Casals Forum, Kronberg/Taunus
Wo vorher ein trister Parkplatz war, bietet heute ein Gebäudeensemble aus Kammermusiksaal, Musikakademie und Hotel den Auftakt zur Kronberger Innenstadt. Das neue Quartier rund um die Kronberg Academy erstreckt sich vom denkmalgeschützten Bahnhof bis zum Viktoriapark. Die drei in das Terrain gestaffelten Neubauten von Staab Architekten fügen sich harmonisch in die Umgebung ein.
Den Auftakt des 2022 fertiggestellten Ensembles bildet das Hotel Vienna House, dessen Baukörper den neu entstandenen Beethovenplatz vom Bahnhof abschirmt. Er leitet die Besucher seitlich entlang zu dem kleinen Platz in der Mitte des neuen Musikquartiers. An der höchsten Stelle des Grundstücks liegt der Kammermusiksaal des Casals Forums mit seinem hutähnlich geformten Dach. Eine breite Glasfuge trennt das Dach vom steinernen Sockel. Das Foyer, das den in der Mitte gelegenen Konzertsaal umschließt, lässt von allen Seiten Einblicke zu. Die Fuge durchzieht das ganze Gebäude und öffnet den Saal zur Parkseite. Ein Musikpavillon im Park habe Volker Staab vorgeschwebt, sagt Dominik Weigel von Staab Architekten. Im Planungsverlauf sollte der Saal jedoch auch für Symphonieorchester bespielbar sein, weshalb dessen Volumen vergrößert werden musste. Dennoch wollten die Architekten die Verbindung von Konzert- und Stadtraum erhalten sowie die Maßstäblichkeit in der kleinteiligen Umgebung wahren.
Drei Entwürfe für den Konzertsaal
Das Casals Forum geht auf das Engagement des Gründers der Kronberg Academy, Raimund Trenkler, zurück. In knapp 30 Jahren gelang es ihm, einen Unterstützerkreis von Musikliebhabern aufzubauen, der jungen Musikern eine stipendiengestützte Zusatzausbildung ermöglicht. Mit dem Casals Forum – benannt nach dem Cellisten Pablo Casals - wurden die auf die Altstadt verstreuten Räume der Academy an einem Ort zusammengefasst und von einem Konzertsaal gekrönt. Letzterer bietet Platz für 550 Besucher, er wird von einem kleinen Saal für 150 Zuhörer und weiteren Vorspielräumen im Studien- und Verwaltungszentrum ergänzt. Hohe akustische Anforderungen wurden an sämtliche Musizierräume gestellt und zogen eine weit über das übliche Maß hinausgehende Abstimmung zu Proportionen und Detaillierung der Räume nach sich.
„Schuhkarton“ oder „Weinbergsaal“? Diese Frage stand am Anfang des Planungsprozesses für den Konzertsaal. Unter „Schuhkarton“ verstehen Planerinnen und Planer einen rechteckigen Saal mit frontalem Orchester. „Weinbergsaal“ heißt, dass sich das Orchester in der Mitte befindet und die Sitzreihen rundherum ansteigen. Wäre es allein nach Staab Architekten gegangen, wäre es in Kronberg ein Weinbergsaal geworden. Damit hatten sie schließlich 2014 den Wettbewerb gewonnen. Für den erst nach dem Wettbewerb vom Bauherrn hinzugezogenen niederländischen Akustiker Martijn Vercammen von der Peutz Group war jedoch der gerichtete Saal des „Schuhkartons“ die bevorzugte Variante. Gemeinsam mit dem Akus tiker, der u. a. das für seine Akustik bekannte Concertgebouw Amsterdam mitgeplant hatte, entwickelten Staab Architekten schließlich einen geschwungenen Freiformsaal, der zwar nach vorn ausgerichtet ist, jedoch auch Sitzreihen um das Orchester sowie konkave wie konvexe Reflexionsflächen aufweist.
Für das Team um Projektleiter Dominik Weigel war das Bauen eines Konzertsaals eine neue Erfahrung. So war die Akustik von vornherein Teil des Entwurfsprozesses. Insgesamt wurden drei Entwürfe entwickelt: der zentrierte Weinbergsaal (Wettbewerb 2014), die gerichtete Schuhschachtel (Vorentwurf 2015) und der tatsächlich gebaute Freiformsaal (ab Ende 2016).
Integrale Planung
Der Bauherr, die Kronberg Academy, wollte schlicht den „bestklingenden Saal der Welt“, so Weigel. Damit wurde dem Akustiker vorerst Vorrang gegeben. Der volle Raumklang war Martijn Vercammen besonders wichtig, das heißt, der Konzertsaal benötigte möglichst viele Reflexionsflächen an den Rück- und Seitenwänden der Bühne. Und die gibt es nur in der Schuhschachtel. So entwickelte sich peu à peu ein Saal, der zunächst noch rechteckig war, aber polygonal gefaltete Wände aufwies, die den Schall diffus ins Publikum leiteten. „Für uns war das immer eine 1b-Lösung, was das räumlich-atmosphärische Erleben anbelangt“, erinnert sich Weigel. Danach wurde der Bebauungsplan entwickelt. In dieser Planungspause stellte der Bauherr fest, dass ihm doch das räumliche Moment aus dem Wettbewerb fehlte, und er regte eine grundsätzliche Überarbeitung der Saalform an. Erst daraufhin entstand der heutige Grundriss, der auf einem Sechseck mit konvexen Wandscheiben basiert, die den Schall diffus reflektieren. Um die Form abzurunden, sind die inneren Raumkanten konkav.
Schrittweiser Entwurfsprozess
Der Entwurfsprozess war aufwändig, da er ausschließlich iterativ erfolgen konnte. Denn die Raumakustik ist selbst für Physiker nicht komplett vorhersagbar, da man die Summe der Reflexionen bei den eingebrachten Materialien und Maßnahmen im Vorfeld nicht berechnen kann. Deshalb wird schrittweise vorgegangen, um die akustischen Risiken zu minimieren.
Das heißt im Einzelnen: Das Architekturteam entwirft im ersten Schritt einen Saal auf Basis der Vorgaben des Akustikers und des Bauherrn. Wichtige Parameter dabei: die Zahl der Besucherinnen und Besucher, das Saalvolumen, die Ausrichtung, die Bühnenhöhe und der Winkel, wie stark das Gestühl ansteigen darf, da das Publikum als absorbierende Fläche wirkt. Vom Akustiker werden erste Ansätze für die Verteilung der absorbierenden und reflektierenden Flächen definiert. Im zweiten Schritt werden vom Akustiker zu den oben genannten Parametern Referenzen herangezogen, um aus der Erfahrung heraus den Raum zu bewerten. In einem dritten Schritt werden die gewünschten Änderungen durch das Architekturteam gestalterisch integriert. Anschließend werden akustische Simulationen an einem 3-D-Modell durchgeführt. Anhand der Ergebnisse werden die nötigen Anpassungen vom Akustiker festgelegt.
Sobald diese im Dialog erneut von den Architekten integriert wurden, wird im vierten Schritt ein Modell im Maßstab 1 : 10 gebaut. In diesem Modell werden Schallquellen und Mikrofone maßstäblich eingebaut und erste Messungen durchgeführt. Daraus können folgenreiche Änderungen resultieren. So wurde z. B. das Saalvolumen im oberen Wandbereich zu einem späten Zeitpunkt aufgrund dieser Ergebnisse vergrößert. Auch sollte die Decke diffus reflektierend und nicht wie zuvor geplant größtenteils absorbierend wirken. Spannend daran: Als das Modell noch getestet und diskutiert wurde, floss bereits der Beton, da die Bauherren mit dem Hotel- und dem Konzertsaal-Rohbau zeitgleich beginnen wollten.
Doch auch beim fertigen Konzertsaal gibt es noch Einstellmöglichkeiten: So befinden sich im Saal Dreh- und Wendeflügel unter der Decke, die das Saalvolumen vergrößern und das Maß der absorbierenden Flächen erhöhen können. Entsprechend der musikalischen Nutzung (Orchester oder solistischer Vortrag) können die Nutzer des Saals zwischen absorbierenden und reflektierenden Flächen wählen. Dies seien aufwändige Sonderkonstruktionen, so Weigel, da die großformatigen Flügel an dieser Stelle u. a. luftdicht abschließen mussten.
Der entwurfliche Ansatz der umlaufenden Glasfuge birgt in der Umsetzung einige Herausforderungen – nicht nur für die gute Akustik. „Glas liebt ein Akustiker erst mal gar nicht. Das Material ist aufgrund seiner Dichte extrem schallhart “, so Weigel. Aber die Verzahnung des öffentlichen Raums mit dem halb-öffentlichen des Konzertgebäudes war den Architektinnen und Architekten wichtig, um den Saal in der Umgebung mit dem angrenzenden Park zu verorten. Deshalb wurde eine 2-schalige Konstruktion entwickelt, die das Foyer und den Konzertsaal schallschutztechnisch voneinander trennt. Während die äußere Glasschale gebogen ist, ist die innere Schale gefaltet. Weigel: „Wir haben die maximal umsetzbare Amplitude dieser Faltung vorgegeben sowie minimale und maximale Scheibenlängen. Die konkrete Anordnung hat jedoch der Akustiker gezeichnet, um den Schall genau dorthin zu reflektieren, wo es für die Raumakustik sinnvoll ist.“
Herausforderungen während der Bauphase
Die musikalisch genutzten Gebäudeteile waren eine Herausforderung für alle Beteiligten. Um gleichzeitig Konzerte im Kammermusiksaal und dem angrenzenden kleinen Saal zu ermöglichen, zieht sich eine konstruktive Fuge durch das Gebäude. Diese stellte enorme Anforderungen an den Rohbau, so mussten u. a. die Deckenplatten elastisch auf Streifen gelagert werden. Der gleichzeitige Rohbaustart von Hotel und Kammermusiksaal, aber auch steigende Baupreise und Lieferengpässe taten ihr Übriges: „Diese Mischung war eine Herausforderung.“ Die bautechnischen Maßnahmen zur Umsetzung der Schallschutzanforderungen erforderten eine definierte Baureihenfolge. Der Ausbau des Konzertsaals war geometrisch wie konstruktiv durch die vielen Sonderkonstruktionen komplex. „Wir haben für dieses Projekt 450 Details gezeichnet“, erinnert sich Weigel. All dies blieb nicht ohne Auswirkung auf die Bauzeit: Mit fünf Jahren war sie fast doppelt so lang wie geplant.
Das Energiekonzept
Beim Casals Forum wurde ein relativ neues Energiekonzept umgesetzt, das im Wesentlichen auf dem Einsatz eines effizienten Wärmepufferspeichers in Form eines Eisspeichers basiert. Dieser Wärmepufferspeicher gewährleistet in Kombination mit Wärmetauschern und Wärmepumpen die gesamte Wärme- und Kälteversorgung der Gebäude. Mit dem Einsatz von Ökostrom ist der Betrieb des Konzertsaals und der Akademie CO2-neutral. Darüber hinaus orientieren sich die Planung, die Erstellung und der Betrieb des Neubaus am „Leitfaden für Nachhaltiges Bauen des Bundes“. Der Primärenergiebedarf unterschreitet die Anforderungen nach EnEV 2016 um 56 % und erreicht KfW 55-Niveau.
Zur Reduzierung der grauen Energie wurde das Dachtragwerk des Kammermusiksaals von Stahl auf Holz umgeplant. Die Dachtragwerke des Kammermusiksaals und des Pavillons auf dem Studien- und Verwaltungszentrum sowie Fenster und Haupteingangstüren (europäische Eiche), die meisten Innentüren und ein Großteil der Bodenbeläge (europäische Eiche massiv) sind aus zertifizierten Holzwerkstoffen hergestellt. Für die Natursteinfassaden wurde Muschelkalk aus Franken verwendet. Die in das Erdreich eingeschobenen Baukörper profitieren von der klimastabilen Temperatur im Erdreich und weisen nur geringe Fassadenflächen auf. Ihre begrünten Dachflächen haben eine hohe Wasserrückhaltekapazität. Die Platzflächen sind versickerungsoffen und am Rande des Areals wurde ein Bachlauf freigelegt und renaturiert.
Besonderheit Kulturbau
Oft sind Kulturbauten Aushängeschilder einer Region, unterliegen jedoch auch hohen Kosten- und Terminerwartungen. Darüber hinaus bieten sie in besonderem Maß die Chance der öffentlichen Aneignung. Das bringt laut Weigel eine besondere Verantwortung mit sich. Das aufwändige, freigeformte Dach des Casals Forum zieht in Kronberg die Blicke auf sich. „Städtebaulich steht das Ensemble gut da“, so Weigel. Die Verbindung von kulturellem Angebot und gut angebundenem Frankfurter Stadtraum führt bereits jetzt zu einer hohen Identifikation mit dem Musikquartier.
Und wessen Handschrift trägt das Casals Forum nun? „Letztlich würde ich sagen, dass das Formale beim Architekten bleibt und das Hörbare beim Akustiker.“ Hier mussten zwei Disziplinen im Ringen um die beste Akustik bei einem gleichzeitig guten atmosphärischen Erleben hörbar zueinander finden. Ein Ringen, das sich gelohnt hat. Heide Teschner, DBZ
Projektdaten
Objekt: Casals Forum, Kronberg Academy
Typologie: Kulturbau
Standort: Beethovenplatz 1, Kronberg im Taunus
Bauherr: Kronberg Academy Stiftung,
www.kronbergacademy.de, Contraco GmbH (Hotel)
Nutzer: Kronberg Academy Stiftung, Vienna International Hotelmanagement AG, www.hrg-hotels.com
Architektur: Staab Architekten, Berlin,
www.staab-architekten.com, LPH 2-8
Team Wettbewerb: Petra Wäldle, Sandra Vranic, Roberto Zitelli, Simon Banakar, Karl Naraghi
Planung/Realisierung:
Koordination Projekt: Hanns Ziegler, Koordination Bauleitung: Dirk Richter, Projektleitung: Dominik Weigel, Ove Jacobsen, Lukas Oelmüller
Team: Karin Hübner, Simon Lehmann, Florian Hauss, Till Zihlmann, Sandra Herzog, Senta Mittermaier, Noah Grunwald, Jens Achtermann, Jamie Queisser, Firat-Delil Ertegi, Marienne Wissmann, Carthage Murphy, Alexander Braunsdorf, Olga Koch, Melinda Vadász, Sylvio Heuer, Manuela Jochheim, Sabine Zoske, Laura-Isabell Luy, Doris Eckert, Sophie Hartmann, Raphael Schmid, Gabriel Stark, Felix Scholl
Bauleitung: Schütt Ingenieurbau GmbH & Co. KG, Münster, www.sib-ms.de
Bauzeit: 2017-2022 (Wettbewerb: 2014)
Kosten: 60 Mio. Euro
Nutzfläche gesamt: 9 000 m² (Kammermusiksaal/KMS und Verw.-zentr./SVZ 5 860 m², Hotel 3 140 m²)
Brutto-Grundfläche: 16 500 m² (KMS und SVZ 9 900 m2, Hotel 6 600 m2)
Brutto-Rauminhalt: 63 440 m³ (KMS und SVZ 42 740 m3, Hotel 20 700 m3)
Fachplanung
Akustikplanung: Peutz Beratende Ingenieure, Molenhoek, www.peutz.nl
Tragwerksplanung: ifb Frohloff Staffa Kühl Ecker, Berlin, www.ifb-berlin.de
Freiraumplanung: LPH 2-5: Levin Monsigny Landschaftsarchitekten GmbH, Berlin,
www.levin-monsigny.com, LPH 6–8: plan°D
Ingenieure & Landschaftsarchitekten, Wiesbaden, www.pland.de
Haustechnik: Winkels Behrens Pospich/Köster Planung GmbH, Münster, www.koester-bau.de (HLKS), Planungsbüro Steltner + Partner, Altenberge (ELT), nts Ingenieurgesellschaft mbH, Münster,
www.nts-plan.de (Grundleitung)
Brandschutz: Schmöller Brandschutz, Leipzig,
www.schmoeller-brandschutz.de
Bauphysik und Medientechnik: Peutz Consult GmbH, Dortmund, www.peutz.de
Bühnentechnik: Theateradvies bv, Amsterdam,
www.theateradvies.nl
Lichtplanung: Licht Kunst Licht AG, Berlin,
www.lichtkunstlicht.com
Controlling: Drees & Sommer SE, Stuttgart,
www.dreso.com
Energie
Primärenergiebedarf: 60,2 kWh/m²a nach EnEV 2016
Jahresheizwärmebedarf: 51,0 kWh/m²a nach PHPP/EnEV 2016
U-Werte Gebäudehülle:
Außenwand = 0,18 W/(m²K)
Außenwand erdberührt = 0,28 W/(m²K)
Bodenplatte = 0,30 W/(m²K)
Dach = 0,18 W/(m²K)
Fenster (Uw) = 1,00-1,20 W/(m²K)
Verglasung (Ug) = 0,70-1,00 W/(m²K)
Ug-total (mit Sonnenschutz) = 0,1-0,5 W/(m²K)
Haustechnik:
Freie Kühlung über Eisspeicher (nur Pumpenleistung)
Jahreskältebedarf 17,8 kWh/m²a
Energieträger: Eisspeicher (Wärmepufferspeicher)/ Wärmetauscher/Wärmepumpen und Strom
Energieumwandlung: Sole-Wärmepumpe 6 443 kW/a, Anteil 100 %
Energiespeicherung: Wärmepufferspeicher als Eisspeicher 240 m3