Das Neue auf dem neuen Alten: Frankfurts Altstadt ist ganz neu
Der Kontrast könnte doch nicht größer sein: damals das Technische Rathaus, 1972 – 1974 nach Plänen der Architektengemeinschaft Bartsch, Thürwächter und Weber östlich des Römers als brutalistischer, in vier Großeinheiten gegliederter Bau mit Innenhof errichtet und nun das Altstadtquartier mit seinen kuschelig modernalten 35 Neubauten mit 70 Wohnungen und etwa 20 Läden und Lokalen, die das Alte, was einmal gewesen sein soll, ersetzen sollen. Für den Kauf der Wohnungen (5 000 bis 7 200 €/m²) konnte man sich vor Baubeginn bewerben, Petra Roth (CDU), damalige Oberbürgermeisterin, machte das erfolgreich. Ab Herbst 2018 werden die Frankfurter und die Touristen vom nahen Römer dann durch dieses Neubauviertel gehen können und sich die Hälse recken. Fachwerk bestaunen, Steinmetzarbeit, Fassadenputze, Farben und die Neuerfindungen von historischen Giebeln, deren Raffinesse allerdings von unserer Zeit spricht.
Der Brutalist musste ab 2010 weichen, dafür gab es rationale wirtschaftliche wie irrationale emotionale Gründe. Beide kann man guten Gewissens hinterfragen, aber die Stimmung gegen das Harte im Weichen (Stadtbild) war eindeutig: Der Kasten musste weg.
Im Jahr des ersten Abrisses 2010 lobte die Stadt einen europaweiten Architekturwettbewerb aus, zu dem 170 europäische Büros ihre Bewerbungen einreichten. Ein Auswahlgremium nominierte daraus 38, hinzu wurden 18 Büros gesetzt. Die 56 Büros erarbeiteten Vorschläge für die 27 neu zu bebauenden Parzellen und legten insgesamt fast 200 Entwürfe vor. Im März 2011, in der ersten Entscheidungsrunde des Wettbewerbs, wurden 36 Preise an 23 Bewerber vergeben. Diese 23 wurden aufgefordert, für die Parzellen Markt 40 und 7, für die keine überzeugende Arbeit gefunden wurde, Entwürfe zu entwickeln. 20 Vorschläge wurden eingereicht, über die im Oktober 2011 entschieden wurde. 2012 standen die Architekten fest, die mit der städtischen DomRömer GmbH die Neubauten der Altstadt planten. Dabei wurden sie von einem Gestaltungsbeirat beraten, dessen Mitglieder Christoph Mäckler, Arno Lederer sowie Fritz Neumeyer waren. Nicht stimmberechtigte Vertreter waren: Petra Kahlfeldt und Björn Wissenbach, Stadthistoriker in Frankfurt.
Kosten sollte das Projekt damals etwa 160 Mio. €, am Ende werden es voraussichtlich über 200 Mio. € sein. Immerhin wurde der Zeitplan nur um ein Jahr überschritten.
Die Neubebauung aus Neubauten, die entwurflich mit den Formen vergangener Zeit spielen müssen, und aus Nachbauten, deren rekonstruktiver Ansatz sich im Wesentlichen auf die Fassaden reduziert, bilden in etwa die Parzellenstruktur ab, die möglicherweise im 16. Jahrhundert genau so vorhanden war. Tief in den Block reichende Grundrisse, schmale und sich weitende, auch gekurvte Gassen mit ähnlich scheinender Erdgeschossgestaltung (roter Stein) markieren das Altstädtliche, auf das dereinst so manche andere deutsche Stadt neidisch schauen könnte.
Ob die Eigentümer/Nutzer der neuen Wohnungen die ständig staunenden und lauthals sich wundernden Fremden aushalten? Dreifachverglasung könnte helfen, Verbotsschilder, Wachdienste und dann doch mal ein geschlossenes Tor. Nicht helfen werden die Wohnungen denjenigen, die keine Wohnung haben oder eine suchen oder tauschen wollen. Nicht geeignet sind die meisten Wohnungen für Gehbehinderte oder alte Menschen, die schon Probleme haben werden, die neue alte Stadt selbst erleben zu können. So jedenfalls die Frankfurter Behindertenarbeitsgemeinschaft, aus deren Sicht es die Stadt verpasst hat, das Neubauvorhaben von Anfang an barrierefrei zu gestalten. Die Dom-Römer GmbH hat darauf schon gekontert, fast alle Gebäude erfüllten doch die Anforderungen. Aber eben auch durch Hintertürlösungen. Und: Die ursprünglichen Häuser seien ja auch nicht barrierefrei gewesen. Das stimmt, aber um die geht es doch gar nicht.
Neben dem Wohnen wird es 23 Läden geben, deren Betreiber alle handverlesen sind. Kaufen wird man können Porzellan, Keramik, Hüte, Schmuck, Spielzeug, (Abend)Mode. Eine Metzgerei, eine Drogerie, ein Blumengeschäft, ein Reformhaus und einen Bäcker soll es geben; der bietet vegane Produkte an.
Gemessen an den Realisierungskosten erscheinen die Einnahmen von rund 100 Mio. € aus dem Verkauf der Wohnungen bescheiden. Doch wie bei vielen Immobilienprojekten dieser Art spekuliert die Stadt auf eine nachhaltige Attraktivitätssteigerung der ansonsten ganz schön kühlen Bankerstadt. Das Mittel-alterflair soll die Wärme generieren, die in Downtown Frankfurt abhanden kommt.
Ganz am Ende darf nicht verschwiegen werden, dass der historisierende Wiederaufbau heute sich einer nationalistischen Kleinstpartei damals verdankt. Die hatte 2005, als KSP Engel und Zimmermann den 1. Preis in einem ersten Gestaltungswettbewerb mit einer modernen, die Parzellenstruktur interpretierenden Architektur gewannen, die Gunst der Stunde genutzt und „Heimat“ und „Bodenverwurzeltsein“, „deutsche Geschichte“ und andere unscharfe Wortbrocken ins Spiel gebracht, mit Erfolg, wie man heute sieht. Im Herbst schauen wir noch einmal genauer hin … auf die Fassadendetails, die schmiedeeisernen Arbeiten, die Laternen, die Barrierefreiheit, die ganze Handwerkerkunst. Be. K.