Warme Villa
Die Villa L in Gräfeling gehört zu den wenigen ihrer Art, bei denen ultraleichter Beton mit isolierenden Eigenschaften zum Einsatz kam. Ein Praxisbericht.
Text: Isabella Leber und Martin Pool
Wie aus einem Guss: Trotz unterschiedlicher Betonarten Innen und Außen erzielten Pool Leber Architekten bei der Villa L ein einheitliches Gestaltungsbild
Foto: Brigida Gonzales
Wie ein Findling steht der kristalline Monolith auf großem Grund, innen wie außen Beton. Mit Wand und Dach aus Infraleichtbeton, wird auf die Dämmschicht verzichtet. Das Gebäude ist, so wie es zu sein scheint – durchgehend Beton. Die Form des gefalteten, polygonalen Daches leitet sich aus den umgebenden Walmdach-Häusern der 1930er-Jahre ab und steht im Wechselspiel mit der im Grundriss erkennbaren Rhombusform. Die Garage wird in die Dachlandschaft integriert und zu einer Gesamtskulptur gefügt, die im Außenraum von ebenso amorph geschnittenen, zum Teil abgesenkten Flächen umgeben und durchdrungen ist. Die Wiederholung der Raute, im Luftraum der Galerie, im Fischgrät-Parkett der Kinder- und Büroräume, in den spanischen Zementfliesen in Diele, Esszimmer und Küche sowie in der Schalung des Treppenraumes, bildet eine Art Echo der entwurflichen Grundidee.
Das Haus öffnet sich mit seinen sechs Seiten in verschiedene Richtungen: Das Wohnen nach Süden und Westen, nach Osten Esszimmer und Küche, das Au-pair-Apartment im Erdgeschoss nach Norden. Im Untergeschoss Richtung Osten: Pool, Sauna, Dampfbad und Fitness. Deren Außenbereich bildet ein abgeböschter Lichthof, der über eine Treppenablage an den Garten angebunden ist. Die Räume im Obergeschoss wendeln sich ringförmig um die rautenförmige Treppenhalle nach oben und sind in verschiedene Funktionsbereiche aufgeteilt: Die Elternräume im Obergeschoss nach Norden, ein paar Stufen höher Kinderbad und Kinderzimmer, am Ende der Galerie schließlich, Richtung Westen die Büroräume, deren Hauptzugang über eine separate Treppe erfolgt.
Die Schalung im Innenraum hebt den konventionellen Beton auch optisch vom Infraleichtbeton ab
Foto: Brigida Gonzales
So wie sich die Form des Baukörpers aus den umgebenden Gartenstadthäusern abgeleitet hat, so entwickelte sich die Materialität von Dach und Wänden aus der Einheitlichkeit dieses Materials, mit welcher der stark geometrische Baukörper authentisch wiedergegeben wird. Die Reinheit des Materials ist ebenso bestechend wie anspruchsvoll.
Vor allem Dach und Sockel, konfrontiert mit Regen, Schnee und Sonne, mussten trotz der langen Entwicklungs- und Forschungsphase dieses Bauvorhabens mit einer weiteren Schicht bedeckt werden. So dichtet nun Kemperol mit eingestreutem Quarzsand, dessen Mischung auf die Farbe des Ultraleichtbetons abgestimmt wurde, das Haus von oben ab. Eine zementäre Schlemme schützt den Sockelbereich. Im Innenraum bestimmt ein ebenso klares Material- und Formenkonzept die Räumlichkeiten, eine Komposition aus verschiedenen Weiß- und Grautönen: Beton, Naturstein, grauer Teppich, weiße Zementfliesen und altweiß gestrichenen Flächen stehen den Böden und Einbauten aus Eiche und Räuchereiche gegenüber.
Die polygonal-kristalline Struktur des Gebäudes schafft spannende Sichtbezüge und verleiht der 50 bis 62 cm starken Gebäudehülle eine modern anmutende Leichtigkeit
Foto: Brigida Gonzales
Ausführungen zu den Ausführungen
Zwar ist das Haus LOS innen wie außen aus Beton – aber es ist innen ein anderer Beton als außen. Der innere Rhombus des Treppenhauses trägt die Decken und das Dach und führt die Erschließung und die Versorgung. Diese Elemente sind aus Normalbeton und sollen mit rauer diagonaler Bretterschalung kräftiger wirken. Die Außenhaut, Wand und Dach, dagegen ist aus weicherem Infraleichtbeton. Dieser dämmt und trägt, ist einschalig monolithisch und hat die gleiche Erscheinung auf der Innenseite wie auf der Außenseite. Auch wenn auf den ersten Blick alles homogen erscheint, so merkt man auf den zweiten Blick, dass es auch hier eine Gliederung in tragende Struktur und Kleid gibt. Innovativstes Element in der Ausführung ist der Infraleichtbeton, der die gesamte oberirdische Gebäudehülle einschließlich des Daches darstellt. Durch das Beimischen von Blähton entsteht ein Material, das zugleich trägt und isoliert und mit Stahlbewehrung als Außenhülle monolithisch eingesetzt werden kann. Entwickelt wurde die Ausführung mit dem Hersteller Heidelberg Zement, mit Prof. Christian Thienel vom Institut für Werkstoffe des Bauwesens der Bundeswehruniversität in München, dem Tragwerksplaner Christian Eisenhauer, Wertingen sowie der ausführenden Rohbaufirma Adldinger aus Kranzberg.
Die 45 cm starken Außenwände wurden mit einfacher großflächiger Systemschalung hergestellt. Die Großflächigkeit der Schalungselemente bindet das Haus als großen Monolith zusammen, während durch den Verzicht auf Sichtschalungstafeln (Betonplan) Kosten gespart wurden. Vor allem zeichnet sich der Infraleichtbeton nicht durch eine glatte Oberfläche aus, sondern durch unzählige kleine und große Poren sowie durch ausgeprägte Äderungen. Diese variantenreiche Oberfläche war erwünscht und wurde durch die Oberfläche der Schaltafeln gefördert. Die Betonierabschnitte wurden so entworfen, dass nur eine waagerechte Arbeitsfuge zwischen Erdgeschoss und Obergeschoss entstand. Die Wand im Erdgeschoss wurde an der Unterkante der Decke mit einer Dreiecksleiste abgeschlossen, in die der obere Wandabschnitt hineinbetoniert wurde. Die einbindende Decke stellt eine Wärmebrücke dar und wurde mit einem Randdämmstreifen zusätzlich isoliert. Ähnlich wie bei der Decke wurde die Außenwand an Traufe und Ortgang als eine Art Attika betoniert, hinter der das aufliegende Dach anschließt, so dass auch hier keine Arbeitsfugen sichtbar sind. Die abgeschrägten Fensterstürze hingegen sind in einem Zug mit dem Dach betoniert.
Die Verdichtung des leichten Dämmbetons auf den schrägen Dachflächen stellte das Team vor Herausforderungen
Letztlich wurden, im Schnitt wie auch im Grundriss, alle Betonierabschnitte genau in die Ecken gelegt, sodass sie unsichtbar bleiben. Um ein bewegtes Erscheinungsbild der großen Betonflächen zu erhalten, wurden die Schüttlagen mit Kübelbeton ausführlich geplant und mit etwas zeitlichem Versatz eingebracht, hierdurch entstanden wellende Linien unterschiedlicher Tönung in der Fassade. Durch das Austrocknen des Betons vereinheitlichte sich die Fassade so, dass am Ende das Muster doch sehr in den Hintergrund getreten ist. Das Dach mit 50 cm Stärke ist unterseitig mit rauer, 14 cm breiter Bretterschalung versehen und oberseitig geglättet. Die Innenschalung verläuft parallel zur Außen- und Treppenhauswand, um die Rautenform des Grundrisses zu unterstreichen. Durch die Faltung des Daches und einen Niveauversatz im Obergeschossfußboden entstehen spannungsreiche Räume, die unterschiedlich kombinierbar und ringförmig um den Treppenraum angeordnet sind.
Treffen der Linien
Durch die komplexe Dach- und Grundrissform war es aus geometrischen Gründen mit einer durchgehenden Dachstärke von 50 cm nicht möglich, dass sich sowohl die Innenkanten als auch die Außenkanten der Wand- und Dachfaltung genau treffen. Um den unterseitigen Dachknick im Elternschlafzimmer (Nord) und im Kinderzimmer (Süd) genau auf den inneren Knick der Außenwand zu schieben, wurde die Untersicht der einen Dachfläche um ca. 12 cm nach unten geschwenkt. Die Dachfläche ist somit keilförmig mit einer Stärke von 50 bis 62 cm betoniert, so dass die Faltungen von Wand und Decke – innen und außen – perfekt aufeinander zu laufen. Das Betonieren des Daches, gefaltet, mit aufgeklapptem Oberlicht und Neigungen bis 37 ° stellte eine große Herausforderung dar. Auf eine oberseitige Schalung wurde aufgrund der schlechten Verdichtbarkeit verzichtet. Schon in der Entwurfsphase wurde eine geneigte Testdachfläche erstellt, um die händisch geglättete Ausführung zu testen, denn der leichte Blähton strebte immer wieder an die Oberfläche. Um letztlich die Neigungen herzustellen, musste der Beton etwas dickflüssiger geliefert werden. Schließlich wurde an einem Oktobertag das gesamte Dach einschließlich Dachgaube mit zwölf Mann in einem Stück von Sonnenaufgang bis 17 Uhr abends betoniert, geglättet und abgedeckt.
Trotz – oder gerade wegen – der innovativen Ausführung wurde Wert darauf gelegt, bei Einhaltung aller ästhetischen Detailansprüche ein technisch einwandfreies und dauerhaftes Bauwerk herzustellen. Zum Leichtbeton (LC8/9) selbst lagen statische Prüfwerte vor. Als nicht genormter Baustoff musste hiermit eine Zustimmung im Einzelfall erwirkt werden. Bei dem thermischen Verhalten lagen dagegen keine gesicherten Werte vor. Der Energienachweis konnte mit Zugrundelegen der nächsthöheren genormten Betonart (besser tragend, schlechter dämmend) erbracht werden. Während der Ausführung wurden die anfangs vermuteten Wärmeleitfähigkeitswerte auch im feuchtem Zustand durch ein unabhängiges Prüfinstitut bestätigt – womit das entstandene Gebäude die EnEV nicht nur erfüllt, sondern auch deutlich unterschreiten dürfte. Zudem wurde der Einfluss des Bewehrungsstahls im dämmenden Bauteil untersucht. In der flächigen Wand stellt die Bewehrung kein Problem dar. Der wenige Stahl verläuft vor allem als Innen- und Außenbewehrung getrennt voneinander und parallel zur Wandfläche. Bei den Bewehrungskörben im Fensterbereich und an der Traufe, wo der steife Anschluss zum Dach hergestellt werden musste, war der Einfluss jedoch am deutlichsten.
Abdichtung mit Sand
Um eine komplett monolithische Erscheinung des Baukörpers zu erreichen, wurde anfangs ein nicht abgedichtetes Dach, bei dem der Beton die wasserführende Schicht darstellt, in Erwägung gezogen. Gespräche mit Fachleuten und Handwerkern sowie die Auseinandersetzung mit den DIN-Normen und den Merkblättern Beton haben ergeben, dass eine nicht geschützte (nicht isolierte) Dachfläche ohne Abdichtung nicht empfohlen werden kann. Vor allem durch thermische Einwirkungen würden Spannungen und folglich Risse in der Oberfläche entstehen. Andere Ausführungen, wie ein Massivholzdach mit Aufdachdämmung unter einer Abdichtung, wurden ebenso untersucht, gaben aber nicht den notwendigen Eindruck der Betonmassivität wieder.
Schließlich wurde auf die Variante der Flüssigabdichtung gesetzt. Diese wurde mit einer auf die Farbe des Betons abgestimmten Einstreuung aus hellgrau-schwarz meliertem, feuergetrockneten Quarzsand versehen, die von der Ferne ein mineralisches, dem Leichtbeton ähnliches Bild abgibt. Die hellen Sandanteile imitieren den Beton, während die schwarz-anthrazit Anteile den Leichtbeton-typischen Poren ähneln.
Da der Leichtbeton nicht die vom Hersteller (Kemperol) geforderten Haftzugsfestigkeiten nachweisen konnte, wurden Auszugsversuche bei dem Materialprüfungsamt der TU München, Prof. Gehlen, durchgeführt. Diese zeigten, dass der Haftverbund zwischen Abdichtung und Beton stärker ist als der Beton selbst. Auch wurde bauphysikalisch durch Glaserdiagramme und dynamische Verfahren der Feuchtehaushalt innerhalb des Dachs untersucht. Dabei konnte eine nachteilige Kondensatbildung innerhalb des Bauteils und an der Haftbrücke direkt unterhalb der Abdichtung ausgeschlossen werden.
Tatsächlich erwies sich das Dach allerdings direkt nach der Betonage als undicht. Dies war wahrscheinlich durch die Schwierigkeit beim Verdichten, den dickflüssigen, leichten Beton in der Schräge händisch zu glätten, entstanden. Eine Abdichtung war damit notwendig.
Um auf Dauer unansehnliche Schlieren an der Fassade zu vermeiden, wurde der Dachrand nach den einschlägigen Fachregeln geplant. Am Rand – Ortgang und Traufe – knickt das Dach um 10 cm nach oben, hier ist ein Tropfblech mit Überstand auf die Abdichtung aufgeklebt. Die offene einbetonierte Rinne weist ein Gefälle und einen Notüberlauf auf. Der Sockel ist mit einer mineralischen Dichtschlämme in Betonfarbe bis 30 cm über dem Erdreich abgedichtet. Dort überragt die Leichtbetonaußenwand ca. 15 cm die WU-Beton Kellerwand. Die Untersicht der vorstehenden Leichtbetonwand wurde nicht abgedichtet. Sollte nun doch Wasser in die porösen Betonflächen eintreten, gibt es hier die Möglichkeit, dass dieses wieder ins Erdreich abfließt.
Um zu verhindern, dass Wasser, das in obere Betonschichten eingetreten ist, an Betonierfugen ins Gebäudeinnere gelangt, sind alle waagerechten Arbeitsfugen der Betonfassade mit Arbeitsfugenblechen versehen. Wegen der großen Wandstärken und der isolierenden Wirkung des Materials war die Hitzeentwicklung beim Abbinden des Betons ein Problem. Dabei war das Betonieren des Daches im Oktober ideal. Das Obergeschoss wurde dagegen über den Sommer betoniert. Dabei wurde versucht, die Betonage auf kühle Tage oder den Abend zu verlegen. Zusätzlich wurde die Schalung mit Wasser besprüht und gekühlt. Eine der Wände wurde in einer besonderen Hitzeperiode betoniert, hier drang immer wie der Feuchtigkeit bis ins Gebäudeinnere ein, sodass man diese Fläche nachträglich verpressen musste.
Die Kunst der Fuge
Alle Betonflächen wurden nach Fertigstellung hydrophobiert. Die Fenster sind aus Eichenholz mit dreischichtiger, annähernd farbloser Lasur versehen. Eine Beton-Laibungsnase überdeckt den Rahmen bis auf 3 cm und vermeidet die sonst entstehende Wärmebrücke an dieser Stelle. Damit die Verglasungen wie reine Öffnungen in der Wand wirken, sind keine weiteren Aufteilungen vorhanden. Neben der Festverglasung ist der Lüftungsflügel in einem durchgehenden Eichenpaneel flächenbündig integriert. Auf der Innenseite sind die Fensterrahmen mit dem Beton bündig. Eine Nut im Fensterrahmen übernimmt die Toleranzen zum Beton, während das schwarze Dreizonen-Quellband um ca. 1 cm zurückliegt.
Wegen den Sichtbetonoberflächen konnte eine Dampfsperre als verklebtes Band nicht aufgebracht werden. Der Fußpunkt Fenster wurde mit Flüssigkunststoff abgedichtet und mit einem gespengelten Fensterblech bedeckt. Da die Fuge zwischen Betonlaibungsnase, Fenster und Blech ansonsten hinterläufig wäre, wurde die Fuge auf der Wetterseite mit Silikon in ganzer Höhe abgefugt. Bei diesen Fenstern und bei den Nassräumen wurde die Fuge auf der Innenseite zusätzlich mit einer dampfdichten Polymer-Fugenmasse abgedichtet.
Die polygonal-kristalline Anmutung des Hauses wird in allen Dimensionen und Detailebenen weitergeführt. Die Grundform der Raute spiegelt sich im Dach, im Dachoberlicht und in der Garage wieder. Die diagonale Schalung des Treppenhauses und die Untersicht der Treppe sowohl in Trockenbau als auch in Sichtbeton im Keller führen dies weiter. Polygonale Fliesen im Erdgeschoss und Fischgrätparkett im Obergeschoss setzen das diagonale Thema fort. Was heute wie ein Findling anmutet, ist also erst durch intensive Forschung, Planung und präzise Handarbeit auf der Baustelle entstanden.
Autor:innen: Isabella Leber und Martin Pool, www.poolleberarch.de
Foto: Filip Gorski