„Architektur mit Charakter“Simon Vorhammer zum Thema „Fassade“
Vorbei ist die Zeit, in der die Proportionen der Fenster das Wichtigste beim Fassadenentwurf waren. Der Wetterschutz von einst hat sich zu einer komplexen Funktionshaut entwickelt. Simon Vorhammer zeigt mit seinem Entwurf eines Hochhauses an der Neuen Messe in München, wie die Fassade zu einer nachhaltigen Energieerzeugung genutzt werden kann, um das gesamte Gebäude zu versorgen und den CO2-Ausstoß zu minimieren.
1. Erklären Sie bitte Ihr Gebäudekonzept.
Ich habe ein Solarenergiesystem als regenerative Energiequelle gewählt. Es ist Bestandteil der Fassade und speichert den Energieüberfluss aus den Sommermonaten in einem integrierten Puffer, der den räumlichen und statischen Kern des Gebäudes darstellt. Im Winter wird von dort die Energie als Heizleistung wieder abgegeben. Die Forderungen nach einem geringen Energieverlust bei der Umwandlung und einem überschaubaren Kosten- und Wartungsaufwand haben mich abgebracht von einer beweglichen Konstruktion und der damit verbundenen Wartungsintensität und Störanfälligkeit, vor allem im Hinblick auf die Gebäudehöhe. Zentrales Thema war daher die Entwicklung eines starren Fassadensystems, das die Erfordernisse erfüllt. Es sollte sich einerseits selbst verschatten – bei gleichzeitiger Absorption der Energie – und andererseits einen direkten Strahlungseintrag im Winter und den Übergangsmonaten, während der frühen Morgen- und der späten Abendstunden, ermöglichen.
2. Sie erzeugen Energie über die Fassade. Wie funktioniert das genau?
Die Fassade besteht aus vorgefertigten Betonelementen. Diese ba-sieren auf einem rautenförmigen Raster, das die Hülle in ca. 4 000 Paneels gliedert. Jedes Paneel ist geschosshoch. Je nach Himmelsrichtung reagiert deren bauliche Ausformulierung auf die divergenten solaren Einstrahlungswinkel. Unter der Oberfläche des Betons sind Rohrschlangen verlegt, die Wasser transportieren. Dieses erfährt beim Durchlaufen eine Temperatursteigerung. Die Energie, die es dabei aufnimmt, wird durch Wärmetauscher an den Pufferspeicher abgegeben.
Die Belüftung erfolgt dezentral über die Fassadenelemente. Die Zuluft wird im Sommer im oberen Teil eingebracht, wobei sie an den kühlen Registerschläuchen vorbeigeleitet und dabei vortemperiert wird. Im Winter wird die Luft im unteren Bereich der wärmeren Rohrregister zugeführt. Der zentrale Tank kann aufgrund seines großen Volumens und einer dicken Isolationsschicht die Energie ohne nennenswerte Verluste speichern.
3. Welche Energiebilanz erwarten Sie?
Die Fassadenfläche beträgt 17 000 m2. Die Nordseite ist durch die Grundrissform minimiert. Zur Berechnung der Energiebilanz habe ich die Fläche in drei Abschnitte (Ost, West, Süd) unterteilt und deren Energieeintrag berechnet. Den Wirkungsgrad – mit dem die eingestrahlte in gespeicherte Energie umgewandelt wird – habe ich mit 30 % angenommen. Daraus resultiert eine Gesamtleistung von 1,18 MW. Das entspricht 10,3 GWh pro Jahr. Für die Versorgung mit Heizenergie und Brauchwasser ist dies mehr als ausreichend. Dank effizienter Hülle reicht bei Bürogebäuden oft die Wärmeentwicklung von Menschen und Geräten aus. Mit der Rest-Energie könnte man ca. 2 000 Haushalte oder 6 000 Haushalte mit Passivhausstandard beheizen. Die Dachfläche des Hochhauses ist nach Süden geneigt und kann optional mit Photovoltaikzellen ausgestattet werden. Bei einer Fläche von rund 700 m² werden zusätzlich 70 MWh pro Jahr für die Stromversorgung des Gebäudes bereitgestellt.
4. Wie sieht die Fassade der Zukunft aus?
Sie sollte mit intelligenter, dafür weniger aufwendiger Technik mehr leisten. Die Lösungen, welche nicht ständig nachjustiert und gewartet werden müssen, können massiv und statisch sein. Gerade dadurch entsteht Architektur mit Charakter. Die Fassade unterliegt weiterhin formalen Kriterien, ist aber im besten Falle Ausdruck und Abbild ihrer klugen klima- und energietechnischen Leistungsfähigkeit. Das Bild ist eben kein selbstreferenzielles Produkt des Entwerfens.