Beton in der Schwebe
Magnetschwebebahnen schienen lange Zeit eine Zukunftsvision von vorgestern zu sein. Doch mit neuen, modularen Betonfertigungstechniken, die eine hohe Präzision ab Werk bei geringen
Produktions-, Transport- und Errichtungskosten ermöglichen, wird die früher so anfällige Technik nun wieder als robuster Konkurrent zu Bus, Tram, U- und S-Bahn gehandelt. Das GRAFT hat in einer Designstudie mit dem Hersteller die Potenziale des Systems ausgelotet. Ein Forschungsbericht.
Neue Infrastruktur, die eine hohe Kapazität und Zuverlässigkeit leisten kann, ist insbesondere im Stadtraum oft überhaupt nicht integrierbar. U-Bahnen sind so teuer, dass sie nur selten gebaut werden. Trambahnen müssen sich den für den Verkehr zur Verfügung stehenden Raum mit dem Autoverkehr teilen, was einen schnellen Transport oft vereitelt.
Magnetschwebebahnen bieten dagegen mit
ihrem leisen, schwingungs- und emissionsfreien Betrieb große Vorteile für ein Update der urbanen Infrastrukturen: Sie fahren schnell und leise auf einem schmalen Fahrweg aus Beton und produzieren einen minimalen Footprint. Im Abstand von ca. 25 m wird mit schlanken Stützen und Punktfundamenten der Boden berührt, der ebenerdige Flächenverbrauch ist somit gering und der Bau verhältnismäßig einfach im Vergleich zu ebenerdigen Schienensystemen und den aufwendigen Tunneln für U-Bahnen. Vielmehr gelingt es leicht, das System auf dicht genutzten Flächen oder unternutzten Bereichen, wie Mittelstreifen, in den Stadtraum zu integrieren. Durch die aufgeständerte Bauweise können Kreuzungen oder andere Hindernisse überbaut werden. Aus unserer Sicht besteht durch das aufgeständerte System aber auch die Möglichkeit, Stadt neu zu denken und bisher ungenutzte Flächen für die Bewohner nutzbar zu machen.
Die Max Bögl GmbH hat mit dem TSB ein System entwickelt, das modular herstellbar ist und technologisch spezifiziell für die Herstellung des Fahrwegs entwickelt ist. Dabei muss der komplexe Beton-Querschnitt des Fahrwegs für eine Spannweite von 12 bis 24 m so tragend hergestellt werden, dass Neigungen, Krümmungen und Radien in mehreren Achsen präzise dargestellt werden können. (Siehe Box Bögl)
GRAFT hat für dieses Prinzip gestalterische Entwürfe für Stützen, Fahrweg und Stationen entwickelt und ausgehend von der intelligenten Fahrwegtechnologie auch Potenziale für die Gewinnung solarer Energie sowie zur Fahrbahnbegrünung ausgelotet, die einen positiven Beitrag zum Mikroklima leisten können. So sind eine Reihe von Gestaltungs-Ideen entwickelt worden, die das System im urbanen Umfeld integrieren und neue Flächen im Stadtraum schaffen. Außerdem sollen die Stationen neue Räume im Stadtraum schaffen, die der Mobilität von morgen eine neue Identität verleihen.
Stadtraum
Der aufgeständerte Fahrweg platziert sich mit schlanken und – im Vergleich zu den in bereits existierenden aufgeständerten Bahnstrecken (z. B. in Berlin) – deutlich höheren Stützen im bestehenden Straßenraum. Der Fahrweg selbst besteht aus schlanken Tragprofilen, in denen die Magnet-Technik bereits integriert ist, sodass das Sonnenlicht zwischen ihnen hindurchscheinen kann. Der darunterliegende Raum erscheint damit hell und licht und bietet sich insbesondere für Nutzungen an, die der Lebensqualität in dichten Städten förderlich sind. Neben sozialen Aktivitäten, wie Markt und Sport, kann der Raum auch z. B. als Stellfläche für Ladestationen und andere Mobilitätsangebote dienen. Ein durchgängig wettergeschützter bzw. verschatteter Gehweg oder eine Joggingstrecke sind ebenfalls leicht vorstellbar.
Der schmale Fußabdruck, den die Betonstützen bieten, kann aber auch anders genutzt werden: Sie können Mittelinseln bilden und, bei ausreichenden Höhe, können auch Teile bestehender Fahrspuren für Fahrräder oder Kraftfahrzeuge platzsparend unter die Magnetbahn geschoben werden. Insgesamt ergeben sich damit Möglichkeiten, den städtischen Verkehr in einem großzügigen Straßenquerschnitt neu zu ordnen und Flächen für Radfahrer und Fußgänger zurückzugewinnen.
Design the curve
Die Entwürfe von GRAFT sehen eine schlanke und dynamische Ausführung der Stützen vor, welche die ingenieursmäßigen Anforderungen an flexible Schrägstellungen des Fahrwegs bei modularer Fertigung berücksichtigen. Der Stützenkopf bildet das Auflager für eine Traverse, die sich in Längs- und Querrichtung an den Streckenverlauf anpassen kann. Der Stützenkopf ist so gestaltet, dass sich das Auflager des Querträgers sowie der Fahrweg selbst in radialen Schalen an die notwendige Führung des Fahrwegs anpassen können. Die parallelen Fahrtrassen können so gelagert werden, dass der in der Mitte liegende Fluchtweg stets horizontal platziert werden kann und damit einschlägige Sicherheitskriterien erfüllt. Gleichzeitig bildet die Standard-Stütze eine markante Skulptur, die mit ihrem „Auge“ eine hohe Transparenz bietet und so Blickbeziehungen im Stadtraum ermöglicht.
Die Gestaltung der Strecke besitzt durch ihre modulare, serielle Fertigung auf allen Abschnitten einen hohen Wiedererkennungswert. Gleichzeitig entsteht für die Produktion ein erheblicher Vorteil, da immer gleiche Teile hergestellt werden können, die dann an der konkreten Position im Stadtraum die individuell erforderliche Neigung und Ausrichtung der Fahrtrassen einnehmen können. Die Anzahl verschiedenartiger Teile und Guss-Formen wird mit der Gestaltung effizient vereinfacht.
Der Stützenkopf ist zudem so ausgebildet, dass er bei gleicher Fertigung verschiedene Stützen-Lagerpositionen zulässt. Steht die Stütze zum Beispiel versetzt zur Mittelachse, dann lagert der Fahrweg einseitig auskragend über den bestehenden Fahrbahnen. Der Verkehrsraum kann sich so auch zugunsten eines öffentlichen Raums mit Platzcharakter verlagern.
Vorteile gegenüber Stahl
Im Vergleich zu klassischen Hochbahn-Konstruktionen aus Stahl, die mit ihren vielfältigen Trägerprofilen und Aussteifungen den Raum darunter dunkel erscheinen lassen, erzeugt bei dem vorgeschlagenen System die helle und glatte Betonoberfläche einen deutlich freundlicheren Raum darunter. Im Zusammenhang mit Taubenschutz bietet das System nahezu keine Aufenthalts- oder Lagerflächen. Im Gegensatz zu herkömmlichen Konstruktionen ist das TSB weniger breit, verschattet weniger, erzeugt weniger Verschmutzung und vermeidet die sonst typischen unwirtlichen Resträume.
Ein aufgeständertes Mobilitäts-System im Stadtraum bietet jedoch auch zusätzliche Potenziale für Begrünung und Energiegewinnung: GRAFT schlägt dazu vor, den Fahrweg mit einem seitlichen Band aus Faserbeton-Bauteilen zu ergänzen die, mit PV-Paneelen ausgestattet sind und Strom erzeugen können. Aufgrund der Länge der jeweiligen Strecke ergeben sich hier erhebliche Flächen, die zur Energiegewinnung genutzt werden können. Dazu zählen auch die horizontalen Flächen auf dem Fahrweg. Da die Magnetbahn mehrere Zentimeter über der Strecke schwebt, können auch dort Paneele platziert werden. Nach ersten Berechnungen kann auf diese Weise im Jahresmittel bis zu 43 % der für den Betrieb der Magnetschwebebahn erforderlichen Energiemenge an der Strecke selbst gewonnen werden.
Alternativ kann das seitliche Ergänzungselement bepflanzt werden und mit einer Regenwasserretention einen Beitrag zur Kühlung des Stadtraums und zum Prinzip der Schwammstadt leisten. Pflanzen und Feuchtigkeit verbessern das Stadtklima. Überschüssiges Wasser kann zusätzlich in Pflanzbereiche am Stützenfuß geleitet werden und damit auch im Straßenraum und auf den gering beregneten Flächen unter dem Fahrweg den Wuchs der Bepflanzung fördern. Die im Vergleich zu herkömmlichen Straßenbahnen freiwerdenden Flächen können entsiegelt und als Versickerungsflächen genutzt werden. Auch hier entstehen erhebliche Flächen mit Potenzial für die Energieerzeugung bzw. für den nachhaltigen Umgang mit Regenwasser.
Stationen
Die vollautomatisch fahrenden Bahnen erzeugen an ihren Stationen neue kreuzungsfreie Umsteigepunkte zu bestehenden Mobilitätsformen. Die Stationen werden zu neuen Ankerpunkten im Stadtraum und urbanen Knoten. Auch in der Gestaltung der Stationen wird das Prinzip der seriellen Beton-Formen genutzt und in ein System modularer Schalen übersetzt, die in verschiedenen Weiten auskragen und in Reihe verschiedene Größen und Geometrien für Haltestationen ausbilden können. Mit linearer Serialität wird ein typisches Motiv von Stationsgebäuden variiert, die Gewölbe reihen sich zu einem spannenden und wiedererkennbaren Raumgefüge.
Auch hier wird der zunächst aufwendige Formenbau durch eine hohe Stückzahl gleicher Teile kostengünstig darstellbar. Die auskragenden Elemente erzeugen zusätzliche Freiheit in der Anordnung vieler möglicher Variationen, sodass ein Raum mit hoher Aufenthaltsqualität entsteht.
Je nach Platzbedarf im Stadtraum können mit dem System Stationen mit zentralem Bahnsteig oder seitlichen Plattformen hergestellt werden. Mit der Kombination der Teile werden die hohen Kräfte in den Stützenfüßen stark reduziert. Der Bahnsteig wird durch automatische Türen von den wartenden Fahrgästen getrennt. So entsteht in der Ebene der automatischen Bahnsteigtüren die Möglichkeit, leichte ergänzende Stützen zu platzieren.
Prototyp
Als Prototyp für eine zukünftige Station wird an der bestehenden Versuchstrecke des TSB in Sengenthal ein Dachsystem geplant, das alle diese Eigenschaften aufweist und einen Ausblick auf zukünftige Stationen geben kann.
Hier wird die automatische Türanlage erstmalig in Betrieb gehen und, zusammen mit der Schalenkonstruktion, eine konstruktive Einheit bilden. Dazu wurde die Form hinsichtlich der Wasserführung und der Kombination der Elemente weiter optimiert. Alle Elemente sind so teilbar, dass der Transport ohne größeren Aufwand möglich wird.
Es wird angestrebt, alle Fertigteile in Vorfertigung zu erzeugen und damit den späteren Bauprozess vor Ort zu verkürzen. Außer der Fertigung der lokalen Fundamente bleibt damit der Eingriff und die Bauzeit vor Ort extrem gering. Selbst Wartungen können ohne Baustelleneinrichtungen vorgenommen werden. Die Eroberung der dritten Dimension im Stadtraum wird somit für alle Stadtbewohner zu einem Qualitätssprung, mit dem sich Mobilitätsintelligenz und Aufwertung der öffentlichen Räume vereinen lassen.
Daten und Fakten TSB
Der Fahrweg des Transport Systems Bögl (TSB) zeichnet sich durch mehrere Besonderheiten in Geometrie, Herstellung und Material aus:
Geometrie
Flexibilität: Der Fahrweg passt sich flexibel und ästhetisch dem urbanen Umfeld an und kann aufgeständert, ebenerdig oder auch im Tunnel verlegt werden. Dabei können minimale Kurvenradien von 45 m, Querneigungen von 8 ° und Steigungen von 10 % befahren werden.
Schlankes Primärtragwerk: Mit einer Höhe von 1,2 m und einer Standardlänge von 23,5 m ist das Primärtragwerk schlank gestaltet, um sich nahtlos in städtische Gebiete zu integrieren. Die Trägerlängen können für größere Kreuzungssituationen auf 36 m erweitert werden.
Herstellung
Industrielle Fertigung: Die Träger werden industriell vorgefertigt, was eine schnelle Montage vor Ort ermöglicht, Personalressourcen optimiert und die Bauzeiten erheblich verkürzt. Zudem kann durch die Produktion in einer witterungsunabhängigen und kontrollierten Umgebung eine hohe Bauteilqualität gewährleistet werden. Um ein ästhetisches Fahrbahnband im städtischen Raum zu erzeugen, werden die Träger in vollflexiblen Schalungen hergestellt. Die in automatisierten Prozessen hergestellten Bewehrungskörbe werden in den Schalungen um zusätzliche Aufnahmen für nachträglich zu montierenden Anbauteile wie Stromschienen, Reaktionsschienen oder Rettungsstege ergänzt und mit selbstverdichtendem, hochfestem Beton verfüllt. Die Trägersegmente werden anschließend auf einer CNC-Fräsmaschine nachbearbeitet, um an den Funktionsflächen die benötigte Genauigkeit im zehntel Millimeter Bereich zu erhalten.
Schlüsselfertige Lösung
Max Bögl bietet eine komplette Lösung aus einer Hand, von der Produktion des Fahrzeugs und des Fahrwegs über die Planung und bauliche Ausführung bis hin zur Betriebsleittechnik. Durch dieses Prinzip können die Schnittstellenverluste zwischen den Systembestandteilen vermieden und eine schnelle Inbetriebnahme erreicht werden.
Montage
Die Trägerelemente werden als Einfeldträger ohne konstruktiven Verbund auf den vorab aufgestellten Fertigteilstützen montiert. Zwischen den Fahrwegträgern können Luftspalten von bis zu 80 mm vorgesehen werden, um eine einfache Montage zu ermöglichen und Materialausdehnungen unter Last bzw. Wärme zu ermöglichen. Durch das magnetische Schweben können diese Spalten problemlos ohne Geräuschentwicklung überfahren werden.
Material
Beton und Stahl: Der Fahrweg kann in Stahlbeton oder als Stahlkonstruktion ausgeführt werden. Die für den Aufbau eines Streckennetzes benötigten Weichen werden als Hybridkonstruktion aus Stahlhohlkastenprofilen und Betonfertigteilen hergestellt. Durch die Verwendung von Hochleistungsbetonen und innovativen Spanntechniken können schlanke Bauteile mit geringerem Materialbedarf hergestellt werden.
Umweltbetone: Für nachhaltiges Bauen werden spezielle Umweltbetone verwendet, die den ökologischen Fußabdruck reduzieren. Dazu wird der Zementanteil reduziert und durch Hüttensandmehl ersetzt. Zudem kommen regionale Baustoffe zum Einsatz.