in bestehenden architektonischen Strukturen das Potential zur Entfaltung neuer Nutzungsmöglichkeiten sieht.

Modell des ICC
Foto: Harry Schnitger

Modell des ICC
Foto: Harry Schnitger

 ICC

Das Büro GRAFT schlägt beispielsweise vor, das ICC zum Forschungs- und Entwicklungszentrum für E-Mobilität umzubauen und reagiert damit ebenso auf die Struktur des Baus wie auch auf eine zentrale Herausforderung unserer Zeit. Gleiches gilt für das Konzept von Roland Böving und Christina Neuner. Sie wollen den seit jeher für seinen immensen Energieverbrauch kritisierten Großbau mittels einer Biosphärenhülle in die Klimaneutralität führen und seine unwirtliche Umgebung großzügig begrünen. Nach Something Fantastic und Bureau N gilt es, das ICC als Gesamtkunstwerk von Architektur, Design und Technik zu erhalten und für das 21. Jahrhundert zu ertüchtigen: Neben Kunst und Kultur soll hier auch eine Serverfarm Platz finden – eine berlinweit nutzbare Infrastruktur im Digitalzeitalter, deren Wärmeausstoß in den Energiehaushalt des Gebäudes einfließen könnte.

Neben Modelle gibt es zahlreiche Originalgrafik, Skizzen, Collagen ...
Foto: Natalie Scholder / DBZ

Neben Modelle gibt es zahlreiche Originalgrafik, Skizzen, Collagen ...
Foto: Natalie Scholder / DBZ

„Mäusebunker“

Für den „Mäusebunker“ entwickeln derzeit sowohl die Privatwirtschaft als auch der öffentliche Sektor Konzepte für eine Umnutzung. 60 Expert*innen verschiedener Sparten haben die Zukunftsmöglichkeiten des herausfordernden Baus in einem vom Landesdenkmalamt Berlin in Kooperation mit der Charité Universitätsmedizin und der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen initiierten „Modellverfahren Mäusebunker“ ausgelotet. Prozess und Ergebnisse werden in der Ausstellung erstmals vorgestellt.

Die Ausstellung verteilt sich großräumig und über zwei Ebenen
Foto: Natalie Scholder / DBZ

Die Ausstellung verteilt sich großräumig und über zwei Ebenen
Foto: Natalie Scholder / DBZ

Das Büro b+ (bplus.xyz) setzt sich ebenso für den Erhalt des „Mäusebunkers“ ein. Ziel ist es, den Bau, der einst für die Beherrschung der Natur durch den Menschen stand, zum Prototyp einer Architektur zu machen, in der Mensch und Natur koexistieren. Dazu soll die funktionell bedingte Abgeschlossenheit des Gebäudes aufgebrochen werden: Große Fensterelemente sollen die rasterartige Betonfassade ersetzen.

Modell des Berliner Bierpinsels
Foto: Harry Schnitger

Modell des Berliner Bierpinsels
Foto: Harry Schnitger

In der Ausstellung werden neuen Ideen, zum Teil noch nie gezeigte Entwürfe, Pläne und Filme aus der Sammlung des Museums zur Seite gestellt. Sie erzählen von der Konzeption und Entstehung der Gebäude. Zudem vermitteln künstlerische Positionen etwa von Kay Fingerle, Beate Gütschow, Matthias Hoch und Tracey Snelling einen aktuellen Blick auf die markanten Symbolbauten der 1970er Jahre. Ausgestellt sind etwa 85 Werke von rund 20 Architekt*innen, Planungsbüros, Fotograf*innen und Künstler*innen.

Suddenly Wonderful

Ausstellung: noch bis zum 18.9.2023
Eintritt 10 €, ermäßigt 6 €
Mi – Mo 10 – 18 Uhr
Di geschlossen
Kindervernissage: So 11.6.23, 15-17 Uhr

Berlinische Galerie
Landesmuseum für Moderne
Kunst, Fotografie und Architektur
Alte Jakobstraße 124 –128
10969 Berlin

www.berlinischegalerie.de/kalender

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