„Die Wettbewerbsjury hat sich für diesen Entwurf entschieden, weil er eine so einfache, klare und schöne Lösung darstellt, die mit der klassischen Schönheit und Klarheit der besonderen Exponate übereinstimmt“, erklärt Prof. Dimitrios Pandermalis, Präsident der Organisation für den Bau des Neuen Akropolis Museums. „Das Konzept steht für eine museale und architektonische Erfahrung, die heute und für die Zukunft von großer Bedeutung ist.“ Sechs Jahre hat es vom Wettbewerbsgewinn 2001 bis zur Fertigstellung des Neubaus im Jahre 2007 gedauert. Und weitere zwei Jahre sind ins Land gegangen bis zur kompletten Einrichtung und offiziellen
Eröffnung.
Und doch ist das ein sehr kurzer Zeitraum bezogen auf die Epochen, die das Museum von der Antike bis heute präsentiert. Da sind zum einen die archäologischen Funde unter dem Museum – Überreste einer frühchristlichen Siedlung aus dem 4. bis 7. Jahrhundert. Sehr behutsam sind die Architekten mit ihnen umgegangen, als sie das Museum darüber errichteten – mit einem Glasboden, der sich bis in die oberen Geschosse des Museums zieht und den ständigen Blickkontakt zum Grabungsfeld gewährleistet. Mehr als hundert schlanke Sichtbetonstelen tragen den Neubau. Sie wurden von Experten vor Ort so geschickt platziert, dass sie die Ausgrabungen nicht stören und zugleich noch Erdbebensicherheit gewährleisten. Auf den ersten Blick scheint die klare Gebäudeform im Dachgeschoss gestört zu sein, und doch folgt das Konzept auch hier einer bestimmten Logik: Die Planer verdrehten das oberste Geschoss exakt um 23 ° zu den darunter liegenden Ebenen und verliehen ihm die gleichen Abmessungen des historischen Parthenontempels, der in nur 300 m Entfernung auf der Akropolis, in Sichtweite vom Neubau, liegt. „Wir wollten die gleichen Bedingungen für den Parthenonfries schaffen, die im Original herrschen“, betont Bernard Tschumi. „Die gleiche Ost-West-Orientierung, den gleichen Sonneneinfall.“ Die rechteckigen Betonkerne mit allen notwendigen Erschließungen und Nebenräumen bilden die Wandflächen für das 160 m lange Prozessionsrelief, das zu 40 % aus Originalteilen besteht. Der Rest ist aufgefüllt mit Gipsabgüssen der Elemente, die zurzeit noch als „Elgin Marbles“ im Britischen Museum von London hängen. Komplett verglast bietet der Parthenonsaal einen Rundblick über das moderne Athen bis zur Akropolis.
Zwischen dem Eingangsbereich im Sockelgeschoss und dem gläsernen Dachaufsatz befindet sich der trapezförmige Ausstellungsbereich für die übrigen antiken Exponate. Auf einer Zwischenebene gibt es eine Bar und ein Restaurant mit einer öffentlichen Terrasse. Den Architekten war es besonders wichtig, die Exponate mit viel Tageslicht, also unter Originalbedingungen, zu präsentieren. Dazu dienen hochwertige Sonnenschutzverglasungen, die an der Ost- und Westseite des Hauptausstellungsbereichs mit großformatigen Sonnenschutzlamellen versehen sind, durch deren Zwischenräumen stets der Blick zur Akropolis frei bleibt. Verglaste Lichthöfe bringen das Tageslicht tief ins Gebäudeinnere bis zum unteren Ausgrabungsfeld. Um die Akustik zu optimieren, sind die Betonwände in einem regelmäßigen Raster perforiert.
Neben dem Glasboden dient heimischer Marmor als weiterer Bodenbelag. Das neue Museum hat mit 14 000 m² insgesamt zehnmal so viel Ausstellungsfläche wie das alte Akropolis Museum. Seine Gesamtfläche von 21 000 m² bietet auch Platz für Wechselausstellungen und Vortragsveranstaltungen. So hat die wechselvolle Planungsgeschichte des Neuen Akropolis Museums ein gutes Ende gefunden und zu einem Bau geführt, dessen Stärke es ist, bewusst auf den bedeutenden, historischen Kontext einzugehen.
Was waren die Besonderheiten in Ihrem Entwurf für das Neue Akropolis Museum in Athen?
Zunächst einmal möchte ich die Umstände erwähnen, die unser Konzept geprägt haben: Da ist die Nähe zum Parthenon. Das Grundstück liegt nur 300 m von dem historischen Tempel auf der Akropolis entfernt, der zu einem der bedeutendsten Bauten der westlichen Hemisphäre zählt. Dann das Baugrundstück, das zu 70 % aus sensiblen archäologischen Ausgrabungen besteht. Und der dritte wesentliche Aspekt war, dass wir in unserem Entwurf ganz außergewöhnliche Skulpturen als Ausstellungsstücke unterzubringen hatten, zu denen auch die Teile des Parthenonfrieses zählen.
Also kurz zusammengefasst: die Präsenz des Parthenon, die Präsenz von archäoligischen Relikten vor Ort und die Präsenz des Parthenonreliefs .
Wir wollten auf keinen Fall in Konkurrenz zum Parthenon treten, also keinen „Krieg der Stile“ führen. Wir nahmen uns nicht Phidias (griechischer Bildhauer, der in der Antike an der Gestaltung des Parthenon beteiligt war) als Vorbild, sondern Pythagoras (griechischer Philosoph und Mathematiker), indem wir uns auf ein klares, logisches Konzept beschränkten. Dabei wagten wir uns soweit vor, das oberste Geschoss als gläsernen Aufsatz in den gleichen Proportionen des Parthenon zu gestalten und es so zu verdrehen, dass
diese Ausstellungszone genau parallel zum historischen Tempel liegt, also Ost-West ausgerichtet, mit dem gleichen Sonneneinfall wie beim Original.
Ihr architektonisches Konzept wird besonders von der Materialwahl bestimmt. Inwiefern?
Architektur ist die Materialisation, die Verkörperung eines Konzepts. Für mich ist ein starkes Konzept viel wichtiger als die Form. Es wird durch die Materialwahl ausgedrückt. In Athen haben wir uns auf drei Komponenten beschränkt – Glas, Beton und Marmor. Glas steht für Licht. Da das Licht in Athen besonders schön ist, wollten wir so viel wie möglich ins Gebäude bringen. Dann der Beton – er steht für die tragende Struktur. Die Sichtbetonsäulen und die Betonkerne bilden den Hintergrund für die Skulpturen. Und das dritte Material ist Marmor aus der Region, heller Marmor für die Galerien und dunkler Marmor für die Lobby und das Restaurant.
Über Ihre Architektur ist einmal gesagt worden, dass sie den Rahmen für „gebaute Situationen“ bildet. Wie ist das zu verstehen, und wie findet sich das im Neuen Akropolis Museum wieder?
Ich meine, dass Architektur die Menschen lehrt, Räume zu sehen und wahrzunehmen. Im Büro entwerfen wir keine Form um der Form willen, also keine Parfumflakons, die schön gestaltete Hüllen sind. Unser Museumsbau in Athen rückt die Skulpturen ins „rechte Licht“. Da ist auch ein politischer Aspekt – wir platzieren den Parthenonfries genau wie im Original. Denn der Fries erzählt eine Geschichte, die man so erst richtig nachvollziehen kann.
Wie machen Sie das? Schließlich hängt
ein Großteil des Frieses als Original im Britischen Museum in London?
Da gibt es schon optische Unterschiede. Die Teile, die in Athen geblieben sind, sind immer draußen gewesen. Sie haben mittlerweile eine sehr intensive Patina, sind dunkelgelb. Die Londoner Teile hat man in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts sehr gründlich gereinigt, weil es damals angesagt war, reine weiße Skulpturen zu präsentieren. Also würden sich die Teile aus London immer von den Teilen aus Athen absetzen. Was wir heute im Neuen Akropolis Museum zeigen, sind die Originalteile aus Athen, kombiniert mit Replikas aus Gips. Selbst dieser Eindruck ähnelt bereits dem, der existieren würde, wenn man eines Tages alle Originale wieder vereint, wovon ich sicher ausgehe.
Das Museum bot einige technische Herausforderungen – von Erdbebensicherheit bis zur Lichtplanung. Wie haben Sie diese
gelöst?
Wir haben sehr eng mit den Ingenieuren von Arup zusammengearbeitet. Das New Yorker Arup-Team hat die statischen Fragen gelöst mit der besonderen Schwierigkeit, zwischen den archäologischen Funden zu gründen und erdbebensicher zu konstruieren. Auch die Gebäudetechnik, also Kühlung und Klimatisierung, ein wichtiges Thema in dem heißen
Klima von Athen, hat Arup/New York geplant. Arup/London hat die Lichtplanung gemacht. Wir wollten möglichst viel Tageslicht im Gebäudeinneren. Also gibt es Oberlichter und Glasfassaden mit speziellen Sonnenschutzvorrichtungen. Alles wird automatisch gesteuert und mit Kunstlicht ausgewogen
kombiniert.
Im Rückblick auf die Zeit vom Wettbewerbsgewinn in 2001 bis zur Fertigstellung – woran erinnern Sie sich besonders?
Vor allem waren wir sehr überrascht, wie gut alles gelaufen ist. Das verdanken wir vor allem Prof. Dimitrios Pandermalis, unserem Vertreter auf Bauherrenseite. Er ist alle vier bis sechs Wochen zu uns ins Büro nach New York gekommen und hat sich stets dafür stark gemacht, dass der Neubau optimal für die historischen Exponate ausgelegt ist und gleichzeitig ein Zeugnis zeitgenössischer Architektur darstellt. Dank seines Engagements hatten wir einen wichtigen Fürsprecher für unser Konzept.
Und dann war da noch das Bauunternehmen Aktor, das sehr professionell gearbeitet hat. Immer, wenn wir Architekten ein „Mock-Up“, ein Modell in 1 : 1, haben wollten, haben sie es gebaut. Ich bin alle zwei bis drei Wochen in Athen auf der Baustelle gewesen und vielen neuen Mock Up’s begegnet. Besser kann man sich die Zusammenarbeit zwischen Bauherrn, Generalunternehmer und Architekten kaum vorstellen.
Wie sind die Reaktionen von Leuten, die das neue Museum sehen?
Am Anfang, vor dem Baubeginn, gab es zahlreiche Proteste und viel Kritik. Jetzt, wo das Museum steht, ebbt die Kritik ab. Die Leute sind zufrieden mit dem Ergebnis. Also scheint die Architektur sie doch zu überzeugen.
Einem Architekten fällt es sicher schwer, selbst zu äußern, was ihn beim Betreten des fertig gestellten Gebäudes bewegt. Gibt es etwas, was Ihnen im Bezug auf dieses Projekt besonders wichtig ist?
Es ist immer wieder überwältigend, einen Bau zu erleben, dessen Idee zuerst im Kopf war, die dann auf Papier allmählich Form angenommen hat und schließlich im Maßstab 1 : 1 da steht. Mich beeindruckt immer wieder die Kraft der Materialien, z. B. die Wirkung von Beton und Glas.
Für unsere Arbeit und das Büro Tschumi sind die beiden Projekte – Parc de la Villete in Paris von 1982 und das Neue Akropolis Museum in Athen von 2009 – von besonderer Bedeutung. Beim Parc de la Villete haben wir ein Konzept in einen Kontext gestellt. Beim Akropolis Museum ist es genau umgekehrt: hier hat der Kontext uns das Konzept gestellt.
Vom Parc de la Villete zum Neuen Akropolis Museum – für Bernard Tschumi sind diese beiden Projekte Wegbereiter in seinem Werk. Vom „Konzept, das er in einen Kontext stellt“ (Wettbewerb Parc de la Villete, Paris 1982) zum „Kontext, der ein Konzept generiert“ (Neues Akropolismuseum, Athen 2007/2009), wie er es selbst im Interview formuliert. Eines steht fest, Tschumi handelt konsequent. Eine Form um der Form Willen lehnt er strikt ab. Sein Projekt in Athen ist ein exzellentes Beispiel für die akademische Herangehensweise an einen architektonischen Entwurf. Eine dezidierte Analyse der Situation vor Ort, eine Analyse des Kontextes, führt zum Konzept. Dazu die konstruktiven Bedingungen und die Materialwahl. „Architektur ist Materialisation einer Idee, die Verkörperung eines Konzepts“, davon ist Tschumi überzeugt. Hier sind es die schwierigen Bedingungen des Grundstücks mit den historischen Ausgrabungen und die Forderung nach Erdbebensicherheit. Tschumis Team beschränkt sich auf einige wesentliche Materialien, die lediglich den Rahmen schaffen sollen für die markanten Ausstellungsstücke. Beton trägt. Glas liefert neben Tageslicht vielfältige Blickbeziehungen auf die historische und die moderne Stadt. Zuletzt Marmor, ein heimisches Material, aus dem schon die antiken Skulpturen erschaffen sind. Die Beschränkung auf das Wesentliche macht die Stärke dieser Architektur aus. Nicht zuletzt schafft Tschumi einen optimalen Raum für den Parthenonfries, in dem die gleichen Rahmenbedingungen – Proportionen, Wandflächen und Lichteinfall – herrschen wie im antiken Original.
Kritiker mögen sagen, warum baut man eine Glaskiste im heißen Klima von Athen – besonders im Hinblick auf die Energiebilanz des Gebäudes? Aber Tschumi betont, dass sein Team zusammen mit den Ingenieuren von Arup möglichst energiebewusste Lösungen für die Klimatechnik und Gebäudekühlung gesucht hat. Die Glasfassaden
bestehen aus hochwertigem Sonnenschutzglas mit Sonnenschutzvorrichtungen, wo sie nötig sind. Luft zirkuliert entlang der Fassaden zur Gebäudekühlung. Priorität hat das Tageslicht, um die Exponate unter ursprünglichen, „natürlichen“ Bedingungen zu zeigen.
Das am Ende ein so konsequent gestaltetes Bauwerk entstehen konnte, ist Ergebnis einer erfolgreichen Teamarbeit von Architekten, Ingenieuren, Auftraggebern und der ausführenden Firmen. Der Bauherr, die „Organisation für den Bau des Neuen Akropolis Museums“, rechnet mit bis zu 10 000 Besuchern täglich, die sich davon überzeugen können. Alle Texte: Susanne Kreykenbohm, Hannover