Modulare Lernlandschaft

Deutsche Akademie für ­Internationale Zusammenarbeit (AIZ), Bonn

Im strengen Raster eines Holzskelettbaus in Modulbauweise fanden Waechter + Waechter die gestalterische Freiheit, ein anpassungsfähiges offenes System zu entwerfen.

Der Ausgangspunkt für das Projekt war die räumliche Idee. Inspiriert durch das aktive, offene pädagogische Konzept der GIZ wollten wir weg vom klassischen Seminarraum. Wir entwarfen eine großflächige Lernlandschaft, in der man Räume abtrennen und Flächen gliedern kann. Im Modul sahen wir die Chance, durch die Wiederholung und Systematisierung eine wohltuende Ordnung zu erzeugen.«⇥Felix Waechter, Architekt

Das Schöne am Modulbau ist, dass man, wenn man einen Knoten gelöst hat, alle gelöst hat. Die Wiederholung von immer gleichen Bauteilen schafft Skaleneffekte sowohl in der Planung, der Materialbeschaffung als auch bei der Fertigung und der Montage und wirkt sich damit positiv auf die Kosten, aber auch auf die Qualität der Arbeiten aus.«                      Konrad Merz, Tragwerksplaner

Als die in Bonn und Bad Honnef ansässige GIZ Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit 2014 einen Wettbewerb für den Neubau eines „Lernhauses“ auslobte, lud sie die teilnehmenden Büros zu einem Ortstermin in eine Lagerhalle ein. Darin hatten sie Platz gefunden, das von ihnen entwickelte Lernkonzept in Form einer Lernlandschaft mit Lernstationen, einer offenen Mediathek und flexiblen Studienbereichen aufzubauen und damit zu experimentieren. Starre, lineare Strukturen aus Fluren und Seminarräumen hatten sich in der Vergangenheit als wenig geeignet erwiesen, die Methoden des Lernens und Lehrens, mit denen die GIZ ihre Mitarbeiter, aber auch deren mitreisende Partner auf ihren Auslandseinsatz vorbereitet, anzuwenden. Gesucht wurde für den Neubau des Lernhauses nun also eine dauerhafte und zukunftsweisende Architektur, die das im Modell erprobte, offene Lernkonzept als räumliche Idee in jedem Maßstab abbildet.

So erinnert sich Felix Waechter heute, dass der Ausgangspunkt für ihren im Wettbewerb überzeugenden und nun realisierten Entwurf nicht die Idee des außergewöhnlichen Tragwerks war, sondern der ungewöhnliche Typus und seine räumliche Umsetzung. Ziel der Architekten war die Verzahnung der Räume, um ein Umfeld zu schaffen, in dem nicht nur zielgerichtet, sondern mehrdimensional und vernetzt gelernt werden kann. Aber auch eine Verzahnung des Gebäudes mit der Landschaft – der Neubau sollte auf einem parkartigen Grundstück am Saum des Naturparks Kottenforst errichtet werden – war gewünscht. Holz als Baustoff war in der Auslobung nicht vorgegeben, aber Felix Waechter, immer wieder fasziniert von der Sinnlichkeit des Materials und den konstruktiven Möglichkeiten, erkannte, dass sich damit auch die hohen Ansprüche der GIZ an die Nachhaltigkeit des Gebäudes gut erfüllen lassen.

Freiheit im Raster

Im strengen Raster eines Holzskelettbaus in Modulbauweise fanden Waechter + Waechter die gestalterische Freiheit, ein anpassungsfähiges offenes System zu entwerfen. Dabei entwickelten sie aus dem orthogonalen Raster kein rationales, streng orthogonales Haus, sondern ein Cluster, eine scheinbar bewegte Struktur. Deren Ordnung wirkt zufällig, das System der Vor- und Rücksprünge erzeugt eine an Pavillons erinnernde Kleinteiligkeit, die das zweigeschossige Gebäude in den Ansichten schwer zu entschlüsseln macht. Die Klärung der Symmetrie findet sich im Plan: Es sind 78 Felder, davon 56 quadratisch, 22 bei gleicher Länge schmaler. Die Grundrissfigur ist zweiteilig mit einer Mittelachse, an der sich das Cluster der einen Seite horizontal und vertikal gespiegelt mit einem Versatz um zwei Felder wiederholt. Im Zentrum der beiden Flügel sind jeweils zwei Felder als Hof offengelassen, erschlossen wird das Gebäude an der zentralen Schnittstelle.„Die Modulbauweise macht das Bauen einfacher, das Planen wird dagegen schwieriger. Denn es erfordert eine unglaubliche Planungsdisziplin und viel Koordination bei allen Beteiligten. Auch von der Bauherrenseite ist Disziplin gefordert, weil alle Festlegungen früh, das heißt vor Beginn der Vorfertigung, getroffen werden müssen, alle zu späten Entscheidungen würden sichtbar bleiben,“ beschreibt Felix Waechter den Planungsprozess aus Architektensicht.

Die Tragwerksplaner merz kley partner kamen erst nach dem Wettbewerb hinzu. Bestimmte entwurfsimmanente Entscheidungen, der Modulbau, das Raster, die Verwendung von Holz, der Grundriss, die Dachform, waren da längst getroffen. Doch nun waren die Ingenieure gefragt, das räumliche Raster in eine hölzerne Tragkonstruktion umzusetzen, die bestmöglich auf den Entwurf reagiert. Der Grundriss war so angelegt, dass zwei Rasterfeldgrößen ausreichen, um den Anforderungen des Raumprogramms nachzukommen und die wirtschaftlichen Vorzüge der modularen Bauweise optimal auszunutzen. Außerdem hatten die Architekten die Idee, „möglichst viel in die Decke zu integrieren“, dabei aber eine ungewöhnliche Dachform entwickelt.

Modell im Maßstab 1 : 1

In Zusammenarbeit mit Konrad Merz legten Waechter + Waechter die Maße für das Raster fest (5,25 x 5,25 m und 3,50 x 5,25 m) und entwickelten eine modulare Tragstruktur, deren einzelne Elemente bereits mit fertigen weiß lasierten Oberflächen auf die Baustelle geliefert werden sollten. Um die Umsetzbarkeit in der Praxis zu testen, Oberflächenqualitäten, Verbindungen und Details, wie zum Beispiel die Integration des Fallrohrs in die Stützen, und die Montage bis hin zum Aufflämmen der Notabdichtung daran zu erproben, wurde im Hof der Zimmerei in Rosenheim ein hölzernes Geviert im Maßstab 1 : 1 aufgebaut. Neuerungen im konstruktiven Bereich sehen Architekt und Ingenieur beim AIZ weniger, große Aufmerksamkeit widmeten sie dagegen der Entwässerung des gefalteten Dachs und entwickelten einen nun im Verborgenen liegenden Kreuzknoten aus Stahl, in dessen Mitte eine Röhre verläuft, durch die das durch die Kreuzstützen laufende Fallrohr geführt wird. Dieser Knoten konnte bei allen Stützen verwendet werden, unabhängig davon, ob sie der Entwässerung dienen oder nicht.

Konrad Merz: „Wenn man eine Struktur entwickelt, die fertige Oberflächen hat, läuft die Planung von Details, wie zum Beispiel die in die Deckenelemente integrierten Sonnenschutzrollos, zwischen Tragwerksplaner und Architekt immer Hand in Hand. Jede Nische, jede Vertiefung, in die etwas eingebaut werden soll, muss gemeinsam überlegt werden.“

Stück für Stück

Auf der Baustelle in Bonn wurden zunächst das Untergeschoss sowie der Boden, die Brüstungen und die aussteifenden Kerne in Stahlbeton errichtet, darauf abschnittsweise die Kreuzstützen aus Fichte Brettschichtholz (wo Entwässerung verläuft, sind die Stützenteile revisionierbar). Jede Stütze besitzt den speziell für das AIZ entwickelten Knotenpunkt aus Stahl, an den im nächsten Schritt die Unterzüge mit Zugkopplungsblechen angeschlossen wurden. Dieses Holzskelett wurde mit Hohlkastenelementen (Rippendecke mit tragender unterer und oberer Verkleidung) ausgefacht. Die dazu benötigten Stahlwinkel waren bereits werkseitig in die Rahmen der Kastenträger eingesetzt worden. Alle hölzernen Elemente kommen bereits mit weiß lasierten fertigen Oberflächen auf die Baustelle. Die Platte der Deckenuntersicht wurde zur Schallabsorption zusätzlich werkseitig mit einer Akustiklochung versehen. Auf den fertigen Abschnitt des EGs wurden dann die Stützen für das OG aufgesetzt, die Unterzüge für das Dach angeschlossen und diese dort, wo schon vier von ihnen zusammentreffen, mit kreuzförmigen Kopplungsblechen verbunden. Versuche am Mock-up hatten gezeigt, dass es am günstigsten ist, die beiden dreieckigen Elemente, aus denen die rechteckigen bzw. quadratischen Dachfelder bestehen, bereits am Boden zusammenzusetzen und am Stück aufzusetzen, bevor mit der Montage des nächsten Abschnitts begonnen wird. Damit die fertigen Oberflächen keinen Schaden durch ungünstige Witterungsverhältnisse nehmen, wurde das am Mock-up entwickelte Prinzip des temporären Wetterschutzes mit Notdächern und Notfassaden, wo erforderlich, abschnittweise auf- und wieder abgebaut.

Eins greift ins andere

Fünf Monate dauerte die Montage des konstruktiven Holzbaus, neun Monate später konnte der fertige Bau an die Nutzer übergeben werden. Während Wände und Decken mit dem Modulbau bereits fertig waren, wurden auf die Böden Gehwegplatten ausgelegt, um die thermisch erforderliche Masse zu erzeugen. Leitungen werden hier im Doppelboden geführt, der mit einem hellen Terrazzo abschließt. Der Wunsch der Architekten eine offene Lernlandschaft zu schaffen, lässt sich in diesem großflächigen modularen Gebäude gut umsetzen. Die Wandscheiben aus Glas oder Holz werden in der Achse der Unterzüge auf den Fertigfußboden aufgesetzt und sind prinzipiell austauschbar. Um die zentralen Innenhöfe entsteht in jedem Flügel eine als Rundweg gedachte offene Kommunikationszone zum Lernen allein oder in Gruppen. Untergegliedert wird dieser Bereich durch die Regale der Mediathek und spezielle Lernstationen. Ringförmig entlang der Außenfassade sind die 44 zum Teil schaltbaren Seminarräume platziert. Über Glaswände erreichen die Architekten die Verzahnung der Räume mit der Mitte.

Dass der Modulbau mit seinem strengen Raster und der Verpflichtung, früh verbindliche Entscheidungen zu treffen, keine Einschränkung in der Gestaltungsfreiheit bedeutet, haben Architekten und Planer mit dem AIZ anschaulich dargelegt. Zeit gewonnen haben sie dadurch, dass die Tragstruktur bereits die fertigen Oberflächen mitgebracht hat. Nur wirtschaftliche Vorteile lassen sich mit On-Off-Bauten wie dem AIZ noch nicht erreichen, wobei die Serie hier ja schon systemimmanent ist.      

Projektdaten

Objekt: AIZ – Akademie der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) am Campus Kottenforst

Standort: In der Wehrhecke 1, 53125 Bonn-Röttgen                                                                         

Typologie: Öffentliche Bauten

Bauherr/Nutzer: Deutsche Gesellschaft für Interna­tionale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH

Architekt: Waechter + Waechter Architekten BDA, Darmstadt, www.waechter-architekten.de; Team: Esther Ferreira Lopes, Nils Meyer, Ella Beinhofer, Kathrin Schnur

Bauleitung: Waechter + Waechter Architekten BDA, Darmstadt, mit ap88 Architekten Partnerschaft mbB, Heidelberg

Bauzeit: 2014 – Dezember 2017

Fachplaner                                 

Tragwerksplaner: merz kley partner ZT GmbH, Dornbirn/AT, www.mkp-ing.com

TGA-Planer: HL-Technik Engineering GmbH, München, www.hl-technik.de

Licht-/Akustikplaner/Energieplaner: Müller-BBM GmbH, Planegg/München, www.muellerbbm.de

Landschaftsarchitektur/Ökologie: Dipl. Ing. Angela Bezzenberger, Darmstadt, www.loek.de

Brandschutzplaner: BPK Fire Safety Consultants GmbH & Co. KG, Düsseldorf, www.bpk-fsc.de

Baudaten                                    

BGF: 6 244 m²; BRI: 22 224 m³

Nutzfläche gesamt: 5 612 m²

Baukosten (nach DIN 276)

KG 300 + 400 (brutto): 9,96 Mio. €

Gesamt brutto (KG 200 – 700): 11,25 Mio. €             

Energiebedarf

Primärenergiebedarf: 103,8 kWh/m²a

Endenergiebedarf: 1,55 kWh/m²a

Jahresheizwärmebedarf: 26,2 kWh/m²a

Haustechnik

Das Energiekonzept kombiniert bauliche (passive) Maßnahmen mit einer effizienten Anlagentechnik, bestehend aus Block-Heiz-Kraft-Werkanlage und Wärmepumpe mit Erdwärmesondenfeld (Jahreszeitenpendelspeicher) und Absorptionskältemaschine; DGNB-Standard Gold (NBI-15)

Raummodule

Konstruktion: modulare Konstruktion

Hersteller: GROSSMANN Bau GmbH & Co. KG, Rosenheim, www.grossmann-bau.de

Anzahl der Module: 78

Abmessungen: 5,25 x 5,25 m | 3,50 x 5,25 m

Vorfertigungsgrad: Montage vor Ort

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht im DBZ Sonderheft Modulbau 2019. Hier finden Sie Projektberichte, Fachbeiträge und Interviews mit Architekten zum Modularen Bauen.

Das komplette Heft gibt es kostenlos zum Download unter: DBZ Sonderheft Modulbau 2019

Lesen Sie auch DBZ Sonderheft Modulbau 2018: DBZ Sonderheft Modulbau 2018

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