Im Gespräch mit … Martin Bez, Bez + Kock Architekten, Stuttgart

Alles andere ist Ökopop

Wie sollen wir bauen? Mit welchen Projekten kann man heute noch eine Fachredaktion zur Veröffent­lichung derselben bewegen? Weil wir ein Projekt von Bez+Kock einmal ablehnten, luden uns die Architekten ein, ihnen diese ablehnende Haltung im Gespräch zu erklären. Was wir gerne machten und nach Stuttgart reisten.

Lieber Martin Bez, Anlass unseres Gesprächs ist meine Ablehnung, ein von euch zur Veröffentlichung eingereichtes Projekt in der DBZ zu publ­izieren. Ich hatte auf die Einreichung zurückgemeldet, dass ich nicht wüsste, warum wir dieses über jeden Zweifel hinaus schön gestaltete Projekt veröffentlichen sollten. Wie hatte sich die Absage angefühlt?

Martin Bez: Das hat uns tatsächlich so stark berührt, dass wir das Bedürfnis hatten, die Gründe für Ihre Zurückhaltung im Gespräch zu erfragen. Lag es doch an der Qualität? Haben sich die Anforderungen seitens der Zeitschrift verändert? Können wir in Zukunft hier etwas besser machen? Wir haben uns aber auch ernstgenommen gefühlt, immerhin war die Absage ja ungewöhnlich ausführlich. Schreiben Sie immer so detailliert auf Anfragen zurück?

Nein, definitiv nicht, dafür ist leider keine Zeit! Vielleicht, weil wir uns kennen? Bez+Kock waren Heftpartner in der DBZ …

Klar, Redaktionen sagen ab, weil es thematisch nicht passt, man gerade zu viele Projekte auf dem Schreibtisch hat, das Projekt aus Redaktionssicht nicht gut genug ist usw. Was uns aber überrascht hat, war, dass die Absage sehr deutlich machte, die DBZ könne ihrem Auftrag als Architekturzeitschrift künftig nur noch nachkommen, wenn sie ausschließlich Architektur publiziere, die über zentrale Nachhaltigkeitsaspekte verfügt?!

Das wäre die Idealfassung unserer Ambition. Aber so ganz stimmt dieser Absolutheits­anspruch natürlich nicht. Wir hätten gerne Projekte, die die Diskussion um ein nachhaltiges Bauen voranbringen, das umfasst viele Aspekte, manchmal auch das Scheitern dieses Anspruchs im Projekt. Wir versuchen gerade, diesen, ich sage mal, „klassischen Diskurs“ zu verlassen mit Blick auf die Aufgaben, die vor uns allen stehen. Denn wir sind zwar Fachpresse, aber auch Presse, die als „Vierte Gewalt“ Möglichkeiten hat, Dinge zu beeinflussen.

Aber uns allen würde schon etwas fehlen, wenn sich die Baufachzeitschrift DBZ in Zukunft ausschließlich auf das Feld „Nachhaltigkeit“ fokussierte. Denn natürlich spielen auch künftig Ästhetik, Soziales, Materialität oder der Städtebau eine zentrale Rolle, gerade auch in der von Ihnen angesprochenen Nachhaltigkeitsdebatte. Der Nachhaltigkeitsaspekt ist in den vergangenen Jahren als wesentlicher Parameter in der Architekturdebatte hinzugekommen. Es ist jedoch nicht so, dass er die anderen Aspekte des Bauens verdrängen oder ersetzen sollte. Mir ist diese Debatte ohnehin viel zu eindimensional, wir können ja nicht – zum Beispiel – die gebaute Welt als eine rein hölzerne denken. Es gibt Bauaufgaben, für die ist nach wie vor Beton eine Option, auch eine, die Nachhaltigkeit erzeugt.

Letzteren stimme ich zu. Doch zu einem anderen Aspekt, zu dem, wie heute ein Architekturbüro Projekte der Fachpresse anbietet. Meist mit schönen Fotos, großartigen Blickbeziehungen, mit hochwertiger Ausstattung. Und nachhaltig ist das alles sowieso. Das aber wird gleich fragwürdig, wenn die „großzügigen Grundrisse“ Quadratmeter pro Kopf Nutzer ergeben, die jenseits aller Nachhaltigkeit sind. Vom Flächen-, vom Landschafts- und Ressourcenverbrauch natürlich kein Wort.

Bei dem Projekt für die Bundesgartenschau, das wir vorgeschlagen hatten, ist Nachhaltigkeit vielleicht nicht der sichtbarste Aspekt. Es ging hier darum, eine Architektur in eine Parklandschaft geschmeidig einzufügen. Die Frage war: Wie entwerfe ich rund 5 000 m² Nutzfläche, ohne den wunderbaren Park zu zerstören? Wie kommen Landschaftsarchitektur, Architektur, Pflanzen und Tiere zusammen? Die Besucher des Luisenparks sollen intensiv die Nähe zu Fauna und Flora erleben können und dadurch für die Natur sensibi­lisiert werden. Natürlich hat das Haus auch ein vorbildliches Energiekonzept, das wir gemeinsam mit den Ingenieuren von Transsolar entwickelt haben. So heizen wir es beispielsweise über einen Wärmetauscher im städtischen Abwasserkanal. Und wir haben die bestehenden Pflanzenschauhäuser aus den 1950er-Jahren thermisch saniert. Das waren die größten Energieschleudern überhaupt. Nachdem nun deren Hülle und die Haustechnik erneuert worden sind, brauchen diese Häuser nur noch 10 % der Energie, die sie vorher benötigten.

Interessant. Darüber wurde von Ihrer Seite mit keinem Wort berichtet. Ich fand dagegen: fließend, filigran, geschwungen, elegant und die „einladende Geste“, die, wie „Schönheit“, dringend kritisiert hinterfragt werden sollte. Mir ist nicht ganz klar, warum Architekturbüros immer noch zuerst ästhetisch argumentieren und das nicht zugunsten der Gebäudeperformance in die zweite Reihe stellen.

Ich denke, dass Ästhetik und Nachhaltigkeit zusammen funktionieren müssen. Es muss zur Selbstverständlichkeit werden, dass wir unsere Häuser nachhaltig denken. Deswegen sollten wir uns aber für deren ästhetische oder räumliche Qualitäten nicht schämen müssen, denn diese tragen auch dazu bei, dass ein Gebäude geliebt und gepflegt wird. Auch das ist im erweiterten Sinne ein Aspekt der Nachhaltigkeit. Der Begriff der Gebäudeperformance greift meines Erachtens viel zu kurz, Architektur kann mehr.

Die „richtige“ Ästhetik – wie immer diese bildhaft werden kann – ist zugleich auch Nachhaltigkeit. Wer sein Haus gut gestaltet, sorgt für dessen Akzeptanz und längeres Leben. Und ein lang lebendes Gebäude ist auch ein nachhaltiges Gebäude. Oder?

Mir geht es sehr gegen den Strich zu sehen, dass wir Häuser aus den 1990er-Jahren bereits wieder abreißen. Denn ich weiß doch, wie viel Arbeit es bedeutet, ein Haus zu planen und zu bauen. Und wenn man ehrlich ist: Die wenigsten Neubauten können doch heute für sich beanspruchen, Langlebigkeit durch Qualität zu erreichen. Ja, bauliche Qualität ist am Ende ein wertvoller Beitrag zur Nachhaltigkeit. Und beim Bildhaftwerden von nachhaltiger Architektur läuft meines Erachtens gerade vieles ziemlich schief, denn da werden zahlreiche Gebäudeentwürfe in Hochglanzvisualisierungen von üppig wachsenden Fassadenbegrünungen überzogen. Das verkauft sich natürlich gut im politischen Raum, aber vergessen wir nicht: Diese Fassaden sind Hightech und nicht Natur. Zudem wirkt das grüne Mäntelchen auf mich wie Gestaltungsverweigerung. Wir brauchen einfachere und robuste Lösungen. Planen wir das Haus doch etwas kleiner und pflanzen davor drei Bäume. Alles andere ist Ökopop.

Aber schauen wir einmal nicht auf Effizienz – machen wir leider fast ausschließlich – sondern auf Effektivität. Wenn wir nun jedes Jahr 100 000 neue, aber langlebige Gebäude in die Welt stellen, werden wir den Ressourcenverbrauch, den CO2-Ausstoß und so weiter nicht reduzieren. Selbst Lehm aus der Baugrube ist am Ende ein Haus mehr. So machen wir zwar alles effizienter, die Effekte daraus allerdings sind negativ.

Das ist richtig. Wir sehen das in der Automobilbranche. Hat ein Benzinmotor früher 10 Liter auf 100 Kilometer verbraucht, sind das heute 2 oder 3 Liter weniger. Das ist das zwar eine Verbesserung, aber es ist immer noch fürchterlich schlecht.

Der Benzinverbrauch ist insgesamt nicht gesunken, weil es immer mehr 7-Liter-Autos gibt.

Der deutlich wirkungsvollere Hebel liegt darin, einfach weniger autozufahren.

Und da wären wir beim Nichtmehrneubauen. Wie bildet sich das im Arbeitsspektrum von Bez+Kock ab?

Unsere Arbeit hat sich verändert, aber sie wurde nicht weniger. Bei zwei Dritteln unserer Projekte sind mittlerweile Bestandsgebäude im Spiel. Das Radikale „Wir bauen jetzt überhaupt nicht mehr“ ist meines Erachtens eine überspitzte These in einer theoretisch geführten Diskussion. Es stehen Abrissmoratorien im Raum. Das ist, glaube ich, eher eine Haltung, die provozieren will. Wir werden weiterbauen, davon bin ich überzeugt. Aber: Wir müssen bei jedem Einzelfall viel genauer hinschauen, welche bauliche Maßnahme überhaupt notwendig ist. Umbau vor Neubau. Was brauche ich wirklich? Usw.

Dann sind unsere Leser, Ingenieure, Architekten, gar nicht die ersten Ansprechpartner, sondern vielmehr die Bauherrn?!

Ich glaube, dass das Thema Bauen im Bestand bei den meisten längst angekommen ist. Wir arbeiten seit vielen Jahren mit dem Gebäudebestand, weil wir hier nicht alles neu erfinden müssen. Weil es da Geschichte und Patina gibt, an denen wir uns reiben und an die wir anknüpfen können. Dies bedeutet allerdings auch deutlich mehr Mühe bei der Arbeit. Ein großes Problem ist, dass sich viele Bauherrn vor dem Unkalkulierbaren fürchten, das einem Umbauprojekt innewohnt. Noch immer gilt die Denke: Wenn ich etwas Neues kaufe, ist es besser als das Alte. Das ist eigentlich Unfug, ich wohne sehr zufrieden und durchaus komfortabel in einem alten Haus.

Gründerzeit natürlich, hohe, stuckverzierte Decken, Fischgrätparkett, knarzende Eiche, schöne Alterungsspuren, Patina, Blick in den Park … extrem beliebt. Das im Neubau zu bekommen, ist teuer. Noch einmal zurück. Spielt das Bauen im Bestand bei Bez+Kock nicht auch mit der Idee, dass man damit etwas Positives für die Umwelt tut?

Klar, wenn ich alte Bausubstanz wiederverwende, tue ich automatisch etwas Gutes für die Umwelt. Und – wir haben es schon gestreift – wir müssen alle von unseren hohen Ansprüchen herunterkommen.

Von welchen Ansprüchen? Des Nutzers?

Der Bauherrn, der Nutzer ... In Deutschland ist doch alles überreguliert. Dämmwerte, Schalldämmwerte, Brandschutzwerte, Barrierefreiheit, alles hat seine Norm. In einem Altbau können manche Normen und Standards nur mit höchstem baulichem Aufwand realisiert werden. Da brauchen wir mehr Offenheit für Kompromisse. Wir dürfen die alten Häuser nicht mit unserer Regelungswut und einem übersteigerten Sicherheitsdenken überfrachten. Ja, im Altbau sind die Wände auch mal kalt. Wir sitzen hier in unserem Büro in einem Haus von 1870. Wer hier im Winter friert, zieht dann eben einen wärmeren Pullover an. Dafür haben wir hohe Decken und eine Raum-
atmosphäre, die bersonders ist. Nennen Sie es nun Kompromiss oder Verzicht oder ...

… Ich liebe dieses Wort in dieser Diskussion: Verzicht. Aber keiner will es aussprechen, es klingt immer nach unbarmherzigem Zwang. Aber ohne Weniger werden wir Mehr nicht hinbekommen … Und wer nicht verzichten will, der muss eben dafür zahlen.

Wenn ich Dinge tatsächlich umsetzen will, muss ich versuchen, eher positiv zu argumentieren. Deswegen ist Verzicht vielleicht nicht die allerbes-te Vokabel!

Ja, man hat Sorge, weniger fürs gleiche Geld zu bekommen.

Verzicht kann aber auch Erleichterung bringen – wie viele Dinge haben wir, die wir nicht brauchen? Ich würde eher dafür werben, was man alles zusätzlich für dieses Weniger bekommt. Nämlich die hohen Räume oder die Wände aus Naturstein oder den alten Dielenboden, also Dinge, die ich im Neubau nicht hätte.

Aber hier zitieren sie eine Ästhetik, die die meis­ten nicht erkennen und gar nicht wollen! Patina … das klingt vielen nach „Muss repariert werden“ und Behelf. Die Bauwirtschaft habe, so die neueste Erkenntnis, einen großen Hebel in Sachen Ressourcenschonung/CO2-Reduktion. Sehen Sie den Hebel hier im Büro?

Ich fürchte, dass, obwohl wir ein relativ großes Büro sind, unser Hebel nicht sehr groß ist. Gemeinsam mit vergleichbaren Büros sind wir vielleicht für 10 % des Baugeschehens verantwortlich, 90 % liegen in den Händen irgendwelcher anonymer Projektentwickler, die zehntausende Quadratmeter betonierter Verwaltungsflächen von der Stange bauen, nur um der Rendite Willen. Da ist in der Regel kein Raum für Qualität oder Nachhaltigkeit.

Renditeorientiertes Bauen hat sich in den letzten Jahren definitiv gelohnt. Wäre da die Politik gefordert?

Na ja, die Politik schafft die nötigen Rahmenbedingungen, aber ohne jeden Einzelnen geht es nicht.

Der von Ihnen zitierte Ökopop kommt bei den jüngeren Mitarbeiterinnen hier im Büro aber sicher gut an. Oder fehlt denen, auf Grund mangelnder Erfahrungen in der Durchsetzbarkeit ihrer Ideale, einfach das nötige Quäntchen Pragmatismus?

Unsere jüngeren Kollegen sind sicherlich stärker in den aktuell diskutierten Themen engagiert als die älteren. Wir haben Mitarbeiter im Alter von 20 bis 60 Jahren bei uns im Büro und jeder bringt mit seiner Geschichte einen spezifischen Blickwinkel ein. Ich empfinde diesen Diskurs als Bereicherung. Die Jungen müssen sich natürlich an den Projekten reiben, die schon da sind, das geht gar nicht anders. Und dann wird aus einer anfangs idealtypischen Holzkonstruktion Stück für Stück ein Hybrid, vielleicht gar ein Stahlbetonbau, weil das Budget nicht reicht.

Wie wird sich Bez+Kock in Sachen Bauen für die Zukunft entwickeln? Gibt es eine Strategie?

Was können wir tun? Unsere Anstrengungen auf diesem Gebiet sichtbarer machen, dann finden wir vielleicht auch wieder bei der Fachpresse Gehör! Aber im Ernst, wir bilden uns und unser Team ständig fort, länger schon mit Schwerpunkt auf Themen wie Suffizienz oder Einfaches Bauen. Demnächst haben wir Zirkular aus Basel zu Gast, da platzieren wir das Thema Kreislaufwirtschaft. Beim Besucherzentrum für das Schloss Charlottenburg möchten wir die Geschossdecken als tragende Kappendecken in Stampflehm realisieren. Also, wir sind dabei, uns auf vielen Pfaden dem Bauen für die Zukunft weiter zu öffnen. Auch in unseren Wettbewerbsbeiträgen probieren wir immer wieder einmal, ein bisschen radikaler zu sein. So schlugen wir jüngst für ein Archivgebäude in Baden-Baden eine Fassade aus ganz unterschiedlichen, gebrauchten Bauteilen vor. Es ging uns nicht darum, Geld zu sparen, wir hatten an ein Statement an einem öffentlichen Haus gedacht. Einer muss den Anfang machen!

„Einer muss den Anfang machen!“ Ein schöner Schlussimperativ, danke!

Gerne.

Mit Martin Bez unterhielt sich DBZ-Redakteur
Benedikt Kraft am 1. Dezember 2023 im Stuttgarter Büro.

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