Die Quelle: Kontinuität und das Neue
Im Gespräch mit Johannes Kister, ksg, Köln
www.ksg-architekten.info
Lieber Johannes Kister, wir beide sind ja schon seit Jahren im Gespräch zur Zukunft der Quelle in Nürnberg. In den kommenden Tagen sollte es im Rahmen eines Tages der offenen Tür auch eine Presseführung geben, die abgesagt wurde. Ist bei dem Projekt eigentlich der Wurm drin?
Johannes Kister: Nein, das kann man nicht sagen. So weit, wie wir jetzt sind, waren wir noch nie. Wir sind auf der Zielgeraden zum Bauantrag für den Sommer. Das ist unumkehrbar.
Es gibt kein Zurück!?
Nein. Es gibt schon insofern kein Zurück mehr, weil der Mietvertrag mit dem Behördenzentrum der Stadt Nürnberg gemacht ist. Da gibt es Einzugstermine.
Gibt es in dem Projekt noch weiße Flecken?
Nein. Schon deshalb nicht, weil wir über den Bauantrag auch immer das Gesamtprojekt im Blick haben. Alle Themen werden im Zusammenhang gedacht, wie die verkehrliche Erschließung, der Brandschutz, die Technik etc. – und ganz zentral die Denkmalpflege.
Wird das Quelle-Gebäude nach dem Umbau noch zu erkennen sein?
Nach den Umbauten wird jeder die Quelle sehr gut wiedererkennen. Wir planen so, dass man kaum Veränderungen außen erkennt. Es wird in den Fenstern der Wohnungen Öffnungen geben müssen, damit man lüften kann, aber das den Charakter des Gebäudes bestimmende, horizontale Fassadenbild ist gesetzt. Bei den Innenhöfen haben wir größere Spielräume für die Belichtung der Wohnungen oder der Büroräume. Insgesamt ist das Agreement zwischen Urheberrechtsgeber, Denkmalbehörde und Bauherr ein konstruktives Geben und Nehmen.
Das ganze Projekt läuft unter dem Titel „The Q“, was nach Vermarktungsstrategie klingt. Welche Rolle spielt ksg in diesem Geschäft, wo sehen Sie sich da?
Wir hatten das Glück, dass wir als Architekten neben unserem Know-how auf dem Arbeitsfeld der Transformation – denken Sie an das Gerling-Quartier in Köln – für den neuen Eigentümer von „The Q“, die GERCHGROUP, schon länger bekannt waren. Meine Affinität zu diesem Projekt ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass ich als langjähriger Hersteller der Bauentwurfslehre von Ernst Neufert tief im Thema stecke. Das alles hat dann wohl dazu geführt, dass ksg als Architekten hier so intensiv involviert sind.
Können Sie die Neufert-Affinität konkreter formulieren?
Die grundsätzliche Haltung von kister scheithauer gross ist, Arbeiten im Bestand als Forschungsauftrag zu verstehen, die ganz besondere baukünstlerische Bedeutung eines Projekts zu erfassen, so wie wir das mit ein paar anderen Projekten in der Vergangenheit schon taten. Das ist keine Ego-Angelegenheit – „jetzt ich und der andere kommt weg“ –, sondern von Anfang an haben wir verstanden, dass die Architektur von Neufert aus einem Denken der Moderne kommt, die es gilt weiterzuentwickeln. Dieser Bau ist ein wichtiger Beitrag zum Wiederaufbau Deutschlands und damit eine Ikone der Nachkriegszeit.
Wie würden Sie die Quelle im Werk Neuferts einordnen? Ist es ein zentrales Werk?
Also von seiner Größe und der Bedeutung, die die Quelle hat, steht sie in einer Reihe mit Egon Eiermanns Neckermann-Gebäude. Nebenbei erscheint es mir interessant zu sein, dass die Unternehmensgründer sich damals ihre ganz eigenen, besonderen Architekten gewählt haben. Da war Unternehmensarchitektur Teil der Unternehmensphilosophie. Das hatte eine große Bedeutung. Insofern ist das Projekt, das in fünf Bauabschnitten realisiert wurde, kein in sich abgeschlossenes Gesamtkunstwerk, wie vielleicht das Waisenhaus oder die Wasserbauhalle in Darmstadt. Es ist heterogener, vielschichtiger, es hat Brüche und ist in dieser Hinsicht nicht das ungetrübteste Projekt. Aber man hat EIN Konzept beibehalten.
Es gibt Denkmalschutz, für welche Bauteile?
Unter Denkmalschutz stehen die Fassade, die Treppenhäuser und der Versammlungssaal.
Beschreiben Sie doch kurz Ihre wesentliche Eingriffe in den Bestand, was wird transformiert?
Uns ist es sehr wichtig, dass dieses Gebäude Öffentlichkeit hat, dass man in es hineingehen kann. Wir haben jetzt kein Einkaufszentrum mehr, wie es mal geplant war, es gibt auch keine Indoor-Welt mehr. Der Handel bleibt im Erdgeschoss als Nahversorgung und Gastronomie um das Quelle-Forum. Angebote, die auch auf das ganze Quartier zielen, aber nicht darüber hinaus. Das Quelle-Forum ist öffentlicher Raum. Durch das Behör-
denzentrum erhält die Quelle auch eine seiner Bedeutung entsprechende öffentliche Adresse.
Hinzu kommen an der Südseite noch soziale Nutzungen wie z. B. ein Kindergarten. Damit wird das Quartier sehr sympathisch belebt sein.
Bauen im Bestand ist immer ein Abenteuer. Wie halten Sie die Risiken gering?
Wir haben viele Nutzungs- und Bau-Varianten sehr intensiv mit dem Bestand geprüft. Inzwischen haben wir ein komplettes 3D-Modell, auch bezogen auf die Statik, die Bausubstanz. Natürlich gibt es kontinuierlich durchgeführte Detailuntersuchungen, Materialanalysen. Wir sind da schon sehr weit.
Haben Sie Kostensicherheit?
Wir haben mit den Bauherren 2019 eine Kostenschätzung gemacht, die relativ detailliert war.
Sind das die 700 Millionen Euro?
Die 700 Millionen beschreiben das Gesamtinvestment. Da spielt vieles mit rein. Das sind nicht die reinen Baukosten. Aber ja, bei einem Projekt dieser Größenordnung wäre es vermessen zu sagen, wir wissen alles. Was wir beispielsweise genau wissen, ist, dass die verschiedenen Bauabschnitte bezogen auf die Substanz eine unterschiedliche Qualität haben. Nun zu den unterschiedlichen Bauteilen unterschiedliche Ansätze zu fahren – mit dem gleichen ästhetischen Ergebnis natürlich –, das ist komplex. Wenn sich jetzt in der weiteren Entwicklung herausstellt, dass einige Teile nicht mehr zu halten sind und dann eben ersetzt werden müssen, dann ist das so, als würde man einen Oldtimer restaurieren. Wir machen aus einem Oldtimer keinen Formel-1-Boliden, sondern wir werden den so restaurieren, dass er eben der „alte Oldtimer“ mit Patina ist.
Aber Herr Kister, bei aller Liebe zum guten Oldtimer: Haben Sie – heimlich – nicht auch schon mal daran gedacht, das Ganze abzureißen?
Auf keinen Fall – auch nicht im Geheimen! Es würde sich im Übrigen nicht rechnen. Tatsächlich nicht. Man würde schnell feststellen, dass man wesentlich weniger Fläche bekommt. So, wie der Bau steht, haben wir eine extreme Ausnutzung des Grundstücks und alle Überlegungen, hier mit einer im Wohnungsbau üblichen Blockstruktur zu arbeiten, würden dazu führen, dass nur die Hälfte realisiert werden könnte.
Wie schätzen Sie den Umgang mit der alternativen Szene ein, die sich in der Quelle einnisten durfte für einen gewissen Zeitraum?
Die Proteste waren gegen den drohenden Verlust von günstigem Arbeits- und Wohnraum gerichtet. Nun konnte man Platz im ehemaligen Heizhaus anbieten. Wir Architekten hatten damals empfohlen, das ganze Projekt nicht gleich und in allen Bereichen perfekt zu sanieren. Man hätte einen Bereich im Inneren zunächst belassen können, wie er ist. Da gäbe es günstigere Mieten.
Erwirbt man Mischnutzungen?
Wir haben Mischnutzungen, weil ja das Erdgeschoss immer dabei ist und wir real geteilte Bauteile haben. Diese großen Bausteine kann jeder Käufer so bespielen, wie er möchte, ob für Familien, für Studenten oder doch hochwertige Lofts, den einen oder anderen Grundriss: Das ist offen und wird für Varianz stehen. Das haben wir vorbereitet.
Sind Bauteile bezogen auf ihre Infrastruktur voneinander autark?
Ja, die sind autark innerhalb der „Hülle“ Quelle.
Welche Nutzungsauflagen gab es seitens der Stadt? Sozialmiete?
Sozialer Wohnungsbau findet auf dem angrenzenden Grundstück statt, direkt neben dem Heizhaus auf dem Quelle-Grundstück auf 15 000 m², wo einmal der große Mitarbeiterparkplatz war.
„The Q“: Eigentum oder auch Mieten?
Das sollten Sie am Besten den Bauherrn fragen. Aus Architektensicht wohl eher Mieten.
Was ist aus Ihrer Sicht Zukunft bei „The Q“?
Unsere Vision ist, dass das Quelle-Gebäude, das eine große Maschine war, zu einem lebendigen Ort, einem Stadtquartier wird. Schön wäre es, wenn wir dem Ganzen eine Selbstverständlichkeit geben könnten, so dass alle denken, dass man hier nicht viel geändert hat. Dass es eben Kontinuität und das Neue gibt. Das wäre für mich ein Ziel. Ich will das jetzt nicht auf eine Meta-Ebene bringen, von der herunter man dann Vorbildcharakter beansprucht. Aber dass man so ein Gebäude, das viele im Grunde genommen nur abreißen würden – die ersten Konzepte haben das ja vorgeschlagen – oder unentwickelbar fanden, nun mit wenigen chirurgischen Eingriffen bewohnbar macht und auch noch schöne Räume schafft, das könnte so ein Aspekt sein. Es ist ein Ort, wo ich gerne hingehe, wo ich Öffentlichkeit und immer noch Quelle erlebe. Ist das nicht wegweisend genug?!
Wunderbar, jetzt scharren alle mit den Hufen! 2024 ist was erreicht?
2024 zieht das Behördenzentrum ein. Die Wohnungsbauten werden etwas nachlaufen. Das Ziel ist, dass ab 2024 die Einweihung der Bauabschnitte hintereinander folgt und dass wir alles 2026 komplett abgeschlossen haben. Das wird ein Fest!
Da drücke ich die Daumen!
Wir sollten das schaffen. Da bin ich sehr zuversichtlich. Wenn der Zeitplan nicht durch Ereignisse wie gerade die Corona-Krise durcheinander gerät jedenfalls. Bleiben Sie dran. Dann werden wir zu Quelle sicher noch einige Male sprechen. Dann hoffentlich vis-à-vis.
Mit Prof. Johannes Kister unterhielt sich DBZ-Redakteur Benedikt Kraft am 19. März 2020 – der Corona-Situation geschuldet – via Telefon.