Das Humboldt-Forum Berlin. Zum Abschluss
Eigentlich kann man über etwas Gebautes nicht abschließend schreiben, denn auch wenn das Immobile der Immobilie eine Bewegung und damit Veränderung auszuschließen scheint, ist dennoch keine Baugeschichte mit der Übergabe des Baus an die Nutzer zu Ende. Alterung mit Veränderung auch und insbesondere des Kontextes, Patinawuchern, Nutzerwechsel und allein schon eine veränderte Sicht auf die Dinge verändert auch das eben niemals fertige Haus. Das gilt auch für das Humboldt-Forum in Berlin, über das nicht bloß in dieser Zeitschrift jahrelang geschrieben wurde. Die KollegInnen haben es genossen, für oder wider dieses angeblich größte Kulturprojekt des wiedervereinigten Deutschland zu schreiben.
Kann man sagen, dass es schwerfällt, hier aufzuhören, den Bau Schloss sein zu lassen und sich anderen Projekten zuwenden? Ja, es fällt schwer, weil mit dem Abschluss des bewertenden Schreibens das Gebaute als solches hingenommen wird. Denn natürlich steht das Schloss, das jetzt eine Wunde im Stadtraum der Hauptstadt geschlossen hat – eine Wunde, die zweimal mutwillig zugefügt wurde – paradigmatisch für den Architekturdiskurs in diesem Land. Es ist nicht nur eine Art Lehrstück für die besondere Wahrnehmung der Stadt nach der Wiedervereinigung, das steht auch in der Linie einer sich entwickelnden gesellschaftlichen Veränderung hin zu immer mehr Sehnsuchtsbildern, die die unbekannte, aber gute alte Zeit beschwören. Viele städtebauliche Projekte nach dem Abschlussbericht der Internationalen Expertenkommission zum Wiederaufbau des Schlosses 2002 wurden über das dort formulierte und kaum widersprochene Diktum argumentiert, Architektur müsse „Kontinuität anstreben und sich avantgardistischen Gesten versagen“, so Vittorio Magnago Lampugnani, Mitglied der Expertenkommission und wenig später Vorsitzender der Jury, die mit dem Entwurf Franco Stellas einen Außenseiter im Rennen um den Siegerlorbeer auszeichnete.
Kontinuität und auch das Monumentale, eminent städtisch und zugleich singulär; viele dieser von Lampugnani skizzierten und vom Expertengremium kaum widersprochenen Benchmarks zur zeitgenössischen Kernstadtentwicklung haben auch beim Wiederaufbau der verlorenen Altstadt in Frankfurt am Main den Ausschlag gegeben, Dresden oder Potsdam gruppieren sich zeitlich um den Schlosswiederaufbau herum und wurden argumentativ als gelungene Beispiele für die Wiederherstellung von Verlorenem angeführt; Wundheiler. Und die BürgerInnen wollen mehr; Rekonstruktionverlangen mit Abrisswut gehen mittlerweile Hand in Hand; der Verweis auf das Gelungene hängt am Bild des neuen Alten, das allerdings nach Patina schreit.
Beim Schloss allerdings war alles ein wenig anders als in Dresden beispielsweise, wo mit dem Wunsch nach der Wiedererrichtung der Frauen-kirche wie nebenbei noch schnell mit der Neumarktrekonstruktion ein ganzes Quartier neu hochgezogen wurde und noch wird, im pseudobarocken Stil. Beim Schloss sorgte der Komplementär der KG von Boddien und Co. und Geschäftsführer der Boddien Land- und Kommunaltechnik GmbH, Wilhelm von Boddien, für den Start der Diskussion um die Wiedererrichtung des Historischen im modernen Backsteinkleid. Er startete mit einem – aus heutiger Sicht genialen – Coup: mit der Errichtung eines Gerüstbaus in der Kubatur des Schlosses, der mit Fotoplanen verhängt wurde, die die historischen Schlossfassaden zeigten. Diese sehr eindrückliche Simulation wirkte derart nachdrücklich, dass die, die hier Restauratives für die junge Hauptstadt eines noch schüchtern zurückhaltenen, vereinigten Deutschlands (eben nicht mehr BRD vs. DDR) fürchteten, gleich nach einem weiteren Wettbewerb für den Schlossplatz riefen. Der erste ging der knapp einjährigen Fassadenschau kurz voraus, der zweite, 1997, ein europaweit ausgelobtes „Interessenbekundungsverfahren“, brachte ebenfalls keine Ergebnisse, die mehr waren, als eine „avantgardis-tische Geste“. Bolles + Wilson zeigten stolz ihren „Wolkenbügel“, aber auch Axel Schultes mit seinem Fake-Entwurf (der „Dachbodenfund Schinkel“) schon ein Jahr zuvor ließ Spaß am Entwerfen aufblitzen; beiden aber fehlte die an einer Realisierung interessierte Ernsthaftigkeit, die gegen die sich aufbauende Rekonstruktionswelle nötig gewesen wäre.
Ganz offenbar war den Architekten damals nicht klar, dass die von-Boddien-Aktion nachhaltig wirken sollte; tatsächlich wird ihm – wie schon fälschlicherweise einem Kanzler die Wiedervereinigung – die Schlossresurrektion allein zugutegehalten. Versagen der zeitgenössischen ArchitektInnen wurde konstatiert; jetzt ging es allein um Abriss oder Erhalt des Palastes der Republik, der, „asbestverseucht“ gelabelt, im Rennen keine Chancen hatte. Bei Abriss musste Schlossneubau kommen und so kam er: Nachdem die Expertenkommission mit 8 : 7 Stimmen für die Wiedererrichtung des Schlosses plädierte hatte, beschloss der Deutsche Bundestag am 4. Juli 2002 mit einer Zweidrittelmehrheit, die Empfehlung der Kommission umzusetzen. Das neue Schloss müsse eine öffentliche Angelegenheit bleiben, öffentliche Aufgaben übernehmen und die historisierende Hülle auf drei Seiten – die Ostfassade sollte modern gestaltet sein – realisieren. Den ausgelobten, zweiphasigen Wettbewerb gewann der italienische Architekt Francesco Stella aus Vicenza, der – aus heutiger Sicht schwer vorstellbar – den Preis wegen der Erfindung der Nord-Süd-Passage und auch für seinen „sensiblen Umgang“ mit der Ostfassade erhielt. Wohl um die Preisentscheidung unstrittig zu machen, hatte die Jury keinen zweiten Preis vergeben, dafür vier dritte: Preisträger waren Hans Kollhoff, Jan Kleihues, Christoph Mäckler sowie Eccheli e Campagnola aus Verona. Es gab zwei Ankäufe für nps Tchoban Voss und Reimar Herbst, beide Berlin, sowie einen relativ hoch dotierten Sonderpreis für einen Beitrag des Berliner Büros Kuehn Malvezzi, die zwar die Kubatur des Schlosses in etwa wiederherstellten, den Wiederaufbau jedoch als einen iterativen Prozess verstanden, der in diese oder jene Richtung sich einigermaßen frei entwickeln könnte, je nachdem.
Dann gab es Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Teilnahme Stellas (Hans Kollhoff klagte und unterlag), dann Zwischennutzungskonzepte in der Abrissphase des Palastes der Republik, dann gab es die privat finanzierte und wenig erfolgreiche „Temporäre Kunsthalle“ nach Plänen von Adolf Krischanitz (2008–2010) und schließlich den grandiosen Vorschlag von Christoph Ingenhoven, die grüne Wiese doch zum Central Park auszubauen. Ingenhoven hatte sich an dem Wettbewerb mit gerade mal 150 Einreichungen nicht beteiligt.
2009 erfolgte die Gründung der „Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss“ als Bauherrin und Eigentümerin und zwei Jahre später gab der Deutsche Bundestag mit Stimmen der CDU/CSU, SPD, FDP und den Grünen im Haushaltsausschuss des Bundestages die Mittel für den Bau frei. 2013 wurde der Grundstein gelegt, 2015 war Richtfest, dann wurde mit den Gründungsintendanten Neil MacGregor, Hermann Parzinger und Horst Bredekamp der Aufbau des kulturellen Betriebs begonnen. Jetzt wurde das Haus eröffnet, corona-bedingt und wegen kleinerer Schwierigkeiten in der Bauphase ein Jahr später als geplant und auch nur virtuell; selbst die großen Höfe sind noch gesperrt. Der Kostenrahmen wurde eingehalten, vielleicht auch deshalb, weil erste Kostenschätzungen von fast der doppelten Bruttogeschossfläche ausgegangen waren. 680 Mio. € hat das Projekt inklusive Erstausstattung und inklusive 105 Mio. € für das Historische gekostet. Die jährlichen Unterhalts- und Betriebskosten liegen zwischen 10 und 20 Mio. €. Letzteres sind allerdings Schätzungen für 2020; wie sich das Haus im Betrieb mit Ausgaben/Einnahmen entwickeln wird, das ist zumindest der Senatsverwaltung noch nicht bekannt.
Noch sind nicht alle Ausstellungssäle, noch ist das Restaurant auf dem Dach nicht fertig. Dafür Kuppel mit Kreuz, zwei durch Spenden finanzierte Details, die insbesondere wegen der expliziten Inschrift auf dem Kuppeltambour überraschen: Der Hausherr, der Bund, hat es erlaubt und muss sich daher die Frage gefallen lassen, was diese Inschrift unter dem Kreuz für eine Botschaft sein soll? Die zudem auf der höchsten Spitze einer Kulturinstitution sein wollenden Schlossattrappe angebracht ist, die für das Aufklärerische Humboldts stehen möchte, für Toleranz und Neugier auf das, was nicht im eigenen Teller schwimmt. Die Außenanlagen – „Humboldt-Terrassen“ – bedürfen ebenfalls noch des Feinschliffs; sie werden helfen, den Neubau in die Stadt einwachsen zu lassen. Ob der in ein paar Jahren von Touristen aller Herren Länder in deren Heimat als wuchtig schönes Kaiserschloss weitererzählt wird, wird man sehen. Dass Berlin und Bund nicht in der Lage waren, einem Hobbyhistoriker und Landmaschinenhändler Wesentliches antworten zu können und seinen Avancen schneller nachgaben, als der sich das erträumt hatte, das macht nachdenklich und wirft auf eine Nation, die sich als internatonaler Technologievorreiter versteht, ein grelles Licht. In welchem nicht zuletzt auch die ArchitektInnen nicht sonderlich gut aussehen.
Das Haus, ein paar Zahlen
Grundsteinlegung des Schlosses auf grüner Wiese war 1443. Das Barockschloss, wie es uns immer wieder gezeigt wird, ist u. a. eine Arbeit von Eosander und Schlüter (1698 bis 1716). Die Schlossterrassen mit Lustgarten folgten 1844 bis 1846, Schlosskapelle und Kuppel kamen 1845 bis 1854 unter Wilhelm IV. hinzu. Diesem verdanken wir die Inschrift auf dem Tambourrund: „Es ist kein ander Heil, es ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn der Name Jesu, zu Ehren des Vaters, daß im Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Kniee, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.“ Nun ja.
Es kamen zur vorletzen Jahrhundertwende Schlossfreiheit und Schlossplatz mit dem Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmal hinzu; für letzteres ließ Wilhelm II. eine Häuserzeile abreissen … Wiederaufbau? Das Schloss mit seinem Umfeld wurde im Krieg 1939–1945 in Teilen zerstört, den Rest sprengte das DDR-Regime 1950 in einem politisch motivierten Akt plumper Geschichtslöschung. Lange wurde die zentrale Freifläche als Aufmarschplatz (mit Tribüne) genutzt, 1973 begann man mit dem Bau des Palastes der Republik, der hier von 1976 bis 2009 stand.
Der Neubau ist ein konventioneller Stahlbetonbau mit einer ca. 60 cm starken Ziegelmauerschicht davor. Diese garantiert im Wesentlichen zweierlei: Sie hält den Sandsteinschmuck und ermöglicht einen fugenfreien Putz. Die mit moderner Bildhauertechnologie gefertigten Nachbildungen der Skulpturen, 2 800 Sandsteinschmuckelemente und auch die 22 000 maschinell gefertigten Sandsteinwerkstücke hätte man natürlich auch in den Beton einbinden können; die Putzoberfläche allerdings braucht diesen heterogen homogenen Untergrund. Die ungeliebte Ostfassade (monumental) besteht aus durchgefärbten Betonfertigteilen, die ihre Massivität nur vortäuschen. Hier handelt es sich um U- oder L-Profile, in denen eine Menge Technik Platz hat (wie beispielsweise die Dachentwässerung).
Die Geschossfläche des Erdgeschosses mit Höfen bietet 20 529 m² BGF, die Geschossfläche (mit Keller) gesamt inkl. Dachrestaurant hat 96 356 m² BGF. Die Traufhöhe liegt leicht unter der Höhe Oberkante First mit 35 m. 100 000 m³ Beton wurden zusammen mit 20 000 t Stahl verbaut. Die Konstruktion steht teils auf bis zu 40 m tief eingelassenen Bohrpfählen aus Beton, teils auf der verbliebenen Gründungssohle des Palastes der Republik. Bei der Gründung mussten zudem die Tunnelbohrungen der neuen U-Bahnlinie U5 berücksichtigt werden, die diagonal an- und absteigend unter dem Gebäude verläuft.
Ein effizientes Energiekonzept stand, so der Bauherr, im Mittelpunkt der nachhaltigen Gebäudeplanung. Der Bau wurde nach der Energieeinsparverordnung (ENEV) 2009 berechnet, er unterschreitet den Wert für Primärenergiebedarf aufgrund sehr gut dämmender Fenster und Wände deutlich, um ein Drittel. Darüber hinaus nutzt das Humboldt Forum Geothermie zur Wärmeversorgung – die hydrogeologischen Bedingungen des Untergrunds auf der Mitte der Spreeinsel sind, so der Bauherr, hierfür günstig. Dafür wurden zwei Erdsondenfelder (115 Erdwärmesonden mit einer Tiefe von ca. 100 m im südlichen Lustgarten) erschlossen und die 54 Gründungspfähle genutzt. Weitere Aspekte des nachhaltigen Energiekonzepts sind u. a. ein effizientes Klimaanlagensystem mit mehreren Kältenetzen sowie die Bauteilaktivierung. Letztere hat Auswirkungen auf die Deckenuntersichten, die es freizuhalten und gleichzeitig mit Technik zu bestücken galt. So entstand ein abstraktes Kassettenmuster, das – tatsächlich unbeabsichtigt – den modern anmutenden Innenräumen einen Hauch von Alter gibt. Und nicht zuletzt: Es gibt sechs Rolltreppen, eigenartige Gebilde in einem Hohenzollernschloss. „Ceci n‘est pas un chateau“ kann man auf der Außenwand des Schlosses lesen, des rekonstruierten Schlosses in Potsdam von Peter Kulka. Ja, auch das in Berlin ist kein Schloss; warum muss es dann so aussehen?
Vor gut 25 Jahren gewann der Architekt und damals No-name Bernd Niebuhr einen großen Wettbewerb um die Zukunft der Spreeinsel. Darin hatte er u. a. das Schloss in der Schlosskubatur als ein Stadthaus skizziert mit einem großen, ovalen Innenhof. 24 Stunden sollte der allen offenstehen. Das wäre doch etwas gewesen: ein Bürgerforum … Moment mal, sollte nicht ein Bürgerforum zwischen Kanzleramt und Abgeordnetenhaus realisiert werden? Und wird nicht noch ein Einheitsdenkmal die Portal-III-Ansicht schmälern? Und was wird eigentlich aus dem anderen Tapetenprojekt, dem Schloss gegenüber Schinkels Akademie? Vergangenheit ist die Summe all dessen, worin Zeit schwingt. Geschichte wird daraus, wenn wir uns die Vergangenheit anschauen und über sie urteilen. „Ceci n‘est pas un chateau!“ Herr von Boddien, übernehmen Sie! Be. K.