Blockhaus birgt Avantgarde in Dresden

In Dresden wurde aktuell eine Lücke geschlossen, bislang nicht vorhandene Zeugnisse der Moderne haben nun ein Zuhause. Das der Stadt geschenkte Archiv der Avantgarden, eine weltweit einmalige Sammlung, hat nun gegenüber Zwinger und Semperoper seinen Platz gefunden. Das architektonische und stadträumliche Konzept wirft allerdings Fragen auf.

2002 trat – nicht nur – in Dresden die Elbe über ihre Ufer und setzte die Stadt unter Wasser. Semperoper, der Zwinger, der Landtag und viele Verwaltungs- und Wohnbauten standen im Wasser. Das war möglicherweise mit ein Grund, warum in den Folgejahren das Berliner Architekturbüro ­Staab Architekten bei der Sanierung des Albertinums das geforderte Zentraldepot hoch in den Himmel hängte: Das – konstruktiv betrachtet – Brückenbauwerk schwebt seit seiner Fertigstellung 2010 über dem damit ehemaligen Innenhof des ehemaligen Zeughauses, schmale Lichtbänder erzeugen Himmelslichtillusion.

Der zu Recht gefeierte Um- und Neubau hat dann auch wirklich nur diesen Mangel: Man sieht von unten, aus dem Hof heraus nach oben blickend, nicht, dass über einem noch zwei Geschosse in einer Stahlkonstruktion ruhen. Die mittels Tageslichtdiffusoren geschlossenen, längsseitlichen Öffnungen könnten auch Kunstlicht nach unten leiten. Die flache Decke ist tatsächlich die Unterseite von etwas, das sich hoch darüber aufbaut und in dem kunsthistorisch wertvolles Depotgut hochwassersicher lagert.

Diese Dezenz schmerzt die Puristen vielleicht, verbirgt sich ihnen doch etwas, das zentral ist für das Wesen und die Gestalt des Hauses. Dem Brandschutz geschuldet verbirgt der Raumabschluss zugleich das wunderbar Einfache einer Umbau­lösung, auf das zu kommen man Könner sein muss. Nun hat, wenige hundert Meter quer über die Elbe hinweg, ein weiterer Bestandsbau einen Umbau hinter sich gebracht. Das Ausstellungshaus, das im vergangenen Mai eröffnet wurde, sollte ein Geschenk aufnehmen: die rund 1,5 Mio. Einzelstücke umfassende Sammlung des in Bielefeld gebürtigen Kunstsammlers Egidio Marzona. Dieser übergab seine Sammlung 2016 an den Freistaat Sachsen, hier an die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, die, so jedenfalls Sachsens Kunstminis­terin Eva-Maria Stange, „mit diesem spektakulären Konvolut die Lücke des weitgehenden Fehlens der Moderne in ihren Beständen“ schließen. Dresden ohne Moderne, bisher!

Sammlungsschenkung gegen Museumsneubau

Der Schenkungsvertrag vereinbarte als Gegenleistung das Übliche: Ein Haus für die Kunst, eben das seit 2013 wegen Hochwasserschadens geschlossene Blockhaus (der Name geht auf einen Vorvorgängerbau zurück, einen Holzbau). 20 Mio. € waren 2016 dafür veranschlagt, die Sammlung wurde damals gutachterlich auf ca. 120 Mio. € geschätzt. Anfang 2018 wurde der nicht offene Realisierungswettbewerb mit vorgeschaltetem Bewerbungsverfahren zur Auslosung von 24 Teilnehmern sowie 11 Zuladungen entschieden. Den 1. Preis sprach die Jury unter dem Vorsitz Arno Lederes Nieto Sobejano Arquitectos, Berlin, zu. Diese überzeugten ganz offenkundig mit einer Depotlösung, deren Dezenz eher eine Präsenz ist: ein in die entkernte, hier zweigeschossig hohe Hülle gehängter Sichtbetonquader (Tragwerk: Bollinger + Grohmann), der annähernd komplett geschlossen im Innenraum auf drei Ebenen Lager- und Arbeitsflächen bietet.

Zu sakral erschien den Jurorinnen die Lösung. Doch was damals noch auf cleanen Renderings Raumfülle und Lichtarbeit präsentierte, ist heute, im vollgestellten Besucherinnengeschoss in der Realität angekommen: Stellwände, Leichtbautrennwände, Ausstellungssockel und Tische, Regale etc. füllen das Sakrale und leisten damit das, was sich die Jury damals erhoffte: dass nämlich die „erhabene Anmutung … durch die Ausstellungspraxis … gebrochen“ werde.

Libeskinds Geste

Das Depot im Zentrum, auch beim Neubau des Bauhausmuseums in Dessau (Arch.: Addenda Architects, Barcelona) schwebt ein Volumen in der äußeren Hülle, hier ist es allerdings sehr offensichtlich ein Brückenbauwerk, in dem dann auch nicht die Sammlungsstücke deponiert sind, sondern die Dauerausstellung untergebracht ist. Ob in Dresden – das nun endlich auch Teil der Moderne ist – nicht auch ein anderer, stärker konzeptioneller und architektonischer Ansatz hätte gewählt werden können?

Die Wettbewerbsbeiträge der Folgeränge oder auch Anerkennungen zielen alle auf das Innere des kompakten Bestandsvolumens, das eher ein Neubau als his­torisch wertvoller Bestand ist. Hier wäre sicher mehr möglich gewesen, Avantgarde/Moderne in Dresden sichtbar zu machen. Der Rückzug in eine historisierende Hülle eines vielfach um- und neugebauten Bestands erscheint mutlos, gerade auch mit Blick auf den sicher nicht günstigen Einhänger Archivbox.

Beinahe drei Kilometer nordnordöstlich des AdA, am Rand der Dresdner Neustadt, hatte Daniel Libeskind 2011 seine Arbeit zum Militärhistorischen Museum der Öffentlichkeit übergeben. Hier ragt seitdem scheinbar ein metallischer Keil aus der historischen Fassade, eine Brachialität, die in Zeiten von Wiederaufrüstung und überraschend selbstverständlicher Militärpräsenz in den Medien fast schon defätistisch anmutet. Libeskinds Geste zeigt immerhin, dass auch in Dresden die Zeit vorangeschritten ist und Geschichte immer in die Zukunft weist. Natürlich hat das Militärhistorische Museum nicht diese Nachbarschaft mit Bauten aus Renaissance, Barock und 19. Jahrhundert, mit dieser „Schauseite unserer Stadt“ (Dresden), der Elbfront. Aber dennoch hat sich der Dekonstruktivist und – ich schreibe es nicht gerne – international gefeierte Stararchitekt mit seiner Geste widerstandslos durchgesetzt, ja, damit den Wettbewerb erst gewonnen ... über alle gut gestalteten, überraschend spektakulären Ausstellungsräume hinaus.

Avantgarde – und Daniel Libeskind ist in der Architektur irgendwie dazuzurechnen – ist heute per se und paradoxal die Zukunft. Schon deshalb liegt in ihr immer das Vage, gibt es zentrale Aspekte, die (noch) nicht verstanden werden (können). Es wäre am Neustädter Markt mehr möglich gewesen, Elbpanorama/Elbfront hin oder her. Den Weltkulturerbeschutz der UNESCO hat die Stadt durch die Genehmigung der Waldschlösschenbrücke leichtfertig verspielt, warum also nicht konsequent Avantgarde dem Zwinger, der Oper, der Brühlschen Terrasse und anderen Highlights aus älteren Zeiten gegenüber? Die Stadt Dresden habe jetzt „die Lücke des weitgehenden Fehlens der Moderne“ geschlossen; man sieht es nur leider nicht!

Dass das aber nicht hindern sollte, nun mal wieder an die Elbe zu reisen und sich in die letzten Artefakte der letzten Avantgardistinnen zu vertiefen, steht außer Frage. Und von den Fenstern aus geht der Blick über den Fluss auf Zwinger, Frauenkirche, Semperoper … das ganze Dresden eben! Be. K.

archiv-der-avantgarden.skd.museum, www.nietosobejano.com
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Militärhistorisches Museum Dresden www.mhmbw.de, daniel-libeskind.com

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