AFZ Assessment- und Förderzentrum, Neuwied
Das klare, über beide Geschosse durchgehende Skelettsystem des Assessment- und Förderzentrums ist, im Ver-gleich zu anderen Bauweisen, einfach herstellbar und mit geringem Aufwand für andere Einteilungen umnutz-bar. Das Arbeiten mit dem Baustoff Holz liegt dem Darmstädter Architekturbüro Waechter + Waechter. Zudem ermöglicht es einen schnellen Bauablauf aufgrund hoher Vorfabrikation und entspricht den Anforderungen einer nachhaltigen Bauweise.
Das AFZ Assessment- und Förderzentrum in Neuwied-Engers ist keine gewöhnliche Berufsschule. Hierher kommen junge Menschen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen oder Beeinträchtigungen, die eine besondere Beratung, Betreuung und Förderung zum Einstieg in das Berufsleben brauchen. Für den Neubau dieser Einrichtung lobte die Heinrich-Haus gGmbh 2015 ein Gutachterverfahren aus, in dem sich Waechter + Waechter mit einem modularen Holzbau durchsetzen konnten: „Der Ausgangspunkt für das Projekt war die räumliche Idee, nicht das Tragwerk. Inspiriert durch das didaktische, offene und eigenständige Lehrkonzept der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), haben wir eine großflächige Lernlandschaft entwickelt, in der Räume abgetrennt und Flächen gegliedert werden können. Im Modul sahen wir die Chance, durch die Wiederholung und Systematisierung eine wohltuende Ordnung zu erzeugen,“ erinnert sich Prof. Felix Waechter. Für das dreiseitig umbaute, nahezu quadratische Grundstück entwarfen sie einen in seiner Grundform quadratischen, zweigeschossigen Baukörper, der fast die gesamte Fläche einnimmt. Durch eine 45°-Drehung des der Planung zugrundeliegenden Rechteckrasters löst sich das Quadrat in eine gezackte Fläche mit Vor- und Rücksprüngen auf. Nicht nur die rhythmisch bewegten, kleinteiligen Ansichten fallen heute in diesem heterogenen Umfeld, in dem Wohnen und Gewerbe dicht beieinanderliegen, auf – es ist insbesondere das Holz der horizontal gegliederten Fassade, dessen warmer Ton hier eine starke Anziehungskraft ausübt.
Das System
Das Holz ist bei diesem Bau, den Waechter + Waechter in Zusammenarbeit mit merz kley partner, Dornbirn, realisiert haben, ein Hauptdarsteller, der alle Rollen spielt. Es ist Tragwerk und Fassadenmaterial, diente beim Ausbau als Oberfläche für Wände und Decken und Material für Möbel, Fenster und Türen, es sorgt für eine gute Akustik und eine besondere Atmosphäre. Für Prof. Felix Waechter spricht zudem immer wieder „die Faszination für die Sinnlichkeit des Materials“ für die Verwendung von Holz. All diese guten Eigenschaften sind natürlich bekannt; dass das Potential des Materials in einem Schulbau aber in voller Bandbreite ausgespielt wird, ist ungewöhnlich.
Das Gebäude folgt den Setzungen des Rechteckrasters (3,2 x 6,4 m). Mit diesem Modul, das teilbar und addierbar ist, lassen sich alle geforderten Raumgrößen realisieren, die Spannweiten bleiben im wirtschaftlichen Bereich. Das Raster erlaubt eine Punktspiegelung des Grundrisses, so dass sich die beiden jeweils seitlich an einer Ecke platzierten Eingänge schräg gegenüberliegen. Sämtliche Räume, die dem Arbeiten und der Diagnose dienen, liegen ringförmig an der Fassade. So verfügen alle Übungsräume über große Fensterflächen über Eck, die in den Außenecken liegenden sogar über drei Seiten. Da alle Räume mit Türen verbunden sind, schaffen die gekoppelten Nutzflächen den erforderlichen zweiten Fluchtweg. Eine weitere Raumschicht bilden sechs Kerne, in denen Sanitärräume und Umkleiden, Aufzüge und Vertikalschächte liegen. Die Mitte bleibt in beiden Geschossen frei, im Erdgeschoss wird sie als Caféteria genutzt, im Obergeschoss als Begegnungs- und Aufenthaltsfläche. Reine Erschließungsflächen kommen abgesehen von den beiden Treppenhäusern im AFZ nicht vor, so dass die Flächennutzung sehr ökonomisch ist.
Präzise Planung, kurze Bauzeit
Auf dem Stahlbetonfundament, das Gebäude ist teilunterkellert, wurden abschnittweise zunächst die BSH-Stützen (Brettschichtholz Fichte, 20 x 20 cm) für das Erdgeschoss aufgestellt. Sie schließen oben mit einem Stahlelement ab, an die vorgefertigte Holzrahmen-Deckenelemente angeschlossen werden. Diese bestehen aus einem 52 cm hohen Fichte-Brettschichtholz-Rahmen, der später als Unterzug sichtbar bleibt. Darin eingebaut sind in der kurzen Richtung Holzrippen 40/200, darauf Verbund-Akustikplatten, die von einer OSB-Platte fixiert werden. Die damit vorgefertigte Deckenuntersicht hat auf der Baustelle keine weitere Behandlung erfahren, die Oberflächen von Unterzügen und Rippen sind werkseitig bereits weiß lasiert. Nach der Montage einiger modularer Felder wurden in den als Kernen definierten Bereichen Schichtmassivholzplatten zur Aussteifung als Wandscheiben montiert, bevor der Aufbau des Obergeschosses in gleicher Weise fortgeführt werden konnte.
Die Decke über dem Erdgeschoss wurde auch zum Schallschutz in Hybridbauweise als Holz-Beton-Verbunddecke fertiggestellt. Lange Schrauben wurden auf der Oberseite der Unterzüge etwa zur Hälfte eingebohrt, um einen Verbund mit der 120 mm dicken Schicht Aufbeton herzustellen. Die werkseitig bereits auf den Deckenelementen montierte OSB-Platte wird dadurch zur verlorenen Schalung. In den Aufbeton integriert wurden Leerrohre, in denen u. a. die Kabel für die Deckenleuchten geführt werden. „Die Modulbauweise macht das Bauen einfacher, das Planen wird dagegen schwieriger. Denn es erfordert eine hohe Planungsdisziplin und viel Koordination bei allen Beteiligten. Auch von der Bauherrenseite ist Disziplin gefordert, weil alle Festlegungen früh, d. h. vor Beginn der Vorfertigung, getroffen werden müssen; alle zu späten Entscheidungen würden sichtbar bleiben,“ so Prof. Felix Waechter.
Im Raster
Für Tragwerksplaner Konrad Merz stellen „die multifunktionalen Deckenmodule, die gleichzeitig tragen, die fertige Oberfläche bilden und zur guten Raumakustik beitragen, eine gelungene Lösung“ dar. Zwar seien Holzdecken mit den Schallschutzanforderungen des mehrgeschossigen Bauens a priori teurer als eine Betondecke mit gleicher Tragfähigkeit, doch durch die geschickte Integration weiterer Funktionen wie fertige Oberfläche, Akustik etc. und den Vorteilen des Baustoffs Holz bezüglich Haptik und Nachhaltigkeit, könne der Mehrpreis aber in vielen Fällen ausgeglichen werden. Die mehrschichtigen Trennwände zwischen den Schulungsräumen liegen in den Achsen der Unterzüge und wurden auf dem Beton zunächst als Gipsständerwand errichtet, so dass Ausgleichsschicht, Trittschalldämmung und Estrich, die danach eingebracht wurden, dagegen laufen. Die Innenwände wurden abschließend mit vorgefertigten 3-Schicht-Massivholzplatten mit Akustiklochung verkleidet, so dass die Wandstärke der doppelten Unterzugbreite entspricht und bündig abschließt. Ausnahmen verbergen sich in den Kernen. Da diese Räume bei geschlossenen Türen nicht einsichtig sind und nicht als Teil des großen Raumkontinuums betrachtet wurden, konnten hier die Decken abgehängt werden, um Haustechnik aufzunehmen. Genaueres Hinsehen, erinnert sich Projektleiterin Kristine Schnatwinkel, erforderten die in der Fassade liegenden Stützen, da die Fenster innenbündig sind. Dieser Knotenpunkt sei thermisch nicht einfach zu lösen gewesen, eine außenliegende Holzverkleidung der Stütze verhindert nun Wärmebrücken. „Das große Potential im Holzbau sehen wir in der integrativen Konstruktion. So ist die Decke nicht nur Tragelement, sondern auch Bauakustikelement, während im Massivbau die Systeme addiert werden. Uns interessiert dagegen die Kohärenz, der Zusammenhang und die Zusammengehörigkeit zwischen den Schichten,“ fasst Prof. Felix Waechter zusammen. So erscheint das Gebäude den kundigen Besuchern schlüssig und denen, die es täglich benutzen nahbar, offen und freundlich. Uta Winterhager, Bonn
„Ein Holzbau, dem Dank des strukturalistischen Ansatzes Lebendigkeit verliehen wird. Durch großzügige Fensterflächen wirkt das Gebäude transparent, leicht und offen. Ein ästhetischer Lernort, der die Klarheit und Durchgängigkeit der Holzstruktur mit einer ungestörten Kommunikation zwischen innen und außen verbindet. Beispielhaft ist ebenso die sehr starke Elementierung und der damit einhergehende hohe Grad an Vorfertigung.“⇥
DBZ Heftpate Thomas Kruppa, FAT ARCHITECTS
Baudaten
Objekt: AFZ Assessment- und Förderzentrum, Neuwied
Standort: Januarius-Zick-Straße 16, 56566 Neuwied-Engers
Typologie: Sozialbauten
Bauherr / Nutzer: Heinrich-Haus gGmbH, Alte Schloßstraße 1, 56566 Neuwied, www.heinrich-haus.de
Architekt: Waechter + Waechter Architekten BDA, Darmstadt, www.waechter-architekten.de
Mitarbeiter (Team): Kristine Schnatwinkel, Lisa Matzdorff
Bauleitung: ap88 Architekten Partnerschaft mbB, Heidelberg, www.ap88.de
Bauzeit: Lph 2 – 4 = ca. 12 Monate
Lph 5 – 7 = ca. 9 Monate vor Baubeginn plus baubegleitend
Bauzeit = ca. 20 Monate
Fachplaner
Tragwerksplaner: merz kley partner ZT GmbH, Dornbirn, www.mkp-ing.com
TGA-Planer: HL-Technik Engineering GmbH, München, www.hl-technik.de
Licht-, Akustik- und Energieplaner: Müller BBM GmbH, Planegg/München, www.muellerbbm.de
Brandschutzplaner: ST-Brandschutz GbR, Wiesbaden, www.st-brandschutz.de
Projektdaten
Grundstücksgröße: 8 181,24 m²
Grundflächenzahl: GRZ I = 0,16 | GRZ II = 0,17
Geschossflächenzahl: 0,38
Nutzfläche: 2 721 m²
Brutto-Grundfläche: 3 153 m²
Brutto-Rauminhalt: 11 540 m³
Baukosten (gesamt): 6,6 Mio.€
Energiebedarf
Primärenergiebedarf: 148,7 kWh/m²a nach
EnEV 2016
Endenergiebedarf: 190,9 kWh/m²a nach EnEV 2016
Jahresheizwärmebedarf: 220,146 kWh/m²a nach EnEV 2016
Hersteller
Fenster: Schott Technical Glass Solutions GmbH, www.schott.com
Boden: Musliji Fußbodensysteme GmbH, Mosa Design Studios, www.mosa.com,
Brillux, www.brillux.de
RWA-Anlage: Schüco International KG,
www.schueco.com
Brandschutz- / Fluchtwegkonzept: TROX GmbH, www.trox.de
Sanitär: Keramag Keramsiche Werke GmbH,
www.geberit.de
Beleuchtung: Lightnet GmbH,
www.lightnet-group.com