Biokomposite in der Architektur

Biokomposite in der Architektur

Angesichts von Klimawandel und Ressourcenknappheit tritt eine Materialgruppe als ­
neuer Hoffnungsträger in den Fokus: Biokomposite. Gerade für die Bauwirtschaft mit ihrem ­großen CO2-Abdruck und Ressourcenverbrauch bieten nachwachsende Rohstoffe ein enormes Potential, dessen Erschließung gerade erst beginnt.

Biokomposite, auch Bioverbundwerkstoffe genannt, bestehen aus Naturfasern und Harz. Die Fasern sorgen für Festigkeit, das biobasierte Harz schafft den Verbund untereinander. Die hohe Fes-tigkeit und das geringe Gewicht ermöglichen es, sowohl strukturell optimierte als auch ressourceneffiziente Konstruktionen zu realisieren.

Dabei zeigen Biokomposite große Vorteile gegenüber anderen Werkstoffen: Es kommen schnell wachsende Pflanzen zum Einsatz, etwa Flachs und Hanf. Und bereits im Wachstumsjahr wird CO2 gebunden und erst nach der Nutzung der Materialien wieder an die Atmosphäre abgegeben. Die Auswirkungen auf die globale Erwärmung werden reduziert.

Bei den Naturfasern lassen sich zwei Gruppen unterscheiden: Agrofasern und industrielle Naturfasern. Im ersten Fall handelt es sich um relativ kurze Fasern aus landwirtschaftlichen Reststoffen, beispielsweise Strohfasern, Grasfasern und Schnittreste. Dagegen zählen Jute-, Flachs- und Hanffasern zu den industriellen Naturfasern. Sie können für die Realisierung architektonischer Bauteile und volltragender Anwendungen zuverlässig eingesetzt werden.

Bio-Harze werden größtenteils aus pflanzlichen Ölen gewonnen und zeichnen sich durch geringe Umweltauswirkungen aus. Aus Gründen der Verfügbarkeit und Kosten sind in Biokompositen heute teils auch Harze aus fossilen Quellen im Einsatz. Mit dem Voranschreiten der Circular Economy lassen sich diese in den kommenden Jahren ersetzen.

Der Einsatz von Biokompositen in der Architektur wird zunehmend intensiv erforscht. Die Anwendungen reichen von Dämmpaneelen im Innenbereich über Fassadenbekleidungen bis zu Fußgänger- und Fahrradbrücken. Je nach Anwendung und den gewünschten Geometrien sowie technischen Anforderungen werden geeignete Naturfasern und Bindemittel sowie ein passendes Herstellungsverfahren gewählt.

Zu den Forschungseinrichtungen, die sich intensiv mit den Potentialen von Biokompositen befassen, zählen die Technische Universität Eind­hoven in den Niederlanden und die Fakultät für Architektur und Stadtplanung der Universität Stuttgart. In Eindhoven liegt ein Fokus auf dem Einsatz von Biokompositen in tragenden Strukturen. In Stuttgart wurden in vielen Entwicklungs- und Industrieprojekten sowohl Proof-of-Concepts als auch marktorientierte Lösungen im Wettbewerb zu konventionellen Werkstoffen erarbeitet: etwa für Fassadenanwendungen, Innentrennwände, Fußbodensysteme, Akustikabsorber, Wärmedämmstoffe, Möbel und komplette Schalenbausysteme. Die Schlüsselkompetenzen für die erfolgreiche Entwicklung von Produkten sind konsequentes multidisziplinäres Arbeiten sowie die Einbindung von Marktteilnehmern. Dazu kommt der Einsatz digitaler Technologien bei der Planung und der Off-Site-Fertigung.

Innenpaneele mit integrierter Schallabsorptions- und Wärmedämmfunktion

Im Rahmen des Industrieprojekts „PLUS: Umweltfreundliche Sandwichpaneele“ an der Universität Stuttgart wurden Sandwichpaneele mit integrierten Wärmedämm- und Schallabsorptionsfunk­tionen entwickelt. Der Projektpartner, Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie (ICT), entwickelte geschäumte Biokunststoffkerne mit geschlossenen Zellporen, die eine Wärmeleitfähigkeit von ca. 0,035 W/mK aufweisen. Parallel dazu wurden für die Außenhaut des Sandwichelements Lignocellulose-Faserverbundwerkstoffe in einem Vakuum-Tiefziehverfahren thermisch verformt. Durch den Thermoformprozess konnten verschiedene Lufthohlräume erzielt werden, die für die erforderliche Schallabsorption verantwortlich sind.

Fassadenpaneele

Für Außenanwendungen wurden zahlreiche Paneele aus Biokompositen entwickelt, zum Beispiel „TRAshell“. Die architektonische Freiformverkleidung besteht aus kurzen Agrofasern und Epoxidharz auf Pflanzenbasis. Aus gestalterischen Gründen kamen hellbraunes Getreidestroh, rotbraune Kokosfasern sowie schwarze Kohleasche zum Einsatz. Hergestellt wurden zwei Typen von Freiformplatten, die sich zu einem attraktiven 3D-Muster kombinieren lassen. Die Biokomposit-Paneele wurden bei Raumtemperatur im Pressverfahren ausgeformt, die erforderlichen Formen per Roboter hergestellt.

Schalenkonstruktionen

Das Potential von Biokompositen zeigt auch der BioMat-Forschungspavillon in Stuttgart: Er weist eine Höhe von 3,6 m und eine Spannweite von 9,5 m auf, er überdacht eine Fläche von 55 m². Die modulare Schalenkonstruktion besteht aus leichten, einfach gekrümmten Elementen, die eine doppelt gekrümmte Schale bilden. Jedes Element besteht aus einem furnierverstärkten, elastischen Biokomposit-Kern.

Die elastischen Biokomposit-Platten des Kerns wurden nach einem parametrischen Berechnungsmodell numerisch CNC-gefräst. Versteift wurden sie ohne Wärme- oder Feuchtigkeitsvorbehandlung durch Laminierung mit Furnier in einem Vakuum-Presssack. Die so entstandenen Elemente erfüllen hohe Anforderungen an die Strukturbauteile der Schalenkonstruktion.

Nach dem parametrischen Formfindungsprozess wurden 121 Elemente vorgefertigt und vor Ort zu vier großen Dreiecken zusammengesetzt. Anschließend in die vorgegebene Position im Raum gehoben, bildeten sie die großformatige, doppelt gekrümmte Schale.

Das intelligente Design und das Verbindungssys-tem ermöglichen eine spätere Wiederverwendung der Elemente auch für anders gestaltete Konstruktionen. Diese Möglichkeit der Wiederverwendung wurde bereits in der Entwurfsphase festgelegt. Ganz im Sinne einer Circular Economy sollte ein geschlossener Materialkreislauf des errichteten temporären Gebäudes gewährleistet werden.

Der Pavillon war das Ergebnis einer Zusammenarbeit von ArchitektInnen und Tragwerksinge­nieurInnen der TU Eindhoven und der Universität Stuttgart sowie rund 40 ArchitekturstudentInnen. Unterstützt wurden sie durch die Deutsche Fachagentur für Nachwachsende Rohstoffe, die Baden-Württemberg Stiftung sowie mit Fördermitteln aus der Industrie.

Fertigungstechniken aus der Textilindustrie und dem Flugzeugbau

Die Herstellung komplexer textiler Preforms mit kraftflussorientierter und präziser Platzierung von Naturfasern ermöglicht das sogenannte Tailored Fibre Placement – ein digital gesteuertes Stickverfahren, das aus der Textil- und der Flugzeugbauindustrie in die Architekturwelt übernommen wurde. Mit dieser Technologie lassen sich beispielsweise Langfasern in der Hauptbelastungsrichtung der Verbundmatrix kontrolliert anordnen, um die Zugfestigkeitseigenschaften des Werkstoffs voll auszunutzen.

Das Verfahren wurde an der Universität Stutt-gart im Rahmen mehrerer Proof-of-ConceptMockups eingesetzt. Ein Beispiel bildet eine
2,25 m hohe und 1,25 m breite Leichtbaukonstruktion. Das einfach gekrümmte Vordach aus Biokompositen ist das Resultat eines umfangreichen Formfindungsprozesses. Die anfängliche Geometrie wurde mithilfe einer Modellierungssoftware optimiert; dies führte zur Form mit der geringsten Ausdehnung. Im nächsten Schritt wurden die Parameter aus der Topologie-Op­timierung als Randbedingungen für die Be­rechnung eines sogenannten agentenbasierten Modellierungssystems genutzt. Bei der anschließenden Auswahl des am besten geeigneten Modells waren ästhetische Aspekte mit ausschlaggebend. Die Linien entsprechen dem Kraftverlauf und damit auch dem Faserverlauf in der Vordachstruktur. Der gesamte Fabrikationsprozess erfolgte in Zusammenarbeit mit dem Institut für Flugzeugbau der Universität Stuttgart.  

Möbel und andere Anwendungsmöglichkeiten

Durch die unterschiedliche Zusammensetzung von Biokompositen lässt sich deren Elastizität und geometrische Flexibilität an vorgegebene Anforderungen anpassen. Dies ermöglicht beispielsweise, Platten mit Zweischnecken-Naturfaser­extruder-Maschinen zu extrudieren – etwa für die Möbelherstellung.

Biokomposit-Fußgängerbrücke

2016 wurde die weltweit erste biobasierte Fußgängerbrücke auf dem Campus der Technischen Universität Eindhoven über den Fluss Dommel in den Niederlanden gespannt. Ein multidisziplinäres Team von ForscherInnen der Universitäten Eindhoven und Delft sowie des Centre of Expertise Biobased Economy in Breda hat gemeinsam mit NPSP als Industriepartner ein geeignetes Design entwickelt, das in kurzer Zeit und mit einem begrenzten Budget hergestellt werden konnte.  

Das Projekt wurde im November 2015 als 3 TU-Leuchtturmprojekt initiiert. Der Entwurfsprozess begann im Januar 2016 und die Brücke wurde im Oktober 2016 eröffnet. Sie hat eine Spannweite von 14 m und besteht aus einem biobasierten Verbundwerkstoff. Als Material wurden Hanf- und Flachsfasern verwendet, die mit einem Epoxidharz kombiniert wurden, dessen Bioanteil bei 56 % liegt. Der nichttragende Kern der Brücke besteht aus Polylactid (PLA), einem aliphatischen, thermoplastischen Polyester, hergestellt aus er­neuerbaren Ressourcen.

Nach der Installation der Fußgängerbrücke wurde ihr strukturelles Verhalten mit Hilfe von optischen Glasfasersensoren überwacht. In die Struktur integriert überwachen sie Verformungen und Veränderungen der Steifigkeit. Im Zuge des Projekts wurde eine Vielzahl an Materialtests durchgeführt und ausgewertet. Im Mittelpunkt standen dabei Festigkeit, Steifigkeit, der Einfluss von Feuchtigkeit sowie das Kriechverhalten.

Die zentrale Forschungsfrage war, ob und wie bio-basierte Verbundwerkstoffe in tragenden Anwendungen bei Brücken und Gebäuden eingesetzt werden können. Als Ergebnis dieser Forschungsarbeit lässt sich festhalten, dass biobasierte Verbundwerkstoffe ein großes Potential für die Anwendung in der gebauten Umwelt darstellen.

Smart Circular Bridges

Fußgänger- und Radfahrerbrücken in den Niederlanden weisen zu etwa 40 % einen schlechten bis sehr schlechten Zustand auf. Ähnlich ist es in Deutschland. Um die Potentiale von Biokompositen für tragende Strukturen zu erschließen, werden im Rahmen des EU-Interreg-Projekts „Smart Circular Bridge“ derzeit drei Fußgänger- und Fahrradbrücken in Deutschland und den Niederlanden geplant und realisiert.

Bei den geplanten Brücken sorgen Flachs- und Hanffasern für Festigkeit, ein biobasiertes Harz schafft den Verbund untereinander. Zum Vergleich: Die Festigkeit ist etwa halb so hoch wie bei Aluminium. Die Kombination aus Festigkeit und leichten Eigenschaften verleiht den Bioverbundwerkstoffen ein großes Potential. Durch diesen Werkstoff wird es möglich, sowohl strukturell optimierte als auch ressourceneffiziente Konstruktionen zu entwerfen.

Im Vergleich zu traditionellen Werkstoffen liegen für diese Materialien kaum Erfahrungswerte vor. Deshalb werden Structural Health Monitoring Systems bzw. Bauwerksüberwachungssysteme implementiert. Die Brücken müssen im öffentlichen Raum allen Sicherheitsanforderungen genügen. Mit faseroptischen Sensoren überwacht das Structural Health Monitoring System in Echtzeit die Struktur und die Materialeigenschaften und bewertet die Sicherheit des Bauwerks. Parallel werden diese In-Situ-Daten im Rahmen des Smart Circular Bridge Projekts mit den Ergebnissen von beschleunigten Alterungstests im Labor ver­glichen.

Die Gestaltung der Smart Circular Bridges leitet sich aus ästhetischer Qualität und struktureller Effizienz ab. Schlüsselelemente sind darüber ­hinaus Sicherheit, Funktionalität, Machbarkeit, Produktionsverfahren und Kosteneffizienz.

Für zirkuläres Bauen, gerade auch von Infrastrukturen, ist es wichtig, die (Wieder-)Verwendung von natürlichen Ressourcen zu optimieren. Das Smart Circular Bridge-Projekt untersucht daher auch die Umweltauswirkungen der Brücken mit Hilfe von Ökobilanzen. Neben der Materialauswahl sowie der Produktions- und Nutzungsphase liegt der Fokus auf End-of-Life-Szenarien. Hier werden die Möglichkeiten einer Rückgewinnung der Biokomposite untersucht. Auf die ökologische Performance der Smart Circular Bridges zahlt auch das Smart Monitoring ein. Durch die kontinuierliche Überwachung der Brücken wird deren Lebensdauer voraussichtlich verlängert, was zu geringeren Umweltbelastungen pro Jahr führt.

Zusammenfassung und Ausblick

Über die beschriebenen Projekte hinaus gibt es weltweit eine Vielzahl von Forschungs- und Entwicklungsarbeiten zu Biokompositen. Das Wissen und die Erfahrungen beim Entwerfen, Herstellen und Nutzen dieser Werkstoffe werden konti­nuierlich erweitert. Aktuell untersucht werden beispielsweise Umwelteinflüsse wie UV-Strahlung oder Feuchtigkeit auf die Materialeigenschaften, aber auch das Langzeitverhalten. Schon heute ist das enorme Potential dieser Materialien für eine Circular Economy in der Architektur gut erkennbar – und bald auch nutzbar. 

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