Bergkapelle bei Kendlbruck/AT
Einer Bauernfamilie plante Architekt Hannes Sampl eine schlichte, neue Bergkapelle auf einer Hügelkuppe ihrer Alm. Alle Materialien – vom steinernen Sockel über das Holz der Wände bis zu den Lärchenschindeln des Dachs – kommen aus der eigenen Land- und Nachbarschaft und waren auch dort zu verarbeiten.
Die kleine Kapelle steht perfekt. Auf einer leichten Anhöhe, etwa 80 m westlich der zwei Hütten auf der Alm des Bauherren Johann Müllner, auf felsigem Grund.
Ungehindert kann der Blick weit über die umgebenden Gipfel im Salzburger Lungau und der benachbarten Steiermark schweifen.
Wesentlich für die Orientierung der Kapelle war die Ausrichtung der rückseitigen Giebelwand, in die ein griechisches Kreuz eingearbeitet ist, nach Osten zum Sonnenaufgang: Genau am 15. August, zu Maria Himmelfahrt, einem Fest, das für die Bauherrenfamilie wichtig ist, wird nun der Sakralraum durch das Kreuz und indirekt einfallende Sonnenstrahlen am effektvollsten in Licht getaucht. Abgesehen von dieser präzisen Orientierung ist die Stelle, an der die Kapelle steht, auch radiästhetisch ermittelt und als Kraftplatz bestätigt worden.
Reiner Holzbau
Geradlinig hebt sich das Profil des archaischen Gebäudes auf der Hügelkuppe vom Horizont ab, unterscheidet sich von den scherenschnittartigen Silhouetten der Bäume des umliegenden Waldes und passt doch wunderbar dazu: Denn die Kapelle ist ein reiner Holzbau. Im Grundriss ein Rechteck mit 3,24 m Breite und 5,52 m Länge – das entspricht in etwa dem goldenen Schnitt und dem Maß eines Baumstammes, den zwei Männer tragen können. Darüber ein markantes, 63 ° steiles Dach, das bis zum First 5,28 m hoch ist. Boden, Wand und Dachkonstruktion bestehen alle aus Holzbalken mit einem Querschnitt von 12 x 12 cm, die mit doppelter Nut-Feder Verkämmung als traditioneller Strickbau ausgeführt wurden. Entsprechend der Wandkonstruktion, die Reihe für Reihe gleichermaßen einen rechteckigen, in sich steifen Holzrahmen bildet, wurde auch die Dachkonstruktion weitergestrickt: Um zu einer dreieckigen Form zu kommen, deren Bauprinzip dem rudimentären Wesen der Kapelle entspricht, wurde die doppelte Nut-Feder-Verkämmung im Profilmaß von 12 x 12 cm halbiert, die traufseitigen Balken jeweils gegeneinander versetzt aufeinandergeschichtet und sukzessive mit steigender Höhe in die Hausmitte gezogen. So ergibt sich eine abgetreppte, 63 ° steile Dachform, deren Innenansicht zum entwurfs- und raumbestimmenden Element wird.
Total regional
„Ich wollte das Prinzip des vertikalen Blockbaus in die Dachkonstruktion weiterführen“, erklärt Architekt Hannes Sampl. Als Sohn eines Zimmerers ist er mit Holz aufgewachsen. Vor seinem Architekturstudium an der Kärntner FH in Spittal an der Drau hatte er die HTL für Möbelbau im oberösterreichischen Hallstatt, danach an der Kunstuni Linz den postgradualen Lehrgang „überholz“ absolviert. Entwurf und Bau der Kapelle bildeten seine Abschlussarbeit. „Mir war wichtig, ein Projekt ausschließlich mit regionalen Ressourcen und Potentialen umzusetzen“, so Sampl. Die Dachkonstruktion ist mit Lärchenschindeln zweilagig gedeckt, die auf Dachlatten genagelt wurden. „Hier weht ein starker Wind. Das Dach musste witterungsbeständig sein, die Lärche ist da am besten“, so Johann Müllner. Die Wände der Kapelle sind aus Fichte, die je nach Geländeverlauf zwischen 20 und 60 cm hohen Fundamentstreifen aus Findlingssteinen von der Alm aufeinander geschichtet und mit Lärchenschwellen als „Mauerbank“ und Witterungsschutz mit einer Schattenfuge von der darüber liegenden Wandkonstruktion abgetrennt ist.
Alles ist, was es ist
Jedes Bauteil dieser Kapelle stammt aus seiner natürlichen Umgebung, Holz blieb Holz, nichts wurde hinzugefügt: Kein Leim, kein Lack, kein maschinelles Hochdruckverfahren, kein Dämmmaterial. Als zusätzliche Verbindungen kamen 16 mm dicke, eckige Lärchendübel in die nassen, abgebundenen Stämme aus Fichte, die mit traditionellen Nut- und Federverbindungen und Schwalbenschwanzverzinkung mittels „Verzinkung mit einseitigem Vorstoß“ verbunden sind: Die trockenen Lärchendübel nahmen Flüssigkeit auf und quollen, die Holzbalken verzahnten sich ineinander. Mehr brauchte es nicht an Material. Dafür einiges an Überlegung von Architekt Sampl, sowie Erfahrung, Wissen und Manneskraft von insgesamt bis zu fünfzehn Familienmitgliedern und Freunden. Jeder trug bei, was er an Ressourcen und Können hatte: Vom Aushub der Baugrube, dem Auflesen, Transportieren und Aufeinanderschichten der Steine, der Auswahl geeigneter Bäume, dem Fällen, Schlägern, Sägen, Zuschneiden, Abbinden und schließlich Aufrichten der Holzbalken: Alles blieb, was es ist. Die Kapelle ist ein reiner Blockbau, im traditionellen Strickverfahren errichtet. Wie hier seit Generationen üblich, entstammt alles Material dem unmittelbaren Umfeld und wird so zur Transformation des Ortes. Holz und Schindeln blieben unbehandelt, verwittern mit der Zeit, legen eine graubraune Patina an und werden immer mehr in die Natur einwachsen.
Herkunft erleben
Der Boden, auf dem die Kapelle steht, wurde vorsorglich umzäunt. Hier erlebt man die Herkunft des Baumaterials, den Ort und die Landschaft, seine eigenen Grenzen und Möglichkeiten sehr intensiv. Man nähert sich der Kapelle über eine hügelige Wiese und betritt sie an ihrer schmalen Stirnseite im Westen. Eine breite, große, rot schimmernde Natursteinplatte bezeichnet den Übergang zwischen dem gewachsenen Boden und dem witterungsgeschützten Vorbereich des Andachtsraums: Vor der einfachen, mittigen Holztür mit dem schlichten, kleinen Holzgriff, durch dessen leichtes Anheben sich das Türblatt öffnen und wieder schließen lässt, sind die Seitenwände, der Boden und das Schindeldach um 70 cm vorgezogen. So kann man noch einmal innehalten und tief durchatmen, bevor man die Kapelle betritt.
Bewusst Handarbeit
Für die Umsetzung der Kapelle wurden sämtliche vorhandenen Kapazitäten der bauherrlichen Landwirtschaft analysiert: das beginnt bei der Geschichte der Familie und reicht bis zur verfügbaren Arbeitszeit jedes einzelnen. Früher zählte zum Gehöft der Familie eine Hofkapelle, die dem Bau einer Straße von 1960 bis 1963 zum Opfer fiel. Im Herbst 2014 traf Johann Müllner zufällig auf Hannes Sampl, beide sind im Lungau aufgewachsen und kannten sich aus der Kindheit. Müllner hat auf der Universität für Bodenkultur in Wien Holz- und Naturfasertechnik studiert und übernahm gerade den Hof. Sie wurden sich rasch einig, gemeinsam eine neue Kapelle umzu- setzen. Allerdings: Sie wurde nicht am Hof im Tal, sondern oben auf der Alpe als Ort der Einkehr für Familienmitglieder und Wanderer errichtet. „Man spaziert hinauf, besinnt sich, entspannt sich, genießt den Raum. Wir wollten bewusst nichts Standardisiertes machen“, so der Bauherr. „Holz ist ein gewachsener Rohstoff. Mir war ganz wichtig, dass unser Holz aus dem eigenen Wald stammt und die Konstruktion möglichst klug ist. Also ohne Verleimung, Verschraubung und Metall. Hier gibt es viele alte Stadel und Holzhütten. Wir wissen seit Generationen, wie man mit Holz baut. Dass es funktioniert, stand nie zur Diskussion.“
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Baudaten
Objekt: Bergkapelle Kendlbruck
Standort: Lasaberg, Kendlbruck/AT
Typologie: Kapelle, Andachtsraum
Bauherr: DI Johann Müllner
Architekt, Bauleitung: Hannes Sampl, Salzburg/AT, www.hannessampl.com
Bauzeit: Oktober 2016 – Mai 2017
Projektdaten
Grundstücksgröße: 220 ha
Nutzfläche gesamt: 15 m²