Documentadokumente
Alle fünf Jahre wieder sorgt die documenta in Kassel (und in 2017 auch in Athen) für große Aufmerksamkeit, auch unter Architekten. Denn nicht allein die Kunst wird dort verhandelt, nicht allein der Blick auf das, was aktuelle Kunst sein mag, sondern schlicht der ganze gesellschaftspolitische Diskurs zum Dasein in der menschengemachten Kultur. Dass man ein solch komplexes und diverses, so unübersichtlich in alle Weltteile oder Regionen gehendes Ereignis in einen oder zwei Kataloge packen könnte, davon sind auch die Herausgeber der beiden Reader oder Daybook genannten Publikationen nicht überzeugt. Doch dass in diesen beiden das Grundsätzliche der documenta, in diesem Jahr in der 14. Auflage, wieder neu ans Tageslicht gehoben werden kann, davon liest man in der längeren Einleitung im Reader Wortwörtliches.
Tatsächlich ist die Einführung durch die Herausgeber im eher bilderarmen Lese(!)buch eine überraschend prononcierte wie dann leider auch sehr knappe Analyse des (Kunst)Marktes. Deren herausgeberischer Ausblick am Ende nicht zu Euphorie Anlass gibt. Die Ausstellungskuratoren greifen dabei nicht bloß ganz zentral neoliberale Marktmechanismen an. Sie hinterfragen auch die mittlerweile wie selbstverständlich heruntergebeteten politischen Leitbegriffe westlicher Kulturdiskurse. Und nehmen sich auch die documenta als eine Institution vor, die längst ihre Ursprungsidee hinter sich gelassen hat und mit ihrem Dasein am Markt teilnimmt, ihn mitbestimmt und teils überhaupt erst möglich macht.
An dieses, so nur noch selten zu lesende, durchaus mechanistisch anmutende Manifest reihen sich dann Essays oder ganz freie Texte, historische Dokumente und andere, hybride literarische Formen, die in teils sehr wissenschaftsgeprägtem Jargon die diskursiven Anliegen der Ausstellung untersuchen. Hier geht es um Formen von Dekolonialität und Widerstand, Schuld und Geschenk, Entortung und Enteignung, Sprache und Gewalt, Indigenität und Exil. Kein leichter Tobak und – wie schon geschrieben – teils unerträglich und völlig unötig verquast.
Gleichsam gespiegelt wird dieser Lesebrocken dann von einem Tagebuch, das Tagebuch ist, weil sich die Beiträge in eine Chronologie begeben, die allerdings rein formal wirkt. In dem mit Kunststoffeinband geschützten Heft in Buchstärke werden nun alle teilnehmenden Künstler auf je einer Doppelseite in aller Kürze von einem Beobachter vorgestellt; der kann sein ein Kollege, ein Kritiker, ein Freund etc. Auf jeder Doppelseite findet sich ein Foto mit kurzem Text, auf welchem die Porträtierten ein Ereignis, eine Arbeit, ein Bild von einer Arbeit eingereicht haben, das sie in ganz zentraler Weise beeinflusste und bis heute noch bewegt.
Natürlich ersetzt kein Katalog das analoge Vis-à-vis. Doch beiden Arbeiten – und als solche, eigenständige Arbeiten muss man die documta-Dokumente bezeichnen – gelingt es, das Fundament herzustellen, das jede BesucherIn braucht, um das große Ganze der Kunstausstellung in Kassel, in Athen und durchaus auch sonst wo auf der Welt annähernd zu verstehen. Be. K.
Der documenta 14 Reader.
Hrsg. v. Quinn Latimer u. Adam Szymczyk. Prestel, München 2017, 712 S., 153 Farbabb.
35 €, ISBN 978-3-7913-5657-0
documenta 14: Daybook.
Hrsg. v. Quinn Latimer u. Adam Szymczyk. Prestel, München 2017, 344 S., 224 Farb- und 186 s/w Abb.
35 €, ISBN 978-3-7913-5654-9