Diese Außenwand kann Multitasking
Low Tech Konstruktionen mit Infraleichtbeton

In der heutigen Zeit ist es aus energetischer Sicht nicht nur möglich, sondern auch erforderlich, mehr zu leisten als nur die Anforderungen der Energieeinsparverordnung (EnEV) einzuhalten. Wenn Klimaschutz ernst genommen werden soll, muss der gesamte Lebenszyklus eines Gebäudes in Bezug auf den Energieverbrauch für Herstellung, Betrieb und Rückbau betrachtet werden. Es spielt deshalb eine entscheidende Rolle, mit welchen Materialien die EnEV erfüllt wird. Mehrschichtige Wandaufbauten müssen aufwändig hergestellt werden und sind sowohl anfällig für Ausführungsfehler als auch nicht immer gut zu warten und zu entsorgen. Dies kann durch eine monolithische Bauweise aus Infraleichtbeton umgangen werden.

Infraleichtbeton ist ein sehr leichter Beton, der als tragende Wärmedämmung dauerhafte, nachhaltige und ansprechende Sichtbetonbauten verspricht. Ohne Putz- und Verkleidungsarbeiten führt diese Bauweise zu Kosteneinsparungen und wegen der leichteren Wiederverwertbarkeit zu nachhaltigen Bauten. Monolithische Tragwerke aus Sichtbeton können somit ökonomische, ökologische und soziokulturelle Anforderungen erfüllen, die mittlerweile den Entwurf eines Gebäudes stark beeinflussen. Als Referenzobjekt für den an der Technischen Universität Berlin entwickelten Infraleichtbeton dient seit 2007 ein gebautes Einfamilienhaus. Über das Projekt berichtete die DBZ ausführlich in Heft 11/2009.

Durch die stetig weitergeführte Forschung an der TU Berlin konnte der Infraleichtbeton von damals inzwischen erheblich verbessert werden. So wurden bei gleichen Wärme-

dämmeigenschaften die Festigkeiten nahezu verdoppelt.

Smart Material House

Die praktische Anwendbarkeit zeigt der Bau einer Probewand im Maßstab 1:1, die für ein „Smart Material House“ im Rahmen der Internationalen Bauausstellung (IBA) in Hamburg 2013 erstellt wurde. Das Smart Material House-Projekt konnte allerdings bisher leider nicht realisiert werden. Nachdem für das Wohnhaus kein Investor gefunden werden konnte, wurde der Entwurf modifiziert und zu einem temporären, eingeschossigen „Smart Material Pavillon“ für die IBA Hamburg umgeplant, der mit dem globalen Holcim Innovationspreis ausgezeichnet wurde. Die

Suche nach Investoren läuft weiter.

Wie in einem Kartenhaus stapeln sich für den Wohnhausentwurf geschwungene Betonfertigteile übereinander und wirken als Trag-

elemente, Raumbegrenzung und Wärmedämmung sowie als Träger eines Heiz- und Kühlsystems. Die infraleichten Außenwandbauteile haben nur ein Drittel von dem Gewicht konventioneller Betonbauteile, wie mit der vorgestellten Probewand nachgewiesen

werden konnte. Der Entwurf für das „Kartenhaus“ entstand in Kooperation des Büros Barkow Leibinger Architekten mit dem

Fachgebiet Entwerfen und Konstruieren – Massivbau der TU Berlin und der Transsolar Energietechnik GmbH.

Die massiven Wandscheiben des Kartenhauses, die mit ihren konvexen oder konkaven Schwüngen Wohnräume und Loggien ausbilden, formen skulpturale Raumbegrenzungen und schaffen damit nicht nur technisch, sondern auch räumlich neue Perspek-tiven. Im Wohnhaus sollen durch die Setzung von jeweils 12 Infraleichtbetonelementen auf vier Geschossen Wohnungsgrundrisse entstehen, die durch den Einbau von Leichtbauwänden weiter untergliedert werden können. Für die Geschossdecken ist eine Konstruktion mit Brettschichtholzplatten geplant, die bei extrem hoher Stabilität sehr gute Umweltkennzahlen aufweisen. Als Fußbodenbelag ist ein beschichteter Estrich vorgesehen, die Untersicht der Brettschichtholz-Deckenplatten soll sichtbar bleiben.

Infraleichtbeton

Die sehr günstigen Wärmedämmeigenschaften von Infraleichtbeton hängen mit seinem

geringen Gewicht zusammen. Die Trockenrohdichte von 780 kg/m³ liegt unterhalb des Grenzwertes für Leichtbetone und ist das entscheidende Merkmal. In der Betontechnologie spricht man von Leichtbeton, wenn das Gewicht, also die Trockenrohdichte, zwischen 800 kg/m³ und 2 000 kg/m³ liegt. Normalbeton wiegt in der Regel 2 500 kg/m³. Die Gewichtsreduzierung erfolgt durch das Einbringen von Luftporen.

Die Grundlagen der neuen Infraleichtbeton-Technologie basieren auf den Vorarbeiten aus dem Jahr 2007. Es wurden dabei umfassende Untersuchungen zum Herstellungs-

prozess unternommen, um eine stabile Rezeptur zu entwickeln, die sich nicht wieder entmischt. Dazu wurden durch Versuche die wichtigsten Frisch- und Festbetoneigenschaften bestimmt.

Das Eindringen von Luftporen geschieht gezielt entweder über ein Haufwerk, die Zementmatrix oder die Zuschläge. Bei sogenannten haufwerksporigen Betonen, Betonen mit offenem Gefüge, verbindet der Zementleim die Grobzuschläge lediglich punktuell, wodurch kein Verbund zur Bewehrung gewährleistet werden kann. Für bewehrte Tragelemente muss Leichtbeton also ein geschlossenes Gefüge haben.

Die Luftporen können in begrenztem Maße
über die Zementmatrix oder die Zuschläge eingebracht werden. Eine porosierte Matrix erreicht man bspw. durch Betonzusatzmittel wie Luftporenbildner. Eine Gewichtsreduzierung über die Zuschläge erfolgt über das
Ersetzen der natürlichen Gesteinskörnung durch Leichtzuschläge. Das geringe Gewicht von Infraleichtbeton wurde mit einer porosierten Matrix und Leichtzuschlägen aus Blähton erreicht.

Durch die Weiterentwicklung des Werkstoffes konnte nicht nur eine Steigerung der Festigkeiten, sondern auch die Selbstverdichtbarkeit des Materials erzielt werden. Somit kann ohne zusätzliche Verdichtungsenergie die Bewehrung umschlossen werden. Die Erhöhung der Festigkeit bei gleichbleibendem Gewicht erfolgte bei ähnlichen Zuschlägen über eine angepasste Sieblinie und eine Verbesserung der Matrix. Die höhere Matrixfestigkeit wurde durch Zugabe von Microsilica erreicht. Dieser Zusatzstoff erhöht nicht nur die Packungsdichte im Feinanteilbereich, ­sondern führt auch zu einer puzzolanischen Reak­tion. Das Feintuning für eine stabile Rezeptur erfolgte über die Zugabe von Betonzusatzstoffen wie Fließmittel und Stabilisierer.

Eigenschaften

Zur Bestimmung der betontechnischen Eigenschaften von Infraleichtbeton wurden in den Versuchslaboren der TU Berlin verschiedene Untersuchungen durchgeführt.

Man unterscheidet zwischen Frisch- und Festbetoneigenschaften. Zu den Frischbetoneigenschaften zählen das Ausbreit- oder Setzfließmaß, die Frischbetonrohdichte und der Luftporengehalt. Bei den Festbetoneigenschaften wird nochmals unterschieden zwischen mechanischen und bauphysikalischen Eigenschaften. Der vielleicht bedeutendste Wert der mechanischen Eigenschaften ist für die Bemessung die Betondruckfestigkeit. Im Vergleich zu normalfesten Betonen ist dieser Wert bei Infraleichtbeton gering, aber ausreichend hoch, um für tragende Wände im Geschosswohnungsbau einsetzbar zu sein. Infraleichtbeton erreicht damit die Betongüte eines LC 8/9.

In bauphysikalischen Versuchen wurden die Wärmeleitfähigkeit und die Wärmespeicherkapazität untersucht. Die Wärmeleit-

fähigkeit ist im Vergleich zu nichttragenden Dämmmaterialien wie Polyurethanhartschäumen um den Faktor 10 höher, zu Normalbeton jedoch um den Faktor 10 geringer.

Für die Bewertung der Wärmespeicher-

kapazität ergaben Versuche, dass Infraleichtbeton Wärmeenergie weniger gut speichern und wieder abgeben kann als Normalbeton. Daraus ergibt sich für die Konstruktion eine Bauweise, bei der Infraleichtbeton nur als tragende Wärmedämmung in der Bauwerksaußenhülle verwendet und Bauteile im Bauwerksinneren aus Normalbeton hergestellt werden. Aus architektonischer und tragwerksplanerischer Sicht ist diese Aufteilung ebenfalls sinnvoll.

Probewand

Der Schalungskörper der Probewand bestand aus zwei Einbaukästen und sechs Systemschalungselementen. Die zwei als Sonderanfertigungen erstellten Einbaukästen erzeugten den kurvigen Umriss der Probewand. Sie wur­den durch sechs Elemente aus Systemschalung stabilisiert, wodurch zusammengesetzt ein großer kistenförmiger Schalungskörper entstand. Gegen die Zwangsspannungen in der Wand aus Schwinden und Transport wurde vertikal und horizontal eine Stahlbewehrung eingebaut. An die Bewehrung wurden für den Transport zwei Wellenanker mit einer jeweiligen maximalen Traglast von 5 t angeschlossen. Um eine mögliche Verwendung für Bauteilaktivierung zu testen, wurde auf der Bewehrung eine Heizschlaufe aus einem Kunststoffschlauch befestigt. Weiterführende Untersuchungen hierzu befinden sich zurzeit in Planung.

Nach zwei Tagen Schalungs- und Bewehrungsarbeiten waren die Vorbereitungen für das anschließende Betonieren abgeschlossen. Bei der Betonherstellung wurden zur Qualitätskontrolle Proben zur Bestimmung der Frischbetonrohdichte und Würfeldruck-

festigkeit entnommen. Die angestrebten Rohdichten und Druckfestigkeiten aus den Laborversuchen wurden allerdings nicht ganz erreicht. Die Rohdichte und die Druckfestigkeit sind stark vom Wasseranteil im Beton abhängig. Da die Leichtzuschläge haldenfeucht angeliefert wurden, also mit einer nicht kons-tanten Eigenfeuchte, konnte die Rezeptur nicht entsprechend angepasst werden. In der Praxis kann dieses Problem durch eine kons-tante Kontrolle der Lieferbedingungen vermieden werden.

Nach dem Ausschalen wurde die Wand mehrmals transportiert und somit die Transportfähigkeit von Fertigteilen aus Infraleichtbeton unter Beweis gestellt. Mittlerweile befindet sich die Probewand für weiterführende Untersuchungen in der Peter-Behrens-Halle der TU Berlin auf dem Campus der Bauingenieure in Berlin-Wedding. Durch die Herstellung der Probewand in einem Fertigteilwerk konnte die Praxistauglichkeit des weiterentwickelten Infraleichtbetons bereits nachgewiesen werden. Der Beton lässt sich also nicht nur im Betonlabor für kleine Probekörper herstellen, sondern auch für große Fertigteilelemente, ohne sich zu entmischen.

Ausblick

Trotz dieser großen Entwicklungsfortschritte bietet der Forschungsbereich Infraleichtbeton in der Zukunft genügend Themen, die untersucht werden müssen. So werden zurzeit bspw. die Schwind- und Kriechwerte ermittelt. Ein erster Ausblick erlaubt auch hier eine Verbesserung der Werte. In der Materialforschung sollen zudem in Zusammenarbeit mit dem Fachgebiet Baustoffe und Bauchemie der TU Berlin (Prof. Stephan) noch höhere

Festigkeiten erreicht werden. Außerdem wird hierzu auch das gezielte Einbringen von Luftporen untersucht.

Die Anwendung von Infraleichtbeton in der Bauwerkshülle beschränkt sich zurzeit noch auf tragende Wände. Deswegen sollen nun auch Bemessungsgrundlagen für Bauteile, die auf Biegung und Querkraft beansprucht werden, wie Unterzüge in der Fassade, geschaffen werden. Im Bereich Architek-

tur gibt es eine enge Zusammenarbeit mit dem Fachgebiet Baukonstruktionen und Entwerfen der TU Berlin (Prof. Leibinger), um die Lücke zwischen Forschung und Anwendung zu schließen. Hierbei werden die architektonischen und baukonstruktiven Möglichkeiten dieses Baustoffes im Rahmen eines geplan-ten Forschungsprojektes interdisziplinär untersucht.

Literatur
Schlaich, M., El Zareef, M.: Infraleichtbeton, Beton- und Stahlbetonbau 103, Heft 3, S. 175–182, Ernst & Sohn, 2008.
Schlaich, M., Hückler, A.: Infraleichtbeton 2.0, Beton- und Stahlbetonbau 107, Heft 11, S. 757–766, Ernst & Sohn, 2012.
El Zareef, M.: Conceptual and Structural Design of Buildings made of Lightweight and Infra-Lightweight Concrete, Dissertation, Shaker Verlag, Aachen, 2010
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