Die Codeknacker der Nervenbahn
Universität Potterow, Edinburgh/GB

Kurze Wege und quere Gedankengänge, auf der Suche nach dem Geheimnis der Nervenbahnen gehen die Neurowissenschaftler über ihre Grenzen hin­aus. Damit das gelingt, entwickelten die Archi­­tekten von Ben­­netts Associates eine Architektur der Short Cuts; diese steht nun auf dem Gelände der Universität von Edinburgh.

Nachhaltig ist, was Zukunft hat und Zukunft ermöglicht. In diesem Sinne fängt der Universitätsneubau, das Potterrow Building, von Bennetts Associates schon bei der Bauaufgabe mit Nachhaltigkeit an: Die Universität erkannte die Bedeutung der interdisziplinären Forschung von Informatik und Psychologie für die Neurologie und deren Auswirkung auf Kultur und Kunst. Sie entschloss sich, ein Gebäude zu errichten, indem die Fachrichtungen Informatik, Neuroinformatik, Psychologie und Kunst zusammenfinden und gemeinsam fachspezifisch forschen und lehren können. Es sollte flexibel sein wie ein Büro­gebäude und Raum ermöglichen für Gespräche und ungewöhn­liche Gedankengänge zwischen den Disziplinen. Dafür schrieb die Universität einen Wettbewerb aus, den das Edinburgher Büro Bennetts Associate im Jahr 2003 gewann.


Maria Stuart verpflichtet

Das Architekturbüro ist nur wenige Laufminuten vom Unigelände entfernt, daher führt der Projektarchitekt John Miller auch zu Fuß zum Neubau, in Abkürzungen, short cuts, quer über das Gelände der historisch bedeutsamen Universtät. Deren spätmittelalterliche Gründung fiel in die Zeit der englisch-schottischen Religionskriege und der Gefangenschaft Maria Stuarts, die nur wenige Jahre später auf den Schaffott endete. Der Weg reicht John Miller kaum, um die Bedeutung des Bauortes zu erklären: „Auf dem Gelände kreuzen historisch bedeutende Wegeverbindung, die haben wir aufgenommen und neu verbunden.“ So sieht der Plan zwei U-förmige Gebäude vor, die einen Hof umgrenzen und sich in den oberen Geschossen zu einem gesamten Komplex verschränken. Im Erdgeschoss führen öffentliche Wege durch den Hof und bieten Querverbindungen über das Gelände. Ein Teil des Gebäudes ist noch nicht gebaut, das erste L-Gebäude öffnet sich derzeit zu einer Brache, die späteren Anknüpfungspunkte sind in der Fassade durch temporäre Fassadenpaneele zu erkennen.


Mehr Ausblick

So dunkel die Gründungsgeschichte der Uni, so dunkel sind auch ihre Fassaden, verwittert über die Jahrhunderte. Für die Fassade des Neubaus wählten die Architekten lichtes Beige, eine neue Lernkultur signalisierend: Offenheit statt akademischer Zirkel, Modernität statt Tradition. Die vertikale Reihung der Fassadenpaneele aus Naturstein und Glas zieht sich komplett um das Gebäude herum und verändert ihren Rhythmus. Der Architekt erklärt: „Wo dem Neubau eine klar strukturierte Fassade als Pendant gegenübersteht, variiert das Raster unregelmäßig und mildert die Strenge. Auf der anderen Seite, wo der Straße eine klare Führung fehlt, schafft der gleichmäßige Rhythmus der Fassadenpaneele Ordnung.“ Zum Hof wählten die Architek­ten einen weißen Betonstein für die Fassade und betonten auch in der Außenfassade besondere Ausblicke, Gebäude und Plätze mit Beton als Kontrast zum beigen Naturstein: Ein- und Ausschübe des Bau­körpers signalisieren Eingänge und Ausblicke; Loggien und Dachterrassen durchbrechen vertikal die Reihung. Aufgrund der historischen Bausubstanz sind Dachterrassen in Edinburgh selten. Die Terrassen des Potterrow Building sind daher eine der wenigen, aber durch die Höhe des Bauortes spektakulären Ausblicke auf die Stadt und deren grüne Felsen.


Wie Codeknacker arbeiten

Auch im Innern des Informatikgebäudes gibt es Aussichtpunkte.

Um das zu demonstrieren lehnt sich John Miller im sechsten Geschoss weit über eine gläserne Brüstung in ein Atrium, das sogenannte Forum. Er zeigt auf die an diesem Morgen voll besetzten Büros, die sich über die fünf Obergeschosse an das Atrium reihen, abgetrennt durch eine Glasscheibe. Dazwischen liegen zum Atrium offene Arbeitsebenen, sogenannte Mini-Foren, und Galerien, auf denen sich kleine Teams zur Besprechung treffen. „Die Kommunikation funktioniert durch das Atrium, mit Blickkontakten von einem Büro ins andere, in den Coffecorners, den Galerien und über die Short Cuts da­zwischen,“ erklärt er und weist auf die Wendeltreppe, die sich im Atrium vor den Arbeitsgalerien des dritten, vierten und fünften Geschosses hinauf­windet, nur eine der im Gebäude verteilten stählernen Short Cuts. Auch als Abkürzung ist gleich eine ganze Seite des Atriums zu verstehen: Der hofseitige Gebäudeteil ist eine Stahlkonstruktion, die wie eine Brücke die beiden Enden des u-fömigen Bauwerks verbindet. Die graue Farbe der Stahlkonstruktion und der helle Parkettfußboden heben sich deutlich ab von den weißen Paneelen der Atriumfassade und den mit Teppichboden ausgelegten Galerien. Damit man sich bei all den Wegeverbindungen nicht verliert,

hat jede Ebene ihre eigene Farbe, die sich als Akzente auf Wände,
Decken und Sitzmöbeln wiederfindet. Aber sie haben auch eine symbolische Bedeutung: Es sind Farben aus einer Gemäldereihe des Künstlers Eduardo Paolozzi, der die Entwirrung des Enigma-Codes durch den englischen Mathematiker Alan Turing abstrakt gemalt nach­erzählt. Die Entschlüsselung des Enigma-Code war entscheidend für den weiteren Verlauf des zweiten Weltkrieges. Alan Turing gilt als einer der Wegbereiter der Informatik. „Hier ist er ein Held,“ erklärt
John Miller.

Klima

Das Gebäude erhielt die BREEAM Zertifizierung „excellent“, ein in Eng­land anerkanntes Siegel für nachhaltige Bauten. Hier interessiert nicht nur die Zukunftsfähigkeit und der Nutzwert einer guten Architektur, auch die Energiewerte müssen stimmen. „Der CO2-Ausstoß des Gebäudes liegt zwei Drittel unter dem eines durchschnittlichen Bürogebäudes, und den Energiebe­darf konnten wir um 60 % reduzieren.“ Der Architekt verweist auf die schwere Baumasse, das Verhältnis von Stein- und Glaspaneelen in der Fassade und den positiven Effekt des Atriums. Eine Lüftungsanlage bringt Zuluft in die Büros, über das Atriumdach entweicht die Abluft. Nur temporär heizen kleine Konvektoren die Arbeitsräume und temperieren damit das gesamte Gebäude. Für warme Sommertage haben die Besprechungsräume eine Klimaanlage. Die Energie für Strom und Heizung kommt aus einem Wärme-Kraftwerk, das die gesamte Universität versorgt. Das Klima in Schottland ist gemäßigt. Problematisch aber ist die Feuchtigkeit: Der hohe Niederschlag und das Inselklima greifen das Material an. Nachhaltig bauen beweist sich auch in der Langlebigkeit des Materials. „Naturstein, wie der Betonstein sind langlebig. Die Oberflächen müssen glatt sein, damit sich weder Moos noch Schmutz absetzt,“ erklärt der Architekt und weist auf die Fugen zwischen den Fassadenpaneelen. Metallene Profile schützen horizontale Vor­sprünge, damit Regenwasser nicht an dem Paneel herunterläuft . Zum Abschluss leitet J. Miller in Richtung Ausgang, platzt dabei in eine Vorlesung. Auf Sofas und Sitzkissen gruppieren sich dort Lernende um einen Vortragenden. Gemütlich sieht‘s aus, privat, sicherlich eine Elitegruppe? Miller widerspricht: „Das ist eine öffentliche Universität, keine Privatelite. Aber sie konkurriert mit internationalen Hochschulen und lockt Studenten aus der ganzen Welt hierher“ Die Architektur dafür muss nicht teurer sein, die Baukosten betrugen rund 1 800 €/m². Statt hoher Kosten wirken interdisziplinäre Konzepte: kurze Wege und quere Gedankengänge – Short Cuts. Rosa Grewe, Darmstadt

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